Flüchtlingspolitik: Der Unterschied zwischen Kontingenten und Obergrenzen

Im Fokus der Asyldebatte stehen aktuell mit „Kontingenten“ und „Obergrenzen“ zwei grundverschiedene Konzepte, die allerdings häufig in einen Topf geworfen werden. So titelte gestern z.B. tagesschau.de „Die Obergrenze heißt jetzt Kontingent“ und auch der dazugehörige Artikel vermittelte den Eindruck, als würden sich beide Ansätze nur durch den Namen unterscheiden [1]. Um deshalb etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen, stellt dieser Artikel zunächst beide Konzepte dar und im Anschluss kurz gegenüber.

Obergrenzen:

Geht es nach der bayerischen CSU, dann wird künftig eine Obergrenze eingeführt, die festlegt, wie viele Flüchtlinge in einem gewissen Zeitraum nach Deutschland einreisen dürfen, also z.B. 500.000 Flüchtlinge pro Jahr.

Eine solche Regelung wäre jedoch kaum mit Art. 16a GG und der Genfer Flüchtlingskonvention zu vereinbaren, denn beide Vorschriften stellen auf einen individuellen Schutzanspruch ab. Das heißt, dass es bei der Frage der Schutzgewährung nicht auf äußere Umstände ankommen darf, sondern nur darauf, ob eine Person die Voraussetzungen für einen Schutzanspruch erfüllt, z.B. eine Verfolgung vorliegt oder die Einreise nicht aus einem sicheren Drittland erfolgt. Lediglich bei einer objektiven Gefahr für die Existenz des Staates bzw. für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann von dieser Maßgabe abgewichen werden. Allerdings dürfte es ebenfalls unzulässig sein, für einen solchen Fall unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten allgemein und schon im Voraus einen Grenzwert festzulegen.
Außerdem führt eine solche Obergrenze, wenn sie denn funktionieren soll, unweigerlich zu einem Bruch des Schengen-Abkommens, weil Deutschland, sobald die festgelegte Höchstzahl erreicht ist, seine Grenzen komplett schließen und jeden Einreisenden kontrollieren müsste. Daneben stellt sich aber auch die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit einer solchen Beschränkung, vor allem mit Blick auf ein mögliches Ausweichen auf die grüne Grenze. Ob dann Soldaten mit Gewehr im Anschlag die illegalen Eindringlinge – also unbewaffnete und unschuldige Flüchtlinge – am Grenzübertritt hindern sollen, hat die CSU bislang nämlich noch nicht erklärt.

Kontingente:

Geht es nach Angela Merkel, SPD, Grünen und auch Menschenrechtsorganisationen, werden künftig Kontingente eingeführt, um legale und vor allem sichere Wege für Flüchtlinge nach Deutschland zu eröffnen. Bereits in Krisenländern bzw. in Flüchtlingslagern vor Ort sollen Flüchtlinge die Möglichkeit haben, über dieses Instrument ihren Schutzanspruch geltend zu machen und dann z.B. aus der Türkei per Flugzeug direkt nach Deutschland zu reisen. Auf diese Weise sollen dann die EU-Außengrenzen, die Balkanländer und damit am Ende auch die deutsch-österreichische Grenze entlastet werden und geordnete Verfahren entstehen.

Sowohl das Recht auf Asyl als auch die Genfer Flüchtlingskonvention würden durch eine solche Regelung unberührt bleiben, weil es sich bei diesen Kontingenten nicht um einen Ersatz für diese Schutzrechte handelt, sondern um ein zusätzliches Aufnahmeangebot Deutschlands. Genau deshalb kann Deutschland im Rahmen solcher Kontingente dann aber auch einseitig eine Obergrenze festlegen oder weitere Vorgaben machen, z.B. im Bezug auf die Nationalität oder im Hinblick darauf, ob Familien, Waisenkinder, Menschen mit Behinderung oder Opfer von Gewalttaten innerhalb dieser Kontingente bevorzugt behandelt werden sollen.
Außerdem sind Grenzschließungen bei diesem Ansatz nicht notwendig, weil ein erschöpftes Kontingent lediglich zu einem Aufnahmestopp über den Weg der Kontingente führt, nicht jedoch zu einem Ende der Aufnahme im Rahmen des grundgesetzlichen Asylschutzes oder der Genfer Flüchtlingskonvention.

Gegenüberstellung:

Der wesentlichste Unterschied beider Konzepte ist, dass Kontingente neue Zugangswege für Flüchtlinge schaffen, während mit einer Obergrenze die vorhandenen Wege zur Schutzsuche eingeschränkt werden. Entsprechend setzen die Kontingente mit der Schaffung legaler Fluchtmöglichkeiten am Anfang der Fluchtkette an, wohingegen eine Obergrenze mit dem Ziel einer Abschottung Deutschlands am Ende dieser Fluchtkette ansetzt.
Im Gegensatz zu Kontingenten ist eine Obergrenze allerdings kaum mit Art. 16a GG und der Genfer Flüchtlingskonvention zu vereinbaren und führt zu weiteren rechtlichen und praktischen Problemen, sobald es tatsächlich zu Grenzschließungen kommen müsste.


Ähnliche Artikel:
Flüchtlingspolitik: Ein Anfang ist gemacht, doch es bleibt ein weiter Weg (www.mister-ede.de – 22.09.2015)

Gedanken zu einer Europäisierung der Asylpolitik in der EU (www.mister-ede.de – 25.08.2015)


[1] Artikel auf Tagesschau.de vom 22.11.2015 (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

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