mister-ede.de » Tunesien https://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Abschiebeforderung nach Berlin-Anschlag: Sankt Florian bei Union und Grünen zu Gast https://www.mister-ede.de/politik/sankt-florian-union-und-gruene/5904 https://www.mister-ede.de/politik/sankt-florian-union-und-gruene/5904#comments Sat, 24 Dec 2016 09:49:07 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5904 Weiterlesen ]]> Es hat nicht lange auf sich warten lassen, bis die Politik nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz mit populistischen Antworten reagierte. Schon am Folgetag der Terrorattacke forderte die CSU um Horst Seehofer lauthals eine Art Abschottungskultur und das Ende der Flüchtlingsaufnahme. Sieht man davon ab, dass die Zahl der nach Deutschland kommenden Schutzsuchenden sowieso längst zurückgegangen ist, zeigte sich nur wenige Stunden später auch, wie daneben der bayerische Ministerpräsident mit seinem Populismus lag. Denn der Täter gehörte überhaupt nicht zu jener Personengruppe, die im Zuge der Flüchtlingskrise von 2015 nach Europa kam, sondern war schon 2011 in die EU eingereist. Was also von der CSU vorschnell gefordert wurde, ist zum einen längst Realität und zum anderen hat es mit dem konkreten Anschlag nichts zu tun.
Vielmehr muss man nun umgekehrt bei den Unionsparteien nachfragen, wieso sie jahrelang abgelehnt haben, den Italienern zu helfen, die seit dem Arabischen Frühling einen enormen Zuzug von Flüchtlingen erleben. Vielleicht hätte das dazu beigetragen, Anis Amri durch eine Abschiebung nach Tunesien an einem Anschlag in der EU zu hindern. Doch damals hat die Bundesregierung noch aktiv weggeschaut, obwohl man gemeinsam mit Italien in Bezug auf schnelle Ausweisungen sicherlich etwas hätte bewegen können.

Einen Schönheitsfehler hat eine solche von Egoismus geprägte europäische Denkweise aber sowieso. Was nutzen konsequente Abschiebungen von Gefährdern, wie sie mittlerweile nicht nur von der CSU und Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sondern auch von Cem Özdemir (Grüne) und seiner Partei gefordert werden, wenn Tunesien dann nicht gleichzeitig geholfen wird, mit diesen Terroristen fertig zu werden. Wäre es denn besser gewesen, wenn Anis Amri einen Anschlag auf eine tunesische Hotelanlage durchgeführt hätte? Und wäre es wirklich zielführend, wenn Tunesien, das erst vor 5 Jahren demokratisch wurde, durch solche Leute in ein ähnliches Chaos gestürzt würde wie Libyen?
Was Union und Grüne jetzt fordern, erinnert deshalb nicht nur an das Sankt-Florians-Prinzip, sondern erscheint auch schlicht kontraproduktiv, wenn es um die langfristige Sicherheit Europas geht.

Zumindest von einer Oppositionspartei wie den Grünen hätte man daher erwarten dürfen, dass sie den Finger in die tatsächlichen Wunden legt. Wenn es nämlich deutschen Sicherheitsbehörden nicht möglich ist, die ca. 200 in Deutschland befindlichen und nicht inhaftierten Gefährder ordentlich zu überwachen, dann ist das das Ergebnis eines massiven Regierungs- und Staatsversagens.
Selbst wenn man die Unterstützerkreise dieser Gefährder hinzuzählt, kommt man laut offiziellen Angaben auf deutlich weniger als 600 Personen [1]. Um eine vollständige Überwachung dieser potentiellen Terroristen in Deutschland zu gewährleisten, wären, großzügig gerechnet, rund 20.000 Beamte notwendig bzw. grob 2 Mrd. Euro für Personal- und Sachkosten, die sogar zum Teil über Steuern und Sozialabgaben wieder zurück in den Staatshaushalt fließen würden. Außerdem könnte der Bund mit BKA und Bundespolizei bei diesen anscheinend sehr mobilen Gefährdern die Überwachung übernehmen, womit Fehler bei der Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Landesbehörden verhindert würden. Sobald ein Gefährder dann eine Straftat begeht oder Auflagen verletzt, kann er wenigstens eine gewisse Zeit aus dem Verkehr gezogen oder, wenn es Tat und Persönlichkeitsprofil hergeben, sogar anschließend in Sicherheitsverwahrung genommen werden.

Außerdem ist es vielleicht nicht nur Zufall, dass Anis Amri am Ende in Italien dingfest gemacht wurde, das mehr Polizeibeamte im Dienst hat als die Bundesrepublik mit 20 Millionen mehr Einwohnern. Kommen in Deutschland gerade mal 30 Polizeibeamte auf 10.000 Einwohner, sind es in Italien 47 [2].
Zugegeben, Italien hat mit der Mafia auch ein größeres Kriminalitätsprobleme und die Zahl der Polizeibeamten sagt noch nichts über die Sicherheit in einem Land aus, das zeigen Finnland oder Norwegen mit nur 15 Polizisten je 10.000 Einwohner. Aber bei der hiesigen Sozialstruktur, der Lage mitten in Europa und der vorhandenen Gefährdung durch Terrorismus kann man sich schon fragen, warum Deutschland nicht wenigstens, wie z.B. Belgien, auf 40 Polizisten je 10.000 Einwohner kommt.
Doch anstatt diese Missstände und Fehler klar zu benennen, wird lieber nach Abschiebungen nach Tunesien gerufen. Bei den Regierungsparteien mag dieser ablenkende Populismus ja noch verständlich sein, aber für die grüne Opposition ist das ein echtes Armutszeugnis. Natürlich muss es künftig möglich werden, irregulär einreisende Tunesier wieder abzuschieben, wenn sie keinen Schutzanspruch haben. Ein Verschiebebahnhof für terroristische Gefährder, wie es Anis Amri war, nutzt allerdings niemandem. Für den Kampf gegen den Terror braucht es deshalb vor allem gut ausgerüstete und funktionierende Sicherheitsapparate, egal ob nun in Deutschland, Italien oder Tunesien.


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[1] Artikel zu Gefährdern von Zeit-Online vom 21.12.2016 (Link zum Artikel auf www.zeit.de)

[2] Zahl der Polizeibeamte 2010-2012 laut Eurostat (Schlüsseldaten über Europa, S. 45) (Link zur PDF auf ec.europa.eu)

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Der europäische Schwarzbau oder die Geschichte vom Hobbyhandwerker Helmut K. https://www.mister-ede.de/politik/der-europaeische-schwarzbau/5852 https://www.mister-ede.de/politik/der-europaeische-schwarzbau/5852#comments Wed, 14 Dec 2016 14:46:29 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5852 Weiterlesen ]]> Er gilt als der Architekt des europäischen Hauses, so wie wir es heute kennen – der Hobbyhandwerker Helmut K. aus der Pfalz. Zusammen mit seinem in Paris lebenden Freund François M. und später auch mit Jacques C. war er in den 80er und 90er Jahren maßgeblich für die Umgestaltung des europäischen Gebäudes verantwortlich. Eine Luxusimmobilie sollte es eigentlich mal werden, in der sich alle Bewohner wohlfühlen. Doch was Helmut K. da hinterlassen hat, ist nicht mehr als ein Schwarzbau, der gänzlich ohne Baugenehmigung und ohne die vorgeschriebene Bürgerbeteiligung errichtet wurde.
Regelmäßig bastelte der Pfälzer am europäischen Haus und gestaltete es je nach Bedarf um, ohne dabei auch nur einen Gedanken an Statik und Benutzbarkeit zu verschwenden. So wurde nach seinen Plänen immer weiter aufgestockt und angebaut, obwohl die Probleme bei der Tragfähigkeit allseits bekannt waren. Das Ergebnis ist heute ein Gebäude, bei dem es an vielen Ecken knirscht, mit undichtem Dach und schrägen Wänden. Selbst die Türen sind kaputt und lassen sich nicht mehr richtig schließen, sodass nun auch ungebetene Gäste ohne Probleme in das europäische Haus kommen können.

Neben der maroden Bausubstanz machen den Bewohnern aber auch zahlreiche andere Fehlplanungen das Leben schwer. Statt jedem Wohnungsbesitzer einen eigenen Parkplatz zu geben, stehen alle 28 Autos hintereinander gereiht in einer Garage. Je nachdem, wer also gerade etwas zu erledigen hat, müssen zunächst alle anderen 27 Hausbewohner ihre Autos aus der Garage holen. Das ist natürlich mühsam und hat ein Bewohner gerade keine Lust, gerät alles ins Stocken und nichts geht mehr voran.
Genauso ist bei der Hausordnung und der Organisation des Zusammenlebens einiges im europäischen Haus schief gelaufen. Gemeinsam wollten sich die Bewohner um die Außenanlagen kümmern, doch am Ende ist aus dieser Verabredung ein völliges Durcheinander geworden. Zwar freuten sich alle, als vor einigen Jahren auf der Ostseite des Hauses die Kastanien erblühten, allerdings um die zarten Gewächse kümmern wollte sich damals niemand. So gingen die Kastanien wieder ein und auch dem Jasmin, der südlich des Gartenteiches sprießte, erging es ähnlich. Als dann vor zwei Jahren der Bub aus dem Nachbarhaus anfing, wild durch den Vorgarten zu trampeln und ihn zu verwüsten, schimpften die Hausbewohner zwar laut. Am Ende lösten sie das Problem aber einfach, indem sie den Gartenzaun näher zu sich versetzten, damit der Nachbarsjunge mehr Platz zum Spielen hat.

Doch nicht nur der Vorgarten wuchert so vor sich hin, sondern auch sonst ist der Zusammenhalt unter den Hausbewohnern allmählich geschwunden. Anstatt zum Beispiel der bulgarischen Oma zu helfen, ihre Wohnung herzurichten, vermietet ihr der Deutsche lieber zu horrenden Preisen eine Matratze und lässt die arme Frau für einen Hungerlohn bei sich putzen. Genauso greift niemand ein, wenn der rumänische Papa wieder einmal seine Roma-Kinder schlägt, und auch dem jungen Spanier, der keinen Arbeitsplatz findet, hilft keiner der Hausbewohner.
Und wie es dann noch in einigen Wohnungen des europäischen Hauses zugeht. Zum Beispiel sind die Gerichte, die der Pole Jaroslaw zubereitet, so überhaupt nicht nach der europäischen Rezeptur und werden immer ungenießbarer. Außerdem gibt es dann noch ein paar unangenehme Zeitgenossen unter den Hausbewohnern, wie z.B. diesen Ungarn, der jedem, der nicht nach seinem Mund redet, Hausverbot erteilt oder ihn in seiner Rumpelkammer einschließt. Wen wundert es da eigentlich noch, dass die britische Familie inzwischen dabei ist, das Kündigungsschreiben fertig zu machen und den Auszug vorzubereiten.

Nimmt man also alles zusammen, dann hat Helmut K. einen europäischen Schwarzbau errichtet, der Mängel in der Bausubstanz und der Gebäudestruktur hat und dessen Bewohner sich nicht an die vereinbarte Hausordnung halten, unsolidarisch sind und nun zum Teil sogar wieder ausziehen wollen. Auch wenn der Hobbyhandwerker aus der Pfalz sicher etwas anderes plante, eine attraktive Luxusimmobilie hat er da wahrlich nicht gebaut.


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Die friedensstiftende Wirkung der Genfer Flüchtlingskonvention https://www.mister-ede.de/politik/friedensstiftende-wirkung-gfk/5098 https://www.mister-ede.de/politik/friedensstiftende-wirkung-gfk/5098#comments Thu, 23 Jun 2016 18:31:02 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5098 Weiterlesen ]]> Es waren die Erfahrungen von massenhafter Flucht, Verfolgung und Vertreibung im und nach dem 2. Weltkrieg, die in einer Verständigung auf eine Konvention zum Schutz von Flüchtlingen mündeten. Die heutige Form der Konvention mit einem Schutzanspruch für alle Flüchtlinge ist jedoch erst im Laufe der Zeit entstanden und wird außerhalb der EU in dieser allgemeinen Form auch nicht überall angewendet. Dort allerdings, wo dies der Fall ist, bietet die Genfer Flüchtlingskonvention einen umfassenden Schutz für verfolgte und vertriebene Menschen. So ist unter anderem festgeschrieben, dass schutzberechtigte Personen nicht nur Anspruch auf eine Mindestversorgung haben, sondern auf eine Rechtsstellung, die derjenigen der einheimischen Bevölkerung nicht nachsteht. Daneben wird in der Konvention festgehalten, dass jeder, der aus einem für seine Person nicht sicheren Gebiet einreist, das Recht hat, seinen Schutzanspruch geltend zu machen.
Mit diesen weitreichenden Schutzrechten für Geflüchtete setzt die Genfer Flüchtlingskonvention aber nicht nur Maßstäbe bei der Humanität, sondern entfaltet auch eine große Friedenskraft. Sobald in einer Nachbarregion eines Staates, der die GFK vollständig anwendet, eine Situation entsteht, die Menschen zur Flucht zwingt, steht dieser Staat unmittelbar in der Pflicht, Schutz zu gewähren. Er darf den Verfolgten und Vertriebenen die Einreise nicht verweigern und ist darüber hinaus im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Versorgung dieser Schutzsuchenden verpflichtet.

Bei Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Land somit automatisch für die in seiner Nachbarschaft lebenden Menschen mitverantwortlich. Im Falle einer Krisensituation kommt hierdurch von außen ein zusätzlicher Akteur hinzu, der ein eigenes Interesse daran hat, Krisen, Verfolgung und Vertreibung zu beenden. Allerdings ist die GFK in Bezug auf die zwischenstaatlichen Beziehungen neutral gefasst und schreibt deshalb nur Schutzansprüche für Flüchtlinge fest und keinerlei Eingriffsrechte in Staaten, aus denen Menschen fliehen. Beim Versuch, eine Krise von außen zu beruhigen, muss daher die Souveränität der betroffenen Länder gewahrt werden. Auf diese Weise führt die Genfer Flüchtlingskonvention nicht zu Alleingängen von Staaten, sondern fördert den Prozess der Krisenbewältigung mit Hilfe der internationalen Völkergemeinschaft. Während also die Pflicht zur Schutzgewährung ein Wegschauen vor Krisen verhindert, lenkt das Fehlen von Eingriffsrechten die beteiligten Staaten hin zum Dialog.
Im besten Falle entfaltet sich die friedensstiftende Wirkung der GFK allerdings schon im Vorfeld von Krisen und führt zu einer vorausschauenden Nachbarschaftspolitik. Hat ein Land die Konvention unterschrieben, liegt es in seinem ureigenen Interesse, dem Entstehen von Fluchtgründen in angrenzenden Regionen vorzubeugen und die Stabilität dieser Regionen zu fördern und zwar nicht nur in Bezug auf die politische Führung, sondern auch im Hinblick auf die Menschenrechts-, Sicherheits- und Versorgungslage.

Entsprechend bedeutet die Anwendung der GFK für die Europäische Union, dass aus der Verpflichtung zur Schutzgewährung die Notwendigkeit erwächst, sich gegen Krisen, Verfolgung und Vertreibung in der Nachbarschaft der EU einzusetzen.
Konkret heißt das beispielsweise, den westlichen Balkan auf dem Weg in die Europäische Union zu begleiten, weiterhin den Friedensprozess in der Ukraine zu unterstützen oder zu versuchen, zumindest eine Verschärfung des türkisch-kurdischen Konflikts oder eine Verschlechterung der Menschenrechtslage in der Türkei zu verhindern. Es bedeutet aber auch, auf die Einhaltung der Menschenrechte in Ägypten, Algerien und Marokko hinzuwirken, Libyen bei der Rückgewinnung der Staatlichkeit und Tunesien beim Aufbau des demokratischen Rechtsstaats zu helfen.
Gelingt der EU auf diese Weise die Stabilisierung ihrer Nachbarschaft, wäre das der mit Abstand beste Flüchtlingsschutz, aber eben auch die Entfaltung der friedensstiftenden Wirkung der Genfer Flüchtlingskonvention.

Text und weitere Informationen zur Genfer Flüchtlingskonvention auf www.unhcr.de


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Flüchtlingspolitik: Alternativen zur Ägäis-Route https://www.mister-ede.de/politik/alternativen-zur-aegaeis-route/4841 https://www.mister-ede.de/politik/alternativen-zur-aegaeis-route/4841#comments Fri, 11 Mar 2016 08:39:25 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4841 Weiterlesen ]]> In der öffentlichen Diskussion über die Verhandlungen mit der Türkei zur Begrenzung der Migrationsbewegung in der Ägäis, wird immer wieder angeführt, dass ein Abkommen mit der Türkei ins Leere läuft, weil die Flüchtlinge im Zweifel einfach auf andere Routen ausweichen. Ob ein solches Szenario tatsächlich realistisch ist, soll ein genauerer Blick auf die möglichen Ausweichrouten zeigen.

Die Entwicklung der Flüchtlingsrouten:

Vergleicht man die Zahlen, flohen und fliehen seit etwa vier Jahren über die Staaten Nordafrikas und das Mittelmeer grob 200.000 Personen pro Jahr, während über die Türkei nach Griechenland bis zum Frühjahr 2015 nur einige tausend Schutzsuchende kamen. Dies änderte sich ab diesem Zeitpunkt, vermutlich weil erkennbar wurde, dass dieser Weg für Flüchtlinge mit weniger Risiko und Aufwand verbunden, aber genauso erfolgsversprechend ist. In den Sommermonaten 2015 reisten dann zum Teil 200.000 Flüchtlinge in einem einzigen Monat irregulär über die Türkei in Griechenland und damit der EU ein und selbst jetzt im Winter lag diese Zahl mit z.B. 67.000 Einreisen im Januar 2016 äußerst hoch.
Dies zeigt allerdings, dass es sich bei der Ägäis-Route schon um eine besondere Route und nicht nur um eine unter vielen handelt. Die geografischen Verhältnisse mit kilometerlangen Seegrenzen bei zum Teil wenigen Kilometern Abstand zwischen türkischem Festland und griechischen Inseln sind für eine irreguläre Einreise in die EU weit besser geeignet, als das bei allen bisherigen Wegen der Fall war. Gerade deshalb dürfte es für Schlepper und Flüchtlinge allerdings schwer werden, diese Route einfach durch eine andere zu ersetzen, zumal für die irreguläre Migration von monatlich 100.000 Menschen auch erst wieder eine gewisse Infrastruktur aufgebaut werden muss.

Alternative Routen:

Die naheliegendste Alternative ist der Geografie entsprechend eine Fluchtroute von der Türkei über das Schwarze Meer nach Bulgarien. Bei einem Abkommen mit der Türkei könnte allerdings genau das schon berücksichtigt werden, so dass einem Ausweichverhalten automatisch vorgebeugt wäre.
Nördlich der Türkei sind Wege über Russland denkbar, allerdings erscheint eine Fluchtbewegung in dieser Dimension über Russland bei aller Phantasie höchst unwahrscheinlich. Hingegen scheitern die südlich der Türkei gelegenen Fluchtrouten über Zypern daran, dass das EU-Mitglied bislang nicht in den kontrollfreien Schengenraum integriert ist.
Damit verbleiben jedoch nur wieder jene Fluchtrouten über Nordafrika, die von den Flüchtlingen, wenn es denn geht, gemieden werden. Hinzu kommt, dass die EU diesbezüglich ihre Kooperation mit Marokko, Algerien und Tunesien weiter vertieft, weshalb auch dort eine Entwicklung wie in der Ägäis zurzeit unwahrscheinlich ist. Übrig bleibt somit alleine die Fluchtroute über das Gebiet des früheren Libyens z.B. nach Lampedusa oder Malta. Doch selbst wenn sich an der dortigen Situation vorerst nichts ändert und es nicht gelingt, mit Hilfe einer neuen Regierung zu einer stabilen Lage an der libyschen Küste zu kommen, wird diese Route nur zum Teil einen Ersatz darstellen können. Immerhin ist es ein gewaltiger Unterschied, ob mit einem Boot im Mittelmeer eine Strecke von 3 oder 300 Kilometern überwunden werden muss und das zeigt sich eben auch darin, dass der sprunghafte Anstieg der Flüchtlingszahlen im Frühjahr 2015 eng mit der Ägäis-Route verbunden ist.

Fazit:

Kommt es zu einer Vereinbarung mit der Türkei, welche die irreguläre Migration in die EU deutlich erschwert, z.B. durch ein Rückführungsabkommen, wird der Druck auf andere Fluchtrouten zunehmen. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass dort ähnliche Dimensionen bei den Flüchtlingszahlen erreicht werden, wie auf der Ägäis-Route von der Türkei nach Griechenland. Die Vermutung, dass ein Abkommen mit der Türkei wegen eines Ausweichverhaltens der Flüchtlinge ins Leere läuft, ist deshalb zumindest gewagt.


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Der künftige Umgang mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten https://www.mister-ede.de/politik/schutz-bei-sicherer-herkunft/4721 https://www.mister-ede.de/politik/schutz-bei-sicherer-herkunft/4721#comments Sat, 23 Jan 2016 17:38:39 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4721 Weiterlesen ]]> Nachdem im vergangen Jahr die Flüchtlingszahlen in Deutschland und der EU deutlich angestiegen sind und es eine Wanderungsdynamik von Flüchtlingen unter anderem aus Syrien bis nach Schweden gab, wird aktuell viel über Obergrenzen, Kontingente, Hotspots oder die Sicherung der EU-Außengrenzen diskutiert. Die zentrale Frage aber, die es 2016 zu beantworten gilt, ist eine andere:

Wie wird künftig mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten umgegangen?

Zu beachten ist dabei, dass der Drittstaat das Land bezeichnet, aus dem eine Person in ein anderes einreist, während das Land, aus dem eine Person ursprünglich kommt, das Herkunftsland ist. So kommt z.B. ein Syrer mit Herkunftsland Syrien bei einem Grenzübertritt von der Türkei nach Griechenland aus dem Drittland Türkei und bei einem Grenzübertritt von Österreich nach Deutschland aus dem Drittland Österreich.
Entsprechend steht die Frage nach dem künftigen Umgang mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten unabhängig davon im Raum, ob man, wie es die CSU macht, auf die Binnengrenzen innerhalb der EU schaut oder, wie es SPD und CDU machen, auf die EU-Außengrenzen.

Sowohl das deutsche GG (Art. 16a II) als auch die Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 33 I) verbieten nicht die Zurückweisung von Flüchtlingen, die aus einem sicheren Drittland einreisen wollen. Bereits jetzt ist diese Form der Zurückweisung in vielen Ländern der Welt und auch in EU-Mitgliedsländern lange geübte Praxis, so z.B. an den mit Zäunen gesicherten Grenzen zwischen Marokko und den spanischen Enklaven Melilla und Ceuta oder auch den Landgrenzen zwischen Bulgarien bzw. Griechenland und der Türkei.
Rechtlich ist es also unproblematisch, den Flüchtlingszustrom auf diese Weise zu reduzieren, sofern die jeweiligen Drittländer als sicher gelten. Die medial nicht so viel beachteten Versuche, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten auf europäischer Ebene z.B. durch die Türkei, Marokko, Algerien oder Tunesien zu ergänzen, zielen entsprechend auch genau darauf ab, dort einen sicheren Status auszuweisen.

Allerdings reicht die rechtliche Betrachtung alleine keinesfalls aus, um die Frage, wie mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittländern künftig umgegangen werden soll, vollständig zu beantworten. Denn gerade weil es die Rechtslage zulässt, die legale Einreise z.B. von der Türkei nach Griechenland zu verwehren, steigen ja Hunderttausende in Boote oder schlagen sich nachts durch die Gebüsche, wodurch genau diese Einreiseregeln in der Realität ausgehebelt werden. Solange dann aber die Drittländer nicht zu einer Rücknahme der illegal eingereisten Personen bereit sind, nutzt in diesen Fällen auch deren vorherige Einstufung als sicher wenig.
Bei der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten gehört daher zur Wahrheit dazu, dass die EU zwar einseitig diesen Status ändern kann, für eine wirksame Umsetzung der daran anknüpfenden Rechtsfolgen aber stets auf die Kooperation der jeweiligen Nachbarländer, z.B. in Form von Rückführungsabkommen, angewiesen bleiben wird. Doch selbst wenn sich die Nachbarländer der EU kooperativ zeigen, bleibt es immer noch schwierig, z.B. auf dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge eindeutig einem Land zuzuordnen. Hinzu kommt, dass mit Libyen zumindest einer der nordafrikanischen Mittelmeeranrainer definitiv als nicht sicher einzustufen ist.

Ähnlich ist die Problemlage an den Binnengrenzen der EU, wodurch die Parallelen auch noch einmal sichtbar werden. So hätte eine Entscheidung Deutschlands, die offiziellen Grenzen zu Österreich für Schutzsuchende zu schließen, mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein solches Ausweichverhalten der Flüchtlinge hin zur grünen Grenze zur Folge.
Und obwohl Rückführungen in der EU durch das Dublin-System bereits rechtlich verankert sind, so stellen auch diese immer wieder ein Problem dar, weil z.B. manche Flüchtlinge zuvor in keinem anderen Land registriert wurden oder die Zustände in anderen EU-Mitgliedsstaaten nach deutschem Recht eine Rückführung schlicht ausschließen.

Stellt man sich dennoch für einen Moment vor, dass die Umsetzung des rechtlich Zulässigen auch real möglich ist, bleibt noch immer die entscheidende Frage, ob die Zurückweisung von Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten auch ethisch vertretbar wäre. So ist in Bezug auf die deutschen EU-Binnengrenzen zwar der Hinweis richtig, dass z.B. auch in Österreich eine anständige Versorgung von Flüchtlingen gewährleistet wird, jedoch lässt dies außer Acht, dass eine solche teilweise Grenzschließung eine Kettenwirkung zur Folge hätte, welche die Lasten der Flüchtlingsversorgung auf den Balkan und nach Italien oder Griechenland verschieben würde. Gerade vor dem Hintergrund, dass immer wieder gefordert wird, Deutschland solle mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, stellt sich deshalb die Frage, ob ein solches Kopf in den Sand stecken wirklich eine angemessene Reaktion für das größte Mitgliedsland der EU wäre.
Noch stärker drängt sich diese Frage allerdings in Bezug auf die EU-Außengrenzen auf. Was hätte es noch mit europäischen Werten zu tun, wenn Europa in dieser Krise einfach die Zugbrücken hochklappt und sich hinter Frontex und Co. verschanzt?
Wenn die EU künftig einen Großteil der EU-Nachbarschafft als sichere Herkunftsländer und damit auch als sichere Drittländer einstufen und Schutzsuchende abweisen oder zurückführen will, wird dies aus meiner Sicht daher nur dann ethisch vertretbar sein, wenn die EU gleichzeitig auf anderem Wege ihrer Verantwortung für die Flüchtlinge gerecht wird. Einige Milliarden Euro an Erdogan und die Türkei werden hierfür aber sicher nicht reichen. Anstatt die Flüchtlingsversorgung alleine den dortigen Behörden zu überlassen, müsste die EU zumindest eine Mitverantwortung für die ordentliche Versorgung der Schutzsuchenden in diesen künftig sicheren Ländern übernehmen. Ein EU-Flüchtlingskommissar mit gut ausgestattetem EU-Flüchtlingshilfswerk wäre hier beispielsweise ein denkbarer Ansatz. Desweiteren müsste es aber auch große Kontingente zur Aufnahme von Flüchtlingen geben, um damit die restriktiven Einreisebestimmungen ein wenig auszugleichen.

Bleibt hingegen die Frage, wie mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten umgegangen wird, weiterhin einfach unbeantwortet im Raum stehen, werden auch künftig Flüchtlinge versuchen, illegal aus der Türkei nach Griechenland und von dort unter anderem nach Deutschland zu reisen, um Asyl oder humanitären Schutz zu suchen. Wenn also die Zahl der nach Europa und Deutschland kommenden Flüchtlinge 2016 reduziert werden soll, wird man nicht umhin kommen, diese zentrale Frage zu beantworten.

Anmerkung: Text überarbeitet am 29.01.2016, um Drittstaaten und Herkunftsstaaten korrekt zu unterscheiden.


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“Der Oppositionelle muss ins Eckige” https://www.mister-ede.de/4-fun/10-unterdruckungs-weisheiten/1097 https://www.mister-ede.de/4-fun/10-unterdruckungs-weisheiten/1097#comments Sun, 10 Jun 2012 17:25:50 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=1097 Weiterlesen ]]> Die 10 bekanntesten Weisheiten rund um Unterdrückung:

Ein Verhör dauert 90 Minuten und das nächste Verhör ist immer das schwierigste. (Oppositionsregel aus der Ukraine)

Der Oppositionelle muss ins Eckige. (So einfach funktioniert Diktatur)

Erst hatten wir keine Pressefreiheit, und dann kam auch noch Zensur dazu. (Leidige Feststellung eines ungarischen Journalisten)

Demokratie ist, wenn alle abstimmen und am Ende Janukowytsch gewinnt. (Ärger über die Unparteiischen, nach einer Wahlniederlage)

Ein Teil meines Volkes war in Gefängnissen, wurde gefoltert und enteignet – den Rest habe ich nur unterdrückt. (Ehemaliger Diktator über seine privaten Leidenschaften)

Demokratie ist, wenn Putin das sagt. (Die Macht des russischen Unparteiischen ist uneingeschränkt, wie ein Reporter feststellt)

Für 3 Karrierepunkte musst du mindestens einen Oppositionellen erschießen. (Binsenweisheit zur syrischen Karriereleiter)

Eine Wahl gewinnt man in den Gefängnissen! (Ehemaliger Gefängniswärter über die Bedeutung der Verteidigung)

Ich entscheide wer in meiner Demokratie gewählt wird (Der ukrainische Verantwortliche zur Einmischungen des Volkes in die Wahlaufstellung)

Wir wollten keine Opposition, das hat auch bis zum Umsturz gut geklappt. (Kommentar des Tunesischen Verantwortlichen nach der Schlappe 2011)

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