Warum die Europa-Debatte auf der Stelle tritt

Zurzeit steckt die EU in einer Vielzahl von Krisen. Doch anders als in der Vergangenheit ist die EU heutzutage häufig selbst Teil der Krisen und manchmal sogar der genaue Mittelpunkt. So ist z.B. die Eurokrise nicht von einer Naturkatastrophe oder sonstigen globalen Ereignissen verursacht worden, sondern eine hausgemachte Krise einer Währungsunion, die nach ihrer Einführung nicht von einer demokratischen politischen Union umrahmt wurde. Luxleaks und die vielen weiteren nationalen Steuerschlupflöcher machen dasselbe Problem, den mangelhaften ordnungspolitischen Rahmen, am Binnenmarkt sichtbar. Und auch bei der Flüchtlingskrise ist offensichtlich, dass es keine äußeren Kräfte, sondern alleine die EU und ihre Mitgliedsländer waren, die an der solidarischen Verteilung der Ankommenden gescheitert sind – und zwar nicht erst 2015, sondern schon ab 2012, als es nach dem Zusammenbruch Libyens darum ging, Italien beim Umgang mit seiner offenen Seegrenze zu unterstützen.

Die EU ist also immer häufiger selbst Teil des Problems und eine wesentliche Ursache dafür liegt in der fehlenden oder nicht ausreichenden europäischen Integration. Folgerichtig wird an vielen Baustellen der EU immer wieder der Ruf nach weiteren Integrationsschritten der EU laut. Um dem Steuerdumping zu begegnen, soll es eine gemeinsame Unternehmensbesteuerung geben und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine europäische Arbeitslosenversicherung. Die Währungsunion soll endlich durch eine politische Union ergänzt werden und zur Bewältigung der Flüchtlingskrise soll es ein solidarisches europäisches Migrations- und Asylsystem geben. Die Außengrenzen sollen gemeinschaftlich geschützt und mit einer Verteidigungsunion soll die Abwehrfähigkeit aller EU-Länder verbessert werden. Doch trotz der klaren Forderungen nach mehr Kooperation, die quer durch das politische Spektrum der Pro-Europäer erhoben werden, hat sich bislang nichts geändert – und dafür gibt es Gründe.

Für viele der eigentlich notwendigen Integrationsschritte innerhalb der EU, z.B. der Entwicklung eines echten EU-Außengrenzschutzes, wäre die Einstimmigkeit der EU-Länder notwendig und oftmals sogar eine Änderung der EU-Verträge. Doch durch die Vielzahl nationaler Egoismen ist es inzwischen kaum noch möglich, diese notwendige Einstimmigkeit unter den 28, bald 27, EU-Ländern zu erreichen. So blockiert beispielsweise Deutschland alles, was auch nur im Verdacht stehen könnte, der deutschen Automobilindustrie zu schaden, während andere EU-Länder umgekehrt ihre wichtigen nationalen Unternehmen und Wirtschaftszweige schützen. Und auch bei der Steuergesetzgebung versucht jedes Land immer genau seine eigenen Schlupflöcher zu verteidigen. Die in der Versenkung verschwundene gemeinsame europäische Finanztransaktionssteuer ist ein Musterbeispiel hierfür.
Hinzukommen dann aber auch noch EU-Länder, vorneweg Ungarn und Polen, deren Regierungen den Status quo sowieso ganz gerne erhalten möchten, weil ihnen überhaupt nicht an einer starken EU-Ebene gelegen ist. An dieser Gruppe scheiterte beispielsweise ein erster Versuch, die Verantwortung für die EU-Außengrenzen an die EU zu übertragen, weil diese Länder nicht bereit waren, die Hoheit über den Grenzschutz an ihren eigenen EU-Außengrenzen aufzugeben. Und darüber hinaus gibt es dann sogar noch weitere EU-Länder, z.B. Dänemark, die sich die Möglichkeit zur Nichtteilnahme am Euro-Währungsverbund, an Schengen oder am Dublin-System vertraglich haben zusichern lassen.

Es ist daher extrem schwer, die Hürde der Einstimmigkeit für substanzielle Änderungen innerhalb der EU zu überwinden. Aus diesem Grund laufen auch die vielen Forderungen, z.B. nach einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung oder einer EU-Migrations- und Asylpolitik, kontinuierlich ins Leere. Dadurch ist es inzwischen kaum noch möglich, die EU durch eine tiefere Integration handlungsfähig zu machen und sie damit in die Lage zu versetzen, vom Teil des Problems wieder zum Teil der Lösung zu werden.
Neben den Rufen nach einer tieferen Integration muss daher künftig die Tatsache diskutiert werden, dass solche Vertiefungen nicht mehr mit allen EU-Ländern zusammen gegangen werden können. So schön z.B. Ulrike Guérots „Europäische Republik“ ist, hilft sie solange nicht weiter, bis die Frage beantwortet wurde, welche EU-Länder bei dieser Umgestaltung mitmachen und was das für jene EU-Länder bedeutet, in denen die Bevölkerung nicht zu diesem Schritt bereit ist. Hier setzt nun das „Konzept der Europäischen Föderation“ an, aber auch der frisch gewählte französische Präsident Macron beantwortet mit seinen Vorstellungen zur Reform der Eurozone und einer Weiterentwicklung zu einem Kern innerhalb der EU die Frage, welche EU-Länder an den Integrationsschritten beteiligt wären. Doch in der Öffentlichkeit fehlt es noch immer an einem breiten Diskurs dazu, während sich die Europa-Debatte weiterhin überwiegend in einer Dauerschleife zwischen der Forderung nach tieferer Integration und einer blockierten EU befindet.
Das Ziel muss daher sein, auf die Beantwortung der Frage hinzuarbeiten, mit welchen EU-Ländern eine tiefere Integration umgesetzt werden kann und soll. Denn zum einen hat die Zusammensetzung der Länder umgekehrt Einfluss darauf, in welchem Rahmen und in welcher Tiefe Integrationsschritte verwirklicht werden können und sollen. Und zum anderen wird damit die Europa-Debatte auf die tatsächliche Umsetzung einer tieferen Integration ausgerichtet, was hilfreich wäre, um der Debatte neuen Schwung zu geben und sie endlich wieder vorwärts zu bewegen.


Ähnliche Artikel:
Die verkehrte Richtung der EU-Reformdebatte im Europaparlament (www.mister-ede.de – 31.08.2014)

Die europäische Integration – Funktion und Ziele (www.mister-ede.de – 28.05.2012)

Skizze eines EU-Migrations- und Asylsystem (www.mister-ede.de – 29.09.2016)

Der europapolitische Blindflug von Schwarz-Rot (www.mister-ede.de – 28.11.2013)

Eine gesamteuropäische Agenda (www.mister-ede.de – 10.10.2016)

Diskussion:

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>