Der künftige Umgang mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten

Nachdem im vergangen Jahr die Flüchtlingszahlen in Deutschland und der EU deutlich angestiegen sind und es eine Wanderungsdynamik von Flüchtlingen unter anderem aus Syrien bis nach Schweden gab, wird aktuell viel über Obergrenzen, Kontingente, Hotspots oder die Sicherung der EU-Außengrenzen diskutiert. Die zentrale Frage aber, die es 2016 zu beantworten gilt, ist eine andere:

Wie wird künftig mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten umgegangen?

Zu beachten ist dabei, dass der Drittstaat das Land bezeichnet, aus dem eine Person in ein anderes einreist, während das Land, aus dem eine Person ursprünglich kommt, das Herkunftsland ist. So kommt z.B. ein Syrer mit Herkunftsland Syrien bei einem Grenzübertritt von der Türkei nach Griechenland aus dem Drittland Türkei und bei einem Grenzübertritt von Österreich nach Deutschland aus dem Drittland Österreich.
Entsprechend steht die Frage nach dem künftigen Umgang mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten unabhängig davon im Raum, ob man, wie es die CSU macht, auf die Binnengrenzen innerhalb der EU schaut oder, wie es SPD und CDU machen, auf die EU-Außengrenzen.

Sowohl das deutsche GG (Art. 16a II) als auch die Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 33 I) verbieten nicht die Zurückweisung von Flüchtlingen, die aus einem sicheren Drittland einreisen wollen. Bereits jetzt ist diese Form der Zurückweisung in vielen Ländern der Welt und auch in EU-Mitgliedsländern lange geübte Praxis, so z.B. an den mit Zäunen gesicherten Grenzen zwischen Marokko und den spanischen Enklaven Melilla und Ceuta oder auch den Landgrenzen zwischen Bulgarien bzw. Griechenland und der Türkei.
Rechtlich ist es also unproblematisch, den Flüchtlingszustrom auf diese Weise zu reduzieren, sofern die jeweiligen Drittländer als sicher gelten. Die medial nicht so viel beachteten Versuche, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten auf europäischer Ebene z.B. durch die Türkei, Marokko, Algerien oder Tunesien zu ergänzen, zielen entsprechend auch genau darauf ab, dort einen sicheren Status auszuweisen.

Allerdings reicht die rechtliche Betrachtung alleine keinesfalls aus, um die Frage, wie mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittländern künftig umgegangen werden soll, vollständig zu beantworten. Denn gerade weil es die Rechtslage zulässt, die legale Einreise z.B. von der Türkei nach Griechenland zu verwehren, steigen ja Hunderttausende in Boote oder schlagen sich nachts durch die Gebüsche, wodurch genau diese Einreiseregeln in der Realität ausgehebelt werden. Solange dann aber die Drittländer nicht zu einer Rücknahme der illegal eingereisten Personen bereit sind, nutzt in diesen Fällen auch deren vorherige Einstufung als sicher wenig.
Bei der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten gehört daher zur Wahrheit dazu, dass die EU zwar einseitig diesen Status ändern kann, für eine wirksame Umsetzung der daran anknüpfenden Rechtsfolgen aber stets auf die Kooperation der jeweiligen Nachbarländer, z.B. in Form von Rückführungsabkommen, angewiesen bleiben wird. Doch selbst wenn sich die Nachbarländer der EU kooperativ zeigen, bleibt es immer noch schwierig, z.B. auf dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge eindeutig einem Land zuzuordnen. Hinzu kommt, dass mit Libyen zumindest einer der nordafrikanischen Mittelmeeranrainer definitiv als nicht sicher einzustufen ist.

Ähnlich ist die Problemlage an den Binnengrenzen der EU, wodurch die Parallelen auch noch einmal sichtbar werden. So hätte eine Entscheidung Deutschlands, die offiziellen Grenzen zu Österreich für Schutzsuchende zu schließen, mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein solches Ausweichverhalten der Flüchtlinge hin zur grünen Grenze zur Folge.
Und obwohl Rückführungen in der EU durch das Dublin-System bereits rechtlich verankert sind, so stellen auch diese immer wieder ein Problem dar, weil z.B. manche Flüchtlinge zuvor in keinem anderen Land registriert wurden oder die Zustände in anderen EU-Mitgliedsstaaten nach deutschem Recht eine Rückführung schlicht ausschließen.

Stellt man sich dennoch für einen Moment vor, dass die Umsetzung des rechtlich Zulässigen auch real möglich ist, bleibt noch immer die entscheidende Frage, ob die Zurückweisung von Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten auch ethisch vertretbar wäre. So ist in Bezug auf die deutschen EU-Binnengrenzen zwar der Hinweis richtig, dass z.B. auch in Österreich eine anständige Versorgung von Flüchtlingen gewährleistet wird, jedoch lässt dies außer Acht, dass eine solche teilweise Grenzschließung eine Kettenwirkung zur Folge hätte, welche die Lasten der Flüchtlingsversorgung auf den Balkan und nach Italien oder Griechenland verschieben würde. Gerade vor dem Hintergrund, dass immer wieder gefordert wird, Deutschland solle mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, stellt sich deshalb die Frage, ob ein solches Kopf in den Sand stecken wirklich eine angemessene Reaktion für das größte Mitgliedsland der EU wäre.
Noch stärker drängt sich diese Frage allerdings in Bezug auf die EU-Außengrenzen auf. Was hätte es noch mit europäischen Werten zu tun, wenn Europa in dieser Krise einfach die Zugbrücken hochklappt und sich hinter Frontex und Co. verschanzt?
Wenn die EU künftig einen Großteil der EU-Nachbarschafft als sichere Herkunftsländer und damit auch als sichere Drittländer einstufen und Schutzsuchende abweisen oder zurückführen will, wird dies aus meiner Sicht daher nur dann ethisch vertretbar sein, wenn die EU gleichzeitig auf anderem Wege ihrer Verantwortung für die Flüchtlinge gerecht wird. Einige Milliarden Euro an Erdogan und die Türkei werden hierfür aber sicher nicht reichen. Anstatt die Flüchtlingsversorgung alleine den dortigen Behörden zu überlassen, müsste die EU zumindest eine Mitverantwortung für die ordentliche Versorgung der Schutzsuchenden in diesen künftig sicheren Ländern übernehmen. Ein EU-Flüchtlingskommissar mit gut ausgestattetem EU-Flüchtlingshilfswerk wäre hier beispielsweise ein denkbarer Ansatz. Desweiteren müsste es aber auch große Kontingente zur Aufnahme von Flüchtlingen geben, um damit die restriktiven Einreisebestimmungen ein wenig auszugleichen.

Bleibt hingegen die Frage, wie mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten umgegangen wird, weiterhin einfach unbeantwortet im Raum stehen, werden auch künftig Flüchtlinge versuchen, illegal aus der Türkei nach Griechenland und von dort unter anderem nach Deutschland zu reisen, um Asyl oder humanitären Schutz zu suchen. Wenn also die Zahl der nach Europa und Deutschland kommenden Flüchtlinge 2016 reduziert werden soll, wird man nicht umhin kommen, diese zentrale Frage zu beantworten.

Anmerkung: Text überarbeitet am 29.01.2016, um Drittstaaten und Herkunftsstaaten korrekt zu unterscheiden.


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