mister-ede.de » Religionsfreiheit http://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Fragen zur Abwägung persönlicher Freiheiten mit dem Öffentlichen Interesse http://www.mister-ede.de/gesellschaft/abwaegungsfrage-freiheit/2728 http://www.mister-ede.de/gesellschaft/abwaegungsfrage-freiheit/2728#comments Wed, 09 Jul 2014 16:36:58 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=2728 Weiterlesen ]]> Nach den Artikeln von Maximilian Steinbeis und Anna von Notz, im Zusammenhang mit dem Urteil des EGMR zum Verschleierungsverbot in Frankreich und der Frage in wie weit Beschränkungen der persönlichen Freiheiten im öffentlichen Raum zulässig sind [1] [2], drängen sich aus meiner Sicht zwei Fragen auf.

Die erste Frage die sich stellt, bezieht sich auf vergleichbare Verbote. Wie ist das, wenn jemand nackt durch die Gegend läuft, von mir aus unter Berufung auf irgendeine Naturreligion, wenn der nächste bewaffnet durch die Gegend läuft, der Dritte eine Nazi-Flagge mit sich herumschleppt und daneben eine Burka-Trägerin steht? Welche Verhaltensweisen kann oder sollte oder muss ein Staat dann nach Meinung der Autoren untersagen und wie würde sich ein solches Verbot dann begründen lassen?

Die zweite Frage die sich aufdrängt, bezieht sich auf den Ort, an dem diese Abwägung getroffen wird. Sollten tatsächlich Gerichte diese Abwägung selbst vornehmen und den Spielraum des Gesetzgebers damit einschränken oder sollten Gerichte den Spielraum des Gesetzgebers, der vom Wähler gewählt wurde und wieder abgewählt werden kann, respektieren und nur bei einem offensichtlichen Missverhältnis bei der Abwägung des Gesetzgebers einschreiten?

Die beiden Autoren sind natürlich herzlich eingeladen die Fragen zu beantworten. Allerdings auch alle anderen sind aufgefordert mal zu überlegen, wie man das Problem kollidierender Grundrechte löst, was die Aufgabe von Gerichten ist und was Demokratie mit dem Ganzen tun hat.

Bewertung des EGMR-Urteils zum französischen Verschleierungsverbot (www.mister-ede.de – 07.07.2014)


[1] Beitrag von Maximilian Steinbeis im Verfassungsblog vom 07.07.2014 (Link zum Beitrag auf www.verfassungsblog.de)

[2] Beitrag von Anna von Notz im Verfassungsblog vom 08.07.2014 (Link zum Beitrag auf www.verfassungsblog.de)

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Bewertung des EGMR-Urteils zum französischen Verschleierungsverbot http://www.mister-ede.de/politik/urteil-verschleierungsverbot/2699 http://www.mister-ede.de/politik/urteil-verschleierungsverbot/2699#comments Mon, 07 Jul 2014 06:23:23 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=2699 Weiterlesen ]]> Am 1. Juli hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass das in Frankreich bestehende Verschleierungsverbot mit europäischem Recht vereinbar ist und keinen unrechtmäßigen Eingriff in die Grundrechte darstellt [1].
Bei meiner Bewertung des Urteils komme ich allerdings zu einer etwas anderen Einschätzung als Maximilian Steinbeis, der sich mit dem Urteil im Verfassungsblog auseinandergesetzt hat [2]. Obwohl ich eine ähnliche Auffassung zu dem zugrundeliegenden Gesetz habe wie er, halte ich das Urteil für absolut richtig.

Aus meiner Sicht ist schon die Überschrift von Steinbeis‘ Artikel nicht ganz passend gewählt und führt daher in die falsche Richtung, denn eigentlich geht es bei diesem Gesetz am Ende nicht um ein Burka-Verbot, sondern allgemein um die Verhüllung im öffentlichen Raum. Durch das französische Gesetz ist weder das Tragen der Burka im nicht-öffentlichen Raum verboten, noch darf man sich im öffentlichen Raum anderweitig verhüllen. Steinbeis stellt das in seinem Text zwar auch dar, kommt dann aber zum Schluss, „man macht sicher keinen Fehler, wenn man vermutet, dass es faktisch hier nur um eine ganz konkrete Bevölkerungsgruppe geht“. Dem stimme ich zwar zu, allerdings kann daraus aus meiner Sicht noch nicht auf eine Diskriminierung geschlossen werden. Das Rauchverbot trifft nur Raucher, die Anschnallpflicht nur Autofahrer und dennoch handelt es sich bei beidem um zulässige Eingriffe in Freiheiten und nicht um eine verbotene Diskriminierung.
Darüber hinaus halte ich Steinbeis‘ Einlassung auch in einem gewissen Maße für unkonventionell, da es juristisch sowieso irrelevant ist, wie viele andere Gruppen neben Burka-Trägerinnen noch von dem Verschleierungsverbot betroffen sind. Es wäre grotesk, wenn dies eine Rolle spielen würde, denn das hieße ja, das Verbot wäre rechtmäßig, solange nur eine andere Gruppe, z.B. eine Vereinigung verschleierter Landfrauen, von dem Verschleierungsverbot stärker betroffen wäre.

Das Gericht hat entsprechend weder zu berücksichtigen, welche Intentionen im Vorlauf des Gesetzes eine Rolle gespielt haben, noch zu beachten, welche weiteren Hintergedanken es womöglich gibt, sondern lediglich darüber zu entscheiden, ob die am Ende erlassene Regelung mit den europäischen Gesetzen vereinbar ist. Ein noch so gut gemeintes Gesetz kann z.B. verfassungswidrig sein, während ein noch so schlecht gemeintes Gesetz das eben nicht sein muss.
Die einzige Frage, die das Gericht deshalb zu prüfen hat, ist, ob dieses Verhüllungsverbot, so es denn Burkas betrifft, in das Grundrecht der Freiheit der Religionsausübung in unzulässiger Weise eingreift.
Dabei steht außer Zweifel, dass ein Staat Regelungen zum Verhalten in der Öffentlichkeit treffen darf, ob das nun das Verbot ist, sich zu verhüllen, Alkohol zu konsumieren oder nackt über den Marktplatz zu rennen. Fraglich ist dann allerdings immer, ob mit solchen Verboten irgendein Grundrecht eingeschränkt wird, ob nun die Versammlungsfreiheit oder eben in diesem Fall die Freiheit der Religionsausübung, und ob diese Einschränkung im konkreten Fall vertretbar ist. Der Eingriff in die freie Religionsausübung ist bei diesem Gesetz natürlich zweifellos gegeben, da das Tragen einer Burka in der Öffentlichkeit eben nicht mehr erlaubt ist. Es stellt sich daher lediglich die Frage, ob dieser Eingriff verhältnismäßig ist und damit zu rechtfertigen.

Das Gericht muss aus diesem Grund zum Beispiel prüfen, ob sich das politische Ziel, in diesem Fall also in der Öffentlichkeit das Gesicht zu zeigen, durch ein milderes Mittel erreichen lässt. Allerdings dürfte es hier schwierig sein, ein milderes Mittel als das Verbot der Verschleierung zu finden.
Daneben muss das Gericht auch prüfen, ob das Gesetzesziel legitim und wichtig genug ist, um die Einschränkung zu rechtfertigen, und ob sich das angestrebte Ziel überhaupt mit dem Gesetz erreichen lässt. Letzteres ist zu bejahen, denn durch das Verbot der Verschleierung wird natürlich das Ziel des offenen Gesichtes erreicht und zu ersterem kann man nun verschieden Auffassungen haben. Dies allerdings bedeutet vor allem, dass der Gesetzgeber, in diesem Fall der französische, einen weiten Spielraum bei seiner Einschätzung hat. Aus diesem Grund muss das Gericht die Abwägung des französischen Gesetzgebers respektieren, solange nicht ein offensichtliches Missverhältnis bei der Abwägung vorliegt.
Ich bin daher auch nicht der Meinung von Steinbeis, dass das Gericht hier den Grundrechtsschutz aufweicht, sondern teile die Auffassung des Gerichts, das sagt [3]: „The national authorities have direct democratic legitimation and are, as the Court has held on many occasions, in principle better placed than an international court to evaluate local needs and conditions.“ Für den einen mag eine solche Zurückhaltung des Gerichts wirken, als seien die Ergebnisse beliebig, aus meiner Sicht ist eine solche Zurückhaltung aber einfach Ausdruck der Gewaltenteilung.

Um es ganz klar zu sagen, ich hätte als französischer Gesetzgeber anders abgewogen und ich befürworte das Gesetz nicht, allerdings möchte ich eben auch keinesfalls, dass künftig die Gerichte politische Entscheidungen treffen und nicht mehr die demokratisch legitimierten Volksvertreter, die man im Zweifel auch abwählen kann. Der deutsche Gesetzgeber soll bitte weiterhin im öffentlichen Interesse verbieten können, nackt, bewaffnet oder mit einer Nazi-Fahne durch die Stadt zu ziehen und der französische soll die Möglichkeit haben die Verschleierung zu untersagen.
Und wenn man mit der Abwägung dann nicht einverstanden ist, muss man politischen Druck aufbauen, damit die verantwortlichen Politiker abgewählt werden, und nicht von den Gerichten erwarten, dass diese zum Ersatzgesetzgeber mutieren.

Aus meiner Sicht hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte daher eine gute Arbeit gemacht. Allerdings hoffe ich, dass sich irgendwann eine politische Mehrheit in Frankreich findet, die dieses Gesetz einfach wieder abschafft.

Ergänzung vom 12.09.2016: Europäisches Recht ist hier nicht EU-Recht, sondern die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats, dem 47 europäische Länder angehören und dessen Gericht der EGMR ist.

[1] Artikel auf sueddeutsche.de vom 01.07.2014 zum Urteil des EGMR (Link zum Artikel auf www.sueddeutsche.de)

[2] Beitrag von Maximilian Steinbeis vom 01.07.2014 auf Verfassungsblog.de (Link zum Artikel auf www.verfassungsblog.de)

[3] Urteil des EGMR (Link zum Urteil auf echr.coe.int)

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Ungarn, Rumänien, Bulgarien – Am Rande der EU http://www.mister-ede.de/politik/am-rande-der-eu/1898 http://www.mister-ede.de/politik/am-rande-der-eu/1898#comments Thu, 21 Feb 2013 14:55:39 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=1898 Weiterlesen ]]> Nach dem Zerfall der Sowjetunion strebten die Bevölkerungen der osteuropäischen Staaten nach bislang verwehrten Freiheiten. Hierbei gab es eine große Akzeptanz für das westliche Gesellschaftsmodell. Das Ziel der EU war es dann, die Aufbruchsstimmung zu nutzen und diesen Demokratisierungsprozess zu unterstützen. Durch konkrete Pläne für eine Aufnahme in die EU wurde den Bevölkerungen eine Perspektive geboten und gleichzeitig fanden durch den Aufnahmeprozess die notwendigen Anpassungen in den Staatssystemen der neuen Mitgliedsländer statt.

Auf diese Weise sollte in ganz Europa eine  gemeinsame Wertebasis manifestiert werden und die wirtschaftliche Entwicklung gefördert werden. Auch Menschenrechte, wie z.B. der Minderheitenschutz, oder Bürgerrechten, wie das Wahlrecht oder die Vereinigungsfreiheit sollten damit in den neuen Mitgliedsländern gestärkt werden. Polen oder die Slowakei sind Paradebeispiele für diese Entwicklung. Sie nähern sich langsam aber kontinuierlich wirtschaftlich an Westeuropa an und gesellschaftlich sind beide Länder stabil. So hat die großflächige Erweiterung der EU in den letzten 20 Jahren vielen neuen Mitgliedsländern auf dem Weg in eine stabile Zukunft geholfen.

Allerdings ist die Entwicklung nicht überall gleichermaßen erfreulich. Es gibt z.B. immer wieder Berichte über die ungarische Regierung Orban, in denen von Einschränkung bei der Presse- und Informationsfreiheit, oder von Druck auf Künstler zu lesen ist. So sorgten sich vor einem Jahr im Focus deutsche Theaterintendanten um die Kunstfreiheit in Ungarn [1]. 3Sat schreibt von einer „ideologische Gängelung“ [2], das Magazin „ttt“ berichtete zuvor [3]. Auch bei unserem südlichen Nachbarn Österreich gibt es Widerstand gegen die Regierungspolitik Orbans. Jüngst veröffentlichte derstandard.at einen offenen Brief verschiedener Künstler, wie Elfriede Jelinek, welcher die Entwicklung in Ungarn anprangert [4].

Die Probleme in Ungarn sind aber leider kein Einzelfall. Auch Rumänien wird immer wieder wegen fehlender Rechtsstaatlichkeit und mangelnden Bürgerrechten kritisiert. So titelte im Sommer letzten Jahres welt.de, „EU geißelt Rumänien als mangelhaften Rechtsstaat“ [5]. Am 30. Januar 2013 berichteten unter anderem ARD und zeit.de, dass auch der neue Fortschrittsbericht in diesem Bereich mehr Anstrengungen von Rumänien fordert [6] [7].

Aber nicht nur bei der Rechtstaatlichkeit und den bürgerlichen Freiheiten gibt es Probleme, sondern auch wirtschaftlich sind besonders Rumänien und Bulgarien innerhalb der EU an den Rand gedrängt. Mit einem BIP von rund 5.000 Euro pro Person liegen beide Länder deutlich abgeschlagen hinter dem Rest der europäischen Union [8]. Auch dies ist sicherlich ein Grund für viele Probleme, wie Korruption oder nicht funktionierende Staatsstrukturen. Gestern trat z.B. die bulgarische Regierung zurück, weil das Land in einer tiefen Krise steckt  [9]. Hier liegen die Versäumnisse aber nicht nur in den Nationalstaaten. Aus meiner Sicht müsste sich auch die EU stärker für ein wirtschaftliches Zusammenwachsen engagieren.

Insgesamt sollte meines Erachtens mehr für einen gelingenden Integrationsprozess unternommen werden. Denn gerade was Ungarn, Bulgarien und Rumänien anbelangt, kann man sich gelegentlich fragen, ob diese Länder nicht so weit am Rande der EU stehen, dass sie sich eigentlich schon außerhalb der Gemeinschaft befinden. Ich hoffe zumindest, dass sich in Zukunft auch in diesen Ländern zeigt, dass sie nicht nur auf dem Papier ein Mitglied der EU sind.


Ähnliche Artikel:
Zukunft EU: Dachverband der Nationalinteressen oder Gemeinschaftsprojekt? (www.mister-ede.de – 31.01.2013)


[1] Artikel vom 18.01.2012 auf Focus Online (Link zum Artikel auf www.focus.de)

[2] Artikel zum „ttt“-Beitrag auf 3sat vom 1.02.2013 (Link zum Artikel auf www.3sat.de)

[3] Beitrag bei „Titel Thesen Temperamente“ zur Kunstfreiheit in Ungarn vom 27.01.2013 (Link zur Beitragsinformation auf www.daserste.de)

[4] Offener Brief vom 01.02.2013 von derstandard.at (Link zum Brief auf derstandard.at)

[5] Artikel auf welt.de vom 17.07.2012 (Link zum Artikel auf www.welt.de)

[6] Artikel auf zeit.de vom 30.01.2013 (Link zum Artikel auf www.zeit.de)

[7] Artikel vom 30.01.2013 auf tagesschau.de (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

[8] Daten zum BIP nach Wirtschaftszweigen von Eurostat (Link zur Datensammlung auf appsso.eurostat.ec.europa.eu)

[9] Tagesschau.de berichtete am 20.02.2013 vom Rücktritt der bulgarischen Regierung (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

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Die Freiheit des Unmündigen http://www.mister-ede.de/politik/freiheit-des-unmundigen/1256 http://www.mister-ede.de/politik/freiheit-des-unmundigen/1256#comments Wed, 22 Aug 2012 16:29:41 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=1256 Weiterlesen ]]> Mit diesem Aufsatz will ich darlegen, in welch vielfältiger Form Unmündigkeit in unserer Gesellschaft vorkommt und welche Auswirkung dies auf die Umsetzung der Selbstbestimmung als Grundsatz unserer Gesellschaft hat. Wo lassen sich Grenzen für die Umsetzung der Selbstbestimmung aufzeigen? Wo kann man eine Fremdbestimmung sinnvoll vermeiden?

Selbstbestimmung als Grundsatz:

In unserer heutigen Gesellschaft leben wir nach dem Gebot der Selbstbestimmung und freien Entfaltung. In Beziehung zu anderen Menschen soll das Handeln jedes einzelnen nur dann eingeschränkt werden, wenn es die Rechte eines anderen berührt. In Beziehung der Menschen zum Staat soll das Handeln frei von staatlicher Kontrolle sein und eine Einschränkung dieser Freiheit nur nach allgemeinen Gesetzen zulässig sein. Überdies müssen diese Einschränkungen zweckmäßig und geboten sein und der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

Die deutschen Gesetze spiegeln dies im Zivilrecht (Beziehung der Menschen untereinander) z.B. durch die Vertragsautonomie wider und im öffentlichen Recht (Beziehung von Menschen zum Staat) z.B. durch den Schutz der freien Entfaltung. So entwickelt sich ein Geflecht aus Rechten, die jeder Mensch wahrnehmen kann, bzw. Pflichten die jedem obliegen.
Betrachtet man das öffentliche Recht dann gelten hier einige Schutzvorschriften schon während der Schwangerschaft, wie z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit für das Ungeborene. Das Zivilrecht verwendet den Begriff der „Rechtsfähigkeit“, welche dann mit der Geburt einsetzt. Man sieht hieran schon, dass die Rechtsfähigkeit nicht verlangt, die eigenen Rechte und Pflichten selbst wahrnehmen zu können.
Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sind z.B. Kinder bis zu einem Alter von 7 Jahren nicht deliktsfähig, also für verursachte Schäden nicht haftbar zu machen. Im Strafrecht tritt die Straffähigkeit noch später, nämlich erst ab dem Alter von 14 Jahren, in Kraft. Die Geschäftsfähigkeit erlangt man sogar erst mit 18 Jahren. Weitere Altersbeschränkungen sind unter anderem im Wahlrecht, bei der Religionsmündigkeit oder bei der Fahrerlaubnis zu finden.

Fremdbestimmte Selbstbestimmung:

Solange ein Mensch nun aber nicht über sich selbst bestimmen kann, muss er in vielen Bereichen des Lebens vertreten werden um seine Rechte wahrzunehmen. Während bei Neugeborenen die Eltern als Erziehungsberechtigte die Vertretung übernehmen, gibt es auch den umgekehrten Fall, dass Kinder für Eltern, die z.B. erkrankt sind, die Vertretung übernehmen. Desweiteren gibt es auch zahlreiche staatliche Stellen, wie z.B. staatlich bestellte Betreuer in Kinder- oder Altersheimen oder in Einrichtungen für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen. Es ist sicherlich keine kleine Gruppe, die in Deutschland lebt und bevormundet ist.

Durch diese Konstellation entsteht dann aber eine ganz neue Problematik für die Selbstbestimmung, welche in der Abhängigkeit des Mündels vom Vormund begründet ist, und zwar in allen Bereichen. Häufig kann z.B. bei Demenzkranken, Betrunken oder Säuglingen gar kein Wille festgestellt werden. Folglich ist hier dann auch keine Selbstbestimmung möglich. Ein vorhandener Wille kann aber auch falsch interpretiert oder nicht erkannt werden, so dass die Selbstbestimmung ebenfalls nicht umgesetzt wird. Ferner muss der Vormund Entscheidungen mit seinem objektiven Blick treffen und damit bisweilen bewusst die Selbstbestimmung verhindern. Beispielhaft kann das die Entscheidung über den Aufenthaltsort sein, wenn ein älterer Mensch eigentlich gerne zu Hause bleiben würde, aber in ein Altersheim umsiedeln muss. Bei Kindern kann dies beispielsweise der ungewünschte, aber notwendige Zahnarztbesuch sein.
Besonders tragisch sind sicherlich auch Situation in denen ein Mensch im Koma liegt, und der Wille bei Entscheidungen um Leben und Tod erahnt werden muss. Hier gibt es dann nicht einmal einen objektiven Anhaltspunkt für diesen Willen bei einer Entscheidung mit immenser Tragweite.

Neben der Problematik der Willensbildung und Willensübermittlung gibt es das Problem, dass der Vormund bei alters- oder krankheitsbedingter Vormundschaft meist fremdbestimmt ist. So kommt ein Vertrauensverhältnis oft schwerer zu Stande, als bei einem selbstbestimmten Vormund oder bei Eltern-Kind Beziehungen. Aber natürlich kann sich auch das Vertrauensverhältnis zwischen Mündel und selbstbestimmten Vormund nachträglich verschlechtern. Anders als beim Streit um das Taschengeld in der Grundschule, können bei alter- und krankheitsbedingter Vormundschaft auch ernsthafte Konflikte im finanziellen Bereich entstehen.

Fremdbestimmte Willensbildung:

Zwar können Kinder sich die Eltern nicht heraussuchen, aber hier spielt die Fremdbestimmung des Vormundes meistens (zumindest bis zur Pubertät) keine so große Rolle. In diesem Fall ergibt sich das Problem aus der Willensbildung an und für sich.
Selbstbestimmung erfordert einen eigenständigen Willen, der sich wiederum aus den Erfahrungen, die ein Mensch in Form von Gefühl und Wahrnehmungen sammelt, ableitet. Es ist offensichtlich, dass ein Kind, das sich in einer gewissen Sozialisierung befindet, auch nur aus dieser heraus Erfahrungen sammeln kann. So wird in aller Regel der Wille der Eltern mit dem des Kindes mehr oder weniger übereinstimmen und sich erst mit zunehmender Erfahrung des Kindes eigenständig entwickeln. So geschieht dies zuerst auch bei Alltagsdingen wie Essen, Schlafenszeiten oder Lieblingsspielsachen, weil hiermit sehr direkte Erfahrungen verbunden sind. Betrachtet man den Sonntagsausflug, dann wird dies einem 2-jährigen Kind noch relativ egal sein. Bei einem 9-jährigen Kind sieht das anders aus, weil das Kind gewisse Erfahrungen damit verbinden kann.
Zusätzlich kommen dann auch Eindrücke aus Kindergarten oder der Schule hinzu, so dass sich ein eigenständiger Wille auch außerhalb der bekannten Sozialisierung entwickelt.

Neben der häufigen Willensidentität zwischen Eltern und Kindern sollte auch auf die leichte Beeinflussung des Willens, gerade in der Kindererziehung, hingewiesen werden. Gerade der Mangel an Erfahrung führt dazu, dass ein Kind noch sehr leicht beeinflussbar ist. Dies spielt in manchen Scheidungsfällen vor Gericht eine Rolle, da hier ebenfalls versucht wird auch den Kindeswillen im Sinne der Selbstbestimmung zu berücksichtigen.

Ab wann nun ein Mensch aber einen wirklich eigenen Willen hat, hängt von den individuellen Umständen ab. Objektiv lässt sich die Frage sowieso nicht beantworten, weil erstens jeder auch nur einen Teilausschnitt an Erfahrung kennt, nämlich die eigenen, und man zweitens noch nicht in die Köpfe anderer Menschen schauen kann.

Schutz der Selbstbestimmung:

Wenn der Schutz bzw. die Förderung der Selbstbestimmung das Ziel ist, so lassen sich verschiedene Möglichkeiten nutzen. Zum Beispiel kann dort, wo jemand schon geschäftsfähig war, mit einer Vorsorgevollmacht für mehr Sicherheit, z.B. bei der Wahl des Vormundes, gesorgt werden. Dieser kann dann frei, z.B. aus dem Kreis der Familie, bestimmt werden.
Ferner gibt es die Möglichkeit, für den Fall einer Krankheit oder Unfalls, den Willen, wie der medizinische Umgang sein soll, mit einer Patientenverfügung festzuhalten. Sowohl die Patientenverfügung, als auch die Vorsorgevollmacht sind formell recht unkompliziert zu erstellen.

Information und Vorlagen des Bundesjustizministerium zum Thema Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht (www.bmj.de)

Wenn hingegen kein eigener Wille festgestellt werden kann, oder wie bei Säuglingen nicht vorlag, dann wird es schwierig die Selbstbestimmung umzusetzen. Hier stellt sich die Frage, wie hier die Schutzrechte der Selbstbestimmung umgesetzt werden sollen.
Durch die Erhöhung der Freiheiten des Vormundes entsteht in der Regel kein Vorteil für die Selbstbestimmung. Aber auch ein staatlich verordneter Eingriff kann verständlicherweise hier keine Vorteile für die Selbstbestimmung bringen.

Solange sich also kein eigener Wille erkennen lässt, wird die Selbstbestimmung am stärksten geschützt, wenn der Schutzauftrag kollidierend von mehreren konkurrierenden Interessensvertretern wahrgenommen wird. Bei Kindern wird dies durch die elterliche Fürsorge auf der einen Seite und der staatlichen Fürsorge (Jugendschutz) auf der anderen Seite gewährleistet.
Dies ist auch im Grundgesetz explizit in Art. 6 Abs. II so vorgesehen. „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

Hingegen ist gerade bei alters- oder krankheitsbedingter Unmündigkeit oft nur eine einzelne betreuende Institution zuständig. Sind Kinder vorhanden, übernehmen diese oftmals selbst die Aufgabe der Betreuung, sind diese nicht vorhanden bleibt nur der staatliche Betreuer. Hierdurch ergibt sich ein wesentlich stärkeres Problemfeld, nämlich das von Ausführung und Kontrolle in einer Hand.

Im gesamten Problemfeld zwischen Mündel und Vormund sehe ich deshalb die größten Probleme im Gesundheits- und Pflegebereich. Im Bereich der Kinder müssen die individuellen Rechte der Kinder an der Schnittstelle zwischen der elterlichen und staatlichen Fürsorge gefunden werden.
Hierbei muss z.B. in Fragen der Religionszugehörigkeit, der Sozialentwicklung oder des Gesundheitsschutzes eine Abwägung der Schutzansprüche vorgenommen werden. Dürfen Eltern die Kinder hier vor dem staatlichen Eingriff schützen oder müssen die Kinder vor den Eltern beschützt werden? Diese Frage lässt sich nicht allgemein beantworten, sondern muss individuell nach objektiven Maßstäben abgewogen werden.
Den Ansatz von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung betrachte ich als richtigen Schritt bei der nicht anfänglichen Unmündigkeit.

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