mister-ede.de » Rand http://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Die Zentrifugalkraft des Politikversagens: Grexit, PEGIDA und „Charlie Hebdo“ http://www.mister-ede.de/politik/zentrifugalkraft-des-versagens/3425 http://www.mister-ede.de/politik/zentrifugalkraft-des-versagens/3425#comments Sat, 10 Jan 2015 17:19:28 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=3425 Weiterlesen ]]> In diesen Tagen kommt das Versagen der europäischen Politik wieder sehr deutlich zum Vorschein. Unabhängig von den Farben der Parteien und der politischen Ausrichtung der jeweiligen Regierung ist zu konstatieren, dass es in den letzten Jahrzehnten in keinster Weise gelungen ist, die wesentlichen gesellschaftlichen Fragen innerhalb der EU zu beantworten und damit das Fundament für eine stabile Gesellschaftsordnung in Europa und der Welt zu legen.
Neben dem völlig unbearbeiteten Thema des weltweiten Bevölkerungswachstums bei endlichen Ressourcen und dem stiefmütterlich behandelten Klimawandel zeigt sich das Versagen der europäischen Politik zum Beispiel in einer suboptimalen Russlandpolitik oder nicht ausreichend integrativen und angleichenden Maßnahmen für EU-Neu-Mitglieder. Die Destabilisierung der europäischen Gesellschaften und die zum Teil aufgeheizte Stimmungslage in den Bevölkerungen ist deshalb aus meiner Sicht eine mehr oder weniger direkte Folge einer Politik, die sich im Zentrum häufig nur um sich selbst dreht und dabei die zahlreichen Kernfragen unserer Zeit unbeantwortet lässt. Dieses Politikversagen führt dazu, dass die Bürger Europas zum Teil zusammen mit den ungelösten Problemen im eigenen Land an den Rand gedrängt werden und die europäische Gesellschaft auf diese Weise auseinandergetrieben wird.

Die katastrophale Lage im Osten der Ukraine mit all den Unsicherheiten für die Ukraine selbst, aber auch für Russland und die EU, kann ohne Weiteres darauf zurückgeführt werden, dass auch 25 Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion die Antwort auf die Frage fehlt, wie eine Zusammenarbeit zweier in einigen Bereichen doch recht unterschiedlichen Gesellschaften, in Russland und der EU, ermöglicht werden kann. Das Auseinanderdriften von Russland und der EU ist damit im Prinzip nicht das Ergebnis einer gescheiterten Politik, sondern das Resultat aus dem völligen Vergessen oder Verdrängen der Notwendigkeit einer Russlandpolitik.

Ähnlich lange wie der Fall des Eisernen Vorhangs ist es auch schon her, dass die Einführung des Euro als gemeinsame Währung beschlossen wurde, allerdings auch hier gibt es noch immer keine befriedigende Antwort auf die für die Währungsunion durchaus wichtige Frage, wie eine weitere politische Integration der EU oder der Eurozone gelingen kann. Schaut man sich die Eurokrise an, so ist sie in weiten Teilen auf genau diese fehlende Antwort zurückzuführen und so treibt auch hier das Politikversagen die europäische Gesellschaft kräftig auseinander, wie sich z.B. an der griechischen Schuldenschnitt- bzw. Grexit-Debatte zeigt. Genauso könnte aber auch LuxLeaks als Symbol für die fehlende europäische Integration herhalten oder allgemein der ins Selbstschädigende gehende Wettbewerb der EU-Länder untereinander. Wenn Facebook nur wenige Prozent Steuern zahlt und ein Einzelhändler seine Gewinne hochversteuern muss, dann verstärkt auch dies die Fliehkräfte in dieser europäischen Gesellschaft und zwar bis weit in ihre Mitte hinein.

Aber auch andere wesentliche Fragen der europäischen Integration, ob es zum Beispiel Austritts- oder Ausschlussmöglichkeiten aus der EU geben sollte, wenn beispielsweise ein Land die europäischen Grundwerte missachtet, sind weiter offen. Genauso sind andere Integrationsprobleme, wie die großen gesellschaftlichen und insbesondere wirtschaftlichen Unterschiede innerhalb der Union z.B. zu den Ländern der Schwarzmeer-Region, auch nach der mittlerweile über 8-jährigen EU-Mitgliedschaft von Bulgarien und Rumänien ungelöst. Wenn aber z.B. über Jahre die Probleme der Roma, egal ob nun in Rumänien, Frankreich oder Deutschland, nicht gelöst werden, ist es nicht verwunderlich, dass sich nicht nur die Roma an den Rand der Gesellschaft verbannt sehen, sondern durch eine solche dauerhafte Ausgrenzung auch neue und zusätzliche Problematiken entstehen.
Daneben können genauso die Verdrängungsängste mancher Menschen, die sich in Deutschland aber auch z.B. in Dänemark oder Großbritannien bisweilen in nationalistischen Tendenzen zeigen, teilweise darauf zurückgeführt werden, dass viele Fragen der europäischen Integration eben noch immer nur unbeantwortet im Raum stehen.

Offen ist in Europa auch die Frage, wie das Auseinanderdriften von Arm und Reich global wie auch in Europa selbst abgemildert, unterbunden oder umgekehrt werden kann, und auch in Deutschland sind grundlegende Probleme, wie das Anwachsen von Arbeitsarmut oder Altersarmut, seit Jahren bekannt, aber ungelöst. Ganz im Gegenteil wird sogar beharrlich an der Absenkung des Rentenniveaus festgehalten und auch eine bessere Lohnentwicklung im Bereich der Schlecht- oder Nichtqualifizierten, z.B. durch eine steuerliche Entlastung von Geringverdienern oder die Einführung progressiver Sozialversicherungsabgaben, ist nicht absehbar.
Während somit die Probleme Arbeitsarmut und Altersarmut weitestgehende ignoriert werden, wachsen auch hier wieder die Fliehkräfte und drängen einen Teil der Bürger zuerst an den wirtschaftlichen Rand und dann teilweise an den politischen Rand, ob nun zur AfD, zu PEGIDA oder zu dem, was es zwischen Verschwörungstheorie und „Lügenpresse“ sonst noch alles gibt.

Umgekehrt steht, gerade mit Blick auf Frankreich und Großbritannien, dafür weiterhin die Frage nach gelingender Integration im Raum. Genauso haben wir in Deutschland, obwohl uns diese Frage schon seit Jahrzehnten begleitet, bislang noch keine wirkliche Antwort hierfür gefunden. So muss man wohl auch den Anschlag auf „Charlie Hebdo“, zumindest so wie es sich zurzeit darstellt, viel weniger mit Islamismus, IS oder Al-Qaeda erklären und vielmehr mit einem massiven Politikversagen in der EU. Nicht ein irgendwie gearteter Islamismus hat gemordet, sondern ganz konkret drei hier aufgewachsene Menschen, die sich am Rand der Gesellschaft soweit radikalisiert haben, dass sie diese Gesellschaft, in der sie lebten, nur noch als ihren Feind betrachtet haben. Europaweit über eintausend Syrien- oder IS-Heimkehrer sind damit die Antwort auf die von der Politik unbeantwortete Frage nach gelingender Integration.

Damit rächt sich nun deutlich die jahrelange Praxis von regierenden Politikern, die Kernfragen der Gesellschaft unbeantwortet zu lassen und die wenig prestige- und dafür umso konfliktträchtigeren Themen weiträumig zu umgehen. Nicht erst seit den Anschlägen von Paris ist klar, dass Integrationspolitik versagt hat, nicht erst seit 10 Tagen gibt es in Griechenland wirtschaftliche Verwerfungen, nicht erst seit der Europawahl ist Le Pen in Frankreich stark und eine breite Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien gibt es in Deutschland auch nicht erst seit der AfD. Was wir heute in den Nachrichten sehen, ist nicht plötzlich über uns gekommen, sondern das Resultat des Politikversagens der letzten drei Jahrzehnte.


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Ungarn, Rumänien, Bulgarien – Am Rande der EU http://www.mister-ede.de/politik/am-rande-der-eu/1898 http://www.mister-ede.de/politik/am-rande-der-eu/1898#comments Thu, 21 Feb 2013 14:55:39 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=1898 Weiterlesen ]]> Nach dem Zerfall der Sowjetunion strebten die Bevölkerungen der osteuropäischen Staaten nach bislang verwehrten Freiheiten. Hierbei gab es eine große Akzeptanz für das westliche Gesellschaftsmodell. Das Ziel der EU war es dann, die Aufbruchsstimmung zu nutzen und diesen Demokratisierungsprozess zu unterstützen. Durch konkrete Pläne für eine Aufnahme in die EU wurde den Bevölkerungen eine Perspektive geboten und gleichzeitig fanden durch den Aufnahmeprozess die notwendigen Anpassungen in den Staatssystemen der neuen Mitgliedsländer statt.

Auf diese Weise sollte in ganz Europa eine  gemeinsame Wertebasis manifestiert werden und die wirtschaftliche Entwicklung gefördert werden. Auch Menschenrechte, wie z.B. der Minderheitenschutz, oder Bürgerrechten, wie das Wahlrecht oder die Vereinigungsfreiheit sollten damit in den neuen Mitgliedsländern gestärkt werden. Polen oder die Slowakei sind Paradebeispiele für diese Entwicklung. Sie nähern sich langsam aber kontinuierlich wirtschaftlich an Westeuropa an und gesellschaftlich sind beide Länder stabil. So hat die großflächige Erweiterung der EU in den letzten 20 Jahren vielen neuen Mitgliedsländern auf dem Weg in eine stabile Zukunft geholfen.

Allerdings ist die Entwicklung nicht überall gleichermaßen erfreulich. Es gibt z.B. immer wieder Berichte über die ungarische Regierung Orban, in denen von Einschränkung bei der Presse- und Informationsfreiheit, oder von Druck auf Künstler zu lesen ist. So sorgten sich vor einem Jahr im Focus deutsche Theaterintendanten um die Kunstfreiheit in Ungarn [1]. 3Sat schreibt von einer „ideologische Gängelung“ [2], das Magazin „ttt“ berichtete zuvor [3]. Auch bei unserem südlichen Nachbarn Österreich gibt es Widerstand gegen die Regierungspolitik Orbans. Jüngst veröffentlichte derstandard.at einen offenen Brief verschiedener Künstler, wie Elfriede Jelinek, welcher die Entwicklung in Ungarn anprangert [4].

Die Probleme in Ungarn sind aber leider kein Einzelfall. Auch Rumänien wird immer wieder wegen fehlender Rechtsstaatlichkeit und mangelnden Bürgerrechten kritisiert. So titelte im Sommer letzten Jahres welt.de, „EU geißelt Rumänien als mangelhaften Rechtsstaat“ [5]. Am 30. Januar 2013 berichteten unter anderem ARD und zeit.de, dass auch der neue Fortschrittsbericht in diesem Bereich mehr Anstrengungen von Rumänien fordert [6] [7].

Aber nicht nur bei der Rechtstaatlichkeit und den bürgerlichen Freiheiten gibt es Probleme, sondern auch wirtschaftlich sind besonders Rumänien und Bulgarien innerhalb der EU an den Rand gedrängt. Mit einem BIP von rund 5.000 Euro pro Person liegen beide Länder deutlich abgeschlagen hinter dem Rest der europäischen Union [8]. Auch dies ist sicherlich ein Grund für viele Probleme, wie Korruption oder nicht funktionierende Staatsstrukturen. Gestern trat z.B. die bulgarische Regierung zurück, weil das Land in einer tiefen Krise steckt  [9]. Hier liegen die Versäumnisse aber nicht nur in den Nationalstaaten. Aus meiner Sicht müsste sich auch die EU stärker für ein wirtschaftliches Zusammenwachsen engagieren.

Insgesamt sollte meines Erachtens mehr für einen gelingenden Integrationsprozess unternommen werden. Denn gerade was Ungarn, Bulgarien und Rumänien anbelangt, kann man sich gelegentlich fragen, ob diese Länder nicht so weit am Rande der EU stehen, dass sie sich eigentlich schon außerhalb der Gemeinschaft befinden. Ich hoffe zumindest, dass sich in Zukunft auch in diesen Ländern zeigt, dass sie nicht nur auf dem Papier ein Mitglied der EU sind.


Ähnliche Artikel:
Zukunft EU: Dachverband der Nationalinteressen oder Gemeinschaftsprojekt? (www.mister-ede.de – 31.01.2013)


[1] Artikel vom 18.01.2012 auf Focus Online (Link zum Artikel auf www.focus.de)

[2] Artikel zum „ttt“-Beitrag auf 3sat vom 1.02.2013 (Link zum Artikel auf www.3sat.de)

[3] Beitrag bei „Titel Thesen Temperamente“ zur Kunstfreiheit in Ungarn vom 27.01.2013 (Link zur Beitragsinformation auf www.daserste.de)

[4] Offener Brief vom 01.02.2013 von derstandard.at (Link zum Brief auf derstandard.at)

[5] Artikel auf welt.de vom 17.07.2012 (Link zum Artikel auf www.welt.de)

[6] Artikel auf zeit.de vom 30.01.2013 (Link zum Artikel auf www.zeit.de)

[7] Artikel vom 30.01.2013 auf tagesschau.de (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

[8] Daten zum BIP nach Wirtschaftszweigen von Eurostat (Link zur Datensammlung auf appsso.eurostat.ec.europa.eu)

[9] Tagesschau.de berichtete am 20.02.2013 vom Rücktritt der bulgarischen Regierung (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

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