Kompromissvorschlag für verträgliche Strompreise in Deutschland

Die Diskussion zur Entlastung der Unternehmen und Endverbraucher von den hohen Strompreisen in Deutschland hat bislang zu keinem konsensfähigen Ergebnis geführt. Es ist jedoch offenkundig, dass der hohe Strompreis zahlreichen Unternehmen, von kleinen Betrieben bis zu großen Konzernen, genauso wie auch vielen Bürgerinnen und Bürgern zu schaffen macht. Es muss also etwas geschehen, wenn die Wirtschaftskraft in Deutschland erhalten und ein Wohlstandsverlust für die Menschen im Land abgewendet werden soll. 

Klar ist aber auch, dass der von Wirtschaftsminister Robert Habeck bislang angedachte Industriestrompreis aufgrund seiner Funktionsweise – egal in welcher konkreten Ausgestaltung – übermäßig missbrauchsanfällig ist und zu erheblichen Fehlallokationen führen würde. Das ist bei Produktionssubventionen, also wenn der Staat aktiv Geld zur Produktion oder dem Wareneinkauf dazugibt, fast zwangsläufig der Fall. Bestes Beispiel sind hier die Maskendeals während Corona. Und durch die bereits existierende Strompreisbremse kann man leider mit ziemlicher Gewissheit sagen, dass Unternehmen eine solche Industriestromsubvention ebenfalls schamlos bis auf den letzten Cent ausschlachten würden. Hinzu kommt, dass Habeck mit dem Industriestrompreis nur ein paar wenige große Unternehmen entlasten würde, während sich die Situation für über 99 % der konkurrierenden Betriebe, die z.B. als kleine Bäckerei nicht in den Genuss des Industriestrompreises kommen, noch weiter verschärft. Und das Ganze bezahlen müssten am Ende die Verbraucher und Steuerzahler, beim Brötchenkauf, über den höheren eigenen Strompreis und natürlich über die ganzen Steuermilliarden, die dann als Strompreissubvention an Großkonzerne fließen.

Genauso klar ist aber, dass der Strompreis in Deutschland auf lange Zeit nicht mehr auf jenes Niveau zurückgehen wird, das mit billigem Gas aus Russland, abgeschriebenen Atomkraftwerken, und günstigen CO2-Zertifikaten für Kohlekraftwerke vor Kurzem noch erreicht wurde. Zwar mag sich das Preisniveau vielleicht wieder ändern, wenn die Energiewende irgendwann mal vollendet ist, also nicht nur immer mehr Windräder und Solarpanelen installiert wurden, sondern auch Netzinfrastruktur und Speicherkapazitäten in der Lage sind, diesen grünen Strom bedarfsgerecht an Unternehmen und Verbraucher abzugeben. Aber davon sind wir zurzeit noch Lichtjahre entfernt, sodass wir momentan zum einen bei viel Sonne oder viel Wind für erneuerbaren Strom zahlen, der nicht produziert bzw. eingespeist oder gespeichert werden kann, und zum anderen dafür bezahlen, dass für dunkle und windstille Tage weiterhin fossile Kraftwerke am Laufen bzw. in der Reserve gehalten werden. Diese Doppelstruktur ist natürlich von vorneherein schon extrem kostspielig und zu diesen sehr hohen Betriebskosten unseres Stromsystems kommt natürlich noch hinzu, dass der Netzausbau in den nächsten Jahren massiv vorangetrieben und somit ebenfalls finanziert werden muss.

Wenn aber auf der einen Seite klar ist, dass wir mehr finanzielle Ressourcen für die Energiewende und insbesondere einen zügigen Netzausbau brauchen, und auf der anderen Seite aber auch klar ist, dass Unternehmen und Privatkunden nicht von den hohen Strompreisen überfordert werden dürfen, wird man nicht umhinkommen, zusätzliches Steuergeld in das System zu bringen. „Ins System bringen“ bedeutet allerdings etwas ganz anderes, als Habecks Industriestrompreis, der lediglich ein Scheck für ausgewählte Großkonzerne ist. Kein einziger Cent der von Robert Habeck angedachten 30 Mrd. (wenn das überhaupt reicht) würde in das Stromsystem gehen. Das muss sich jeder bewusstmachen! Das Geld würde einfach auf die Konten einiger weniger Unternehmen fließen. Es würde sich damit nichts an den strukturellen Problemen am Strommarkt ändern und es bliebe weiterhin beim zögerlichen Netzausbau. Statt das Loch im Eimer zu stopfen, will Habeck einfach auf Steuerkosten ständig Wasser nachfüllen, damit der Eimer nicht leer wird. Das wäre aber keine Lösung, sondern ein reines Verschleppen der Probleme.

Daher setzt der nachfolgende Kompromissvorschlag genau an dieser Stelle an, um tatsächlich etwas zur Lösung der Strompreisproblematik beizutragen. Lasst uns dafür gerne Steuergeld in die Hand nehmen, aber eben nicht, um damit Symptome zu übertünchen, sondern um mit diesem Geld ganz gezielt den Netzumbau zu beschleunigen. Bislang ist es nämlich so, dass der Netzausbau weitestgehend über die Netzentgelte finanziert wird, was den Strompreis zusätzlich verteuert und vor allem zu Ungerechtigkeiten führt und erhebliche Widerstände vor Ort hervorruft. Denn gerade jene Regionen, die besonders viel Wind- oder Solarenergie installieren, müssen durch die bisherige Regelung dann zusätzlich noch besonders hohe Entgelte für den Anschluss dieser Anlagen und den Netzumbau zahlen. Würden die Anschlusskosten für neue Anlagen und die notwendige Netzmodernisierung hingegen direkt vom Bund finanziert, würde das die Akzeptanz in den verschiedenen Regionen erhöhen und durch weniger Widerstände vor Ort und die langfristig gesicherte Finanzierung würde sich der Netzausbau auch beschleunigen lassen. Gleichzeitig blieben dabei aber Unternehmen und Privatkunden durch die Bundesfinanzierung von jenem Teil der Netzentgelte verschont, der zur Finanzierung eben dieses beschleunigten Netzumbaus erhoben werden müsste. Kurzfristig hätte man damit einen weiteren Anstieg der Netzentgelte (und damit der Strompreise) verhindert und mit der Zeit würden Netz und Speicherkapazitäten so fit, dass man nicht mehr massig erneuerbaren Strom verliert und endlich die teuren Doppelstrukturen abschaffen kann. So hätte man dann wenigsten in ein paar Jahren wieder die Rahmenbedingungen für niedrigere Strompreise geschaffen. Und das ist es ja, worauf es bei Investitionsentscheidungen von Unternehmen ankommt, die langfristige Perspektive.

Gleichwohl muss natürlich jedem klar sein, dass dieser Netzumbau auch bei bestem Willen und umfänglichster Bundesfinanzierung noch Jahre dauern wird. In diesem Zeitraum sollte man zwar keinen Industriestrompreis einführen, die Gründe hatte ich benannt, aber natürlich sollte der Staat dafür wenigstens andere Belastungen des Strompreises, also Abgaben und Steuern, so niedrige wie möglich halten. Der bisherige Spitzenausgleich für energieintensive Unternehmen könnte hierfür in reformierter Form eine Grundlage sein, um eine breitflächige Entlastung der Wirtschaft zu erreichen. So könnten auf die ersten 10.000 kWh Jahresverbrauch alle Steuern und Abgaben erhoben werden, auf die nächsten 90.000 kWh nur noch 75% der Steuern und Abgaben, auf die nächsten 900.000 kWh nur noch 50%, auf die nächsten 9 Mio. kWh noch 25% und der Stromverbrauch über 10 Mio. kWh, also die 10.000.001. kWh, würde dann mit dem minimalsten Steuersatz versteuert, den das EU-Recht zulässt. Dies schiene mir der einfachste, unbürokratischste und am wenigsten missbrauchsanfällige Ansatz, um die Wirtschaft insgesamt zu entlasten und durch die Staffelung in besonderem Maße den energieintensiven Unternehmen in Deutschland zu helfen.

Bei den privaten Endverbrauchern sollte eine Entlastung hingegen pauschal stattfinden, z.B. durch ein Klimageld. Denn anders als bei Unternehmen, bei denen wir ja gerade nicht wollen, dass sie durch Verlagerung der Produktion ins Ausland Strom einsparen, soll der Sparanreiz bei Privathaushalten natürlich unbedingt erhalten bleiben. Außerdem scheint im Hinblick auf Aspekte der sozialen Gerechtigkeit die Auszahlung eines einheitlichen Klimageldes, z.B. in Höhe von 100 Euro im Jahr, an jede Bürgerin und jeden Bürger zielführender als eine pauschale Reduktion der Stromsteuern. Der individuelle Sparanreiz bliebe auf diese Weise nämlich vollumfänglich erhalten, ohne dabei Haushalte mit geringen Einkommen durch die gestiegenen Strompreise zu überfordern. Solange man über das Klimageld die Belastungen für die ärmeren Teile der Bevölkerung abfedert, könnte man theoretisch sogar die Stromsteuern für Privatverbraucher auch wieder erhöhen. Aus kommunikativen Gründen sollte man diese Möglichkeit allerdings vorerst nicht nutzen, sondern erst dann, wenn der Netzausbau soweit vorangeschritten ist, dass die Strompreise in Deutschland wieder zurückgehen.

Fazit:

Um die Strompreise in Deutschland zu reduzieren, braucht es vor allem einen beschleunigten Netzausbau, finanziert direkt vom Bund. Gleichzeitig sollte für eine breite Entlastung der Wirtschaft der Spitzenausgleich reformiert werden, so dass der Staat die Unternehmen in Zeiten hoher Strompreise nicht noch mit zusätzlichen Steuern und Abgaben belastet. Eine Entlastung der Verbraucher sollte hingegen über das Klimageld stattfinden, sowohl um Sparanreize zu erhalten als auch um den sozialen Ausgleich zu befördern.
Der Kompromissvorschlag ermöglicht damit die Einführung des grünen Klimageldes, trägt der Forderung von FDP und Olaf Scholz nach einer Transformation hin zu strukturell niedrigen Strompreisen Rechnung und berücksichtigt den Wunsch von SPD-Fraktion und Robert Habeck nach schneller Entlastung für energieintensive Industrien. Die Kosten dieses Paketes schätze ich ganz grob auf 20 Milliarden Euro jährlich. Ein Großteil dieses Geldes würde aber über ein erhöhtes Wirtschaftswachstum sofort wieder zurückfließen, vermutlich sogar schon ab 2024, weil sich die Aussichten der Wirtschaft mit diesem Paket schlagartig verbessern würden und der Standort Deutschland auch auf mittlere und längere Sicht für Unternehmen wieder attraktiv würde.


Text als PDF: Kompromissvorschlag für verträgliche Strompreise in Deutschland


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