mister-ede.de » Staatswesen https://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Gewaltenteilung und Demokratie in Deutschland und der EU https://www.mister-ede.de/politik/demokratische-legitimation-eu/1264 https://www.mister-ede.de/politik/demokratische-legitimation-eu/1264#comments Wed, 12 Sep 2012 17:24:48 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=1264 Weiterlesen ]]> In den letzten Wochen und Monaten standen die Souveränität von Staaten und die demokratische Legitimation von Parlamenten und Regierungen im Rahmen der Eurokrise im Fokus. Hierbei stellt sich die Frage, wie viel Souveränität die Nationalstaaten abgeben sollen und dürfen, aber auch wie dies demokratisch legitimiert werden kann.
Um dies zu beantworten, muss man sich etwas intensiver mit der Gestaltung von Staatswesen im Allgemeinen beschäftigen. Um einem Machtmissbrauch vorzubeugen hat es sich über Jahrhunderte als zweckmäßig erwiesen, eine Trennung von gesetzgebender Gewalt (Legislative), ausführender Gewalt (Exekutive) und rechtsprechender Gewalt (Judikative) zu etablieren. Wie genau die Trennung ausgestaltet wird, ist aber in den demokratischen Nationalstaaten der Welt ganz unterschiedlich. In Deutschland muss zum Beispiel die föderale Struktur berücksichtigt werden. Insgesamt gibt es hier keine „richtigen“ und „falschen“ Ausgestaltungen sondern nur unterschiedliche Abwägungen.

Rechtsprechung (Judikative):

Betrachtet man die Rechtsprechung, dann werden in einigen Staaten der Welt die Richter oder ein Teil der Richterschafft gewählt. Durch die Direktwahl der Richter, sind diese natürlich sehr unabhängig von den anderen Machtorganen, wie der Regierung. Dafür kann sich aber eine Abhängigkeit von den Wählern ergeben. In den EU-Mitgliedsstaaten und auch auf europäischer Ebene werden die Richter durch die Regierungen ins Amt gebracht. Exemplarisch kann hier Herr Müller genannt werden, der selbst Ministerpräsident des Saarlandes war und nun Verfassungsrichter ist. Durch Regelungen, wie die Ernennung auf Lebenszeit, soll dann in Deutschland wiederum die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt gesichert werden.
Schon dies zeigt, dass sich für die unterschiedlichen Ausgestaltungen jeweils Vor- und Nachteile finden lassen.

Ausführende Gewalt (Exekutive):

Betrachtet man die Exekutive, also die ausführenden Gewalt, dann stellt man schnell fest, dass man hier nicht um eine Delegation der Aufgaben herum kommt. Ähnlich wie bei der Rechtsprechung müssten sonst immer alle Bürger anwesend sein, um dann gleichzeitig zu handeln oder ein Urteil zu fällen.
Aber auch hier gibt es bei der Legitimation große Unterschiede in den einzelnen Nationalstaaten. Während in Frankreich die Regierung direkt vom Bürger bei den Präsidentschaftswahlen gewählt wird, ist in Deutschland der Bundestag derjenige, der über die Bundesregierung entscheidet. Auch in den Bundesländern werden die einzelnen Regierungen von den jeweiligen Landesparlamenten gewählt. Während so in Deutschland der Kanzler bzw. Ministerpräsident seine Stärke aus dem Rückhalt im Parlament gewinnt, bezieht der französische Regierungschef, der durch den direkt gewählten Präsidenten ernannt wird, seine Stärke aus der höheren demokratischen Legitimation des Präsidenten und dessen zusätzlichen Kompetenzen. So hat in Frankreich der Präsident z.B. die Kompetenz zur Auflösung der Nationalversammlung.

Gesetzgebung (Legislative):

Als letztes verbleibt die Legislative, also die gesetzgebende Gewalt. Diese ist in allen demokratischen Ländern als Parlament ausgestaltet. Je nachdem wie der Nationalstaat aufgebaut ist, gibt es aber unterschiedliche parlamentarische Bestandteile. In Deutschland ist sowohl der Bundestag, als auch der Bundesrat mit der Gesetzgebung betraut. Hierbei wird der Bundestag, so wie die Landesparlamente, direkt von der Bevölkerung gewählt, wohingegen der Bundesrat durch die Regierungen der einzelnen Bundesländer besetzt wird.

Demokratie und Gewaltenteilung in Deutschland:

Betrachtet man Deutschland im Gesamten, dann wird das Trennungsgebot an manchen Stellen unterlaufen, z.B. weil die Parlamente (Legislative) die Regierungen (Exekutive) wählen. Auch der Bundespräsident wird über die Bundesversammlung fast direkt von den Parlamenten gewählt. Selbst die Richter werden am Ende von den parlamentarisch gewählten Regierungen ins Amt gebracht. In Deutschland sind die Parlamente also mit weitreichender Macht ausgestattet, weshalb eine hohe Anforderung an die demokratische Legitimation unserer Parlamente gestellt wird. So muss z.B. die Gleichwertigkeit der Stimme gewährleistet werden. In den Grenzen der Machbarkeit, muss jede Stimme einen gleichwertigen Einfluss auf den Wahlausgang haben, weshalb die Anzahl der Bundestagsabgeordneten aus den einzelnen Bundesländern an die Einwohnerzahl geknüpft wird. Zwar haben nicht alle Wahlkreise die gleiche Anzahl an Wählern, aber auch diese sind zumindest im Rahmen des Möglichen angenähert.
Dort wo die Regierung direkt und nicht über die Parlamente gewählt wird, kann durchaus die Anforderung an die Wahl der Legislative geringer ausfallen. Außerdem gibt es Nationalstaaten wie Großbritannien, die in ihrem Wahlrecht, welches auf ein Zweiparteiensystem ausgelegt ist, andere Schwerpunkte setzen.
In Deutschland hingegen wird durch die Aufteilung der Legislative in Bundestag und Bundesrat die Mitbestimmung der einzelnen Landesteile im Gesetzgebungsverfahren besonders gestärkt. Zurzeit haben wir ja auch genau diese Situation, dass schwarz-gelb im Bundesrat keine Mehrheit mehr hat, und daher keine wichtigen Gesetze ohne die Opposition beschließen kann. In Frankreich müssten für eine ähnliche Konstellation das Parlament und die Regierung aus unterschiedlichen politischen Lagern kommen. Etwas was in Deutschland so gar nicht möglich ist.

Demokratie und Gewaltenteilung in der EU:

Wenn man nun Europa betrachtet, dann gibt es neben den europäischen Gerichten die für die Rechtsprechung zuständig sind, vier Institutionen, welche für die Gesetzgebung (Legislative) und die Umsetzung der Gesetze (Exekutive) verantwortlich sind.

Europäischer Rat:

Im „europäischen Rat“ treffen sich die Staats- und Regierungschefs um die groben Ziele der europäischen Politik aus Sicht der Regierungen vorzugeben. Eine direkte demokratische Legitimation dieser Institution gibt es nicht, allerdings sind die einzelnen Regierungsvertreter in den jeweiligen Nationalstaaten selbst schon gewählt worden. In diesem „europäischen Rat“ hat jedes Land genau eine Stimme. Die Beschlüsse sind aber nur Absichtserklärungen, weil der europäische Rat keine Gesetzgebungskompetenz hat und auch die Regierungschefs ihrerseits, zum Teil gar keine Gesetzgebungskompetenz in den eigenen Ländern haben. Allerdings können die Beschlüsse von den Regierungen in den Nationalstaaten selbst in die nationale Gesetzgebung eingebracht werden, oder die Regierungen beteiligen sich über den „Rat der europäischen Union“ an der europäischen Gesetzgebung.

Rat der europäischen Union:

Neben dem „europäischen Rat“ gibt es den „Rat der europäischen Union“. Er ist die Hauptvertretung der Mitgliedsländer und ist gut mit dem Bundesrat vergleichbar. Anders als im „europäischen Rat“ hat nicht mehr jedes Land genau eine Stimme, sondern es findet eine Gewichtung statt. Durch diese Gewichtung werden die unterschiedlichen Einwohnerzahlen der einzelnen Mitgliedsländer berücksichtigt, auch wenn es kein proportionaler Wert ist. Ähnlich, wie das Saarland im Bundesrat überproportional viele Stimmen hat, ist auch das kleine Luxemburg im „Rat der Europäischen Union“ bevorzugt. Es gibt aber noch eine Reihe Sondervorschriften, die bei den verschiedenen Gesetzgebungsverfahren angewendet werden müssen.
Ebenfalls mit dem Bundesrat vergleichbar ist die indirekte Legitimation, welche darauf beruht, dass lediglich die einzelnen Regierungen der Bundesländer bzw. Nationalstaaten gewählt wurden und nicht der Rat im Ganzen. Ebenfalls ähnlich ist die gesetzgeberische Funktion dieses Rates. Anders als der „europäische Rat“ wirkt der „Rat der europäischen Union“ bei der europäischen Gesetzgebung mit.

Europäisches Parlament:

Das Europäische Parlament ist das von den EU-Bürgern direkt gewählte Parlament. Obwohl das Parlament direkt gewählt ist, wird anders als beim Bundestag die Gleichwertigkeit der Stimme nicht erreicht. Während die Anzahl der Abgeordneten des Bundestages nach der Einwohnerstärke auf die Bundesländer verteilt wird, haben die Nationalstaaten einen Sitzanspruch, der nicht mit der Einwohnerzahlt korreliert. Ferner hat das europäische Parlament nicht so weitreichende Kompetenzen wie der Bundestag. So fehlt es z.B. am Initiativrecht um Gesetze zur Abstimmung einzubringen.

Europäische Kommission:

Die europäische Kommission ist zwar in der Hauptsache ein Exekutiv-Organ, welches die notwendigen Geschäfte der EU betreibt, hat aber auch entscheidende legislative Funktionen. Somit ist die europäische Kommission aus meiner Sicht das stärkste Organ der EU.
Sie wird in einem Verfahren aus Vorschlag und Bestätigung zwischen dem europäischen Rat und dem europäischen Parlament gewählt. Hierbei entsendet jedes Land einen Vertreter, so dass es regelmäßig immer einen Kommissar aus z.B. Deutschland in Brüssel gibt. Zurzeit ist dies Günther Oettinger, der von der deutschen Regierung vorgeschlagen wurde.

Wenn man versucht diese Regelungen auf Deutschland zu übertragen, dann würde dies bedeuten, dass nicht mehr der Bundestag alleine, sondern nur zusammen mit der Regierung neue Gesetze beschließen kann. Gleichzeitig würde die Regierung aber auch nicht mehr nur vom Bundestag, sondern von den Ministerpräsidenten der Bundesländer bestimmt. Aus jedem Bundesland würde dann jemand kommen, der, wie Oettinger, auf speziellen Vorschlag nach Berlin ginge.
So etwas würde in Deutschland natürlich die politische Macht sehr stark auf die Landesregierungen lenken, welche die Regierung in Berlin dann direkt mitgestalten könnten. Außerdem hätte der Bundestag nur noch einen geringen Einfluss, weil er Gesetze der Regierung nur noch absegnen kann, aber keine eigenständigen Gesetze mehr einbringen könnte.

Deutschland und die EU:

Aus den dargestellten Unterschieden folgt, dass die verschiedenen Organe der EU und der Bundesrepublik nur bedingt vergleichbar sind. So hat z.B. das europäische Parlament nicht dieselbe demokratische Legitimation, wie der Bundestag. Bis auf wenige Punkte, wie die 5%-Hürde, wird bei der Bundestagswahl das Wahlergebnis in einem korrekten Verhältnis abgebildet, während im europäischen Parlament einzelnen Mitgliedsstaaten über- und andere unterrepräsentiert werden. Außerdem ist das europäische Parlament mit nur relativ geringen Machtbefugnissen ausgestattet.

Auch der Vergleich zwischen der Bundesregierung und der europäischen Kommission hinkt. Während die Kommission relativ große Befugnisse im Gesetzgebungsverfahren hat, ist die Bundesregierung in vielen Punkten auf Bundestag und Bundesrat angewiesen. Lediglich in engen, vom Parlament vorher festgelegten Grenzen kann die Bundesregierung eigene Rechtsvorschriften erlassen.

Wenn man nun versucht darzustellen, dass sich die Bundesländer zu Deutschland in etwa so verhalten, wie die EU-Mitgliedsstaaten zur Europäischen Union, dann trifft auch dies nur entfernt zu.
Während die Bundesregierung eigenständig über den Bundestag gewählt wird, ist die Zusammensetzung der europäischen Kommission im Wesentlichen das Ergebnis von Entscheidungen der nationalen Regierungen. Der Einfluss der Landesregierungen auf die Bundespolitik ist daher wesentlich geringer, als der Einfluss der nationalen Regierungen auf die Europapolitik.

Innerhalb Europas lässt sich damit auch eine Verschiebung der Macht von den gewählten Parlamenten hin zur Regierung feststellen. Während in Deutschland das wichtigste Organ im Staatsgebilde der Bundestag ist, hat auf europäischer Ebene die europäische Kommission die weitreichendsten Befugnisse. Anders als der Bundestag, der ja direkt gewählt wird, hat die Kommission aber nur eine sehr indirekte demokratische Legitimation.
Für Deutschland besteht damit die Gefahr, dass durch eine Ausweitung der europäischen Aufgaben, die Bundesregierung über die europäische Kommission zusätzliche Kompetenzen erhält, während der direkt gewählte Bundestag dann eine geringe Machtfülle hätte.

Das Subsidiaritätsprinzip:

Neben der reinen Frage der Legitimation muss auch die Frage geklärt sein, welche inhaltliche Zuständigkeit besteht. Betrachtet man nur Deutschland, so wird zwischen den Bundesländern und Deutschland eine Aufteilung gemacht, die hauptsächlich darauf abzielt, nur dies bundeseinheitlich zu regeln, was sinnvoller- oder notwendigerweise dort geregelt werden muss.
Betrachtet man aber die Inhalte genauer, so kann man meistens für beide Varianten Vor- und Nachteile finden. So ist es sicherlich ein Vorteil, wenn die Bundesländer ihre Bildungspolitik individuell gestalten können, und so auf die Bedürfnisse der Bevölkerung vor Ort eingehen. Es wäre aber sicher auch ein Vorteil, wenn die Bildungssysteme und Lerninhalte einheitlich wären, damit Wohnortwechsel nicht zu Nachteilen bei der Schulausbildung führen.

Auch auf europäischer Ebene lassen sich zwar Inhalte definieren, die nur von den Mitgliedsstaaten individuell gelöst werden sollen, und Inhalte die eine gemeinsame Politik benötigen, aber hier tritt dasselbe Problem auf. Für eine Vereinheitlichung des Finanzwesens spricht die verbesserte Kontrolle der Bankinstitute, für eine nationalstaatliche Lösung sprechen die unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedsstaaten. Sparkassen und Genossenschaftsbanken spielen z.B. nicht in allen Mitgliedsländern eine solche Rolle wie in Deutschland.

Die Aufgabenverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten und der EU:

Bislang haben die Nationalstaaten noch weitreichende eigene Regelungsbefugnisse. Die europäischen Regelungsbefugnisse zielen hauptsächliche auf eine Harmonisierung der Wirtschafts- und Wettbewerbsregeln ab. Vor allem der freie Marktzugang ist ein häufiges Thema, aber auch europaweiter Verbraucherschutz.
Diese Zielsetzung führt auch gelegentlich zu recht bizarren Ergebnissen. So drängt die EU in den Mitgliedsländern auf einen freien Kommunikationsmarkt, weshalb die Kommunikationsanbieter z.B. Voice-Over-IP-Techniken nicht verhindern dürfen, allerdings für den flächendeckenden Ausbau des Internets und damit den Zugang für die Bürger sind wieder die Nationalstaaten verantwortlich. Erst durch die beschlossenen Wachstumspakete stehen hierfür nun europäische Fördergelder in größerer Menge zur Verfügung.

Durch diese Enge der Aufgabenstellung innerhalb der EU, wird natürlich der Einfluss der EU deutlich reduziert. Für die europäische Kommission bedeutet dies, dass sie zwar auf dem europäischen Feld sehr wichtig ist, aber ihr Feld nicht ganz so groß ist, wie das der Bundesregierung, bzw. des Bundestages.
Zwar wird bei der Gesetzgebung immer darauf verwiesen, dass viele Gesetze aus Brüssel kommen, aber das Gewicht dieser Gesetze ist oftmals nicht so groß.

Übertragung von mehr Souveränität an die EU:

Nachdem ich nun dargestellt habe, wie die einzelnen Ebenen (Land, Bund, EU) zusammenwirken und die staatliche Gewalt (Legislative, Exekutive, Judikative) in den verschiedenen Ebenen aufgeteilt ist, kann sich jeder selbst ein Bild darüber machen, unter welchen Bedingungen er oder sie wie viel Aufgaben an die EU übertragen würde. Es sollte hierbei aber stets bedacht werden, dass eben die verschiedenen Mitgliedsstaaten ein teils völlig unterschiedliches Staatswesen haben.

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