mister-ede.de » Erklärungen https://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Video: Saisonalität beim Coronavirus (in Deutschland) https://www.mister-ede.de/natur/saisonalitaet-coronavirus/9216 https://www.mister-ede.de/natur/saisonalitaet-coronavirus/9216#comments Wed, 02 Jun 2021 21:39:30 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=9216 Weiterlesen ]]> Was bedeutet Saisonalität? Welche Rolle spielt sie beim Coronavirus? Und warum sollte man bei Prozentangaben immer nach der Bezugsgröße fragen? In einem kurzen Video versuche ich das anschaulich für Deutschland darzustellen:


Das Video kann hier heruntergeladen werden:
http://www.mister-ede.de/video/saisonalitaet.mp4


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Coronavirus: Abschätzung der Testquote mittels Modellierung der tatsächlichen Infektionskurve https://www.mister-ede.de/natur/coronavirus-infektionskurve/9052 https://www.mister-ede.de/natur/coronavirus-infektionskurve/9052#comments Wed, 06 May 2020 13:12:00 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=9052 Weiterlesen ]]> Der nachfolgende Beitrag erläutert einen Ansatz zur Abschätzung der Testquote. Diese sagt aus, wie hoch der Anteil der Corona-Infizierten ist, die positiv auf eine Infektion mit dem Coronavirus getestet werden. Während allerdings die Zahl der täglichen positiven Befunde bekannt ist – sie wird vom Robert-Koch-Institut (RKI) regelmäßig veröffentlicht – liegt der Nenner, die Gesamtzahl der Infizierten, im Dunkeln. Um diese Dunkelziffer abzuschätzen, wird nachfolgend eine Kurve der tatsächlichen täglichen Neuinfektion aus den Daten des Robert-Koch-Instituts heraus mit Stand 6.5.2020 modelliert.

Dem Modellierungsansatz liegt dabei die Annahme zugrunde, dass im Verlauf der Epidemie bei einem konstanten Anteil der Infizierten eine Erkrankung diagnostiziert wird. Eine solche konstante Diagnoserate dürfte jedoch nicht der Realität entsprechen, weil sich zum einen das Verhalten der Menschen im Verlauf der Epidemie vermutlich geändert hat, der Arzt wird also häufiger oder vielleicht umgekehrt auch seltener aufgesucht, und zum anderen weil inzwischen durch angeordnete Reihenuntersuchungen zusätzliche Erkrankte gefunden werden, die wegen schwacher Symptome von sich aus nie zu einem Arzt gegangen wären. Dies wird hier aber vernachlässigt.

Zur Abschätzung der Testquote werden pro Tag zwei RKI-Daten verwendet, zum einen die Infektionsmeldungen nach Meldedatum und zum anderen die Erkrankungsmeldungen nach Erkrankungsdatum. Das Meldedatum spiegelt dabei das Datum wieder, an dem ein meldepflichtiger Verdachtsfall vorliegt, bei dem später eine Coronavirus-Infektion bestätigt wurde. Das Erkrankungsdatum spiegelt hingegen jenen Zeitpunkt wieder, an dem aufgrund von Symptomen eine Erkrankung an COVID-19 festgestellt werden konnte. Somit liegen beispielsweise für den 9. April die Zahl der an diesem Tag neuen und später positiv auf das SARS-CoV-2 getesteten Verdachtsfälle vor (4.923) sowie die Zahl derjenigen, die an diesem Tag erste Symptome einer COVID-19-Erkrankung verspürt haben (1.683).

Modellierung der Kurve der tatsächlichen täglichen Neuinfektionen:

Um die Daten des RKI für die Abschätzung der Testquote von Tages- und Wochenendeffekten zu bereinigen, wird jeweils der 7-Tages-Schnitt der Infektionsmeldungen (grüne Kurve) und der 7-Tages-Schnitt der Erkrankungsmeldungen (gelbe Kurve) verwendet. Weil es bei den jüngeren Daten noch eine gewisse Unsicherheit gibt, die auf verzögerter Übermittlung bzw. erst später festgestellten Erkrankungen beruhen, werden die Meldedaten hier nur bis zum 1.5.2020 und die diagnostizierten Erkrankungen nur bis zum 16.4.2020 ausgewiesen. Unter den zuvor getroffenen Annahmen kann dann zunächst eine Kurve der tatsächlichen täglichen Neuinfektionen modelliert werden, indem die Parameter Inkubationszeit und Anteil der Erkrankungen unterschiedlich gesetzt werden.

Bei einer Diagnoserate von 5% und einer Inkubationszeit von 4 Tagen ist die modellierte Kurve der tatsächlichen Neuinfektion 20-mal höher und verläuft 4 Tage vor der Kurve der Erkrankungsmeldungen. Bei einer Diagnoserate von 20% und 6-tägiger Inkubationszeit ist die Kurve der tatsächlichen Neuinfektion hingegen nur 5-mal höher und verläuft dafür 6 Tage früher.

Deutlich wird, dass die Inkubationszeit keine sonderliche Rolle für die Abschätzung der tatsächlichen Neuinfektionen spielt, sehr wohl jedoch die Frage, wie viele der SARS-CoV-2-Infizierten eine positive COVID-19-Diagnose gestellt bekommen. Es wäre daher sinnvoll, durch eine repräsentative Studie einen näherungsweisen Wert für die aktuelle Diagnoserate in Deutschland insgesamt und den verschiedenen Regionen zu ermitteln. Denn der Vorteil einer Modellierung der tatsächlichen Infektionen anhand der Erkrankungsfälle besteht darin, dass diese zu Beginn einer Epidemie eher korrekt erfasst werden als die Gruppe der symptomlosen Infizierten. Außerdem ist die Zahl der Erkrankungsfälle nicht so stark von der Anzahl der Tests pro Einwohner in einem bestimmten Zeitraum oder einer bestimmten Region abhängig, wie das bei den Infektionsmeldungen der Fall ist.

Abschätzung der Testquote:

Vergleicht man die modellierte Kurve der tatsächlichen Neuinfektionen mit der Entwicklung der bestätigten Corona-Meldungen, kann in etwa abgeschätzt werden, wie viele der Corona-Infizierten über die durchgeführten Corona-Tests gefunden werden. Am Anfang der Epidemie waren das verständlicherweise nur wenige bis sich ab Ende März, Anfang April die beiden Kurven annähern. Um besser abzuschätzen, ob die Testquote zu diesem Zeitpunkt nur 15% – 20% oder doch schon deutlich mehr betragen hat, bräuchte es allerdings einen engeren Korridor für die Diagnoserate als die sehr groben 5% bis 20%. Schlussfolgern kann man aber schon aus dieser Modellierung, dass wir in Deutschland zumindest nicht mehr gänzlich im Dunkeln stochern.

Abschätzung der Testquote auf Basis prognostizierter Erkrankungsmeldungen:

Mit einer in Studien ermittelten Diagnoserate lässt sich die Genauigkeit der Kurve erhöhen. Die Aktualität lässt sich hingegen nur mit Hilfe von Prognosen verbessern. Das RKI verwendet hierzu ein eigenes Nowcast-Modell, um die aktuelle Zahl der Erkrankungsmeldungen zu prognostizieren. Diese Zahlen könnten als Basis für eine Modellierung verwendet werden. Für die nachfolgende Modellierung wird allerdings auf einen eigenen Prognose-Ansatz zurückgegriffen, um getroffene Annahmen und Schätzfehler (z.B. bei zusätzlichen Feiertagen) besser überblicken zu können. Während die gelbe Kurve die aktuellen Rohdaten des RKI zur Zahl der Erkrankungen im 7-Tages-Schnitt darstellt, ist die rote Kurve die rudimentär prognostizierte Gesamtzahl der Personen, deren Erkrankungsbeginn für diesen Tag irgendwann diagnostiziert worden sein wird.

Für die anschließende Modellierung der Gesamtzahl der Infizierten werden eine Diagnoserate von 12,5% und eine mittlere Inkubationszeit von 4 Tagen angenommen. Die blaue Kurve der tatsächlichen Infizierten verläuft damit 4 Tage früher und 8-mal höher als die rote Kurve der prognostizierten Erkrankungsmeldungen. Die auf Basis dieser Annahmen und Prognosen modellierte Kurve der täglichen Neuinfektionen würde dann wie folgt aussehen:

Die jeweilige Testquote zu einem bestimmten Zeitpunkt errechnet sich dann als Bruch aus den täglichen Infektionsmeldungen des RKI durch die modellierte Gesamtzahl der tatsächlichen täglichen Neuinfektionen:

Während der Kurvenverlauf bis Mitte April einigermaßen der Realität entsprechen dürfte – danach nehmen die Unsicherheiten durch die Prognose der Erkrankungszahlen erheblich zu – ist die tatsächliche Höhe der Testquote ungewiss. So führen schon kleine Änderungen der angenommen Diagnoserate zu erheblich höheren oder niedrigeren Testquoten. Mit geeigneten Annahmen dürfte dies allerdings ein durchaus probater Ansatz sein, um einen Überblick zu erhalten, wie gut es gelingt, neue Infektionsfälle aufzuspüren.


Text als PDF: Coronavirus: Abschätzung der Testquote mittels Modellierung der tatsächlichen Infektionskurve


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Wieso sich die Reproduktionszahl nicht beliebig weit senken lässt https://www.mister-ede.de/politik/die-reproduktionszahl-senken/9029 https://www.mister-ede.de/politik/die-reproduktionszahl-senken/9029#comments Wed, 29 Apr 2020 14:25:32 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=9029 Weiterlesen ]]> Die Corona-Pandemie hat Deutschland voll im Griff und da ist es natürlich verständlich, dass die allermeisten Menschen auf ein möglichst schnelles Ende dieser Ausnahmesituation hoffen. Und nicht weniger als das verspricht ein Szenario, welches vor Kurzem von Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums präsentiert wurde. Ihr Plan ist, die Reproduktionszahl für einige Wochen auf 0,5 oder niedriger zu senken, sodass nur noch wenige Fälle am Tag auftreten, welche dann durch die Gesundheitsbehörden nachverfolgt werden können. Ausgespart wurde bei der Darstellung dieses Szenarios allerdings die Frage, ob es überhaupt möglich ist, die Reproduktionszahl in einem so weit fortgeschrittenen Stadium der Ausbreitung auf einen so niedrigen Wert zu drücken und wenn ja, mit welchen Maßnahmen und unter welchen Bedingungen das gelingen kann.

Beispiele Taiwan und Südkorea

Häufig werden die beiden Vorzeigeländer Taiwan und Südkorea als Beispiele dafür angeführt, dass die Reproduktionszahl auf ein Niveau von 0,5 oder niedriger gedrückt und die Epidemie auf diese Weise unter Kontrolle gebracht werden kann. Und tatsächlich gibt es keinen ernsthaften Zweifel daran, dass diesen beiden Ländern das bislang gelungen ist. Sehr wohl kann man allerdings anzweifeln, dass die Situationen dort und in Deutschland wirklich miteinander vergleichbar sind.
Taiwan ist eine Insel, also ohne Massen an Grenzpendlern und mit Einreisemöglichkeiten nur an wenigen See- und Flughäfen. Und Südkorea ist zwar nur eine Halbinsel, allerdings hält sich der Grenzverkehr mit Nordkorea bekanntermaßen ebenfalls in überschaubarem Rahmen und ansonsten gilt für Südkorea dasselbe wie für Taiwan. Es gibt damit schon ganz unterschiedliche geografische Voraussetzungen wie in Deutschland. Noch wichtiger ist jedoch, dass beide Länder umgehend mit Gegenmaßnahmen begonnen haben, also noch zu einem Zeitpunkt, als es keine große Dunkelziffer in den Ländern gab. Wer neu einreiste, musste automatisch in Quarantäne. Und die wenigen Infektionsketten, die es schon bis ins Land geschafft hatten, konnten mit einigem Aufwand unterbrochen werden.
Hinzukommt aber noch ein dritter Punkt, nämlich dass die Fallzahlen insgesamt noch niedrig genug waren, um effektiv im Einzelfall vorzugehen. So konnte bei neuentdeckten Infizierten jeweils das komplette Umfeld, also die bisherigen Kontaktpersonen und womöglich auch deren Kontaktpersonen, die Arbeitskollegen oder die Leute im Supermarkt getestet oder vorsorglich in Quarantäne genommen werden. Das sind dann schnell 50, 100 oder 200 Leute bei einem einzigen entdeckten Infizierten. Jetzt kann sich jeder ausrechnen, was das für Deutschland bedeuten würde. Wenn aktuell 10.000 Infizierte pro Woche entdeckt werden, müssten gleich ein paar Hundertausend wenn nicht gar ein paar Millionen Menschen aufgespürt, isoliert und getestet werden – aktuell völlig illusorisch.

Die Dunkelziffer

Während es also in Taiwan und Südkorea gelungen zu sein scheint, das Infektionsgeschehen im eigenen Land klein zu halten und damit ein Anwachsen der Dunkelziffer zu verhindern, gibt es in Deutschland inzwischen zahlreiche unbekannte Infizierte. Damit ist aber nicht mehr nur eine kleine Gruppe von Einreisenden aus dem Ausland potentiell infiziert, sondern jeder Einwohner könnte ein Virusträger und Virusverbreiter sein. Und wie hoch diese Dunkelziffer in Deutschland ist, weiß aktuell niemand. Klar ist jedoch, dass man ganz anders suchen müsste, um diese Infektionsquellen zu finden. Wie das mit den jetzigen Kapazitäten und Methoden gehen soll, ist mir allerdings schleierhaft. Zurzeit können wir ja in vielen Fällen nur feststellen, dass es in einer Stadt, einem Pflegeheim oder einer Schule vermehrt Infizierte gibt, aber nicht wirklich erklären, wo diese Fälle jeweils herkommen. Solange das aber nicht klar ist, können wir das Infektionsgeschehen nicht reduzieren, sondern immer nur hinterherlaufen und die Verwüstungen des Coronavirus aufräumen.
Und was für das Infektionsgeschehen im Inland gilt, gilt genauso für Eintragungen aus dem Ausland. Auch hier wäre es notwendig, das Infektionsgeschehen so umfassend unterbrechen zu können, dass sich die Zahl der Infektionsquellen durch solche Eintragungen, z.B. durch LKW-Fahrer oder Berufspendler, nicht weiter erhöht.

Corona-App und Massentests

Immer wieder wird in der Diskussion über die Absenkung der Reproduktionszahl darauf hingewiesen, dass durch eine entsprechende Corona-App das Tracking (Verfolgen) von Infizierten und das anschließende Tracing (Aufspüren, Nachverfolgen) von Kontaktpersonen ermöglicht würden. Das ist allerdings nur insoweit richtig, als man zunächst natürlich erst einmal einen Infizierten finden muss, bevor man anhand der Trackingdaten eine Nachverfolgung starten kann. Und die Preisfrage bleibt: Wie will man ohne massenhaft Tests einen Infizierten finden, der selbst nicht mal den leisesten Verdacht hat, dass er infiziert sein könnte?
Was es neben einer App bräuchte, die von weiten Teilen der Bevölkerung auch wirklich genutzt werden müsste, wären daher ausreichend Tests, um überhaupt erst einmal Ansatzpunkte für das Tracking und das Tracing zu finden. Da es aktuell aber weder das eine noch das andere gibt, habe ich auch aus diesem Grund ernsthafte Zweifel, dass im Moment ein R von 0,5 erreichbar ist.

Inselgeschehen

Ein Fünf-Personen-Haushalt, in dem am Anfang des Monats ein aktiver Virusverbreiter lebt, kann am Ende des Monats noch immer einen aktiven Virusverbreiter unter sich haben, selbst wenn es in dieser Zeit keinerlei Kontakte nach außen gab. Man kann sich damit leicht ausrechnen, wie lange das Coronavirus in einzelnen Einrichtungen, wie in Senioren-, Pflege- oder Kinderheimen, in Bundeswehrkasernen oder Gefängnissen oder auch in Obdachlosenunterkünften zirkulieren kann, bis das Infektionsgeschehen zum erliegen kommt. Außerdem ist gerade in solchen Bereichen bei vielen Kontakten das Abstandhalten unmöglich, insbesondere natürlich bei der Pflege.
Das heißt, in solchen Einrichtungen kann es über mehrere Wochen oder gar Monate ein deutlich erhöhtes Infektionsgeschehen geben. Allerdings reicht ja schon ein R = 1 in mehreren dieser Einrichtungen aus, um selbst bei einem niedrigen Infektionsgeschehen im Rest des Landes die Reproduktionszahl insgesamt oben zu halten. Und Pflegeheime oder Ähnliches sind ja nicht gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten. Das Pflegepersonal oder die Schließer gehen nach der Arbeit weiterhin ganz normal nach Hause zu ihren Familien und die Obdachlosen verbringen üblicherweise ihren Tag irgendwo auf der Straße. Auch aufgrund solcher Sondersituationen ist es aus meiner Sicht aber fraglich, ob mit den jetzigen Werkzeugen und Methoden ein R von 0,5 erreichbar ist.

Fazit

Offenkundig ist es möglich, die Reproduktionszahl unter 1 zu drücken und damit eine großflächige Ausbreitung des Virus zu verhindern. Das konnte man in Deutschland und in vielen anderen Ländern sehen. Daraus folgt aber eben nicht, dass sich die Reproduktionszahl beliebig weit senken lässt. Und wie weit man sie senken kann, hängt von vielen Faktoren ab, wie der absoluten Zahl der täglichen Neuinfizierten, der Dunkelziffer, der Art und Intensität des grenzüberschreitenden Verkehrs oder den vorhanden Instrumenten und Methoden zur Eindämmung des Coronavirus. Eine Reproduktionszahl von 0,8 erscheint für Deutschland eine realistische Größe unter den bisherigen Shutdown-Bedingungen. Und mit noch strikteren Maßnahmen lässt sich vielleicht auch noch ein etwas niedrigerer Wert erreichen. Aber irgendwo ist dann halt einfach eine Grenze, unter die man aus einer gegebenen Situation heraus nicht drunter kommt. In Deutschland muss es daher zunächst darum gehen, die Gegebenheiten so zu verändern – insbesondere im Hinblick auf die Testmöglichkeiten und die Nachverfolgung – dass ein effektives Vorgehen gegen das Coronavirus möglich wird.


Text als PDF: Wieso sich die Reproduktionszahl nicht beliebig weit senken lässt


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Warum eine hohe Testquote für Containment genauso wichtig ist wie eine niedrige Reproduktionszahl https://www.mister-ede.de/politik/testquote-reproduktionszahl/9015 https://www.mister-ede.de/politik/testquote-reproduktionszahl/9015#comments Mon, 27 Apr 2020 11:24:57 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=9015 Weiterlesen ]]> Die Reproduktionszahl R gibt an, wie viele Personen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Liegt R unter eins (R < 1), so gehen die Neuinfektionen mit der Zeit zurück. Daher wird diese Zahl aktuell sehr genau beobachtet und ihre Entwicklung bestimmt das Handeln der Politik. Das Problem an der Reproduktionszahl ist jedoch, dass zu ihrer Ermittlung nur diejenigen Infektionen herangezogen werden können, die bekannt sind. Aktuell sind das im Schnitt rund 2.500 Fälle am Tag. Darunter sind Personen, die selbst den Arzt aufgesucht haben, aber auch Befunde aus Reihenuntersuchungen oder präventiven Tests, z.B. beim medizinischen Personal. In all diesen Fällen können dann natürlich Maßnahmen eingeleitet werden, die das Infektionsgeschehen minimieren, z.B. das Aufspüren von Kontaktpersonen, die Anordnung einer Quarantäne oder Reihentestungen in der jeweiligen Umgebung des Infizierten, z.B. am Arbeitsplatz. Rund um die bekannten Infizierten sinkt dadurch die Reproduktionszahl erheblich. Wie sich allerdings das Infektionsgeschehen außerhalb dieses Hellfeldes entwickelt, kann man hieraus nicht ablesen. Vermutlich dürfte gerade im Dunkelbereich, also bei jenen Infizierten, die ohne Symptome bleiben und die auch nicht zufällig gefunden werden, die Ansteckungsrate deutlich höher sein. Das liegt zum einen daran, dass diese Personen keinerlei Verdacht auf ihre Infektion schöpfen, und zum anderen daran, dass insbesondere jüngere Menschen, die viele Kontakte haben, im Berufsleben stehen, studieren, Sport machen, diejenigen sind, die öfters ohne Symptome bleiben, vor allem natürlich Kinder. Und gerade wenn jüngere Menschen dann viele Kontakte mit Personen aus derselben Altersgruppe haben, z.B. zu Schulfreunden, Studien- oder Arbeitskollegen, kann die Reproduktionszahl in diesem Dunkelfeld, sozusagen Rdunkel, schnell und unbemerkt auf ein Vielfaches dessen steigen, was wir bei den bekannten Infektionsketten bzw. bei Rhell oder Rsichtbar beobachten. Im schlimmsten Fall, wenn die Gruppe im Hellfeld sehr groß ist, z.B. weil anfangs gezielt Urlaubsrückkehrer in Quarantäne geschickt wurden, kann es durch diese tatsächlich vorhandene Verzerrung der Reproduktionstätigkeit noch über Wochen eine spürbare Abnahme der Neuinfektionen geben, während sich unbemerkt im Hintergrund eine zweite Infektionswelle aufbaut. Möglicherweise sehen wir einen solchen Effekt momentan in Singapur. Für Deutschland ist das allerdings bisher eher unwahrscheinlich, weil ähnlich wie in der Schweiz reagiert wurde und dort bei einer guten Datenlage bislang keine zweite Infektionswelle erkennbar ist. Vermutlich haben die flächendeckenden Maßnahmen, wie Schul- und Geschäftsschließungen, auch die Kontakte der unbekannten Infizierten soweit eingeschränkt, dass Rdunkel ebenfalls nicht wesentlich über 1 oder vielleicht sogar unter 1 lag. Das wird sich in Deutschland aufgrund der zahlreichen zum Teil sehr weitgehenden Lockerungen so aber sicher nicht fortsetzen.

Kommt es dann allerdings dazu, dass Rdunkel ein gutes Stück über 1 liegt, verliert die Reproduktionszahl an Aussagekraft. Natürlich gilt weiterhin, wenn R insgesamt über 1 steigt, steht Deutschland wieder dort, wo es vor einem Monat schon einmal war, nämlich bei zunehmenden Infektionszahlen. Das möchte zwar niemand, aber bei den Bildern von Schlangen vor Baumärkten, Gedränge in Shoppingcentern und vollen Innenstädten ist das leider kein unwahrscheinliches Szenario.
Aber auch dann, wenn die Reproduktionszahl zunächst noch unter 1 bleibt, verliert die Betrachtung von R an Bedeutung für das Containment, weil der Rückgang der Infektionen im Hellfeld zunehmend durch Infektionseinträge aus dem Dunkelfeld ausgeglichen wird. Gelingt es nicht, die Zahl der unbekannten Infizierten zu verringern, wird die Reproduktionszahl damit automatisch immer wieder Richtung 1 steigen. Mit dem nachfolgendem Beispiel-Szenario wird dieser Effekt dargestellt:

Zu Beginn der Betrachtung gibt es 100 Infizierte im Hellfeld mit einem Rhell von 0,7 und daneben eine Dunkelziffer von 20 Infizierten mit einem Rdunkel von 1,5. In jeder Reproduktionsphase gelangt ein Drittel der Infizierten aus dem Dunkelfeld ins Helle. Somit bleibt die Dunkelziffer konstant bei 20 Infizierten (20 * 1,5 * 2/3) und in jeder Reproduktionsphase findet eine Eintragung von 10 Infizierten (20 * 1,5 * 1/3) aus dem Dunkelfeld ins Hellfeld statt. Im Hellbereich haben wir dann nach der ersten Reproduktionsphase 70 Fälle (0,7 * 100), die sich aus dem Hellfeld selbst ergeben, plus 10 weitere Infektionen, die aus dem Dunkelfeld hinzukommen, also insgesamt 80 Fälle. Wir messen ein Rsichtbar = 0,8. In der nächsten Phase sind es im Hellfeld dann 56 plus wieder 10 Fälle aus dem Dunkelfeld, insgesamt also 66 Infizierte bzw. ein Rsichtbar = 66/80 = 0,82. Noch eine Phase später haben wir 56,2 Fälle bzw. Rsichtbar = 0,85. Das Ganze geht nun immer so weiter bis sich Rsichtbar an 1 annähert und die Zahl der täglich Neuinfizierten im Hellfeld an 33 Fälle, die sich jede Reproduktionsphase auf 23 reduzieren und durch 10 neue Eintragungen aus dem Dunkelfeld ergänzt werden.

Alleine die Tatsache, dass die Reproduktionszahl insgesamt wie auch Rsichtbar die ganze Zeit unter der magischen 1 lag, anfangs sogar recht deutlich, trägt damit noch lange nicht zu einer Situation bei, die zu einer Beendigung der Epidemie führt. Unerheblich ist dabei auch, ob Rhell im Hellfeld bei 0,7 oder 0,5 liegt oder sogar auf 0,2 gedrückt wird. Über kurz oder lang wird sich Rsichtbar wie auch die Reproduktionszahl insgesamt unweigerlich durch die Eintragungen aus dem Dunkelfeld wieder auf 1 heben und die tägliche Fallzahl wird sich auf die Eintragungen aus dem Dunkelfeld geteilt durch (1 – Rhell) einpendeln, also auf 33 Fälle bei Rhell = 0,7 bzw. 12,5 Fälle bei Rhell = 0,2.

Zur Beantwortung der Frage, ob eine Epidemie eingedämmt werden kann, reicht deshalb die Betrachtung des Hellfeldes und der Reproduktionszahl bzw. Rsichtbar nicht aus. Klar, wenn die Epidemie schon bei den bekannten Fällen außer Kontrolle ist, braucht man sich um die Dunkelziffer keine Sorgen mehr machen. Allerdings ist umgekehrt eben noch lange nicht alles gut, nur weil die sichtbare Reproduktionszahl unter 1 liegt.
Daher braucht es für jedes Containment neben der Reproduktionszahl eine weitere Kennzahl, die eine Aussage zur Entwicklung des Dunkelfeldes zulässt. Eine Möglichkeit hierfür ist die Bestimmung des Anteils der Corona-Infizierten, die positiv auf eine Infektion mit dem Coronavirus getestet wurden. Eine solche Testquote kann entweder durch repräsentative Studien ermittelt oder durch Modellrechnungen abgeschätzt werden.
Im dargestellten Beispiel-Szenario liegt die Testquote Anfangs recht hoch bei 100/120 (83%), während sie sich im Verlauf auf 33/53 also etwa 62,5% einpendelt. Die reine Prozentzahl selbst hat aber nur wenig Aussagekraft, solange die Größe des Reservoirs an Infizierten im Dunkelfeld und Rdunkel unbekannt sind. Dafür kann allerdings aus der Entwicklung der Testquote abgelesen werden, ob es „nur“ gelingt, die Fallzahlen zu senken, oder ob darüber hinaus auch immer weiter in das Duneklfeld vorgedrungen und damit ein Ende der Epidemie ermöglicht wird. Sinkt die Testquote, obwohl genügend Tests verfügbar sind und sich das Testschema nicht verändert hat, dann ist das ein deutliches Anzeichen dafür, dass sich das Infektionsgeschehen auch mit einem aktuell beobachtbaren R von 0,9 nicht auf null senken lässt, sondern sich wegen konstanter Einträge aus dem Dunkelfeld auf irgendeinem Niveau einpendelt, wie bei dem obigen Beispiel-Szenario. Oberflächlich betrachtet ist man zwar lange auf einem guten Weg in Richtung Containment. Man testet viel und findet auch viel und neben Rhell liegt sowohl die sichtbare Reproduktionszahl gut unter 1 wie auch die tatsächliche Reproduktionszahl. Aber allmählich drückt sich die Reproduktionszahl dann doch wieder gegen 1. Und auch wenn man in diesem Fall herginge und mit einem gewissen Aufwand Rhell nochmals auf 0,2 drückt, bekommt man zwar die Neuinfektionen auf 12,5 am Tag gesenkt, aber eben nicht das Problem beseitigt. Denn anstatt tiefer in das Dunkelfeld vorzudringen und das Reservoir der unbekannten Infizierten zu verkleinern, wird auf diese Weise einfach nur die Testquote gesenkt.

Für ein erfolgreiches Containment ist daher neben einer Reproduktionszahl kleiner 1 auch eine konstant hohe oder steigende Testquote unerlässlich – oder eben eine andere Maßzahl, mit der ein Rückgang der Dunkelziffer überwacht werden kann. Denn, solange es keine Herdenimmunität und keinen Impfstoff gibt, müssen auch die letzten aktiven Infizierten im Dunkelfeld gefunden worden sein oder zumindest gefunden werden können, um die Epidemie auf Dauer einzudämmen. Das heißt, es darf durchaus noch unbekannte Infizierte geben, aber es muss klar sein, dass neu auftretende Ausbrüche, egal ob durch eine Infektion aus dem Dunkelfeld oder durch eine Eintragung aus dem Ausland, immer wieder so schnell und umfassend unter Kontrolle gebracht werden können, dass sich daraus nicht wieder eine exponentielle Vermehrung ergibt. Und das gelingt eben nur, wenn ein ausreichend großer Anteil der Infizierten durch Tests gefunden wird. Daneben hat die Testquote aber auch noch aus einem anderem Grund Charme: Während man die Reproduktionszahl nur mit hohem Aufwand und sehr indirekt beeinflussen kann, ist eine Erhöhung der Testquote über die schlichte Ausweitung von Testkapazitäten und die vermehrte Durchführung von Reihentests vergleichsweise leicht zu bewerkstelligen. Solange also die Reproduktionszahl unter 1 liegt und damit eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert wird, ist die Erhöhung der Testquote ein relativ einfacher und milder Ansatz, um das Infektionsgeschehen nach und nach unter Kontrolle zu bringen.

Disclaimer: Dieser Beitrag stellt ein logisches Grundproblem dar und basiert nicht auf tieferen Kenntnissen der Epidemiologie.


Text als PDF: Warum eine hohe Testquote für Containment genauso wichtig ist wie eine niedrige Reproduktionszahl


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Das Wahlrechts-Trilemma einfach erklärt https://www.mister-ede.de/politik/das-wahlrechts-trilemma/8701 https://www.mister-ede.de/politik/das-wahlrechts-trilemma/8701#comments Mon, 06 Aug 2018 19:49:00 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8701 Weiterlesen ]]> Zurzeit ist der Bundestag mit 709 Parlamentariern weit größer, als er eigentlich sein sollte. Beigetragen zur kräftigen Überschreitung der Normgröße von 598 Abgeordneten hat zum einen die veränderte Parteienlandschaft. Aufgrund der Mischung von Mehrheits- und Verhältniswahl werden Abweichungen nach oben wahrscheinlicher, je mehr Parteien in den Bundestag einziehen. Zum anderen haben die Parlamentarier selbst einen großen Anteil an der Entwicklung. Bei einer Wahlrechtsreform vor der Bundestagswahl 2013 haben sie das Ziel einer möglichst festen Größe des Parlaments zugunsten einer korrekten Abbildung des Zweitstimmenergebnisses hinten angestellt – mit dem bekannten Ergebnis.
Um künftig das Anwachsen des Bundestages wieder zu verhindern, soll nun eine neuerliche Wahlrechtsreform Abhilfe schaffen, die dann allen Ansprüchen genügt. Doch genau da liegt, wie auch schon bei der letzten Wahlrechtsreform, der Hase im Pfeffer begraben. Denn letztlich handelt es sich bei der Problemstellung um ein Trilemma, also einen Zielkonflikt, bei dem sich von drei Zielen höchstens zwei vollständig erreichen lassen. Das heißt, auch bei sehr verständlichen Zielen für das Bundestagswahlrecht, müssen an manchen Stellen Abstriche gemacht werden. Welche drei Ziele erreicht werden sollen und warum sich aus ihnen ein Zielkonflikt ergibt, wird nachfolgend dargestellt.

Die drei Ziele:

Ziel 1: Die Korrekte Abbildung des Zweitstimmenergebnisses

Das Ziel ist klar. Die Sitze im Bundestag sollen entsprechend dem Zweitstimmenergebnis der Parteien auf diese verteilt werden. Damit wird gewährleistet, dass die Stimme jedes Wählers einen gleich großen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlamentes hat oder zumindest eine gleich große Chance auf diesen Einfluss.

Ziel 2: Eine feste Größe des Bundestags

Auch hier ist das Ziel klar. Das Parlament soll eine feste Größe haben, sodass seine Arbeitsfähigkeit gewährleistet und seine Akzeptanz in der Öffentlichkeit nicht gefährdet ist. Außerdem soll der Bundestagsapparat nicht durch unnötig große Schwankungen der Parlamentsgröße und dem damit einhergehenden erheblichen Anpassungsbedarf belastet werden.

Ziel 3: Regionalkomponente

Die Regionalkomponente kann unterschiedlich gestaltet sein. Im aktuellen Wahlrecht gibt es zwei Regionalkomponenten.

1) Länderproporz:
Die Bundesländer erhalten eine garantierte Anzahl an Sitzen im Bundestag. Das Ziel ist, dass die Bundesländer entsprechend ihrer Größe in Berlin repräsentiert werden.

2) Direktkandidaten:
Die Hälfte aller Abgeordneten wird mit der Erststimme direkt im Wahlkreis gewählt und bekommt einen Sitz garantiert. Damit wird gewährleistet, dass jeder Wahlkreis mindestens einen Abgeordneten als Brückenbauer zum Bundestag hat, um die Anliegen der Bürger dort einzubringen und umgekehrt über die Entwicklungen im Bundestag informieren zu können.

Zielkonflikt / Trilemma

Wie eingangs erwähnt, können bei einem Trilemma immer nur zwei von drei Zielen vollständig erreicht werden. Wer in jedem Fall ein korrektes Abbild der Zweitstimmen verlangt, muss entweder auf jegliche Regionalkomponente verzichten, also sowohl auf Länderproporz als auch auf Direktkandidaten, oder auf eine feste Größe des Parlaments. Und das gleiche gilt umgekehrt für die beiden anderen Ziele. Mit zwei theoretischen, aber dafür sehr einfachen Beispielen lässt sich der Grund für dieses Trilemma leicht verdeutlichen:

Beispiel 1:

Wir stellen uns eine A-Partei vor, die nur in einem Bundesland antritt und dort in genau drei Wahlkreisen einen erfolgreichen Direktkandidaten hat. Gleichzeitig erreicht diese Partei aber nur 0,25% der bundesweiten Zweitstimmen. Alle anderen Stimmen entfallen in diesem Beispiel auf die B-Partei.
Soll nun garantiert werden, dass die drei Direktkandidaten der A-Partei in Berlin sitzen, bleiben rein logisch nur zwei Optionen. Entweder die Zahl der Abgeordneten wird auf 1.200 erhöht, damit das Verhältnis von A-Partei (0,25% – 3 Abgeordnete) zu B-Partei (99,75% – 1197 Abgeordnete) stimmt. Oder man muss in diesem Fall auf die korrekte Abbildung des Zweitstimmenergebnisses verzichten, wie man das im Übrigen auch bei erfolgreichen parteilosen Einzelbewerbern machen würde. Diese können theoretisch mit wenigen Stimmen in einem Wahlkreis einen garantierten Sitz erwerben, ohne dass ein entsprechender Ausgleich für die im Bundestag vertretenen Parteien stattfindet.

Beispiel 2:

Ein Bundesland X bekommt aufgrund seiner Bevölkerungszahl 100 der 598 Bundestagssitze garantiert. Allerdings gehen in diesem Bundesland im Vergleich zu den anderen Bundesländern nur halb so viele Menschen zur Wahl. In X tritt lediglich die A-Partei an, die alle Stimmen erringt. In den übrigen Bundesländern tritt lediglich die B-Partei an, die ebenfalls alle Stimmen erringt.
Soll nun garantiert werden, dass das Bundesland X seine 100 Sitze bekommt, können diese nur an die A-Partei als einzige dort antretende Partei vergeben werden. Soll hingegen das Zweitstimmenergebnis korrekt abgebildet werden, darf die A-Partei aufgrund der deutlich niedrigeren Wahlbeteiligung in X nur etwas über 50 der 598 Sitze erhalten.
Die einzige Möglichkeit, um diesen Widerspruch aufzulösen, ist, die Zahl der Sitze im Bundestag soweit zu erhöhen, bis die A-Partei 100 Sitze hat und die B-Partei die ihr im Verhältnis der Zweitstimmen dann zustehenden grob 1100 Sitze.

Fazit:

Einen Ausweg aus diesem Trilemma gibt es nicht. Soll die Zahl der Bundestagssitze wieder näher an der Normgroße liegen, müssen sich die Fraktionen im Bundestag von ihren Maximalforderungen verabschieden. Ansonsten verteidigen die einen die Regionalkomponenten in der jetzigen Ausprägung und die anderen die genaue Abbildung des Zweitstimmenergebnisses und im Ergebnis bleibt es dann weiter bei der schwankenden Größe des Bundestages.


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Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des deutschen Lohndumpings https://www.mister-ede.de/wirtschaft/auswirkungen-lohndumping/8660 https://www.mister-ede.de/wirtschaft/auswirkungen-lohndumping/8660#comments Thu, 11 Jan 2018 14:44:20 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8660 Weiterlesen ]]> In den vergangenen beiden Jahrzehnten wurden die Löhne in Deutschland massiv gedrückt. Das Ergebnis sind heute preisbereinigte Arbeitsentgelte (Bruttolohn + Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung), die im Durchschnitt grob 15% niedriger liegen als bei einer Lohnentwicklung, die der Produktivitätssteigerung in diesem Zeitraum angemessen gewesen wäre (siehe Grafik). Volkswirtschaftlich hat dieses Lohndumping mehrere direkte Auswirkungen, die nachfolgend dargestellt werden:


Sinkende Lohnstückkosten:

Die Entwicklung der Lohnstückkosten wird alleine durch die Entwicklung der Arbeitsentgelte im Verhältnis zur Produktivitätssteigerung bestimmt. Kann ein Arbeitnehmer je Stunde 25% mehr Güter herstellen, während der Arbeitgeber je Stunde nur 10% höhere Arbeitsentgelte zu zahlen hat, so sinken die Lohnstückkosten um 12%.

Tendenziell angebotsseitig sinkende Preise:

Über die gesamte Wertschöpfungskette beinhalten die Herstellungskosten eines Produktes einen sehr hohen Arbeitskostenanteil.
Ein Beispiel hilft, dies zu veranschaulichen: Mit Hilfe von Maschinen bauen Arbeitskräfte Kohle ab. Diese wird in einem von Arbeitskräften betriebenen Kohlekraftwerk, das von Arbeitskräften mit Hilfe von Maschinen konstruiert wurde, in Strom umgewandelt. Dieser Strom fließt beispielsweise in eine von Arbeitskräften gesteuerte Maschine und zusammen mit Rohstoffen, die von Arbeitskräften mit Hilfe von Maschinen gewonnenen und verarbeitetet wurden, wird dann irgendetwas produziert, z.B. wieder eine Maschine. Da aber alle Maschinen, die innerhalb dieser Wertschöpfungskette eingesetzt werden, ebenfalls das Produkt einer solchen Wertschöpfungskette sind, liegt der Arbeitskostenanteil an den Herstellungskosten von Endprodukten in einem mittleren bis hohen zweistelligen Prozentbereich. Hinzu kommen Forschung und Entwicklung, Transport von Vor- und Endprodukten sowie Verwaltung und Handel, deren Kosten ebenfalls maßgeblich durch Arbeitskosten bestimmt werden.

Durch diesen hohen Arbeitskostenanteil an den Herstellungskosten von Waren – und natürlich noch stärker von Dienstleistungen – sind die Produktionskosten wesentlich von der Entwicklung der Lohnstückkosten bestimmt. Sinken die Lohnstückkosten um 12%, kann ein Gut, dessen Herstellungskosten zu 50% aus Arbeitskosten bestehen, 6% billiger produziert und zum Verkauf angeboten werden.

Natürlich liegen nicht die Wertschöpfungsketten aller in Deutschland verkauften Produkte vollständig im Inland. Dennoch ist eine Folge des deutschen Lohndumpings, dass die Preise angebotsseitig tendenziell sinken.

Überangebot an Gütern:

Die Gesamtnachfrage nach Gütern innerhalb einer Volkswirtschaft (Binnennachfrage) bestimmt sich hauptsächlich durch das zur Verfügung stehende Einkommen der Bevölkerung. Nachdem die große Mehrheit der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt aus Arbeitseinkommen oder aus Transferleistungen, die an die Lohnentwicklung gekoppelt sind (z.B. Renten), bestreitet, ist die Entwicklung des zur Verfügung stehenden Einkommens eng mit der Entwicklung der Arbeitsentgelte verbunden.

Nimmt man für die gesamte deutsche Volkswirtschaft an, dass der inländische Arbeitskostenanteil an den hier verkauften Gütern durchschnittlich bei 50% liegt und die Produktivität um 25% und die Stundenlöhne um 10% steigen, so ergibt sich automatisch ein Produktionsüberschuss.

Während die Preise lediglich um 6% zurückgehen, sinken bei gleichbleibender Produktionsmenge die gesamten Arbeitsentgelte um 12%. Die Bevölkerung kann sich insgesamt also weniger Güter leisten. Hält man hingegen die Summe der Arbeitsentgelte konstant, dann steigt die gesamte Produktionsmenge um 13,6% an, während sich die Menschen aufgrund der niedrigeren Herstellungskosten bzw. Güterpreise nur 6,4% mehr Güter leisten können.

Im ersten wie im zweiten Fall entsteht zwingend ein Überangebot an Gütern.

Tendenziell nachfrageseitig sinkende Preise:

Bei einem Überangebot an Gütern reicht ein Teil der angebotenen Güter aus, um zum Marktgleichgewichtspreis die komplette Nachfrage zu bedienen. Dies führt im marktwirtschaftlichen Wettbewerb regelmäßig zu sinkenden Preisen, weil die Nachfrager zuerst auf die teuersten Angebote verzichten.

Tendenziell schwächere Inflation:

Die Auswirkungen der Lohnzurückhaltung sind angebotsseitig tendenziell sinkende Preise und nachfrageseitig eine unzureichende Binnennachfrage, durch die ein Überangebot an Gütern entsteht.

Innerhalb einer geschlossenen Volkswirtschaft führt beides im marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu sinkenden Marktpreisen. Verlässt man die Ebene der preisbereinigten Betrachtung, wird aufgrund sinkender realer Preise auch die Inflation tendenziell schwächer ausfallen als dies ohne Lohndumping der Fall wäre.

Tendenziell steigende Wettbewerbsfähigkeit:

Verändern sich die Wechselkurse zwischen Deutschland und anderen Volkswirtschaften nicht, führen die niedrigeren Lohnstückkosten tendenziell zu einer stärkeren Wettbewerbsposition der hierzulande produzierenden Unternehmen.

Exportüberschuss bzw. Importdefizit:

Da es innerhalb des Euro-Raums keine Wechselkursschwankungen gibt, wurde durch die Lohnzurückhaltung der vergangenen beiden Jahrzehnte die Wettbewerbsposition der in Deutschland produzierenden Unternehmen gestärkt. Sie können nun ihre Waren in den übrigen Euro-Ländern billiger anbieten. Gleichzeitig gehen durch die tendenziell nachfrageseitig sinkenden Preise die Absatzmöglichkeiten für ausländische Waren in Deutschland zurück.

Sofern Unternehmen nicht am Markt vorbei bzw. auf Lager produzieren, führt außerdem das Überangebot an in Deutschland produzierten Gütern dazu, dass entweder weniger ausländischer Waren importiert werden können oder mehr im Inland produzierte Waren exportiert werden müssen.

Das deutsche Lohndumping hat daher zwingend einen Exportüberschuss bzw. ein Importdefizit zur Folge.

Export von Arbeitslosigkeit:

Sofern sich die Wechselkurse nicht zu Ungunsten Deutschlands verändern bzw. andere Euro-Länder nicht ebenfalls auf Lohnzurückhaltung setzen, exportiert Deutschland mehr als es importiert. Damit geht einher, dass Deutschland auch Arbeitslosigkeit exportiert.

Gegebenenfalls Verlangsamung des Wirtschaftswachstums:

Sofern das Güterüberangebot nicht im Ausland abgesetzt werden kann, z.B. wegen einer Rezession in den importierenden Ländern, müssen Unternehmen ihre Produktionskapazitäten reduzieren, was zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums führt. Dies wäre vor allem dann zwingend die Folge, wenn auch die Handelspartner Deutschlands auf Lohndumping setzen würden und damit die Produktivität dort ebenfalls stärker wachsen würde als die Reallöhne.


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Glossar: Durchschnittseinkommen und Medianeinkommen https://www.mister-ede.de/politik/durchschnitt-und-median/7744 https://www.mister-ede.de/politik/durchschnitt-und-median/7744#comments Fri, 03 Feb 2017 18:42:01 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=7744 Weiterlesen ]]> Bei der Betrachtung von Einkommen werden Durchschnittseinkommen und Medianeinkommen immer wieder verwechselt oder unsauber getrennt. Gerade bei der Bewertung der Armut bzw. der Armutsgefährdung kommt es damit schnell zu falschen Vorstellungen und Eindrücken. Hier folgt deshalb eine Erklärung des Unterschieds.

Das Durchschnittseinkommen:

Das Durchschnittseinkommen gibt das arithmetische Mittel aller Einkommen einer Gruppe (z.B. Personen oder Haushalte) an. Es kann sowohl für Bruttoeinkommen als auch für Nettoeinkommen bestimmt werden.

Das Medianeinkommen (mittleres Einkommen):

Zur Berechnung des Medianeinkommens, oft auch mittleres Einkommen genannt, werden alle Einkommen einer Gruppe (z.B. Personen oder Haushalte) nach ihrer Höhe geordnet. Jenes Einkommen, das die Person oder der Haushalt in der Mitte dieser Liste hat, ist das Medianeinkommen. In der Regel wird das Medianeinkommen auf Basis der Nettoeinkommen berechnet, z.B. in Form von verfügbaren Haushaltseinkommen.

Median-Äquivalenzeinkommen:

Das Äquivalenzeinkommen wird zum Vergleich zwischen unterschiedlichen Haushaltsformen (Singlehaushalte, Zweipersonenhaushalte, Haushalte mit Kindern) herangezogen und rechnet das Nettoeinkommen, beispielsweise einer Familie mit zwei Kindern, auf das Nettoeinkommen eines Haushalts einer alleinlebenden Person um. Das Median-Äquivalenzeinkommen ist dementsprechend das umgerechnete Einkommen, das sich in der Mitte der nach der Höhe der Einkommen geordneten Liste befindet. Haushalte deren Äquivalenzeinkommen bei 60% oder weniger des Median-Äquivalenzeinkommens liegen, gelten als armutsgefährdet.

Beispiel:

Betrachtet werden 11 Haushalte von alleinlebenden Personen mit unterschiedlichem Nettoeinkommen.

Das Durchschnittseinkommen dieser 11 Haushalte beläuft sich auf 2.018 Euro. Das Medianeinkommen bzw. mittlere Einkommen liegt hingegen bei 1.600 Euro. Da es sich hierbei um die Haushalte von alleinlebenden Personen handelt, entsprechen die Haushaltseinkommen ohne weitere Umrechnungen dem Äquivalenzeinkommen dieser Haushalte. Das in der Mitte liegende Einkommen (Person 6) in Höhe von 1.600 Euro ist das Median-Äquivalenzeinkommen der betrachteten Haushalte. Die Armutsgefährdungsgrenze, die bei 60% des Median-Äquivalenzeinkommens liegt, beträgt in diesem Beispiel also 960 Euro.

Deutschland [1]:

2014 betrug das Durchschnittseinkommen von Alleinlebenden 2.497 Euro brutto und 1.913 Euro netto. Nach Ergebnissen der Untersuchung EU-SILC betrug das Median-Äquivalenzeinkommen aller Haushalte in Deutschland 1.644 Euro. Entsprechend lag der Schwellenwert für die Armutsgefährdung bei Alleinlebenden bei 987 Euro und bei Familien mit 2 Kindern bei 2.072 Euro. Werden die Werte der Fortschreibung des Mikrozensus 2011 verwendet, lagen die Schwellenwerte für die Armutsgefährdung sogar noch niedriger, bei 917 Euro für Alleinlebende bzw. 1.926 Euro bei Familien mit 2 Kindern. Im Bundesdurchschnitt kamen somit 16,7% der erwachsenen Personen (EU-SILC) bzw. 15,4% der Haushalte (Mikrozensus) in Deutschland auf ein Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze.

Verwechslungsgefahr und falsche Vorstellungen:

Liest oder hört man, dass die Armutsgefährdungsquote bei 60% des Einkommens oder des Durchschnitts liegt, und berechnet den Schwellenwert dann fälschlicherweise vom durchschnittlichen Nettoeinkommen, so kommt man auf falsche Beträge, die wesentlich höher sind als die tatsächlichen Schwellenwerte für die Armutsgefährdung. Dies kann zur falschen Vorstellung führen, dass ein Single mit 1.147 Euro Nettoeinkommen oder ein kinderloser Zweipersonen-Haushalt mit 2.294 Euro Nettoeinkommen als armutsgefährdet eingestuft wird. Hierdurch könnte wiederum der Eindruck entstehen, dass die Anzahl der armutsgefährdeten Personen übertrieben sei. Genau das ist allerdings gerade nicht der Fall.


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[1] Statistisches Jahrbuch 2016 des Bundesamtes für Statistik, S. 169, 179, 180 (Link zur PDF auf www.destatis.de)

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Die Wirkung von Zins, Inflation und Wachstum auf die Staatsschuldenquote https://www.mister-ede.de/politik/faktoren-staatsschuldenquote/4187 https://www.mister-ede.de/politik/faktoren-staatsschuldenquote/4187#comments Mon, 10 Aug 2015 12:01:55 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4187 Weiterlesen ]]> Die Staatsschuldenquote stellt die Schulden eines Staates ins Verhältnis zu seiner Wirtschaftsleistung. Unerheblich ist dabei, ob die reale Staatsverschuldung zum realen BIP oder die nominale Verschuldung zur nominalen Wirtschaftsleistung ins Verhältnis gesetzt wird. Bei Verwendung der nominalen Werte befindet sich die Inflation in beiden Größen (Schulden und BIP) und kann somit heraus gekürzt werden.

Hat ein Land ein BIP in Höhe von 200 Euro und Schulden in Höhe von 100 Euro, so hat es eine Schuldenquote von 50%. Hat es einen ausgeglichenen Primärsaldo, ergibt sich bei einem jährlichen Zinssatz von 5%, einer Inflationsrate von 2% und einem realen Wachstum von 1% nach einem Jahr folgende Situation:
Nominal hat das Land ein BIP in Höhe von 200 Euro * 1,01 * 1,02 = ca. 206,0 Euro und Schulden in Höhe von 100 Euro * 1,05 = 105 Euro. Die nominale Wachstumsrate liegt bei ca. 3%. Real hat das Land ein BIP in Höhe von 200 Euro * 1,01 = 202 Euro und Schulden in Höhe von 100 Euro * 1,05 / 1,02 = ca. 102,94 Euro. Die Wachstumsrate der Realverschuldung liegt bei ca. 2,94%.
Sowohl aus den Nominalwerten (105 Euro / 206,0 Euro) als auch den Realwerten (102,94 Euro / 202 Euro) errechnet sich dann die neue Schuldenquote in Höhe von 50,96%.

Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Staatsschuldenquote:

Die Entwicklung der Staatsschuldenquote ist abhängig vom Haushaltsdefizit und der nominalen Wachstumsrate. Dies sind die beiden einzigen Einflussfaktoren, sofern man von haushaltsunwirksamen Veränderungen des Schuldenstands, in Deutschland z.B. durch die Entwicklung der Bankenabwicklungsfonds, absieht.
Setzt man voraus, dass sich alle schuldenwirksamen Handlungen eines Staates im Haushalt befinden, so bleibt die Staatsschuldenquote im Laufe eines Jahres konstant, wenn gilt:

(-1) * Haushaltssaldo / Schulden = nominale Wachstumsrate

Bsp.: 5 / 100 = 5%

Ein Land mit Schulden in Höhe von 100 Euro und einem Haushaltsdefizit in Höhe von 5 Euro, verändert seine Schuldenquote also nicht, wenn die nominale Wachstumsrate seiner Volkswirtschaft bei 5% liegt.
Hätte das Land im ersten Beispiel nicht ca. 3% nominales Wachstum sondern 5%, wäre die Schuldenquote konstant bei 50% geblieben und nicht auf 50,96% angestiegen. Dies ist der Fall, weil ein ausgeglichener Primärsaldo angenommen wurde und damit das Haushaltsdefizit nur durch die Zinskosten von 5 Mrd. Euro (100 Mrd. Euro * 5%) bestimmt ist. Die Gleichung 5 Mrd. / 100 Mrd. = 5% wäre in der Folge erfüllt gewesen.

Die Einflussfaktoren können allerdings auch noch weiter unterteilt werden. Der Haushaltssaldo entspricht dem Primärsaldo plus Zinskosten. Daneben setzt sich die nominale Wachstumsrate aus der realen Wachstumsrate und der Inflation zusammen. Die Staatsschuldenquote ändert sich folglich nicht, wenn gilt:

((-1) * Primärsaldo / Schulden) + Zinskosten / Schulden = ((1 + reales Wachstum) * (1+ Inflation)) – 1

Der Term Zinskosten / Schulden entspricht dem Zinssatz, zu dem ein Staat seine Schulden verzinsen muss. Wird ein ausgeglichener Primärsaldo angenommen ergibt sich außerdem, dass (-1) * Primärsaldo / Schulden = 0 ist. Übrig bleibt in der Gleichung dann:

Zinssatz = ((1 + reales Wachstum) * (1+ Inflation)) – 1

Allgemein gilt damit unter der Voraussetzung eines ausgeglichenen Primärsaldos dass die Schuldenquote unverändert bleibt, wenn der Nominalzins (5%) auf der Höhe der nominalen Wachstumsrate liegt, also ebenfalls bei 5%.
Auf der realen Ebene gilt derselbe Zusammenhang, so dass die Schuldenquote unter der Voraussetzung eines ausgeglichenen Primärsaldos unverändert bleibt, sofern die Veränderungsrate der Realverschuldung, der Veränderungsrate der realen Wirtschaftsleistung entspricht. Wäre das reale Wirtschaftswachstum im Beispiel bei 2,94% gelegen, also auf der Höhe des Anstiegs der Realverschuldung, hätte sich die Schuldenquote nicht geändert. Bei einer Inflation von 2% entspricht ein reales Wachstum von 2,94% natürlich auch wieder einer nominalen Wachstumsrate von 5%.

Es gilt also, dass sich die Schuldenquote unter der Prämisse eines ausgeglichenen Primärsaldos nicht verändert, sofern folgende Gleichung erfüllt ist (die sich unterschiedlich ausdrücken lässt):

Zinssatz = nominales Wachstumsrate

Bsp.: 0,05 = 0,05

Bsp.: 5% = 5%

oder

1 + Zinssatz = (1 + Inflationsrate) * (1 + reale Wachstumsrate)

Bsp.: 1,05 = 1,02 * 1,0294

oder

Zinssatz = Inflationsrate + reale Wachstumsrate + (Inflationsrate * reale Wachstumsrate)

Bsp.: 0,05 = 0,02 + 0,0294 + (0,02 * 0,0294)

Bsp.: 5% = 2% + 2,94% + (2%*2,94%)

Irrelevant ist hierbei, ob die Schuldenquote bei 30% oder 130% liegt. Sobald diese Gleichung erfüllt ist, bleibt die Schuldenquote bei einem ausgeglichenen Primärsaldo konstant. Liegt der Zinssatz niedriger bzw. gilt beispielsweise Zinssatz < nominale Wachstumsrate, so sinkt die Staatsschuldenquote. Liegt der Zinssatz hingegen höher bzw. gilt beispielsweise Zinssatz > nominale Wachstumsrate, so steigt die Schuldenquote.

Weitere Zusammenhänge:

Unter der Voraussetzung eines ausgeglichenen Primärsaldos gilt, dass der Realwert der Schulden unverändert bleibt, sofern sich der Zinssatz auf der Höhe der Inflationsrate befindet. Liegt er unterhalb der Inflationsrate, so sinkt der Realwert der Schulden, liegt er darüber, so steigt der Realwert der Schulden.
Bleibt der Realwert der Schulden konstant, so bleibt die Staatschuldenquote bei einer realen Wachstumsrate von 0% konstant und liegt die reale Wachstumsrate darüber, so sinkt die Staatsschuldenquote bei konstantem Realwert der Schulden. Im Falle einer Rezession mit einer negativen Wachstumsrate steigt die Staatsschuldenquote bei einer konstanten Realverschuldung an.


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Nominalwert / Realwert:

Vergleicht man Güter und Geld, so haben Güter immer ihren realen Sachwert, jedoch keinen festen Nominalwert, während umgekehrt Geld immer seinen Nominalwert, jedoch keinen festen Realwert hat. Ein 10-Euro-Schein oder ein Bankguthaben in Höhe von 10 Euro hat also immer den nominalen Wert von 10 Euro, egal wie viele Äpfel man davon kaufen kann. Hingegen hat ein Apfel immer den realen Wert eines Apfels, egal wie teuer dieser ist. Der Nominalwert eines Gutes (z.B. Apfel) wird gemeinhin als Preis bezeichnet und der Realwert des Geldes als Kaufkraft.

Analog hierzu haben auch Staatsschulden einen nominalen Wert (100 Euro) und einen realen Wert (Anzahl Äpfel / Kaufkraft).

Betrachteter Zeitpunkt:

Für die Höhe von Staatsschulden spielt neben der Frage, ob auf den Nominalwert oder Realwert (Kaufkraft) abgestellt wird, vor allem der betrachtete Zeitpunkt eine Rolle. Leiht sich ein Staat heute 100 Euro für ein Jahr zu 5% Zinsen, so muss er nach einem Jahr 105 Euro zurückzahlen. In Abhängigkeit vom betrachteten Zeitpunkt liegt damit die Schuldenlast nominal bei 100 bzw. 105 Euro.
Auf Ebene der Realwerte muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass sich der Realwert des Geldes im Laufe der Zeit ändert, z.B. durch Preissteigerungen (Inflation) abnimmt. Liegt die jährliche Inflationsraten bei 2%, dann sind die 105 Euro in heutiger Kaufkraft ausgedrückt real 105 Euro / 1,02 = ca. 102,94 Euro wert. Dieser Wert stellt damit den Realwert dieser Schulden zum Zeitpunkt der Fälligkeit dar.
In Abhängigkeit vom betrachten Zeitpunkt besteht also durch die Kreditvereinbarung nominal eine Schuldenlast von 100 Euro bzw. 105 Euro und real entsprechen die Schulden bei einer Inflation von 2% einer Kaufkraft von 100 Euro bzw. nach einem Jahr 102,94 Euro.

Wirkung von Zins und Inflation auf den Realwert von Schulden:

Werden die Staatsschulden eines Landes unter der Prämisse eines ausgeglichenen Primärsaldos betrachtet, dann gilt, dass sich der Realwert bei einem Zinssatz in Höhe der Inflationsrate nicht verändert. Liegt der Zinssatz über der Inflationsrate, so steigt der Realwert der Schulden mit der Zeit an, liegt er darunter, reduziert sich der Realwert der Schulden im Laufe der Zeit. Im obigen Beispiel liegt der Zinssatz mit 5% über der Inflationsrate von 2% weshalb die Staatsschulden ansteigen. Bei einer Inflationsrate in Höhe von 5% läge der Realwert hingegen auch nach einem Jahr unverändert bei 100 Euro (105 Euro / 1,05 = 100 Euro). Bei einer Inflation in Höhe von 10% würde der Realwert der Schulden sogar auf 105 Euro / 1,10 = ca. 95,45 Euro sinken.

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Kapitalwert:

Der Kapitalwert nimmt, im Gegensatz zum Nominal- bzw. Realwert, nicht die Staatsschulden an sich in den Blick, sondern die Gewinnerwartung des Investors. Geht man von einer vollständigen Finanzierung der Kreditvergabe durch Eigenmittel des Geldgebers aus und wird außer einem Inflationsausgleich auf eine Mindestrendite verzichtet, so berechnet sich der Kapitalwert, indem vom künftigen Realwert der Staatsschulden (z.B. 102,94 Euro) der vorherige Auszahlungsbetrag (z.B. 100 Euro) abgezogen wird. Der Kapitalwert der obigen Kreditvereinbarung würde unter diesen Prämissen dann bei 2,94 Euro liegen. Der Kreditgeber würde also 2,94 Euro mehr Kaufkraft zurückerhalten, als er verliehen hat.

Nachdem jedoch bei der Berechnung des Kapitalwertes üblicherweise Finanzierungskosten oberhalb des Inflationsausgleichs und auch eine interne Renditeerwartung des Investors zu berücksichtigen sind, verschiebt sich dieser Kapitalwert dann unabhängig vom tatsächlichen Wert der Schulden.
Geht ein Unternehmen, z.B. wegen einer hohen Renditeerwartung, von Kapitalkosten in Höhe von 6% aus, kann eine Kreditvergabe zu 5% Zinsen nie zu einem positiven Kapitalwert führen, auch wenn die Schulden für den Kreditnehmer nominal und real ansteigen würden.


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Ein Staat mit einem Haushaltsdefizit in Höhe von 3 Mrd. Euro und jährlichen Zinskosten in Höhe von 5 Mrd. Euro hat damit einen Primärüberschuss von 2 Mrd. Euro. Bei einem BIP von z.B. 100 Mrd. Euro hat dieser Staat dann eine Zinslast von 5% des BIP, einen Primärüberschuss in Höhe von 2% des BIP und ein Haushaltdefizit in Höhe von 3% des BIP.

Was sagt der Primärsaldo aus?

Zunächst sagt der Primärsaldo etwas über die Geschäftstätigkeit eines Staates aus. Ist der Saldo ausgeglichen, sind die Staatsaktivitäten, ohne den Schuldendienst, nicht defizitär. Hat ein Land keine Staatsschulden, muss es in diesem Fall auch keine Kredite aufnehmen.

Die meisten Staaten haben allerdings Schulden, weshalb zusätzlich gilt, dass ein Land, das trotz Zinskosten insgesamt einen ausgeglichenen Haushalt hat, zwingend einen Primärüberschuss haben muss. Umgekehrt heißt das, dass ein Staat ohne Primärüberschuss, sofern er Zinskosten hat, niemals einen ausgeglichenen Haushalt haben kann. Sofern also ein Land Zinsen zahlen muss, geht das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts immer mit dem Ziel eines Primärüberschusses einher.

Um über den Haushalt hinausgehende Aussagen zur Schuldenentwicklung zu machen, ist der Primärüberschuss alleine jedoch ungeeignet. Zum einen ist er nur ein Teilausschnitt des Haushaltsergebnisses, sagt also nichts über die Zinskosten aus, zum anderen bestimmt sich die Schuldenquote eines Staates nicht nur dadurch, ob ein Staat Schulden abbaut (Haushaltsüberschuss) oder sich weiter verschuldet (Haushaltsdefizit), sondern auch durch die Entwicklung der Wirtschaftsleistung.
Ein Staat mit lediglich ausgeglichenem Primärsaldo verschlechter sich bei seiner Staatsschuldenquote auch dann nicht, wenn er z.B. bei einem nominalen Wachstum von 4% für seine Schulden eine Verzinsung von 4% zu entrichten hat. Die Haushalte solider Staaten mit einem gesunden realen Wachstum zeichnen sich deshalb gerade dadurch aus, dass sie auf Primärüberschüsse weitestgehend verzichten können. Wenn man so will, sind größere Primärüberschüsse immer nur dann nötig, wenn Zinsen für hohe Schuldenberge zu zahlen sind.


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