Die Freiheit des Unmündigen

Mit diesem Aufsatz will ich darlegen, in welch vielfältiger Form Unmündigkeit in unserer Gesellschaft vorkommt und welche Auswirkung dies auf die Umsetzung der Selbstbestimmung als Grundsatz unserer Gesellschaft hat. Wo lassen sich Grenzen für die Umsetzung der Selbstbestimmung aufzeigen? Wo kann man eine Fremdbestimmung sinnvoll vermeiden?

Selbstbestimmung als Grundsatz:

In unserer heutigen Gesellschaft leben wir nach dem Gebot der Selbstbestimmung und freien Entfaltung. In Beziehung zu anderen Menschen soll das Handeln jedes einzelnen nur dann eingeschränkt werden, wenn es die Rechte eines anderen berührt. In Beziehung der Menschen zum Staat soll das Handeln frei von staatlicher Kontrolle sein und eine Einschränkung dieser Freiheit nur nach allgemeinen Gesetzen zulässig sein. Überdies müssen diese Einschränkungen zweckmäßig und geboten sein und der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

Die deutschen Gesetze spiegeln dies im Zivilrecht (Beziehung der Menschen untereinander) z.B. durch die Vertragsautonomie wider und im öffentlichen Recht (Beziehung von Menschen zum Staat) z.B. durch den Schutz der freien Entfaltung. So entwickelt sich ein Geflecht aus Rechten, die jeder Mensch wahrnehmen kann, bzw. Pflichten die jedem obliegen.
Betrachtet man das öffentliche Recht dann gelten hier einige Schutzvorschriften schon während der Schwangerschaft, wie z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit für das Ungeborene. Das Zivilrecht verwendet den Begriff der „Rechtsfähigkeit“, welche dann mit der Geburt einsetzt. Man sieht hieran schon, dass die Rechtsfähigkeit nicht verlangt, die eigenen Rechte und Pflichten selbst wahrnehmen zu können.
Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sind z.B. Kinder bis zu einem Alter von 7 Jahren nicht deliktsfähig, also für verursachte Schäden nicht haftbar zu machen. Im Strafrecht tritt die Straffähigkeit noch später, nämlich erst ab dem Alter von 14 Jahren, in Kraft. Die Geschäftsfähigkeit erlangt man sogar erst mit 18 Jahren. Weitere Altersbeschränkungen sind unter anderem im Wahlrecht, bei der Religionsmündigkeit oder bei der Fahrerlaubnis zu finden.

Fremdbestimmte Selbstbestimmung:

Solange ein Mensch nun aber nicht über sich selbst bestimmen kann, muss er in vielen Bereichen des Lebens vertreten werden um seine Rechte wahrzunehmen. Während bei Neugeborenen die Eltern als Erziehungsberechtigte die Vertretung übernehmen, gibt es auch den umgekehrten Fall, dass Kinder für Eltern, die z.B. erkrankt sind, die Vertretung übernehmen. Desweiteren gibt es auch zahlreiche staatliche Stellen, wie z.B. staatlich bestellte Betreuer in Kinder- oder Altersheimen oder in Einrichtungen für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen. Es ist sicherlich keine kleine Gruppe, die in Deutschland lebt und bevormundet ist.

Durch diese Konstellation entsteht dann aber eine ganz neue Problematik für die Selbstbestimmung, welche in der Abhängigkeit des Mündels vom Vormund begründet ist, und zwar in allen Bereichen. Häufig kann z.B. bei Demenzkranken, Betrunken oder Säuglingen gar kein Wille festgestellt werden. Folglich ist hier dann auch keine Selbstbestimmung möglich. Ein vorhandener Wille kann aber auch falsch interpretiert oder nicht erkannt werden, so dass die Selbstbestimmung ebenfalls nicht umgesetzt wird. Ferner muss der Vormund Entscheidungen mit seinem objektiven Blick treffen und damit bisweilen bewusst die Selbstbestimmung verhindern. Beispielhaft kann das die Entscheidung über den Aufenthaltsort sein, wenn ein älterer Mensch eigentlich gerne zu Hause bleiben würde, aber in ein Altersheim umsiedeln muss. Bei Kindern kann dies beispielsweise der ungewünschte, aber notwendige Zahnarztbesuch sein.
Besonders tragisch sind sicherlich auch Situation in denen ein Mensch im Koma liegt, und der Wille bei Entscheidungen um Leben und Tod erahnt werden muss. Hier gibt es dann nicht einmal einen objektiven Anhaltspunkt für diesen Willen bei einer Entscheidung mit immenser Tragweite.

Neben der Problematik der Willensbildung und Willensübermittlung gibt es das Problem, dass der Vormund bei alters- oder krankheitsbedingter Vormundschaft meist fremdbestimmt ist. So kommt ein Vertrauensverhältnis oft schwerer zu Stande, als bei einem selbstbestimmten Vormund oder bei Eltern-Kind Beziehungen. Aber natürlich kann sich auch das Vertrauensverhältnis zwischen Mündel und selbstbestimmten Vormund nachträglich verschlechtern. Anders als beim Streit um das Taschengeld in der Grundschule, können bei alter- und krankheitsbedingter Vormundschaft auch ernsthafte Konflikte im finanziellen Bereich entstehen.

Fremdbestimmte Willensbildung:

Zwar können Kinder sich die Eltern nicht heraussuchen, aber hier spielt die Fremdbestimmung des Vormundes meistens (zumindest bis zur Pubertät) keine so große Rolle. In diesem Fall ergibt sich das Problem aus der Willensbildung an und für sich.
Selbstbestimmung erfordert einen eigenständigen Willen, der sich wiederum aus den Erfahrungen, die ein Mensch in Form von Gefühl und Wahrnehmungen sammelt, ableitet. Es ist offensichtlich, dass ein Kind, das sich in einer gewissen Sozialisierung befindet, auch nur aus dieser heraus Erfahrungen sammeln kann. So wird in aller Regel der Wille der Eltern mit dem des Kindes mehr oder weniger übereinstimmen und sich erst mit zunehmender Erfahrung des Kindes eigenständig entwickeln. So geschieht dies zuerst auch bei Alltagsdingen wie Essen, Schlafenszeiten oder Lieblingsspielsachen, weil hiermit sehr direkte Erfahrungen verbunden sind. Betrachtet man den Sonntagsausflug, dann wird dies einem 2-jährigen Kind noch relativ egal sein. Bei einem 9-jährigen Kind sieht das anders aus, weil das Kind gewisse Erfahrungen damit verbinden kann.
Zusätzlich kommen dann auch Eindrücke aus Kindergarten oder der Schule hinzu, so dass sich ein eigenständiger Wille auch außerhalb der bekannten Sozialisierung entwickelt.

Neben der häufigen Willensidentität zwischen Eltern und Kindern sollte auch auf die leichte Beeinflussung des Willens, gerade in der Kindererziehung, hingewiesen werden. Gerade der Mangel an Erfahrung führt dazu, dass ein Kind noch sehr leicht beeinflussbar ist. Dies spielt in manchen Scheidungsfällen vor Gericht eine Rolle, da hier ebenfalls versucht wird auch den Kindeswillen im Sinne der Selbstbestimmung zu berücksichtigen.

Ab wann nun ein Mensch aber einen wirklich eigenen Willen hat, hängt von den individuellen Umständen ab. Objektiv lässt sich die Frage sowieso nicht beantworten, weil erstens jeder auch nur einen Teilausschnitt an Erfahrung kennt, nämlich die eigenen, und man zweitens noch nicht in die Köpfe anderer Menschen schauen kann.

Schutz der Selbstbestimmung:

Wenn der Schutz bzw. die Förderung der Selbstbestimmung das Ziel ist, so lassen sich verschiedene Möglichkeiten nutzen. Zum Beispiel kann dort, wo jemand schon geschäftsfähig war, mit einer Vorsorgevollmacht für mehr Sicherheit, z.B. bei der Wahl des Vormundes, gesorgt werden. Dieser kann dann frei, z.B. aus dem Kreis der Familie, bestimmt werden.
Ferner gibt es die Möglichkeit, für den Fall einer Krankheit oder Unfalls, den Willen, wie der medizinische Umgang sein soll, mit einer Patientenverfügung festzuhalten. Sowohl die Patientenverfügung, als auch die Vorsorgevollmacht sind formell recht unkompliziert zu erstellen.

Information und Vorlagen des Bundesjustizministerium zum Thema Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht (www.bmj.de)

Wenn hingegen kein eigener Wille festgestellt werden kann, oder wie bei Säuglingen nicht vorlag, dann wird es schwierig die Selbstbestimmung umzusetzen. Hier stellt sich die Frage, wie hier die Schutzrechte der Selbstbestimmung umgesetzt werden sollen.
Durch die Erhöhung der Freiheiten des Vormundes entsteht in der Regel kein Vorteil für die Selbstbestimmung. Aber auch ein staatlich verordneter Eingriff kann verständlicherweise hier keine Vorteile für die Selbstbestimmung bringen.

Solange sich also kein eigener Wille erkennen lässt, wird die Selbstbestimmung am stärksten geschützt, wenn der Schutzauftrag kollidierend von mehreren konkurrierenden Interessensvertretern wahrgenommen wird. Bei Kindern wird dies durch die elterliche Fürsorge auf der einen Seite und der staatlichen Fürsorge (Jugendschutz) auf der anderen Seite gewährleistet.
Dies ist auch im Grundgesetz explizit in Art. 6 Abs. II so vorgesehen. „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

Hingegen ist gerade bei alters- oder krankheitsbedingter Unmündigkeit oft nur eine einzelne betreuende Institution zuständig. Sind Kinder vorhanden, übernehmen diese oftmals selbst die Aufgabe der Betreuung, sind diese nicht vorhanden bleibt nur der staatliche Betreuer. Hierdurch ergibt sich ein wesentlich stärkeres Problemfeld, nämlich das von Ausführung und Kontrolle in einer Hand.

Im gesamten Problemfeld zwischen Mündel und Vormund sehe ich deshalb die größten Probleme im Gesundheits- und Pflegebereich. Im Bereich der Kinder müssen die individuellen Rechte der Kinder an der Schnittstelle zwischen der elterlichen und staatlichen Fürsorge gefunden werden.
Hierbei muss z.B. in Fragen der Religionszugehörigkeit, der Sozialentwicklung oder des Gesundheitsschutzes eine Abwägung der Schutzansprüche vorgenommen werden. Dürfen Eltern die Kinder hier vor dem staatlichen Eingriff schützen oder müssen die Kinder vor den Eltern beschützt werden? Diese Frage lässt sich nicht allgemein beantworten, sondern muss individuell nach objektiven Maßstäben abgewogen werden.
Den Ansatz von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung betrachte ich als richtigen Schritt bei der nicht anfänglichen Unmündigkeit.

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