mister-ede.de » Ulrike Guérot http://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Warum die Europa-Debatte auf der Stelle tritt http://www.mister-ede.de/politik/stillstand-europa-debatte/8448 http://www.mister-ede.de/politik/stillstand-europa-debatte/8448#comments Sat, 10 Jun 2017 17:35:16 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8448 Weiterlesen ]]> Zurzeit steckt die EU in einer Vielzahl von Krisen. Doch anders als in der Vergangenheit ist die EU heutzutage häufig selbst Teil der Krisen und manchmal sogar der genaue Mittelpunkt. So ist z.B. die Eurokrise nicht von einer Naturkatastrophe oder sonstigen globalen Ereignissen verursacht worden, sondern eine hausgemachte Krise einer Währungsunion, die nach ihrer Einführung nicht von einer demokratischen politischen Union umrahmt wurde. Luxleaks und die vielen weiteren nationalen Steuerschlupflöcher machen dasselbe Problem, den mangelhaften ordnungspolitischen Rahmen, am Binnenmarkt sichtbar. Und auch bei der Flüchtlingskrise ist offensichtlich, dass es keine äußeren Kräfte, sondern alleine die EU und ihre Mitgliedsländer waren, die an der solidarischen Verteilung der Ankommenden gescheitert sind – und zwar nicht erst 2015, sondern schon ab 2012, als es nach dem Zusammenbruch Libyens darum ging, Italien beim Umgang mit seiner offenen Seegrenze zu unterstützen.

Die EU ist also immer häufiger selbst Teil des Problems und eine wesentliche Ursache dafür liegt in der fehlenden oder nicht ausreichenden europäischen Integration. Folgerichtig wird an vielen Baustellen der EU immer wieder der Ruf nach weiteren Integrationsschritten der EU laut. Um dem Steuerdumping zu begegnen, soll es eine gemeinsame Unternehmensbesteuerung geben und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine europäische Arbeitslosenversicherung. Die Währungsunion soll endlich durch eine politische Union ergänzt werden und zur Bewältigung der Flüchtlingskrise soll es ein solidarisches europäisches Migrations- und Asylsystem geben. Die Außengrenzen sollen gemeinschaftlich geschützt und mit einer Verteidigungsunion soll die Abwehrfähigkeit aller EU-Länder verbessert werden. Doch trotz der klaren Forderungen nach mehr Kooperation, die quer durch das politische Spektrum der Pro-Europäer erhoben werden, hat sich bislang nichts geändert – und dafür gibt es Gründe.

Für viele der eigentlich notwendigen Integrationsschritte innerhalb der EU, z.B. der Entwicklung eines echten EU-Außengrenzschutzes, wäre die Einstimmigkeit der EU-Länder notwendig und oftmals sogar eine Änderung der EU-Verträge. Doch durch die Vielzahl nationaler Egoismen ist es inzwischen kaum noch möglich, diese notwendige Einstimmigkeit unter den 28, bald 27, EU-Ländern zu erreichen. So blockiert beispielsweise Deutschland alles, was auch nur im Verdacht stehen könnte, der deutschen Automobilindustrie zu schaden, während andere EU-Länder umgekehrt ihre wichtigen nationalen Unternehmen und Wirtschaftszweige schützen. Und auch bei der Steuergesetzgebung versucht jedes Land immer genau seine eigenen Schlupflöcher zu verteidigen. Die in der Versenkung verschwundene gemeinsame europäische Finanztransaktionssteuer ist ein Musterbeispiel hierfür.
Hinzukommen dann aber auch noch EU-Länder, vorneweg Ungarn und Polen, deren Regierungen den Status quo sowieso ganz gerne erhalten möchten, weil ihnen überhaupt nicht an einer starken EU-Ebene gelegen ist. An dieser Gruppe scheiterte beispielsweise ein erster Versuch, die Verantwortung für die EU-Außengrenzen an die EU zu übertragen, weil diese Länder nicht bereit waren, die Hoheit über den Grenzschutz an ihren eigenen EU-Außengrenzen aufzugeben. Und darüber hinaus gibt es dann sogar noch weitere EU-Länder, z.B. Dänemark, die sich die Möglichkeit zur Nichtteilnahme am Euro-Währungsverbund, an Schengen oder am Dublin-System vertraglich haben zusichern lassen.

Es ist daher extrem schwer, die Hürde der Einstimmigkeit für substanzielle Änderungen innerhalb der EU zu überwinden. Aus diesem Grund laufen auch die vielen Forderungen, z.B. nach einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung oder einer EU-Migrations- und Asylpolitik, kontinuierlich ins Leere. Dadurch ist es inzwischen kaum noch möglich, die EU durch eine tiefere Integration handlungsfähig zu machen und sie damit in die Lage zu versetzen, vom Teil des Problems wieder zum Teil der Lösung zu werden.
Neben den Rufen nach einer tieferen Integration muss daher künftig die Tatsache diskutiert werden, dass solche Vertiefungen nicht mehr mit allen EU-Ländern zusammen gegangen werden können. So schön z.B. Ulrike Guérots „Europäische Republik“ ist, hilft sie solange nicht weiter, bis die Frage beantwortet wurde, welche EU-Länder bei dieser Umgestaltung mitmachen und was das für jene EU-Länder bedeutet, in denen die Bevölkerung nicht zu diesem Schritt bereit ist. Hier setzt nun das „Konzept der Europäischen Föderation“ an, aber auch der frisch gewählte französische Präsident Macron beantwortet mit seinen Vorstellungen zur Reform der Eurozone und einer Weiterentwicklung zu einem Kern innerhalb der EU die Frage, welche EU-Länder an den Integrationsschritten beteiligt wären. Doch in der Öffentlichkeit fehlt es noch immer an einem breiten Diskurs dazu, während sich die Europa-Debatte weiterhin überwiegend in einer Dauerschleife zwischen der Forderung nach tieferer Integration und einer blockierten EU befindet.
Das Ziel muss daher sein, auf die Beantwortung der Frage hinzuarbeiten, mit welchen EU-Ländern eine tiefere Integration umgesetzt werden kann und soll. Denn zum einen hat die Zusammensetzung der Länder umgekehrt Einfluss darauf, in welchem Rahmen und in welcher Tiefe Integrationsschritte verwirklicht werden können und sollen. Und zum anderen wird damit die Europa-Debatte auf die tatsächliche Umsetzung einer tieferen Integration ausgerichtet, was hilfreich wäre, um der Debatte neuen Schwung zu geben und sie endlich wieder vorwärts zu bewegen.


Ähnliche Artikel:
Die verkehrte Richtung der EU-Reformdebatte im Europaparlament (www.mister-ede.de – 31.08.2014)

Die europäische Integration – Funktion und Ziele (www.mister-ede.de – 28.05.2012)

Skizze eines EU-Migrations- und Asylsystem (www.mister-ede.de – 29.09.2016)

Der europapolitische Blindflug von Schwarz-Rot (www.mister-ede.de – 28.11.2013)

Eine gesamteuropäische Agenda (www.mister-ede.de – 10.10.2016)

]]>
http://www.mister-ede.de/politik/stillstand-europa-debatte/8448/feed 0
Die drei Hauptströmungen der Europa-Debatte http://www.mister-ede.de/politik/stroemungen-europa-debatte/8343 http://www.mister-ede.de/politik/stroemungen-europa-debatte/8343#comments Fri, 21 Apr 2017 17:04:43 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8343 Weiterlesen ]]> Eurokrise, Flüchtlingskrise, Brexit – all das hat dafür gesorgt, dass es heute in der Öffentlichkeit so viel Aufmerksamkeit für das europäische Projekt gibt wie nie zuvor. Geprägt wird die Debatte dabei von drei Hauptströmungen, die im Folgenden näher betrachtet werden:

Rollback ins Nationale:

Eine Vielzahl nationalistischer Kräfte in Europa möchte die europäische Integration am liebsten auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen und den Kontinent wieder in Nationalstaaten aufspalten. Ihr Narrativ ist, dass sich der Nationalstaat in der Vergangenheit bewährt habe und auch heute besser als die gemeinschaftlichen europäischen Institutionen in der Lage sei, die Interessen der Bürger zu vertreten. Dabei spielt diesen Kräften zurzeit in die Hände, dass es die europäischen Institutionen bei zahlreichen Problemen tatsächlich nicht mehr schaffen, befriedigende Lösungen zu finden. So können die Nationalisten die für die Bevölkerungen der EU-Mitgliedsländer spürbaren und sichtbaren Schwachstellen der EU für ihre Erzählung nutzen, ohne den Beweis antreten zu müssen, dass die Nationalstaaten, wenn sie für sich alleine wären, diese Probleme wirklich besser lösen könnten.
Wichtige Vertreter dieser Hauptrichtung sind z.B. die britische UKIP, die vehement für den Brexit geworben hat, der französische Front National um die rechte Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, die deutsche AfD, die österreichische FPÖ und die italienische Partei Movimento Cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung) um Beppe Grillo.

Status quo verteidigen:

Für ein Beibehalten der EU in ihrer jetzigen Form treten vor allem diejenigen ein, die zu den Gewinnern der bisherigen Ausgestaltung des europäischen Miteinanders gehören und deshalb wenig bis gar kein Interesse daran haben, etwas zu ändern. Hierzu gehören insbesondere die Eigentümer und Vertreter jener Unternehmen, die vom gemeinsamen Binnenmarkt und dem Wettbewerb der EU-Länder stark profitieren. Bleibt es bei der aktuellen Konstruktion, können sich deren Unternehmen weiterhin in manchen EU-Ländern das Steuerdumping, in anderen das Lohn- und Sozialdumping und in nochmals anderen EU-Ländern z.B. niedrige Umweltschutzauflagen zunutze machen. Hinzugesellen sich aber auch einige Betriebsräte und Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften, die weit weg sind von Fehlentwicklungen wie wachsendem Niedriglohnsektor und prekärer Beschäftigung und daher ebenfalls für den Erhalt der EU in ihrer bisherigen Struktur plädieren. Mit dem Status quo gut leben können außerdem Politiker wie Viktor Orbán, die keine tiefere Integration und schon gar keine gestärkten europäischen Institutionen möchten, deren Länder allerdings weiterhin vom Binnenmarkt und den EU-Fördergeldern profitieren sollen.
Zu diesen konservativen Kräften hinzuzählen muss man allerdings auch den parteilosen französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron, der sich in seinem Wahlkampf nicht für einen Umbau Europas stark gemacht hat, sondern für eine Agenda-Politik in Frankreich, wie sie Gerhard Schröder einst in Deutschland durchführte. Zum Kreis derer, die vor allem die jetzige EU erhalten und bestenfalls an einzelnen Stellschrauben moderat drehen wollen, gehören außerdem Wolfgang Schäuble, der anstelle tiefgreifender Reformen lediglich einen Euro-Aufseher zur Durchsetzung des Spardiktats in Südeuropa befürwortet, genauso wie der in Deutschland stark gehypte #PulseOfEurope, der zum Fahnenschwenken für die aktuelle EU aufruft, statt substanzielle Veränderungen an dieser EU einzufordern.

Europäische Integration neu denken:

Last but not least gibt es dann noch all jene, die das europäische Miteinander weiterentwickeln und die europäische Integration neu denken wollen. Allerdings sind die Anhänger dieser Strömung quer über das politische Spektrum verteilt, weshalb es innerhalb dieser Gruppe sehr unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, wie ein Europa der Zukunft am Ende gestaltet sein sollte und wie ein Weg dorthin aussehen könnte. Trotz dieser Vielfalt lassen sich diese progressiven pro-europäischen Kräfte aber dennoch auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Sie erkennen die Strukturprobleme der jetzigen EU an, beispielsweise das Demokratiedefizit, und erachten es deshalb für das europäische Miteinander als unabdingbar, diese Konstruktionsfehler der EU durch grundlegende Reformen zu beseitigen.
Zu dieser Gruppe gehören zahlreiche Politiker von Linken und Grünen sowie einige der SPD und auch z.B. die EU-Parlamentarier Manfred Weber (CSU) und Alexander Graf Lambsdorff (FDP). Hinzu kommen außerdem verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen, wie die Union Europäischer Föderalisten, die sich für ein föderales Europa einsetzt, oder die Bewegung DIEM25 um den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, die europaweit Dialoge für ein neues Europa durchführt. Aber auch die Wissenschaftlerin Ulrike Guérot, die ihre Vorstellung einer European Republic in ihrem Buch „Warum Europa eine Republik werden muss!“ niedergeschrieben hat und dieser Blog, der sich unter anderem für eine europäische Verfassung stark macht, sind zu dieser Gruppe progressiver Pro-Europäer zu zählen.


Ähnliche Artikel:
Der europäische Schwarzbau oder die Geschichte vom Hobbyhandwerker Helmut K. (www.mister-ede.de – 14.12.2016)

Die Machtverschiebung von Parlamenten zu Regierungen in der EU (www.mister-ede.de – 22.07.2014)

Drei Initiativen für progressive und humanistische Europäer (www.mister-ede.de – 22.03.2017)

Die Europäische Föderation: Grundgerüst einer Verfassung (www.mister-ede.de – 24.06.2016)

linked: Ulrike Guérots „Europäische Republik“ (www.mister-ede.de – 23.11.2016)

]]>
http://www.mister-ede.de/politik/stroemungen-europa-debatte/8343/feed 0
linked: Ulrike Guérots „Europäische Republik“ http://www.mister-ede.de/politik/guerots-europaeische-republik/5751 http://www.mister-ede.de/politik/guerots-europaeische-republik/5751#comments Wed, 23 Nov 2016 18:09:16 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5751 Weiterlesen ]]> „Bürger Europas, vereinigt Euch!“, will man in Anlehnung an den Leitsatz des kommunistischen Manifests, „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“, ausrufen, sobald man Ulrike Guérot über die Idee einer Europäischen Republik reden hört. Bereits 2013 verfasste sie zusammen mit Robert Menasse das „Manifest für die Begründung einer Europäischen Republik“, in dem nichts weniger als eine Neukonstruktion des europäischen Hauses gefordert wird. Mit diesem Weckruf an die Bürger Europas und in zahlreichen Vorträgen, Gesprächen, Diskussionen und weiteren Texten klärt Guérot ihre Leser und Zuhörer schonungslos über die Multikrise der EU auf, liefert aber auch zahlreiche Denkanstöße für einen Ausweg aus dieser Misere.

In ihrem im Frühjahr dieses Jahres erschienen Buch „Warum Europa eine Republik werden muss!“ erläutert sie, wieso künftig nicht mehr Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen, sondern die Bürger als Souverän Europas in einer echten gesamteuropäischen Demokratie das Zusammenleben auf unserem Kontinent gestalten sollen. Mitten in einer Zeit des erstarkenden Nationalismus setzt Guérot damit ein klares Zeichen für die Überwindung genau jener Nationalismen. Ihre Europäische Republik beruht dabei auf einem hohen Maß an Subsidiarität, also einer Stärkung der europäischen Regionen, und wesentlichen Prinzipien der Staatstheorie, wie z.B. der Wahlrechtsgleichheit aller europäischen Bürger. Die Europäische Republik, die mittlerweile eine eigene Homepage hat, ist damit eine Anleitung für den Umbau Europas von einer Wirtschafts- und Währungsunion, in der Unternehmen im Vordergrund stehen, hin zu einer Bürgerunion, die die Menschen in den Mittelpunkt rücken soll.

Wer mehr über die Europäische Republik und Guérots EUtopie erfahren will, seien u.a. nachfolgende Texte und Vorträge ans Herz gelegt:

„Manifest für die Begründung einer Europäischen Republik“ von Guérot und Menasse, 23.03.2013 (DiePresse.com)

Vortrag von Ulrike Guérot auf der re:publica 2015 (www.youtube.com)

Homepage der Europäischen Republik (www.european-repbulic.eu)

„Europa als Republik“, Guérot am 28.10.2016 im Merton-Magazin (merton-magazin.de)

„Utopie einer Europäischen Republik“, Guérot am 12.04.2016 für Deutschlandradio Kultur (www.deutschlandradiokultur.de)

Homepage von Ulrike Guérot (ulrikeguerot.eu)


Ähnliche Artikel:
Die Europäische Föderation: Plädoyer für unterschiedliche Integrationsstufen in Europa (www.mister-ede.de – 24.06.2016)

Die Machtverschiebung von Parlamenten zu Regierungen in der EU (www.mister-ede.de – 22.07.2014)

linked: Was ist Geld? (www.mister-ede.de – 10.10.2014)

Eine gesamteuropäische Agenda (www.mister-ede.de – 10.10.2016)

]]>
http://www.mister-ede.de/politik/guerots-europaeische-republik/5751/feed 0