Die friedensstiftende Wirkung der Genfer Flüchtlingskonvention
Es waren die Erfahrungen von massenhafter Flucht, Verfolgung und Vertreibung im und nach dem 2. Weltkrieg, die in einer Verständigung auf eine Konvention zum Schutz von Flüchtlingen mündeten. Die heutige Form der Konvention mit einem Schutzanspruch für alle Flüchtlinge ist jedoch erst im Laufe der Zeit entstanden und wird außerhalb der EU in dieser allgemeinen Form auch nicht überall angewendet. Dort allerdings, wo dies der Fall ist, bietet die Genfer Flüchtlingskonvention einen umfassenden Schutz für verfolgte und vertriebene Menschen. So ist unter anderem festgeschrieben, dass schutzberechtigte Personen nicht nur Anspruch auf eine Mindestversorgung haben, sondern auf eine Rechtsstellung, die derjenigen der einheimischen Bevölkerung nicht nachsteht. Daneben wird in der Konvention festgehalten, dass jeder, der aus einem für seine Person nicht sicheren Gebiet einreist, das Recht hat, seinen Schutzanspruch geltend zu machen.
Mit diesen weitreichenden Schutzrechten für Geflüchtete setzt die Genfer Flüchtlingskonvention aber nicht nur Maßstäbe bei der Humanität, sondern entfaltet auch eine große Friedenskraft. Sobald in einer Nachbarregion eines Staates, der die GFK vollständig anwendet, eine Situation entsteht, die Menschen zur Flucht zwingt, steht dieser Staat unmittelbar in der Pflicht, Schutz zu gewähren. Er darf den Verfolgten und Vertriebenen die Einreise nicht verweigern und ist darüber hinaus im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Versorgung dieser Schutzsuchenden verpflichtet.
Bei Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Land somit automatisch für die in seiner Nachbarschaft lebenden Menschen mitverantwortlich. Im Falle einer Krisensituation kommt hierdurch von außen ein zusätzlicher Akteur hinzu, der ein eigenes Interesse daran hat, Krisen, Verfolgung und Vertreibung zu beenden. Allerdings ist die GFK in Bezug auf die zwischenstaatlichen Beziehungen neutral gefasst und schreibt deshalb nur Schutzansprüche für Flüchtlinge fest und keinerlei Eingriffsrechte in Staaten, aus denen Menschen fliehen. Beim Versuch, eine Krise von außen zu beruhigen, muss daher die Souveränität der betroffenen Länder gewahrt werden. Auf diese Weise führt die Genfer Flüchtlingskonvention nicht zu Alleingängen von Staaten, sondern fördert den Prozess der Krisenbewältigung mit Hilfe der internationalen Völkergemeinschaft. Während also die Pflicht zur Schutzgewährung ein Wegschauen vor Krisen verhindert, lenkt das Fehlen von Eingriffsrechten die beteiligten Staaten hin zum Dialog.
Im besten Falle entfaltet sich die friedensstiftende Wirkung der GFK allerdings schon im Vorfeld von Krisen und führt zu einer vorausschauenden Nachbarschaftspolitik. Hat ein Land die Konvention unterschrieben, liegt es in seinem ureigenen Interesse, dem Entstehen von Fluchtgründen in angrenzenden Regionen vorzubeugen und die Stabilität dieser Regionen zu fördern und zwar nicht nur in Bezug auf die politische Führung, sondern auch im Hinblick auf die Menschenrechts-, Sicherheits- und Versorgungslage.
Entsprechend bedeutet die Anwendung der GFK für die Europäische Union, dass aus der Verpflichtung zur Schutzgewährung die Notwendigkeit erwächst, sich gegen Krisen, Verfolgung und Vertreibung in der Nachbarschaft der EU einzusetzen.
Konkret heißt das beispielsweise, den westlichen Balkan auf dem Weg in die Europäische Union zu begleiten, weiterhin den Friedensprozess in der Ukraine zu unterstützen oder zu versuchen, zumindest eine Verschärfung des türkisch-kurdischen Konflikts oder eine Verschlechterung der Menschenrechtslage in der Türkei zu verhindern. Es bedeutet aber auch, auf die Einhaltung der Menschenrechte in Ägypten, Algerien und Marokko hinzuwirken, Libyen bei der Rückgewinnung der Staatlichkeit und Tunesien beim Aufbau des demokratischen Rechtsstaats zu helfen.
Gelingt der EU auf diese Weise die Stabilisierung ihrer Nachbarschaft, wäre das der mit Abstand beste Flüchtlingsschutz, aber eben auch die Entfaltung der friedensstiftenden Wirkung der Genfer Flüchtlingskonvention.
Text und weitere Informationen zur Genfer Flüchtlingskonvention auf www.unhcr.de
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