mister-ede.de » Vorschläge http://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Wie das Infektionsgeschehen mit Massentests effektiv gesenkt werden kann http://www.mister-ede.de/politik/corona-schnelltest-massentests/9149 http://www.mister-ede.de/politik/corona-schnelltest-massentests/9149#comments Sun, 03 Jan 2021 19:45:05 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=9149 Weiterlesen ]]> Massentests ersetzen weder die AHA-Regeln noch präventive Tests in einzelnen Bereichen, z.B. in Altenheimen. Sie können aber ein Baustein sein, um insbesondere in stark betroffenen und abgrenzbaren Regionen das Infektionsgeschehen in kurzer Zeit deutlich zu senken. Das nachfolgende Muster ist dabei als Hilfestellung zum effizienten Einsatz von Antigen-Schnelltests und PCR-Tests im Rahmen einer Massentestung gedacht.

Festlegung eines Test- und eines Shutdown-Zeitraums:

Der originäre Testzeitraum sollte fünf, sechs Tage nicht überschreiten, um sich mit der gesamten Testung innerhalb eines mittleren Reproduktionszyklus zu bewegen. Innerhalb dieses Zeitraums sollte das öffentliche Leben massiv reduziert und Ämter, Büros – einfach alles, was nicht zwingend notwendig ist – geschlossen werden. Der Shutdown-Zeitraum sollte allerdings noch etwas länger reichen als der Testzeitraum.
Vorstellbar wäre, von Samstag bis Donnerstag der Folgewoche einen Massentest anzusetzen und den Shutdown dann noch drei Tage weiter bis Sonntag laufen zu lassen und samstags oder sonntags Spezialfälle nochmals abschließend zu testen.

Testpflicht:

Eine generelle Testpflicht dürfte schwer durchsetzbar sein, auch wenn sie sehr hilfreich wäre. Der Schnelltest sollte daher aber zumindest verpflichtend sein für Beamte, Angestellte im Bereich Pflege- und Gesundheit sowie an Schulen und in Kitas. Obligatorisch sollten die Tests außerdem für Schülerinnen und Schüler sowie für in anderen Einrichtungen wie Kita, Hort oder Kinderheimen betreute Kinder sein genauso wie auch für Heimbewohnerinnen und Heimbewohner sowie für von mobilen Diensten betreute Personen. Damit sollten die Bereiche Schule bzw. Alten- und Behindertenpflege weitestgehend vom Virus befreit werden. Alle anderen Einwohner der betroffenen Regionen oder auch Pendler von außerhalb wären in diesem Fall zwar nicht verpflichtet, aber natürlich dringend gebeten, sich am konzertierten Massentest zu beteiligen.

Testanreiz:

Allen Getesteten, egal ob freiwillig oder verpflichtet, werden nach Abschluss des Testverfahrens fünf personengebundene Gutscheine über 5,- Euro für die heimische Gastronomie und andere kulturelle Einrichtungen (Kino, Theater) ausgehändigt. Die Gutscheine sind gültig ab 1. Juni, damit es nicht zu früh zu einem Ansturm kommt, und können bis zum 31.12.2022 eingelöst werden.

Doppeltestung:

Um die PCR-Kapazitäten zu schonen werden für die Testung Antigen-Schnelltests verwendet, die lediglich bei positiven Befunden durch einen PCR-Test kontrolliert werden. Um dabei die niedrigere Sensitivität der Schnelltests auszugleichen, besteht die gesamte Testung aus zwei Schnelltests pro Person, die im Abstand von drei Tagen durchgeführt werden sollten, also z.B. an Tag 1 (Samstag) und Tag 4 (Dienstag). Die Sensitivität der eingesetzten Schnelltests sollte dabei nicht unter 94% liegen.
Sind beide Tests negativ, sollte das Risiko eines falsch-negativen Befundes durch die Doppeltestung relativ gering sein. Finden verschiedene Schnelltests Verwendung, sollte der sensitivere Test beim zweiten Testvorgang eingesetzt werden. Schlägt ein Schnelltest an, wird zum Ausgleich der niedrigeren Spezifität von Schnelltests der Befund per PCR-Verfahren kontrolliert. Ist die Person tatsächlich infiziert, dann greifen die üblichen Maßnahmen (Isolierung, Kontaktnachverfolgung etc.). Ist die Person hingegen doch negativ, so wird vorgegangen, als sei der Schnelltest negativ gewesen.

Spezialfälle:

Gibt es Spezialfälle, z.B. eine Person wurde zwar negativ getestet, war aber genau im Testzeitraum Kontaktperson eines bestätigten Infizierten, so soll wenige Tage später noch ein dritter Schnelltest durchgeführt werden.

Einschätzung:

Wenn 80% der Bevölkerung teils verpflichtet, teils freiwillig mitmachen und man bei diesen dann 95% der Infizierten findet, hat man 3/4 der Infektionsketten binnen einer Woche einem Ende zugeführt. Klar, manche Ketten wären auch so zu Ende gegangen. Klar, wenn man mit einem harten Lockdown den R-Wert über 4 Wochen bei 0,7 hält, erreicht man dieselbe Reduktion. Aber klar ist eben auch, solche freiwilligen Massentests sind im Gegensatz zu vielen anderen Maßnahmen ein relatives mildes und auch preisgünstiges Mittel. Wenn man die Kosten von vier Wochen hartem Lockdown mit vielleicht 100 Euro Testkosten pro Person (100 Euro * 80 Mio. = 8 Mrd. Euro) vergleicht, dann gibt es meines Erachtens gar nichts mehr zu diskutieren. Zumal man die Tests bedarfsorientiert wiederholen kann, wenn das Infektionsgeschehen in einer Region weiterhin oder erneut über 50 bestätigten Neuinfektionen je Woche liegen sollte.

Erläuterung:

Massentests stellen eine Momentaufnahme dar. Sie sind daher insbesondere in den Momenten geeignet, in denen das Infektionsgeschehen heimisch und hoch ist. Ungeeignet wären sie bei niedrigem oder hauptsächlich von Eintragungen von außen geprägten Infektionsgeschehen. In einer solchen Lage bräuchte es dann eher wieder Tests für Reisewillige, Pendler oder Reiserückkehrer. In der jetzigen Lage sind Massentests hingegen absolut zielführend.

Rechenbeispiele:

Massentests dienen nicht dazu, die bestätigten Infizierten zu finden – diese kennt man ja bereits. Mit Massentests sollen vielmehr gerade jene Infizierten gefunden werden, die bislang unerkannt geblieben sind. Wie hoch diese Dunkelziffer ist, ist zwar unbekannt, aber bei 50 bestätigten Neuinfektionen je Woche ist eine Größenordnung von 100 – 200 unentdeckten Infizierten nicht völlig unrealistisch. Eine solche Anzahl an tatsächlichen Fällen je 100.000 Einwohner ist allerdings auch in etwa nötig, damit die Schnelltests trotz ihrer Ungenauigkeit noch effektiv eingesetzt werden können. Umso höher das Infektionsgeschehen ist, desto eher sind die Schnelltests geeignet. Bei niedrigem Infektionsgeschehen liefern sie hingegen zu viele falsch-positive Ergebnisse, wie die drei nachfolgenden Beispiele für einen Schnelltest mit 95% Spezifität und 95% Sensitivität zeigen:

* * * * *
Inzidenz (tatsächliche Infizierte je 100.000): 2.000

98.000 Nicht-Infizierte
- > 93.100 korrekt als Nicht-Infizierte erkannt.
- > 4.900 fälschlich als Infizierte erkannt (falsch-positive Befunde)
2.000 Infizierte
- > 1.900 korrekt als Infizierte erkannt
- > 100 fälschlich als Nicht-Infizierte erkannt (falsch-negative Befunde)
Von 6.800 positiven Schnelltest-Ergebnissen werden 1.900 durch den PCR-Nachtest bestätigt.

* * * * *
Inzidenz (tatsächliche Infizierte je 100.000): 200

99.800 Nicht-Infizierte
- > 94.810 korrekt als Nicht-Infizierte erkannt.
- > 4.990 fälschlich als Infizierte erkannt (falsch-positive Befunde)
200 Infizierte
- > 190 korrekt als Infizierte erkannt
- > 10 fälschlich als Nicht-Infizierte erkannt (falsch-negative Befunde)
Von 5.180 positiven Schnelltest-Ergebnissen werden 190 durch den PCR-Nachtest bestätigt.

* * * * *
Inzidenz (tatsächliche Infizierte je 100.000): 40

99.960 Nicht-Infizierte
- > 94.962 korrekt als Nicht-Infizierte erkannt.
- > 4.998 fälschlich als Infizierte erkannt (falsch-positive Befunde)
40 Infizierte
- > 38 korrekt als Infizierte erkannt
- > 2 fälschlich als Nicht-Infizierte erkannt (falsch-negative Befunde)
Von 5.036 positiven Schnelltest-Ergebnissen werden 38 durch den PCR-Nachtest bestätigt.

Disclaimer: Ich bin kein Virologe, Epidemiologe, Arzt. Es handelt sich um eine rein rechnerische bzw. systemlogische Betrachtung von Massentests.


Text als PDF: Wie das Infektionsgeschehen mit Massentests effektiv gesenkt werden kann


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Ein flächendeckendes schnelles Test- und Meldesystem für den Corona-Winter http://www.mister-ede.de/politik/corona-test-und-meldesystem/9126 http://www.mister-ede.de/politik/corona-test-und-meldesystem/9126#comments Sun, 13 Dec 2020 12:22:25 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=9126 Weiterlesen ]]> In weiten Teilen habe ich diesen Text schon im Juni verfasst, damals allerdings nicht veröffentlicht. Zu oft wurde ich für meine Vorschläge zur Pandemiebekämpfung beschimpft und beleidigt – nicht von Corona-Leugnern, sondern von der genau entgegengesetzten Seite. Was musste ich mir nicht alles anhören: Dass ich zugunsten der Wirtschaft Tote in Kauf nehmen würde. Dass ich die Alten wegsperren möchte. Dass ich egoistisch und unsolidarisch sei. Dabei hatten meine Vorschläge nur ein einziges Ziel: Dem Erwartbaren – einer zweiten Welle im Herbst – vorzubeugen bzw. sich adäquat darauf vorzubereiten. Leider fehlte mir irgendwann die Kraft, das immer wieder und wieder zu erklären.
Nun sieht man es allerdings. Egoistisch waren wohl eher diejenigen, die meine Vorschläge aus Geltungssucht niedergemacht haben. Tote in Kauf genommen haben all jene, die immer nur Lockdown gebrüllt und damit die Entwicklung von effektiven und effizienten Schutzmaßnahmen im Sommer verhindert haben. Ich war mir sicher, dass mir die Realität im Winter Recht geben wird. Und heute sehen das vermutlich auch die Allerletzten.

Hier deshalb nun mein Artikel, wie ein flächendeckendes, effektives und effizientes Test- und Meldesystem gestaltet sein sollte:

Ausgangslage im Sommer

Leider lässt der Fallzahlen-Anstieg nach den Lockerungen in den USA, der massive Anstieg in Süd- und Mittelamerika und die nun auch in Südafrika, Pakistan, Indien und Bangladesch einsetzende Dynamik nicht erwarten, dass Europa ein milder Verlauf im Herbst bevorsteht. Noch immer sind die Menschen in weiten Teilen Europas nicht durch Antikörper geschützt und noch immer ist keine Impfstoffverfügbarkeit absehbar. Gleichzeitig haben die verschiedenen Lockerungen dazu geführt, dass die Fallzahlen in vielen europäischen Ländern eher stagnieren, statt weiter zu sinken. Und die unter den gelockerten Bedingungen zu erwartende Urlaubsreisewelle wird die Problematik von Ein- und Verschleppungen des Coronavirus zusätzlich erhöhen. Mit niedrigeren Temperaturen, schlechterer Witterungen und damit auch mehr Aufenthalten in Innenräumen ist für den Herbst ein Szenario wie im Frühjahr, also ein spürbarer Anstieg der Fallzahlen und Lockdowns zur Eindämmung, zunehmend zu erwarten. Allerdings befreit uns im Herbst dann nicht bereits nach zwei Monaten wieder der Sommer und die Verlagerung von drin nach draußen oder vom Bus aufs Rad. Im Gegenteil, es folgt der ganze lange Winter. Oberste Priorität muss in Europa deshalb sein, ein solches Szenario zu verhindern!

Zu schaffende Rahmenbedingungen

Neben der Beibehaltung der smarten Maßnahmen wie Abstandsgebot und Mundschutzpflicht, braucht es dringend eine europaweit nutzbare freiwillige Corona-App, die auf möglichst vielen Geräten und mit möglichst wenig Anbindung an Google und Apple funktioniert. Neben der reinen Kontakterfassung sollte hierbei die Möglichkeit zum Speichern und Auslesen der GPS-gestützten Standortdaten für 20 Tage ermöglicht werden. Auch der Einsatz von Tracing-Tokens, die die Funktionen der Corona-App für Menschen ohne (geeignetes) Smartphone verfügbar machen, ist für eine ausreichende Breitenwirkung erforderlich – insbesondere innerhalb von Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheimen.
Daneben muss ein zentrales europäisches Meldesystem geschaffen werden, um Corona-Meldungen europaweit einheitlich zu erfassen und schnell und transparent den verschiedenen Behörden auch über Grenzen hinweg für die Nachverfolgung zur Verfügung zu stellen, z.B. bei einem Ausbruchsgeschehen an einem Urlaubsort. Ferner muss mit SmartTesting ein intelligentes europaweites Testsystem etabliert werden, das jeder Person, die sich irgendwo in Europa befindet, jederzeit Zugang zu Corona-Tests bietet, z.B. am Urlaubsort oder bei einem Arbeitsaufenthalt in einem anderen europäischen Land.
Was nachfolgend für Deutschland dargestellt ist, sollte daher so oder so ähnlich auch in den übrigen europäischen Ländern umgesetzt werden.

Verbessertes und erweitertes Meldesystem

Ursprungs- und Nachverfolgungs-Ampel:
Bislang schauen wir in Deutschland und Europa vor allem auf die Zahl der Infizierten. Viel stärker als bisher sollten allerdings die Infektionsketten, also der Ursprungsort der Infektion und der mögliche Weiterverbreitungskreis, in den Blick genommen werden. Neben der reinen Infektionsmeldung und dem wahrscheinlichen Ansteckungsort sollte ähnlich einer Ampel von der jeweils zuständigen Meldebehörde, also den örtlichen Gesundheitsämtern, angegeben werden, in grün, wenn die Ansteckung wahrscheinlich auf eine bereits identifizierte Infektionskette oder ein bekanntes Infektionscluster zurückzuführen ist, z.B. bei den Tönnies-Mitarbeitern, bzw. in rot, wenn das nicht der Fall ist, der Ursprung also unbekannt ist. Selbiges sollte für die Kontaktnachverfolgung gelten – grün, wenn die engeren Kontaktpersonen im Zeitraum der Infektiosität ermittelbar sind, z.B. bei einem Ausbruch in einem Pflegeheim, und im umgekehrten Fall logischerweise rot.

Grün-grüne Fälle sind zwar weiterhin eine gesundheitliche Gefahr für den Betroffenen selbst, sie sind epidemiologisch aber wenig problematisch, weil die Infektionskette in diesen Fällen klar und damit unterbrechbar ist. Auch rot-grüne Fälle sind bei einem vereinzelten Auftreten, z.B. nach einer Reise, ebenfalls unproblematisch. Bei vermehrtem Auftreten innerhalb einer Region oder bei Personen, die sich lediglich innerhalb dieser Region aufgehalten haben, wäre es hingegen ein Alarmzeichen, dafür dass es ein unentdecktes lokales Infektionsgeschehen gibt. Zielführend ist dann im Rahmen des nachfolgend beschriebenen SmartTestings intensiver zu testen, um die vermuteten Infektionsketten aufzuspüren.
Bei grün-roten Fällen ist hingegen die Kontaktnachverfolgung problematisch, z.B. bei einem Bus- oder Bahnreisenden ohne Corona-App. Bei grün-roten oder rot-roten Meldungen sollten daher nach Möglichkeit die Aufenthaltsorte des Infizierten während der Infektiosität mit angegeben werden, um eine mögliche Gefahrensituation für andere Land- oder Stadtkreise oder auch andere europäische Staaten transparent zu machen.
Zwei Wochen nach einer Fallmeldung sollen rote Ursprung- oder Nachverfolgungsampeln, die sich bis dahin nicht durch die Arbeit der Behörden aufklären und auf grün schalten ließen, die Farbe Weiß erhalten. Treten also innerhalb von zwei Wochen keine neuen Fälle auf, sind die Ampeln aller bisherigen Meldungen eines Landkreises entweder grün oder weiß. Erst wenn es wieder zu einem Infizierten kommt, bei dem der Ursprung unbekannt ist oder bei der sich die Kontaktpersonen nicht ermitteln lassen, gibt es wieder eine Meldung mit roten Ampeln.

Im Falle eines Ausbruchs wie in den Schlachthöfen von Tönnies hätte man also zunächst ein paar rot-rote Meldungen gehabt (Ursprung unklar, Kontakte noch nicht umfänglich ermittelt), die dann durch jede Menge grün-rote Meldungen (Ursprung klar, Kontakte noch nicht umfänglich ermittelt) ergänzt worden wären. Je mehr die Behörden die Kontakte der einzelnen Infizierten dann nachverfolgen können, umso mehr Fälle würden sich nach und nach auf rot-grün bzw. grün-grün schalten, bevor sie nach einiger Zeit als grün-grüne (Ursprung klar, Kontakte ermittelt) oder weiß-grüne (Ursprung unklar geblieben, aber Kontakte ermittelt) Meldungen der Vergangenheit angehören.
Kommen im dortigen Kreis dann in nächster Zeit auch keine neuen Meldungen mit roter Ursprungsampel oder roter Nachverfolgungsampel hinzu, wäre das ein deutliches Zeichen dafür, dass das Infektionsgeschehen vor Ort trotz massiver Fallzahlen weitestgehend im Griff ist. Kommen hingegen weiterhin Meldungen mit unbekanntem Ursprung hinzu, wäre es ein klares Indiz dafür, dass sich die Infektionsketten weiter in die Bevölkerung hinein verbreitet haben. Und selbiges ist natürlich auch dann zu befürchten, wenn bei zu vielen Meldungen die Nachverfolgungsampel rot bliebe.

Beschleunigte Meldung und Nutzung von GPS-Daten:
Zusätzlich zu einer umfassenderen Meldung in Bezug auf die Infektionsketten, also zum Ursprung und zum möglichen Weitergang der Kette, ist außerdem eine Beschleunigung des Meldewesens und der Kontaktnachverfolgung erforderlich, um so zeitnah wie nur irgend möglich eine Intervention einzuleiten – Infizierte sind ja in aller Regel nur einige wenige Tage infektiös. Eine erste telefonische Befragung der infizierten Person sollte daher spätestens 3 Stunden nach der Meldung an das Gesundheitsamt erfolgen – und das bitte auch nicht nur montags bis freitags!

Im Rahmen der Erstbefragung sollte außerdem um die Übermittlung der in der Corona-App gespeicherten GPS-Daten gebeten werden, um diese mit den Standortdaten anderer Infizierter zusammenzuführen. Auf Basis der freiwillig zur Verfügung gestellten Daten soll so die Suche nach Infektionsquellen mittels Datenanalyse unterstützt werden. Sind beispielsweise drei Infizierte im wahrscheinlichen Infektionszeitraum nahe zusammen, z.B. in einer Kneipe, dann sollte die Datenanalyse das erkennen und eine Befragung der betroffenen Infizierten diesbezüglich stattfinden. Und selbst in Bewegung, also wenn die drei Infizierten in einem Bus oder Zug sitzen, würde der GPS-Abgleich funktionieren, weil sich der Standort bei allen infizierten gleichermaßen verändert. Natürlich müssen solche Standortdaten stets verifiziert werden – die drei Infizierten könnten auch im Auto hintereinanderher gefahren sein – aber es wäre auf jeden Fall ein zusätzlicher Anhaltspunkt, wo der Ursprung der Infektion lag und ob eventuell noch weitere Personen betroffen sein könnten.

SmartTesting

Damit das verbesserte Meldesystem und die beschleunigte Fallbearbeitung tatsächlich zum Tragen kommen können, braucht es aber auch zwingend eine deutlich höhere Entdeckungsquote. Denn nur dort, wo Infizierte gefunden werden, kann die Ermittlung und Nachverfolgung der Infektionsketten starten. Für die Eindämmung des Coronavirus ist es daher unerlässlich, möglichst viel zu testen, nicht nur spezifisch, sondern auch in der Breite und mit der gebotenen Schnelligkeit. Überdies ist es notwendig, dass bei positiven Befunden unverzüglich – also deutlich schneller als bisher – eine Risikobewertung durch die lokalen Gesundheitsbehörden und eine Meldung an das Robert-Koch-Institut stattfindet. Der Zeitverzug von einem Testwunsch bis zur finalen Meldung eines positiven Befundes an das RKI sollte bei Verdachtsfällen 60 Stunden nicht überschreiten. Die Kosten der Testungen sollten im Rahmen der Gefahrenabwehr vollständig vom Bund aus dem Haushalt getragen werden.

Kostenlose Tests für alle:
Jede Person bekommt das Recht, sich verdachtsunabhängig kostenlos auf Corona testen zu lassen. Sofern es nicht anders gewünscht wird, soll dabei stets auf eine aktive Corona-Infektion und auch auf eine überstandene Corona-Infektion getestet werden. Mehrfachtestungen einer Person sind ausdrücklich erlaubt. Die Tests können weiterhin bei Hausärzten durchgeführt werden, zusätzlich sollte es aber aufgrund der zu erwartenden Nachfrage auch kommunale Testeinrichtungen und mobile Testteams in jeder Region geben. Um eine missbräuchliche Nutzung zu verhindern, sind für die dortigen Tests allerdings Ausweisdokumente oder Ersatzbescheinigungen nötig und es findet eine zentrale Speicherung der Daten für 6 Monate bei den Gesundheitsbehörden statt.

Kommunale Testeinrichtungen:
Alle Landkreise und kreisfreien Städte werden verpflichtet, mindestens eine lokale Testeinrichtung zu schaffen, die jeden Tag, einschließlich sonntags, mindestens von 8 Uhr bis 20 Uhr für Tests zur Verfügung steht. Eine Angliederung z.B. in Containern an ein vorhandenes Krankenhaus erscheint hierbei zielführend. Tests sollen in diesen kommunalen Einrichtungen allerdings nur nach Terminvereinbarung stattfinden, sowohl um die Planbarkeit zu verbessern als auch um Warteschlangen zu vermeiden.

Mobile Testteams:
Für mobilitätseingeschränkte Menschen und andere Personen, die die Testeinrichtungen nur schwer erreichen können, z.B. Alleinerziehende ohne Auto, müssen von den Kommunen zusätzlich ausreichend mobile Testteams bereitgestellt werden, die an allen Wochentagen für die Durchführung von Corona-Tests zur Verfügung stehen.

24/7-Notfalltests:
Für epidemiologische Notfälle, z.B. bei einem Corona-Verdacht in einem Pflegeheim oder einer anderen Massenunterkunft, ist in allen Landkreisen und kreisfreien Städten rund um die Uhr ein mobiles Testteam vorzuhalten. Die Koordination kann die lokale Rettungsleitstelle übernehmen, die tagsüber auf die vorhandenen mobilen Testteams der Kommunen zurückgreift und in Randzeiten die schnelle Testung über den Rettungsdienst gewährleistet.

Bundesweite Hotline:
Das Bundesgesundheitsministerium schaltet 24/7 eine kostenlose Hotline für Bürgerinnen und Bürger, die einen Test durchführen wollen. Handelt es sich um keinen dringlichen Fall, z.B. einen Testwunsch vor dem Besuch der Großeltern, wird ein passender Termin in einer lokalen Testeinrichtung oder mit einem mobilen Testteam der jeweiligen Kommune vereinbart. In dringenden Fällen, wenn also ein Infektionsverdacht vorliegt – und seien es nur leichteste Symptome – soll hingegen ein Termin mit einem mobilen Testteam vereinbart werden, das maximal 18 Stunden später bei dieser Person ist und einen Test durchführt. Bis dahin soll sich die betreffende Person selbst isolieren. Bei einem Anruf um 17 Uhr soll also bis spätestens 11 Uhr des Folgetags eine Testung durchgeführt werden. Bei epidemiologischen Notfällen, also z.B. einer Symptom-Entwicklung bei Bewohnern oder Bediensteten eines Altenheims, muss es allerdings noch schneller gehen. Hier ist dann über die örtliche Rettungsleitstelle ein Notfalltest zu veranlassen, der unverzüglich stattzufinden hat.

Beschleunigte Test-Auswertung:
Die Landkreise und kreisfreien Städte haben ferner zu gewährleisten, dass Notfalltests unverzüglich ausgewertet werden, z.B. in den Laboren der örtlichen Krankenhäuser. Dringliche Tests sollen binnen 24 Stunden ausgewertet sein, nicht dringliche Tests binnen 42 Stunden. Bei einem nicht dringenden Test am Donnerstag um 16 Uhr soll das Ergebnis also spätestens am Samstag um 10 Uhr vorliegen. Sollte es beim Probentransport Engpässe geben, kann auch die Infrastruktur anderer Organisationen (Amtshilfe durch Polizei, Blutspende-Dienste, Feuerwehr) genutzt werden.

Meldung der Gesundheitsbehörden an das RKI:
Sobald positive Testergebnisse in den Gesundheitsämtern der Landkreise und kreisfreien Städte eingehen, sind diese binnen 18 Stunden zu erfassen, hinsichtlich der Gefahrenlage einzuschätzen und ergänzt um die oben beschriebenen Informationen zum Stand der Infektionskettenermittlung an das RKI zu melden.

Sofortige Gefahrenabwehr:
Ist eine Gefahrenlage erkennbar, z.B. eine Infektion in einer Tagespflege, sind unverzüglich Gegenmaßnahmen einzuleiten, z.B. die Durchführung von Notfalltests bei allen Betreuten und Angestellten der Einrichtung. Eine Gefahrenlage kann sich aber auch aus dem vermehrten Auftreten von Infektionsfällen innerhalb eines kurzen Zeitraums ergeben. Gibt es in einer Region mit ansonsten wenig Fällen zeitnah in einem Teilgebiet, z.B. einem kleinen Dorf oder in einem Stadtteil, drei oder vier positive Befunde mit unklarer Herkunft, ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es vor Ort zu einem bis dahin noch unbemerkten Infektionsgeschehen gekommen ist. Grundsätzlich gilt dabei, je geringer das Infektionsgeschehen in einer Region ist, umso mehr Aufmerksamkeit ist nötig und umso niedriger sollte die Interventionsschwelle sein.

Reihentests:
Regelmäßig getestet werden sollten alle Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen und mobilen Pflegediensten, außerdem Angestellte in Krankenhäusern und Arztpraxen inklusive Reinigungs- oder Kantinenpersonal. Zielführend kann es daneben sein, Personen mit einer hohen Kontaktzahl regelmäßig zu testen, z.B. in der Gastronomie, beim Handel oder im ÖPNV.
Auch an Schulen und Kitas sollten anlassbezogene und für den Besuch der jeweiligen Einrichtung zwingend erforderliche Tests durchgeführt werden, z.B. wenn es lokal ein bekanntes Ausbruchsgeschehen gibt oder wenn in einer Region vermehrt Fälle ungeklärter Herkunft auftreten. Auch ist eine Testung vor der Wiederaufnahme des Schul- oder des Kita-Betriebs nach Ferien sinnvoll. Zusätzlich sollten allerdings auch auf freiwilliger Basis Stichprobentests durchgeführt werden, z.B. jeden Tag bei einer anderen Schulklasse, sodass alle Schülerinnen und Schüler einmal im Monat getestet werden.

Aktualisiertes Nachwort

Da eine breitflächige Impfung erst weit im Laufe des nächsten Jahres möglich sein wird, wären die beschriebenen Verbesserungen noch immer zielführend. Und die zwischenzeitliche Verfügbarkeit von Schnelltests erlaubt es auch, ein solches SmartTesting-Konzept zügig zu etablieren. Neu kommt allerdings hinzu, dass mit den verfügbaren Schnelltests auch die Durchführung von Massentests in Regionen mit hohem Infektionsgeschehen realistisch wird. Eine solche Erweiterung des Test-Regimes sollte daher direkt mitgedacht werden.


Text als PDF: Ein flächendeckendes schnelles Test- und Meldesystem für den Corona-Winter


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Einschätzung der aktuellen Infektionslage und Vorschläge für den anstehenden Corona-Winter (www.mister-ede.de – 14.10.2020)

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Einschätzung der aktuellen Infektionslage und Vorschläge für den anstehenden Corona-Winter http://www.mister-ede.de/politik/infektionslage-corona-winter/9102 http://www.mister-ede.de/politik/infektionslage-corona-winter/9102#comments Wed, 14 Oct 2020 20:35:37 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=9102 Weiterlesen ]]> Text als PDF

Lagebeurteilung:

Globale Corona-Lage:
In den USA und Kanada steigt die Zahl der Neuinfektionen seit September von unterschiedlichem Niveau aus wieder an. Ebenso in Russland und dem Iran. In Ostasien – Japan, Südkorea, Philippinen – sind nach einer Welle im August die Zahlen wieder etwas niedriger, aber ebenfalls höher als im Sommer. Die Corona-Herbstwelle ist auf der Nordhalbkugel mit voller Wucht angekommen!
In Süd- und Mittelamerika entspannt sich hingegen die Situation in den allermeisten Ländern, ebenso in Südafrika, Australien und Neuseeland. Argentinien, das sehr gut durch den Winter kam, hat inzwischen allerdings einen deutlichen Anstieg der Neuinfektionen zu verzeichnen.

Die Corona-Lage in Mittel- und Westeuropa:
Mittel- und Westeuropa hat mit einer massiven Corona-Herbstwelle und einem mehr oder weniger unkontrollierten Infektionsgeschehen zu kämpfen. Insbesondere Frankreich, Spanien und Großbritannien, sowie Tschechien, Belgien und die Niederlande, aber auch Schweden, die Schweiz und inzwischen auch Polen verzeichnen ein erhebliches Infektionsgeschehen. In den meisten Ländern ist allerdings die Zahl der schweren Covid-19-Fälle zumindest bislang deutlich geringer als im Frühjahr [1]. Bis in den November erwarte ich daher keine flächendecke Überforderung der Gesundheitssysteme in West- und Mitteleuropa. In einzelnen Regionen, z.B. in Tschechien mit zuletzt (12.10.2020) 467 Personen in intensivmedizinischer Betreuung [2] [3], steht allerdings tatsächlich zu befürchten, dass das Gesundheitswesen der steigenden Zahl an schweren Fällen mit intensivmedizinischem Betreuungsbedarf in nächster Zeit nicht mehr überall vollumfänglich gerecht werden kann [4]. Sollte dies der Fall sein, haben die weniger betroffenen Länder die Pflicht zu helfen. Ich bin mir sicher, Europa ist inzwischen gut genug vorbereitet, um im europäischen Miteinander ein solches Geschehen wie im Frühjahr in Norditalien zu verhindern.

Gleichwohl muss man sich bewusst machen, dass Europa mit seiner Altersstruktur in den nächsten Monaten vor einer gewaltigen Herausforderung steht. Sofern die Herbst- und Winterwelle nicht deutlich gebremst oder gebrochen wird, wird jedes Gesundheitssystem in Europa auf eine massive Belastungsprobe gestellt. Der Reproduktionsfaktor muss daher früher oder später mindestens wieder auf R = 1 gesenkt werden. Die Frage ist hierbei also nicht ob, sondern nur wann das geschieht. Denn spätestens wenn der Winter wirklich da ist, wird sich die Lage nach meiner Einschätzung noch einmal erheblich zuspitzen. Maßnahmen, deren Wirkung im Moment für ein R = 1 reichen würden, könnten möglicherweise im Dezember und Januar – das Weihnachtsfest, Silvester und die kälteste Jahreszeit stehen vor der Tür – zu schwach sein, um das zu schaffen. Das gilt europaweit und entsprechend logisch ist es, dass die ersten EU-Länder bereits in einen erneuten Lockdown gehen [5] [6]!

Die Corona-Lage in Deutschland:
Allen Unkenrufen – gelegentlich auch meinerseits – zum Trotz, ist Deutschland so gut aufgestellt wie kaum ein anderes Land. Noch klappt die Nachverfolgung von Infektionsketten einigermaßen gut und rund 20% der Bundesbürger nutzen die CoronaWarnApp, die zwar kein Glanzstück ist, aber zumindest einen Teil dazu beiträgt, dass sich Personen, die sich möglicherweise infiziert haben, testen lassen. Ähnliches gilt für die recht breitflächige Testung und Testkapazitäten von über einer Million Hochleistungs-PCR-Tests pro Woche, die übrigens nur in seltenen Ausnahmefällen ein falsches Resultat liefern und nicht, wie oft behauptet, bis zu einem Prozent falsch-positive Ergebnisse verursachen.
Seit dem Frühjahr wurde die Zahl der wöchentlich durchgeführten Tests hierzulande deutlich erhöht, weshalb davon auszugehen ist, dass wir einen guten Überblick über die Infektionslage haben. Das Phänomen der Testscham sowie die Verlagerung in jüngere Altersgruppen, die schlicht nicht merken, dass sie infiziert sind, könnten allerdings gegenläufige Effekte darstellen, sodass ohne tiefergehende Analyse eine Aussage über die absolute Entwicklung der Dunkelziffer unseriös wäre.

Ein großer Trumpf der hiesigen Strategie ist daher sicherlich das regionale Vorgehen anhand festgelegter Grenzwerte. Auf der einen Seite ermöglicht dies die nötige Flexibilität, auf der anderen Seite schafft es aber einen klaren und verständlichen Rahmen, ab wann Reaktionen erfolgen. Das macht es für alle Seiten leichter nachvollziehbar, warum an manchen Orten schärfere Maßnahmen getroffen werden müssen als an anderen, und es schafft auch eine gewisse Planbarkeit. Den Grenzewert von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner für die Einstufung als Risikogebiet halte ich dabei weiterhin für angemessen. Das entspricht immerhin bundesweit 40.000 Neuinfektionen pro Woche und wenn der Grenzwert irgendwo gerissen wird, dann ja nur selten punktgenau.
Der klare Grenzwert und die Fokussierung auf die Zahl der Neuinfektionen – sie ist vielleicht nicht so präzise, dafür allerdings vergleichsweise schnell und sehr zuverlässig verfügbar – bringt im föderalen System einen weiteren Vorteil mit sich: Jede Landesregierung versucht, dass ihr Bundesland oder ihre Stadt nicht die Poleposition beim Infektionsgeschehen inne hat – Ausnahmen bestätigen selbstverständlich die Regel.

Das Gesundheitssystem ist nach meiner Einschätzung aktuell nicht stärker belastet als außerhalb der Corona-Zeit. Die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen beträgt mit 602 am 14.10.2020 um 12:15 Uhr etwa ein Fünftel dessen, was wir im Frühjahr im Maximum gesehen haben. Im Vergleich zur Vorwoche hat die ICU-Belegung um etwa 130 Patienten zugenommen. Diese Zunahme im Vergleich zur Vorwoche setzt sich zusammen aus täglich etwa 90 Covid-19-Patientenaufnahmen auf deutschen Intensivstationen abzüglich etwa 400 in stabilem Zustand entlassen ICU-Patienten sowie rund 100 verstorben Intensivpatienten in der vergangenen Woche.
Würden morgen alle Infektionen unterbunden, würde die Herbstspitze nach meiner Einschätzung nicht über 60% der Frühjahrsspitze kommen. Umgekehrt erwarte ich bei einem weiter in der jetzigen Geschwindigkeit steigenden Infektionsgeschehen, dass im November, allerspätestens im Dezember in etwa dieselbe Lage auf den Intensivstationen wie im Frühjahr erreicht wird. Und dann kommen wir natürlich auch in Deutschland in eine Situation, die zwischen den Jahren deutliche Einschränkungen erforderlich machen würde. Der Umkehrschluss sollte daher sein, dass wir dringend versuchen sollten, vor die Welle kommen, um im Dezember und Januar einigermaßen ruhig ins neue Jahr zu starten.

Welche zusätzlichen Maßnahmen sollten ergriffen werden:

Festlegung von Hochrisikogebieten:
Neben Risikogebieten, die weiterhin ab einer 7-Tages-Inzidenz von mehr als 50 bestätigten Neuinfektionen je 100.000 Einwohner ausgewiesen werden sollten, halte ich einen zweiten Grenzwert und die Einstufung als Hochrisikogebiete ab einer 7-Tages-Inzidenz von 100 bis 150 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner für sinnvoll. Man kann da auch sagen, der Grenzwert muss 5 der letzten 7 Tage überschritten worden sein. Es wäre eine einfache und klar verständliche zweite Grenze, an die sich dann weitere, nochmals verschärfte Maßnahmen anschließen können.

Sperrstunden / Ausweitung der Maskenpflicht:
Eine bundesweite Maskenpflicht in allen Innenräumen außer der eigene Wohnung, inklusive Gängen und Aufzügen in Mehrfamilienhäusern, sollte spätestens ab einer 20er- oder 30er-Inzidenz eingeführt werden. Im gewerblichen Bereich – Einzelhandel, Restaurants, Bars, Fitnesscenter – sollte diese überall gelten, außer „am Platz“ und bei anderen geeigneten Hygienekonzepten (z.B. Plexiglas im Kassenbereich). Die Maskenpflicht soll sich dabei auch explizit auf den Eingangsbereich vor Geschäften, Restaurants oder Wohnhäusern erstrecken. Das Gleiche soll für alle übrigen Arbeitsplätze in Innenräumen gelten, sofern kein abgesegnetes Hygienekonzept vorliegt. Hingegen sollte bis auf Ausnahmefälle auf eine Maskenpflicht im Freien verzichtet werden, um die Menschen nicht unnötig in Innenräume zu drängen.
Bei überschreiten der 50er-Grenze sollte eine Sperrstunde ab 22 oder 23 Uhr gelten. Hier wäre dann vorstellbar, parallel auch eine Maskenpflicht beim Aufenthalt auf öffentlichen Plätzen bis zum Morgen einzuführen. Hochrisikogebiete sollten auf die Öffnung von Bars und Restaurants grundsätzlich verzichten. Eine Maskenpflicht für den Aufenthalt im öffentlichen Raum – z.B. Warten an der Bushaltestelle, nicht aber der kurze Weg zum Nachbarhaus oder zum Auto – sollte dann entsprechend gelten.

Reihentestung in Alten- und Pflegeheimen:
Sobald die von Jens Spahn angekündigten Schnelltests verfügbar sind, sollte das Personal in Pflegeheimen arbeitstäglich vor dem Arbeitsbeginn mit diesen getestet werden. Gepaart mit den sonstigen Schutzmaßnahmen sollten damit Infektionen in den Alten- und Pflegeeinrichtungen deutlich reduziert werden. Gleiches gilt für die Beschäftigten in der mobilen Pflege sowie das gesamte Gesundheitswesen. Insgesamt besteht in Deutschland für eine umfängliche Testung ein Bedarf von 50 Mio. bis 100 Mio. Schnelltests pro Woche. Dies bedeutet, dass bei den aktuell verfügbaren Tests je nach Qualität eine PCR Nachtestung von 1 – 8 Mio. Tests nötig wäre, um die Schnelltestbefunde zu verifizieren. Damit wird deutlich, dass im Bereich der PCR-Testung die Kapazitäten zwingend nochmals gesteigert werden müssen, wenn wir wollen, dass die Schnelltests auch wirklich einen Wert haben. Wenn – wie Christian Drosten das in seinem Podcast mal sagte – Pooltests von 5 Proben im Rahmen des Möglichen liegen, sollte das jetzt forciert werden. Auch sollte eine Ausweitung der meines Wissens nach schon vorhandenen Unterstützung durch die Labordiagnostik aus dem Veterinärbereich in Betracht gezogen werden.

Testpflicht bei allen Reisen aus inländischen Risikogebieten sowie Ein- und Ausreisen aus Deutschland:
Sobald! die kostengünstigeren Antigen-Schnelltests in ausreichendem Maße verfügbar sind, sollten im Prinzip alle innerdeutschen Reisenden aus Gebieten mit mehr als 50 Infektionen je 100.000 Einwohner getestet werden. Das gilt für Berufspendler wie Tagesausflügler oder Urlauber. Entsprechend sollten diese Tests in Risikogebieten dann ausreichend, breitflächig sowie kostenlos angeboten werden können und auch überall sonst in Deutschland für einen geringen Betrag, zentral an Teststationen, erhältlich sein. Bei einem positiven Test erfolgt dann natürlich sofortige Quarantäne und ein umgehender PCR-Nachtest, der binnen 24 oder 58 Stunden vorliegen sollte. Eine ähnliche Regelung wäre auch für Einreisende aus dem Ausland sinnvoll und – europäisch gedacht – natürlich auch für Ausreisende aus einem unserer Corona-Hotspots. Damit es dabei aber nicht wieder zu Grenzproblemen kommt, sollte klarer kommuniziert, dass es nur um eine Schnelltestpflicht geht, und auch der Güterverkehr sowie jene, die in den direkt angrenzenden Regionen wohnen, sollten wieder ohne Test einreisen dürfen. Es sollte aber natürlich jedem beim Grenzübertritt für eine geringe Gebühr angeboten werden, sich testen zu lassen.

Ferien kurz halten und eventuell frühzeitig absagen:
Eine Idee könnte sein, bis März weitestgehend auf Ferien zu verzichten. Das wäre dann fest planbar für alle und man könnte in dieser Zeit an Schulen etwas von dem aufholen, was in 2020 nicht geschafft wurde. Die Frage, ob das in Präsenz- oder Fernunterricht stattfinden sollte, kann im Nachgang, zum Beispiel anhand der Risikoeinstufung einer Region, entschieden werden. Das muss auch nicht zwingend bundeseinheitlich sein.

Wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen für die kommenden Monate:
Beherbergungsbetriebe sollten einen Zuschuss erhalten, der sich nach der Auslastung der letzten drei Jahre richtet. Messebauer, Schausteller, Kinos, Kulturschaffende, Reisebüros und andere sind wegen der pandemiebedingten Umsatzausfälle ebenfalls angemessen zu unterstützen. Der durchschnittliche Umsatz der Vorjahre sollte dabei Richtschnurr für die Hilfe sein. Je nach Branche sollte der Umsatz dann anteilig als nicht zurückzuzahlender Zuschuss gewährt werden, z.B. 10%. Nicht sinnvoll erscheint hingegen ein reines Abstellen auf die bisherigen Steuerzahlungen, da eine solche Hilfe an den kleinen Gewerbetreibenden im Land am ehesten vorbeiginge.

Ergänzungen:

Ergänzende Abschätzung des Erkrankungsgeschehens:
Ich bin zwar kein Mediziner, allerding ein leidenschaftlicher Heuristiker und recht gut geübt in Datenanalysen. Meine Prognose der zu erwartenden Erkrankungszahlen, die ich im April entwickelt und bis Juni verfeinert habe, ist so simpel wie treffsicher, dass ich sie hier kurz darlegen will. Die einzige getroffene Annahme ist, dass nach den ersten sieben Folgetagen 50% jener Erkrankungen gemeldet sind, die insgesamt für diesen einen Tag gemeldet werden. Die Zahl 50% ist dabei keine grobe Näherung, sondern nach einem ersten Ansatz mit 55% und einem zweiten mit 52% seit Juni ganz bewusst gewählt. Auch wenn es für einzelne Tage nicht genau stimmt, im 7-Tages-Schnitt, liegt meine rote Prognose-Kurve, die tatsächlich einzig auf der Formel „Erkrankungs-Meldungen der ersten Wochen * 2“ aufbaut, frappierend eng an den tatsächlichen Erkrankungs-Meldungen, die bislang beim RKI eingegangen sind. Und die Zahlen im Juli ändern sich inzwischen auch nicht mehr wirklich. Ich kann nicht erklären, warum diese Formel so gut passt, ich kann nur sagen, dass sie seit Monaten, wenn man vom Tönnies-Ausschlag im Juni absieht, nahezu perfekt passt. Entsprechend gehe ich leider aber sehr überzeugt von einem starken Anstieg der Erkrankungszahlen in den nächsten Wochen aus.

Reproduktionszahl:
Auf Basis des vorgenannten Prognose-Models berechne ich seit April ein 7-Tages-R. Begonnen hatte ich damit, weil das RKI zu diesem Zeitpunkt noch ausschließlich ein sehr stark schwankendes 4-Tages-R veröffentlichte. Legt man meine Prognose auf Basis des 7. Folgetages auf das inzwischen vom RKI ebenfalls geschätzte 7-Tages-R (Prognose vom 4. Folgetag), wirkt mein R-Wert wie eine Glättung der RKI-Werte. Beide Werte werden dabei allerdings, wie dargestellt, mit ganz unterschiedlichen Prognose- und Berechnungsmodellen ermittelt. Die damit einhergehende Redundanz der statistischen Aussage erlaubt mir die Annahme, dass wir im bundesschnitt aktuell eine deutlich über eins liegende Reproduktionszahl (R > 1) haben.


Corona-Epidemie in Deutschland: Aktuelle Lage (6.5.) in Zahlen und Grafiken
(www.mister-ede.de – 06.05.2020)

Die Pandemie verschlafen: Jeder zweite Corona-Infizierte außerhalb Chinas ist in der EU (www.mister-ede.de – 10.03.2020)

Wie wird sich die Corona-Pandemie in Deutschland, Europa und der Welt weiterentwickeln? (www.mister-ede.de – 31.03.2020)


[1] Übersicht der täglichen oder wöchentlichen ICU-Meldungen in Europa durch das European Centre for Disease Prevention and Control -> https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/download-data-hospital-and-icu-admission-rates-and-current-occupancy-covid-19

[2] Tagesschau-Meldung vom 30.09.2020 „Tschechien und Slowakei im Notstand“ -> https://www.tagesschau.de/ausland/corona-tschechien-notstand-101.html

[3] Dashboard des Tschechischen Gesundheitsministerium -> https://onemocneni-aktualne.mzcr.cz/covid-19/prehled-hospitalizaci

[4] Heise-Artikel vom 25.9. zur ICU-Auslastung in Europa -> https://www.heise.de/tp/features/Wie-ausgelastet-sind-die-Intensivstationen-4912024.html

[5] WDR-Bericht vom 14.10.2020 über anstehenden Lockdown in den Niederlanden -> https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/niederlande-verschaerfen-corona-regeln-100.html

[6] NZZ-Artikel vom 9.10.2020 zu Lockdown in Brüssel -> https://www.nzz.ch/panorama/belgien-bruessels-massnahmen-gegen-steigende-corona-fallzahlen-ld.1580860

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http://www.mister-ede.de/politik/infektionslage-corona-winter/9102/feed 0
Mitglieder und Themen entscheiden – Vorschlag für neue Struktur und Urwahl des SPD-Vorstands http://www.mister-ede.de/politik/neue-struktur-urwahlen-spd/8845 http://www.mister-ede.de/politik/neue-struktur-urwahlen-spd/8845#comments Wed, 12 Jun 2019 20:17:20 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8845 Weiterlesen ]]> Beweggrund für den Vorschlag:

Der Vorschlag sieht über Veränderungen beim Wahlverfahren hinaus eine grundlegende Veränderung der Struktur des SPD-Parteivorstands vor. Anstatt vieler Stellvertreter und Beisitzer ohne konkreten organisatorischen oder thematischen Bereich, schlage ich eine zumindest teilweise Zuordnung zu einzelnen Aufgaben und Themenfeldern vor. Einen Europabeauftragten kennt unsere Satzung bereits. Warum also nicht auch einen Umweltbeauftragten, Wirtschaftsbeauftragten, Sozialbeauftragten, Arbeitnehmerbeauftragten, Pflegebeauftragten, Digitalbeauftragten usw.? Es geht dabei um eine engere Verknüpfung von Personen und Themen in unserer Partei – nach innen wie nach außen. Und es geht um einen grundsätzlichen Wandel hin zu einer strukturierteren Arbeit, inhaltlich und programmatisch, aber auch organisatorisch.

Daneben befasst sich der Vorschlag mit dem Wahlverfahren. Hintergrund ist, dass ich Absprachen bei der Besetzung von Vorständen auf Parteitagen in einem gewissen Maße zwar für nötig halte, z.B. damit Regionen oder Themen nicht gänzlich ohne Repräsentation bleiben oder eben auch weiterhin ein fachlich geeigneter Schatzmeister gefunden wird. Auf der anderen Seite bin ich aber insbesondere bei Spitzenämtern gegen jede Form von Absprachen, weil ich überzeugt bin, dass eine breite Legitimierung im transparenten Prozess einer Urwahl wesentlich besser geeignet ist, um zu guten Ergebnissen zu kommen, als die berühmte Kungelei im Hinterzimmer, womöglich sogar noch mit einem Kuhhandel – man einigt sich auf den Parteivorsitz und wer leer ausgeht bekommt zum Ausgleich ein schönes Pöstchen.

Der Vorschlag:

Bislang besteht der Parteivorstand aus Vorsitz, sechs Stellvertreterinnen und Stellvertretern sowie weiteren rund 40 Personen (Generalsekretär, Europabeauftragter, Schatzmeister und jede Menge Beisitzer). Ich schlage deshalb eine grundsätzliche Neuordnung mit stärkerer Aufgaben und Themenfokussierung vor.

A) Die Struktur:

Engerer Parteivorstand (Parteipräsidium):
(2) Eine Vorsitzende und ein Vorsitzender
(2) Eine Stellvertreterin und ein Stellvertreter
(1) Generalsekretär/in
(1) Schatzmeister/in
(1) Themenkoordinator/in (Koordination der Arbeit der Themenbeauftragten)
(1) Mitgliederbeauftragte/r (Verbesserung und Kontrolle des Mitgliederservice. Anregungen liefern, wie man Mitglieder ansprechen kann, die inaktiv sind usw.)
(1) Onlinebeauftragte/r (Zuständig für die Onlinestrategie, intern wie extern)
(1) Europabeauftragte/r (Europäisches Netzwerk, SPE, Europaparlament etc.)
(1) Beauftragte/r für Internationales (Internationales Netzwerk, Progressive Allianz, UN usw.)
(X) Weitere Mitglieder optional aus erweitertem Vorstand
(Parteipräsidium insgesamt 11+X)

Erweiterter Parteivorstand:
(10) Zehn Themenbeauftragte. Diese sollen die thematische Arbeit in der Partei betreuen und koordinieren. Beim Thema Klima könnte das z.B. jemand sein, der im Umweltausschuss sitzt.
(25) Fünfundzwanzig Beisitzer/innen
(Parteivorstand insgesamt 46)

Vom Parteitag zu wählen:
(1) Generalsekretär/in (auf Vorschlag der beiden Vorsitzenden)
(1) Schatzmeister/in
(1) Themenkoordinator/in
(1) Mitgliederbeauftragte/r
(1) Onlinebeauftragte/r
(1) Europabeauftragte/r
(1) Beauftragte/r für Internationales
(10) Beisitzer/innen
(insgesamt 17)

Per Urwahl zu wählen:
(2) Die beiden Parteivorsitzenden
(2) Stellvertreterin und Stellvertreter
(10) Zehn Themenbeauftragten
(15) Fünfzehn Beisitzer/innen
(insgesamt 29)

Erwartung an die neue Struktur:

Die Themenorientierung würde, das zumindest ist meine Erwartung, die Partei bei der zielorientierten Arbeit unterstützen und damit auch inhaltlich wieder stärken. Daneben würde es eine Urwahl erlauben, die Mitglieder wieder direkt anzusprechen, mit Personen und eben auch Sachthemen.

B) Das Verfahren:

Grundstruktur:
Es werden zwei parallele Wahlen in zwei Wahlgängen durchgeführt, zum einen eine Wahl von Vorsitz, Stellvertretung sowie fünf Beisitzerinnen und Beisitzern. Zum anderen eine Wahl von zehn Themenbeauftragten und zehn Beisitzerinnen und Beisitzer.

Kandidatur:

Um zu kandidieren, braucht es die Unterstützung einer festzulegenden Anzahl an Ortsvereinen (z.B. ein OV bei Themenbeauftragten und drei OV bei Vorsitz). Bei Vorsitzenden dürfen Ortsvereine maximal eine Kandidatin und einen Kandidaten, bei Themenbeauftragten jeweils nur eine Kandidatin oder einen Kandidaten vorschlagen.

Erste Wahlphase:

Jedes Mitglied hat beim Vorsitz vier Stimmen und bei den Themenbeauftragten jeweils zwei Stimmen. Bei der Wahl zum Vorsitz stehen die beiden Kandidatinnen und die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen in einer zweiten Wahlphase zur Wahl. Die ihnen nachfolgenden jeweils fünf stimmenstärksten Kandidatinnen und Kandidaten stehen in einer zweiten Wahlphase als Beisitzer bzw. Beisitzerin zur Wahl.
Bei den Themenbeauftragten stehen in einer zweiten Wahlphase diejenige Kandidatin und derjenige Kandidat mit den meisten Stimmen zur Wahl.

Erläuterung:

Bis hierhin ist nur eine Satzungsänderung für die neue Zusammensetzung des Vorstands nötig und zur Klarheit wäre natürlich eine satzungsmäßige Regelung des Befragungsverfahrens sinnvoll.
Eine Änderung des Parteiengesetzes ist noch nicht notwendig, da es in der ersten Wahlphase noch unerheblich ist, ob es eine bindende Urwahl oder eine unverbindliche Mitgliederbefragung ist. Soll es nur eine Mitgliederbefragung sein, findet die zweite Wahlphase auf dem Parteitag statt. Nur im anderen Fall würden die Mitglieder erneut und dann endgültig entscheiden, wofür eine Ergänzung im Parteiengesetz notwendig wäre.

Zweite Wahlphase:

Die Wahlberechtigten (Parteitagsmitglieder oder eben alle Mitglieder) haben jeweils eine Stimme für eine Kandidatin und einen Kandidaten zum Parteivorsitz. Die jeweils Stimmenstärksten sind in den Parteivorsitz gewählt, die beiden anderen als Stellvertreter.
Aus den jeweils nachfolgenden fünf stimmenstärksten Kandidatinnen und Kandidaten aus der ersten Wahlphase werden fünf weitere Beisitzer und Beisitzerinnen gewählt, darunter mindestens zwei Frauen und zwei Männer. Die Wahlberechtigten haben hier fünf Stimmen.
Bei den Themenbeauftragten haben die Wahlberechtigten eine Stimme. Der oder die Stimmenstärkste ist gewählt. Die verbliebenen Kandidatinnen und Kandidaten werden Beisitzer.

Erwartung an das neue Verfahren:

Mit der Urwahl werden die Partizipationsmöglichkeiten für Mitglieder gestärkt und durch den Wahlkampf die Partei insgesamt belebt. Auch die Parität ist durch das Verfahren bestens gewahrt. Sowohl Vorsitz als auch Stellvertretung ist paritätisch besetzt und bei den Themenbeauftragten ist das jeweils andere Geschlecht als Beisitzer oder Beisitzerin ebenfalls im Vorstand vertreten. Unter den 29 per Urwahl gewählten Vorstandsmitgliedern wären also mindestens 14 Frauen und 14 Männer. Der Parteitag beschlösse über weitere 17 Vorstandsmitglieder, insbesondere in den Bereichen, in denen es um Organisatorisches geht wie Finanzen, Europanetzwerk oder Mitgliederverwaltung.

C) Vorschlag für eine Ergänzung des Parteiengesetzes:

Gesetz zur Stärkung der innerparteilichen Partizipation (Urwahl-Gesetz)

Dem Parteiengesetz (PartG) wird in § 11 ein neuer Absatz 5 hinzugefügt:
§ 11 Abs. 5:
Parteien können durch Satzung festlegen, dass abweichend von § 9 Abs. 4 einzelne oder alle Vorstandsmitglieder außerhalb eines Parteitags von den Mitgliedern in einer Urwahl gewählt werden können. Dezentrale, postalische und elektronische Abstimmungsformen müssen vor Manipulationen sicher sein. Die Stimmabgabe muss barrierefrei möglich sein. Das Verfahren ist notarieller zu beaufsichtigen und die ordnungsgemäße Durchführung notariell zu beurkunden.


Text als PDF: Mitglieder und Themen entscheiden – Vorschlag für neue Struktur und Urwahl des SPD-Vorstands


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Kinder fördern, statt Diesel und Dienstwagen: Ein Kindergeld von 400 Euro für jedes Kind! http://www.mister-ede.de/politik/400-euro-kindergeld-pro-monat/8751 http://www.mister-ede.de/politik/400-euro-kindergeld-pro-monat/8751#comments Wed, 07 Nov 2018 17:54:35 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8751 Weiterlesen ]]> Es ist ein untragbarer Zustand, dass in einem so reichen Land wie Deutschland 20% der Kinder in Armut leben müssen. Statt weiterhin Diesel durch eine niedrige Besteuerung an der Zapfsäule mit jährlich 10 Mrd. Euro und Dienstwägen durch günstige Absetzungsmöglichkeiten mit rund 4 Mrd. Euro zu subventionieren, soll künftig jedes Kind einheitlich 400 Euro Kindergeld pro Monat erhalten.

400 Euro monatlich für jedes Kind:

Jedes Kind ist gleich viel wert! Daher soll künftig nicht mehr das Einkommen der Eltern darüber entscheiden, mit wie viel Euro der Staat ein Kind fördert. Egal ob erstes, zweites oder drittes Kind, egal ob Baby oder fast schon erwachsen – der Staat zahlt ein Kindergeld von 400 Euro monatlich.

11 Milliarden durch Diesel und Dienstwägen:

Aktuell wird der Diesel mit 10 Mrd. Euro an den Zapfsäulen subventioniert und bei den günstigen Konditionen für die steuerliche Absetzbarkeit von Dienstwägen schätzt der Bundesrechnungshof einen Subventionsanteil von rund 4 Milliarden Euro [1]. Selbst wenn man beim Diesel eine Kompensation über die KfZ-Steuer gegenrechnet und das Dienstwagenprivileg nicht ganz abschafft, sondern nur einschränkt, bleibt ein Einsparpotential von gut 11 Milliarden Euro jährlich.

Abschaffung Kinderfreibetrag, Anpassung sonstiger Förderung:

Mit dem einheitlichen Kindergeld von 400 Euro soll auch der Förderungsdschungel gelichtet und die Kinderförderung entbürokratisiert werden. Der Kinderfreibetrag, der einkommensstarke Familien aktuell mit rund 260 Euro je Kind entlastet, wird daher ersatzlos gestrichen. Der Kinderzuschlag, durch den bei maximaler Nutzung aktuell eine Förderung von ca. 350 – 370 Euro pro Kind möglich ist, sollte mindestens überarbeitet werden. Und auch andere Förderungen, die beispielsweise wegen des bürokratischen Aufwands kaum genutzt werden, sollten überdacht und ggf. angepasst oder abgeschafft werden. Das Ziel muss künftig lauten: Kinder fördern, nicht Bürokratie!

Keine Anrechnung auf Hartz IV:

Um effektiv etwas gegen Kinderarmut zu unternehmen, müssen die Hartz-IV-Leistungen in Bezug auf Kinder überdacht werden. Sinnvoll erscheint, künftig den Regelsatz vollständig durch das Kindergeld von 400 Euro zu ersetzen und die Kinder nur noch bei Wohnkostenzuschüssen und Ähnlichem zu berücksichtigen. Letztlich soll ja die Kinderförderung von der Gesellschaft aus Steuermitteln gleistet werden und nicht primär Aufgabe der Arbeitsagentur sein. Umgekehrt darf dann aber auch keine Anrechnung des Kindergelds auf die Hartz-IV-Leistungen der übrigen Haushaltsangehörigen stattfinden, sodass das höhere Kindergeld auch tatsächlich bei den Familien ankommt.

Kopplung an gewöhnlichen Aufenthalt:

Für den Anspruch auf Kindergeld sollte künftig der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder maßgeblich sein. Haben Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland, sollte kein oder nur ein eingeschränkter Anspruch auf Kindergeld bestehen.

Kosten / Nutzen:

Millionen Kinder werden durch das einheitliche Kindergeld aus der Armut geholt. Familien werden gestärkt und von bürokratischen Hürden bei der Kinderförderung befreit. Deutschland investiert damit in seine Zukunft. Hingegen werden zwei andere Steuersubventionen abgeschafft, die auf dem Weg in eine ökologische Zukunft mehr schaden als nutzen. Ein Staat, der dicke Dienstwägen subventioniert, braucht sich nicht wundern, wenn er seine Klimaziele verfehlt. Und seit der Dieselaffäre ist bekannt, dass der Diesel zwar etwas weniger CO2 ausstößt, aber dafür andere Probleme in unseren Innenstädten verursacht. Insgesamt führt der Vorschlag daher zu einer Win-Win-Situation für Kinder und Klima, für Familien und saubere Luft.

Finanzierung:

Wenn sich bei Diesel und Dienstwägen 11 Milliarden Euro einsparen lassen, sind die zusätzlichen Ausgaben für das Kindergeld zu einem guten Teil finanziert. Weitere Finanzierungsmöglichkeiten sind die Anhebung von Tabak- und Alkoholsteuer oder die Einführung einer Verpackungs- oder Plastiksteuer.

Positive Effekte für den Handel:

Durch die Umschichtungen im Haushalt dürften positive Effekte auf die Wirtschaft ausgelöst werden. Viele werden auch ohne Subventionen weiterhin teure Dienstwägen kaufen, so dass nur marginale Effekte auf die Automobilindustrie zu erwarten sind. Beim Diesel werden sich die Kosten stärker verteilen, weil er häufig im gewerblichen Bereich (Güter-Transport, Handwerker, Taxi) zum Einsatz kommt. Das höhere Kindergeld wird hingegen den Konsum und die Binnennachfrage recht direkt ankurbeln, was insbesondere dem Handel zu Gute kommen dürfte.


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[1] Im Sonderbericht 2017 des Bundesrechnungshofes werden die Dienstwagen- (S.42) und Dieselsubventionen (S.43) auf Basis des Jahres 2015 berechnet (Link zum Sonderbericht 2017 auf www.bundesrechnungshof.de)

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Sieben Verbesserungen auf einen Streich: Vorschlag für höhere Löhne und Renten http://www.mister-ede.de/politik/fuer-hoehere-loehne-und-renten/8682 http://www.mister-ede.de/politik/fuer-hoehere-loehne-und-renten/8682#comments Tue, 06 Mar 2018 18:29:25 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8682 Weiterlesen ]]> Die Ausgangslage für den nachfolgenden Vorschlag ist klar. Durch die massive Lohnzurückhaltung in Deutschland in den letzten 20 bis 25 Jahren gehen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hierzulande jedes Jahr Milliarden Euro an Löhnen verloren. Niedrigere Bruttolöhne bedeuten allerdings auch geringere Beiträge zur Rentenversicherung und, weil die Renten an die Lohnentwicklung gekoppelt sind, auch niedrigere Renten.
Während die schlechteren Löhne und Renten auf der einen Seite zu einer Schwächung der Binnennachfrage in Deutschland führen, können auf der anderen Seite die hierzulande produzierenden Unternehmen durch die gesunkenen Lohnstückkosten die Weltmärkte mit billigen Waren überfluten. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist daher ein Außenhandelsungleichgewicht, das mit einem Exportüberschuss bzw. Importdefizit Deutschlands von rund 8% des BIP seinesgleichen sucht.

Vorschlag:

Als Gegenmaßnahme zu dieser Entwicklung schlage ich daher die Anhebung der Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung von aktuell 9,3% auf 11% und die Absenkung des Arbeitnehmeranteils zur Rentenversicherung von aktuell 9,3% auf 8,5% vor.

Sieben Verbesserungen:

1. Mehr Netto vom Brutto:
Durch die Absenkung des Arbeitnehmeranteils an der Rentenversicherung hätten die Arbeitnehmer künftig mehr Netto vom Brutto. Zusätzlich zu den Lohnerhöhungen, die durch die Tarifpartner vereinbart werden, würden die Nettolöhne um knapp 1% steigen.

2. Bessere Renten:
Durch die insgesamt um 0,9% der Bruttolöhne wachsenden Rentenbeiträge würde die Summe der abgeführten Rentenbeiträge um rund 4,8% ansteigen. Das Bruttorentenniveau könnte damit von aktuell 44,7% auf ca. 46,6% gesteigert werden. Für den sogenannten Eckrentner würde dies ein monatliches Plus bei der Rente von knapp 50 Euro monatlich bedeuten.

3. Stärkung der Binnennachfrage:
Die höheren Nettolöhne und die höheren Renten würden zu einem spürbaren Anstieg der Binnennachfrage führen.

4. Wirtschaftswachstum im Ausland:
Durch die leicht steigenden Lohnstückkosten, wären im Ausland produzierende Unternehmen, insbesondere aus dem Euro-Raum, im Vergleich wieder etwas wettbewerbsfähiger. In Verbindung mit der wachsenden Binnennachfrage in Deutschland würde dies im Ausland zu einer Stärkung des Wirtschaftswachstums führen.

5. Wirtschaftswachstum in Deutschland:
Sofern das Wachstum im Ausland zu einem Mehrexport führt, der den Minderexport durch die etwas niedrigere Wettbewerbsfähigkeit der in Deutschland produzierenden Unternehmen ausgleicht, bliebe das deutsche Exportvolumen unverändert. Gleichzeitig würde die wachsende Binnennachfrage den heimischen Absatz stärken, sodass sich ein zusätzliches BIP-Wachstum und damit ein Konjunkturschub für Deutschland ergeben würden.

6. Zusätzliche Jobs und Steuermehreinnahmen:
Ein zusätzliches Wirtschaftswachstum in Deutschland hätte positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Außerdem würden auch die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen steigen.

7. Abbau des Importdefizits bzw. des Exportüberschusses:
Überdies würde die wachsende Binnennachfrage den Güterimport nach Deutschland steigen lassen, sodass auch bei einem gleichbleibenden Exportvolumen der deutsche Exportüberschuss bzw. das deutsche Importdefizit reduziert würden.


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Weiterentwicklung der EU-Sprachpolitik: Sprachdiversität schützen – Englisch ausbauen http://www.mister-ede.de/politik/entwicklung-eu-sprachpolitik/5653 http://www.mister-ede.de/politik/entwicklung-eu-sprachpolitik/5653#comments Tue, 01 Nov 2016 18:54:01 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5653 Weiterlesen ]]> „In Vielfalt geeint“ ist nicht nur das Europamotto, sondern vor allem fundamentaler Grundsatz des europäischen Einigungsprozesses. Weder ein striktes Nebeneinander noch Gleichmacherei ist mit diesem Leitbild zu vereinbaren. Vielmehr liegt der Kern des Europäischen Projektes in der steten Suche nach einem Modus Operandi, der die unterschiedlichen Kulturen in Europa bewahrt und dennoch einen Weg zu einer geeinten EU eröffnet.
Dementsprechend baut auch der nachfolgende Vorschlag für eine Weiterentwicklung der EU-Sprachpolitik auf genau diesem Grundsatz auf und verbessert auf der einen Seite den Schutz der sprachlichen Vielfalt Europas und stärkt auf der anderen Seite das Zusammenwachsen der Europäer durch die Etablierung einer EU-weiten offiziellen Verständigungssprache.

Schutz der Landes- und Regionalsprachen in Europa

Alle Sprachen Europas sind wichtig! Sie sind identitätsstiftend und die Vielfalt dieser Sprachen ist Ausdruck des ungeheuren kulturellen Schatzes, auf dem Europa fußt.
Während bisher jedes EU-Land nur eine einzige Sprache in die Europäische Familie einbringen darf, sollten deshalb künftig alle offiziellen Landes- und Regionalsprachen der EU-Länder als Sprachen der Europäischen Union anerkannt werden. Auf diese Weise könnte z.B. Deutschland neben Deutsch auch Sorbisch oder Spanien neben Spanisch auch die katalanische Sprache in die EU einbringen. Genauso könnte die nach heutigem Wissensstand älteste europäische Sprache, Euskera (Baskisch), zusätzlich geschützt werden, wodurch auch das kulturelle Erbe Europas erhalten wird.

Im Rahmen einer solchen Weiterentwicklung der europäischen Sprachpolitik wäre es dann möglich, die EU-Länder zu verpflichten, die in den jeweiligen Landesteilen vorhandenen Sprachen im Schulunterricht anzubieten, sodass Schüler diese Sprachen erwerben und ihre sprachliche Qualifikation nachweisen können. Auch könnten Zeitungen und anderen Medien, die in Regionalsprachen erscheinen oder senden, unterstützt werden, um die mit solchen Sprachen meist verbundenen geringeren Reichweiten auszugleichen. Auch die Übersetzung literarischer Werke in Regionalsprachen könnte durch die EU gefördert werden.

Selbst wenn weiterhin EU-Dokumente nur in den offiziellen Amtssprachen der EU veröffentlicht würden, wäre diese Maßnahme schon ein großer Schritt, um die tatsächlich vorhandene Sprachdiversität in Europa, die eben weit über diese 24 Amtssprachen hinausgeht, zu bewahren.

Englisch als offizielle EU-Verständigungssprache

Bereits jetzt ist Englisch eine der offiziellen Amtssprachen der Europäischen Union – zumindest solange Großbritannien Teil der EU bleibt. Allerdings sollte die englische Sprache, die in den letzten Jahrzehnten zu einer globalen Lingua franca geworden ist, darüber hinaus einen Status als offizielle EU-Verständigungssprache erhalten.

In der Folge sollten künftig alle EU-Länder verspflichtet werden, in allen Klassenstufen Englisch zu einem Pflichtfach zu machen und Schüler im Regelfall in mindestens 20% ihrer Schulzeit in oder auf Englisch zu unterrichten.
Außerdem sollten alle wichtigen Dokumente der nationalen und darunterliegenden Ebenen nicht mehr nur in den jeweiligen Landessprachen, sondern künftig auch in dieser offiziellen EU-Verständigungssprach publiziert werden. So hätte jeder die Möglichkeit, z.B. finnische Gesetze, griechische Statistiken oder rumänische Fortschrittsberichte wenigstens auf Englisch lesen zu können.
Daneben sollte es ermöglicht werden, Anfragen oder Anträge bei Behörden uneingeschränkt auf Englisch stellen zu können. Vorstellbar wäre auch die Entwicklung eines EU-weit vereinheitlichten englischen Behördenvokabulars, um die Kommunikation mit oder zwischen Behörden unterschiedlicher Sprachräume in Europa zu erleichtern.

Insgesamt wäre der Ausbau des Englischen von einer normalen EU-Amtssprache zur offiziellen EU-Verständigungssprache ein großer Schritt, um das Zusammenwachsen Europas zu befördern.

Wie die Sprachenliste der EU künftig aussehen würde

Offizielle EU-Verständigungssprache: Englisch

Offizielle Amts- und Arbeitssprachen der EU: Die übrigen 23 Amtssprachen

Offizielle Sprachen der Europäischen Union: Alle anerkannten Landes- und Regionalsprachen

In Vielfalt geeint

Durch eine solche Weiterentwicklung der EU-Sprachpolitik, würde die kulturelle Diversität bewahrt und das europäische Miteinander gestärkt. Eine solche Reform wäre deshalb eine Chance, damit Europa ganz im Sinne des Europamottos künftig auch in sprachlicher Vielfalt geeint ist.


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]]>
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Eine Neuausrichtung der europäischen Entwicklungs-, Migrations- und Asylpolitik http://www.mister-ede.de/politik/eu-entwicklung-migration-asyl/5437 http://www.mister-ede.de/politik/eu-entwicklung-migration-asyl/5437#comments Thu, 29 Sep 2016 10:23:30 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5437 Weiterlesen ]]> Die sich verändernde Welt macht auch vor Europa keinen Halt. Klimawandel, Kriege, Bürgerkriege, Terrorismus und die wachsende globale Ungleichheit, zu der auch die europäische Wirtschaftspolitik beiträgt, vertreiben immer mehr Menschen aus ihrer Heimat. Hunderttausende begeben sich deshalb in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa auf einen teuren und oftmals tödlichen Weg.
Währenddessen stehen die Europäer dieser Entwicklung eher passiv beobachtend als aktiv gestaltend gegenüber. So wurden europaweit Abschottung und das Schließen der Grenzen, z.B. zwischen Österreich und Ungarn, im nationalen Kleinklein zur favorisierten Lösung für diese globale Herausforderung.
Im Gegeneinander und mit punktuellen Maßnahmen, wie Grenzschließungen oder kleinen Kontingenten für die Aufnahme von Schutzsuchenden, werden die EU-Länder diese Herausforderung allerdings nicht meistern können. Anstelle von Tunnelblick und Kleinstaaterei braucht es daher einen breiten Ansatz und ein gemeinsames Handeln.

Die europäische Wirtschafts- und Handelspolitik

Gerade in Bezug auf den afrikanischen Kontinent steht Europa oftmals nicht nur am Ende von Flucht und Migration, sondern mit Blick auf die Gründe und Ursachen auch schon am Anfang. Doch was nutzt es Europa, wenn deutsche Großschlachter ein paar Euro mehr verdienen und dafür die kleinbäuerliche Struktur in afrikanischen Ländern zerstört wird?
Die EU und andere europäische Länder, z.B. die Schweiz, müssen daher ihre Wirtschafts- und Handelspolitik auf den Prüfstand stellen. Statt maximalem Freihandel und radikaler Marktöffnungspolitik, sollten künftig Aufbaupartnerschaften vereinbart werden, um einen behutsamen Wandel in wirtschaftlich schwach entwickelten Ländern zu ermöglichen und die dortigen Volkswirtschaften zu stärken. Insbesondere die aktuellen Verhandlungen zu Wirtschaftspartnerschaften mit Entwicklungsländern (EPA) sollten deshalb konsequent neu und auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Möglich wäre auch, in diesem Rahmen die Frage nach den Kosten des Klimawandels und einer Entschädigung durch die Industrieländer zu behandeln.

Entwicklungszusammenarbeit

Neben einer fairen Handelspolitik, die schwächere Volkswirtschaften nicht ausbeutet, sondern stärkt, braucht es Instrumente, die es den Europäern erlauben, die Lebensverhältnisse der Menschen außerhalb Europas aktiv zu verbessern und mittel- bis langfristige Perspektiven zu schaffen.
Um die europäische Entwicklungszusammenarbeit effektiver zu gestalten, sollten die Maßnahmen der einzelnen EU-Länder gebündelt werden. Hierzu könnte die bereits existierende Generaldirektion der EU für Entwicklung und Zusammenarbeit zu einer EU-Agentur weiterentwickelt werden, welche nicht nur die nationale Entwicklungszusammenarbeit koordiniert, sondern in größerem Umfang auch in eigener Verantwortung gemeinsame EU-Projekte auf den Weg bringt.
Inhaltlich muss dabei allerdings noch mehr als bisher der Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe im Vordergrund stehen, um z.B. die Selbstversorgung der Bevölkerung zu ermöglichen. Außerdem muss die Entwicklungszusammenarbeit künftig neben der Ökonomie noch stärker die Entwicklung von Gesellschaft und Staat in Bezug auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorantreiben, z.B. durch Hilfen bei der Einrichtung sozialer Sicherungssysteme oder Unterstützung bei der Korruptions- oder Terrorbekämpfung.

EU-Migrations- und Asylsystem

Auch das konsequente Nebeneinander der verschiedenen nationalen und internationalen Regelungen zum Schutz verfolgter und vertriebener Personen, z.B. nach der Genfer Flüchtlingskonvention, zum Schutz aus humanitären Gründen und Regelungen zur Arbeitsmigration und sonstigen freiwilligen Migration hat sich mittlerweile als untauglich erwiesen. Statt einer Vielzahl paralleler Systeme, sollte hier im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit in der EU auf eine Einwanderungs-, Flüchtlings- und Asylpolitik aus einem Guss gesetzt werden.
Den institutionellen Rahmen könnte hierbei eine EU-Migrations- und Asylbehörde bilden, die außerhalb der EU eng abgestimmt mit einem neugeschaffenem EU-Flüchtlingshilfswerk arbeitet, das seinerseits durch die oben angeführte europäisch koordinierte Entwicklungszusammenarbeit unterstützt wird. Auf einer solchen EU-Migrations- und Asylbehörde aufbauend, könnten dann einheitliche Verfahren eingerichtet werden, die für Schutzsuchende und Migranten auch schon in EU-Nachbarländern oder Herkunftsländern zugänglich sind. Solche ordentlichen und rechtsstaatlichen Verfahren wären ein wichtiger Bestandteil, um die heutige irreguläre und unkontrollierte Einreise künftig durch eine geregelte Migration zu ersetzen.

Skizze eines EU-Migrations- und Asylsystem (www.mister-ede.de – 29.09.2016)

Grenzsicherung

Zusätzlich zu einem System der regulären Einreise für Schutzsuchende und Arbeitsmigranten müssen die Außengrenzen aber auch gegen irreguläre Grenzübertritte geschützt werden. Selbst wenn es reguläre Wege gibt, wird es auch weiterhin Personen geben, die wegen fehlender Einreiseberechtigung abgewiesen werden müssen.
Hierzu sollten vornehmlich Rückführungsabkommen, wie sie u.a. im EU-Türkei-Abkommen vom Frühjahr vereinbart wurden, konsequent weiter ausgebaut werden. In Kooperation mit den EU-Nachbarländern kann so die Ordnung an den Grenzen in humanitär vertretbarer Weise und mit verhältnismäßig geringem Aufwand wiederhergestellt bzw. aufrechterhalten werden. Auf die aktuelle Hauptroute von Libyen über das Mittelmeer kann dies so aber nicht angewendet werden, weshalb hier UN-Camps, z.B. im angrenzenden Ägypten oder Tunesien, ein Ansatzpunkt sein könnten, um nicht schutzberechtigte Personen, die von Libyen aus in die EU einreisen, wieder zurückzuführen. Ob so etwas tatsächlich ethisch vertretbar und im Einklang mit geltendem Recht gestaltbar ist, müsste aber zunächst eingehender geprüft werden. Wenn in solchen Camps ein vollwertiger Zugang zu einem wie oben beschriebenen EU-Migrations- und Asylsystem besteht, wäre das aber sicher schon ein guter Schritt in diese Richtung.


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Skizze eines EU-Migrations- und Asylsystem http://www.mister-ede.de/politik/eu-migrations-und-asylsystem/5405 http://www.mister-ede.de/politik/eu-migrations-und-asylsystem/5405#comments Thu, 29 Sep 2016 10:17:33 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5405 Weiterlesen ]]> Das nachfolgend dargestellte EU-Migrations- und Asylsystem beruht auf einer verstärkten Zusammenarbeit innerhalb der EU durch die Länder Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande, Belgien, Österreich, Portugal, Griechenland, Finnland, Slowenien, Luxemburg, Estland und Malta. Hierbei handelt es sich um EU-Länder, die sowohl Mitglied in der Eurozone sind als auch das Schengener-Abkommen uneingeschränkt anwenden und je Einwohner mindestens 50% der durchschnittlichen Wirtschaftsleistung der Eurozone besitzen.
Die Euro-Länder Lettland, Litauen und die Slowakei würden bei diesem Konzept wegen zu niedrigem BIP herausfallen und Irland und Zypern, weil sie Schengen nicht anwenden. Natürlich sind aber auch andere Zusammensetzungen möglich, sodass z.B. Schweden, das noch kein Euro-Land ist, in die verstärkte Zusammenarbeit einbezogen werden kann oder auch mit den Nicht-EU-Ländern Schweiz, Island und Norwegen kooperiert werden könnte.

Dublin-Abkommen oder gemeinsames Asylsystem

Das Dublin-System sieht die Verantwortung für einen Schutzsuchenden bislang bei demjenigen Land, in dem die betreffende Person zuerst den Boden der EU betritt. Indirekt unterstellt das Dublin-Abkommen damit, dass ein einzelnes EU-Mitglied Einfluss auf die Zahl der in das Land reisenden Schutzsuchenden hat und deshalb für sie zuständig ist.
Hingegen fußt das hier beschriebene Asylverfahren auf der Überzeugung, dass Verfolgung oder Vertreibung außerhalb der EU eine humanitäre Gesamtverantwortung der EU auslösen. Nachdem ein einzelnes EU-Land durch die Bindung an die Genfer Flüchtlingskonvention nur einen begrenzten Einfluss auf die Zahl der ins Land kommenden Flüchtlinge hat, sieht das EU-Migrations- und Asylsystem entsprechend einen echten gemeinsamen Flüchtlingsschutz vor, der nach den Fähigkeiten der einzelnen Länder von der Gesamtheit der beteiligten Länder getragen wird.

Politisches Asyl , humanitärer Schutz und Arbeitsmigration

Personen wollen aus vielen verschiedenen Gründen nach Europa, aber stets ist dieser Wunsch von der Hoffnung auf ein besseres Leben für die Kinder, die Eltern, die Familie oder auch sich selbst geprägt. Um dieses legitime Streben des Einzelnen, sein Überleben zu sichern und seine Lebenssituation zu verbessern, mit dem legitimen Anspruch eines Staates auf die Hoheit über sein Staatsgebiet in Einklang zu bringen, soll hier beides in einem menschlich wie rechtlich vertretbaren, chancengerechten, helfenden und fördernden EU-Migrations- und Asylsystem verbunden werden.
Das später noch genauer zu erläuternde gemeinsame Migrations- und Asylverfahren (GMA) richtet seinen Fokus dabei allerdings nicht nur auf einzelne Migrationsgründe, sondern versucht für alle diese juristisch unterschiedlich definierten Gruppen, von Verfolgten und Vertriebenen über diejenigen, die aus humanitären Gründen Schutz benötigen, bis zu jenen, die sich als Arbeiter und Arbeiterinnen auf den Weg nach Europa machen, eine Perspektive zu bieten. Innerhalb dieses Verfahrens bleiben aber weiterhin die individuellen Voraussetzungen einer Person, z.B. das Vorliegen eines Arbeitsvertrages oder das Vortragen von Schutzgründen, Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob eine Einreise in die beteiligten EU-Länder bzw. der dortige Aufenthalt zulässig ist oder nicht.

Außereuropäischer Zugang zu einheitlichem Verfahren

Um die irreguläre, meist teure und oft tödliche Migration einzudämmen, setzt das hier beschriebene EU-Migrations- und Asylsystem auf den Abbau von Anreizen. Deshalb werden sowohl innerhalb der an diesem System beteiligten EU-Länder wie auch außerhalb der EU, z.B. in UN-Flüchtlingscamps, Zugänge zu einem einheitlichen gemeinsamen Migrations- und Asylverfahren (GMA) geschaffen. Sofern die Verfahren zur Gewährung der regulären Einreise bzw. zur Abschiebung bei fehlenden Einreisevoraussetzungen zügig durchgeführt werden, wird die Flucht aus Flüchtlingslagern nach Europa bzw. in ein spezielles EU-Land automatisch unnötig und auch unsinnig.

Um außerhalb der EU Zugänge zu einem solchen gemeinsamen Migrations- und Asylverfahren (GMA) zu schaffen, bedarf es allerdings einer breitflächigen Struktur, die an möglichst vielen verschiedenen Orten gleichzeitig ansetzt, damit ungewollte Dynamiken vermieden werden. Neben einer Einbindung der bereits existierenden Auslandsvertretungen der am EU-Migrations- und Asylsystem beteiligten Länder sollte deshalb auch die Einrichtung eines eigenständigen EU-Flüchtlingshilfswerks in Betracht gezogen werden, das dann ausreichend Kapazitäten zur Betreuung und Verwaltung von Schutzsuchenden außerhalb Europas aufbauen kann.

EU-Flüchtlingshilfswerk

Mit einem EU-Flüchtlingshilfswerk werden unterschiedliche Ziele verfolgt. Unter anderem könnte der UNHCR bei seiner Arbeit personell, finanziell und materiell unterstützt werden, damit in UN-Flüchtlingslagern zumindest eine ausreichende Versorgung gewährleistet und eine Chance auf Bildung für eine Perspektive vor Ort geschaffen werden kann. Daneben könnte ein EU-Flüchtlingshilfswerk Verwaltungsstrukturen aufbauen, um zu prüfen, ob in solchen Lagern Härtefälle vorliegen, die die Einreise einer Person in die EU erforderlich machen. Später könnte dies dann zu einem vollwertigen Zugang zum gemeinsamen Migrations- und Asylverfahren (GMA) ausgebaut werden.
Umgekehrt würde mit dem Aufbau solcher humanitär vertretbarer Flüchtlingslager auch die Grundlage für die Rückführung von Personen aus der EU geschaffen, die irregulär und ohne Schutzanspruch in die EU einreisen bzw. eingereist sind. Entsprechend dürfte ein solches EU-Flüchtlingshilfswerk nicht nur auf eine Perspektive „Europa“ ausgerichtet sein, sondern müsste genauso im Rahmen einer europäischen Entwicklungszusammenarbeit für Lebensgrundlagen vor Ort sorgen. Mit einer Verankerung des Bildungsgedankens in Flüchtlingscamps, einer Vergabe von Minikrediten oder der Förderung einer regionalen Subsistenzwirtschaft zur Versorgung der Bevölkerung und der in solchen Flüchtlingszentren lebenden Schutzsuchenden könnte ein EU-Flüchtlingshilfswerk dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

EU-Migrations- und Asylbehörde

Die EU-Migrations- und Asylbehörde ist im Rahmen des EU-Migrations- und Asylsystems die gemeinsame Behörde der beteiligten EU-Länder. Sie ist für die Bearbeitung der innerhalb dieser Länder und über außereuropäische Zugänge, z.B. bei Botschaften oder in UN-Flüchtlingslagern, eingehenden Migrations- oder Asylanträge zuständig. Diese werden nach einem einheitlichen Migrations- und Asylverfahren (GMA) bearbeitet, egal ob sie in einem Flüchtlingslager in Mali, der französischen Botschaft in Kairo, dem „EU-Hot-Spot“ auf Lesbos oder einer BAMF-Außenstelle in Deutschland gestellt werden.
Hierzu gibt die EU-Migrations- und Asylbehörde vor, welche Daten von den nationalen Behörden oder sonstigen Außenstellen wie erhoben werden sollen und die Sachbearbeiter der gemeinsamen europäischen Behörde bekommen die Möglichkeit, über Videokonferenzen direkt zu Gesprächen mit Antragstellern zugeschaltet zu werden oder auch vor Ort Gespräche durchzuführen. Daneben ist die EU-Migrations- und Asylbehörde auch zur Überwachung der verschiedenen nationalen Behörden und sonstigen Außenstellen berechtigt bzw. zur Verhängung von Geldstrafen, wenn z.B. Migrations- und Asylverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden.

Gemeinsames Migrations- und Asylverfahren (GMA)

Zugang zum gemeinsamen Migrations- und Asylverfahren haben alle Menschen – inklusive EU-Bürgern. Jeder hat die Möglichkeit, bei der EU-Migrations- und Asylbehörde Schutz zu beantragen, wenn er verfolgt oder vertrieben ist oder aus humanitären Gründen diesen Schutz benötigt. Außerdem hat jeder Nicht-EU-Bürger die Möglichkeit, über die EU-Migrations- und Asylbehörde ein Arbeitsvisum für jene Länder des EU-Migrations- und Asylsystem zu beantragen, die Arbeitsmigration zulassen.

GMA: Umgang mit Verfolgten und Vertriebenen

Wer verfolgt ist oder vertrieben wird, also nicht „nur“ in einer schlechten Situation lebt, sondern von seinem Staat diskriminiert oder gejagt oder von diesem zumindest nicht vor solcher Verfolgung oder Vertreibung geschützt wird, bekommt einen vollständigen Schutzanspruch. Er oder sie darf sich nach der Anerkennung als Verfolgter oder Vertriebener in einem beliebigen, am gemeinsamen Migrations- und Asylverfahren (GMA) beteiligten EU-Land niederlassen und wird dort wie ein EU-Ausländer behandelt. Darüber hinaus erhält er oder sie die notwendige Unterstützung, z.B. bei der Eingliederung oder beim Familiennachzug. Wer als Verfolgter oder Vertriebener anerkannt ist, verliert seine Aufenthaltsstatus für sich oder seine Familie auch dann nicht, wenn die Fluchtgründe im Heimatland beseitigt sind. Wenn hingegen in einem solchen Fall eine Rückkehr gewünscht ist, wird er oder sie bei der Rückkehr unterstützt. Anders ausgedrückt: Einem vor dem Holocaust aus Deutschland geflohenen Juden kann man zwar Unterstützung bei einer Rückkehr nach Deutschland anbieten, ihn zur Rückkehr zu zwingen, wäre hingegen zynisch.

Solange die Verfolgung oder Vertreibung besteht, werden demjenigen Land, das diese Fluchtgründe verursacht oder duldet, pro Schutzsuchendem und angefangenem Jahr von der EU-Migrations- und Asylbehörde Kosten in Höhe von 100.000 Euro in Rechnung gestellt. Wenn also 10.000 Schutzsuchende aus einem Balkanland wegen dortiger Diskriminierung und politischer Verfolgung in der EU leben müssen, hat das betreffende Land dafür einen jährlichen Unkostenbeitrag in Höhe von 1 Mrd. Euro zu entrichten, der dann z.B. mit gewährten Finanzhilfen verrechnet werden kann.

GMA: Umgang mit Arbeitsmigranten

Der Status als Arbeitsmigrant ist nur für Nicht-EU-Ausländer möglich und berechtigt diese zum Aufenthalt in einem einzelnen am gemeinsamen Migrations- und Asylverfahren (GMA) beteiligten EU-Land, um dort zu arbeiten. Dieser Status berechtigt nicht zum Aufenthalt in anderen EU-Ländern, nicht zum Familiennachzug und nicht zum Bezug von Sozialleistungen für andere Personen, wie z.B. Kindergeld. Ansonsten sind Arbeitsmigranten EU-Bürgern gleichgestellt, z.B. beim Wahlrecht auf kommunaler Ebene oder bei den Grundrechten.
Für den Status als Arbeitsmigrant ist das Vorliegen eines Arbeitsvertrages bzw. ein nicht länger als dreimonatiges Zurückliegen einer Beschäftigung zwingend genauso wie die Registrierung in einem einzurichtenden Zentralregister bei der EU-Migrations- und Asylbehörde. In einem solchen Zentralregister können dann z.B. Ausnahmen für einzelne Arbeitsmigranten festgehalten werden, um beispielsweise den Aufenthalt in anderen EU-Ländern zu ermöglichen. Entfallen die Voraussetzungen für den Status als Arbeitsmigrant, ist jenes Land für die Abmeldung aus dem Zentralregister und eine funktionierende Ausreise zuständig, in dem der letzte Arbeitgeber des Arbeitsmigranten sitzt.

Innerhalb dieses Rahmens entscheiden allerdings die einzelnen am EU-Migrations- und Asylsystem beteiligten Länder selbst, ob und in welchem Umfang sie Arbeitsmigration zulassen. Auch können für Arbeitsmigranten günstigere Bedingungen festgelegt werden, wie z.B. die Möglichkeit des Familiennachzugs bei Fachkräften oder Personen, die sich über einen längeren Zeitraum bewährt haben.

GMA: Umgang mit Personen mit einem Schutzanspruch aus humanitären Gründen

Auch wenn keine politische Verfolgung vorliegt, darf eine Person nicht in ein Kriegs- oder Krisengebiet zurückgeschickt werden, weil ein Leben dort schlicht unzumutbar ist. Dies regelt schon die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Genfer Flüchtlingskonvention erlaubt allerdings bereits bei Verfolgten und Vertriebenen den Schutzanspruche nur insoweit einzuräumen, bis jemand in einem für sich sicheren Gebiet angekommen ist. Hierauf zielt z.B. das EU-Türkei-Abkommen, das Rückführungen vorsieht, sofern der Flüchtlingsschutz in der Türkei gewährleistet ist. Entsprechend kann aber der Schutzanspruch aus humanitären Gründen unter dieser Bedingung ebenfalls eingeschränkt werden.
Gelingt es also, die EU-Nachbarländer oder den UNHCR in den Herkunftsländern von Schutzsuchenden mit einem EU-Flüchtlingshilfswerk soweit zu unterstützen, dass Menschen dort sicher sind und ordentlich versorgt werden können, wäre es möglich, den Schutzanspruch aus humanitären Gründen regelmäßig schon dort zu erfüllen. Um dabei der europäischen Verantwortung gerecht zu werden, muss dies aber auf der einen Seite mit echten Bildungs- und Perspektivangeboten vor Ort und auf der anderen Seite mit regulären Wegen nach Europa z.B. für Härtefälle oder zur Ausbildung verknüpft werden. Der notwendige medizinische Eingriff in einer modernen europäischen Klinik muss genauso möglich sein wie der Abschluss eines begonnenen Studiums, das durch einen Krieg unterbrochen wurde. Auch die erstmalige Aufnahme eines Studiums oder einer schulischen Ausbildung in Europa sollte im Rahmen von Stipendien ermöglicht werden, um gerade für junge Menschen eine wirkliche Perspektive zu schaffen. Dies könnte z.B. mit einer gezielten Einbindung von Kommunen in den beteiligten EU-Ländern verbunden werden, die auf freiwilliger Basis gegen eine Entschädigung solche Personen für diese Zeiträume aufnehmen.
Daneben können Personen mit einem Schutzanspruch aus humanitären Gründen natürlich auch gezielt hinsichtlich der Möglichkeiten der Arbeitsmigration beraten oder durch sprachliche oder berufliche Qualifikation hierauf vorbereitet werden.

Kostenverteilung für das EU-Migrations- und Asylsystem

Die Aufwendungen der EU-Migrations- und Asylbehörde im Zusammenhang mit der Arbeitsmigration werden gesondert erfasst und über Gebühren von jenen Arbeitgebern getragen, die Arbeitsmigranten einstellen.
Die restlichen Aufwendungen der EU-Migrations- und Asylbehörde sowie die in den beteiligten Ländern anfallenden Kosten für die Aufnahme von Verfolgten und Vertriebenen oder Personen, denen aus humanitären Gründen ein Aufenthalt in Europa, z.B. für einen medizinischen Eingriff oder für ein Studium, gestattet wird, werden gemeinsam getragen. Dies trifft genauso auf die Kosten für das EU-Flüchtlingshilfswerk zu.
Die berechneten Gesamtkosten werden dann auf die am EU-Migrations- und Asylsystem beteiligten Länder aufgeteilt, z.B. nach nachfolgendem Schlüssel: Deutschland (38%), Frankreich (19%), Italien (13%), Spanien (8%), die Niederlande (6,5%), Belgien (4%), Österreich (4%), Portugal (2%), Griechenland (2%), Finnland (2%), Slowenien (0,4%), Luxemburg (0,7%), Estland (0,3%) und Malta (0,1%).

Altfallregelung für Gedudelte

Im Wesentlichen ist das EU-Migrations- und Asylsystem auf den künftigen Umgang mit Asylsuchenden und Arbeitsmigranten ausgerichtet. Allerdings stellt sich in allen EU-Ländern, die an diesem gemeinsamen System beteiligt sind, auch die Frage nach einem Umgang mit Altfällen.
Bereits jetzt halten sich zahlreiche Personen unberechtigt z.B. in Deutschland auf, die nicht ausgewiesen werden können. Nachdem künftig Abschiebungen im Rahmen des EU-Migrations- und Asylsystem möglich würden, sollten auf nationaler Ebene Regelungen getroffen werden, inwiefern von dieser Möglichkeit dann auch Gebrauch gemacht werden soll oder eben nicht.
Eine sinnvolle Zielsetzung wäre dabei, jenen Geduldeten, die gut integriert sind, eine dauerhafte legale Bleibeperspektive zu eröffnen und umgekehrt jenen Geduldeten, die sich in unserer Gesellschaft nicht so gut zurechtfinden, z.B. in den letzten Jahren öfters straffällig wurden, einen Aufenthalt in der Nähe ihrer Heimatgesellschaften zu ermöglichen. Mit einer solchen Altfallregelung reduzieren die am EU-Migrations- und Asylsystem beteiligten Länder nicht nur bestehende Lasten z.B. im Justizsystem, sondern aktivieren auch die ungenutzten Potentiale vieler Geduldeter, die durch ihren Status bislang von der Teilhabe an der hiesigen Gesellschaft, z.B. vom Arbeitsmarkt, ausgeschlossen sind.


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Ein Ministerium für Integration, Gleichstellung und Inklusion http://www.mister-ede.de/politik/integration-gleichst-inklusion/5366 http://www.mister-ede.de/politik/integration-gleichst-inklusion/5366#comments Fri, 16 Sep 2016 11:08:20 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5366 Weiterlesen ]]> Vor einigen Monaten hatte ich schon einmal für ein neues Ministerium geworben, ein Ministerium für Migration und Integration. Denkbare wäre allerdings auch eine Kombination der Bereiche Integration, Gleichstellung und Inklusion entlang der Frage, wie einem Individuum, vom alleinerziehenden Vater über den ankommenden Flüchtling bis zum blinden Abiturienten, die bestmögliche Chance auf Teilhabe an der Gesellschaft geboten werden kann. Frauen dürfen im Job nicht mehr an eine gläserne Decke stoßen, Personen mit ausländischen Namen auf der Suche nach einer Wohnung nicht mehr vor gläserne Mauern laufen oder Rollstuhlfahrer nicht mehr vor Treppen verzweifeln.

Anstatt diese drei Themenbereiche weiterhin gänzlich getrennt voneinander von verschiedenen Beauftragten bearbeiten zu lassen, sollte deshalb über eine Bündelung in einem vollwertigen Ministerium nachgedacht werden. Gelingt es effektive Gegenmaßnahmen zu entwickeln, um den unbewussten Ausschluss oder die bewusste Ausgrenzung von Personen aus der Gesellschaft zu reduzieren, hilft das sowohl der Integration als auch der Gleichstellung oder der Inklusion.
Ein weiterer Vorteil eines solchen Ministeriums wäre es, dass diese Querschnittsthemen nicht als Beiwerk einzelner Ministerien untergehen. Inklusion ist z.B. keine Frage von Schule und Bildung alleine, sondern muss genauso auf Fragen des Wohnens oder Arbeitens ausgedehnt betrachtet werden. Auch die Integration endet nicht mit dem BAMF-Bescheid, sondern fängt dort erst an. Und auch die Gleichstellung hat noch mit etwas mehr als nur der Familie zu tun. Außerdem bekämen diese ganzen Themen mit einem eigenen Ministerium auch einen eigenen Etat und endlich auch eine eigene Stimme am Kabinettstisch.

Insgesamt denke ich, es ist die Kernaufgabe eines Landes, benachteiligten Menschen zu helfen, damit sie ihre Chance auf Teilhabe an der Gesellschaft wahrnehmen können. Dies mit einem eigenen Ministerium zu verdeutlichen, wäre ein klares Signal für mehr Chancengerechtigkeit in Deutschland. Daneben hätte es aber auch zahlreiche organisatorische Vorteile, wenn die Themenbereiche Integration, Gleichstellung und Inklusion in einem solchen Ministerium gebündelt würden.


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