Eine Bilanz der EU-Flüchtlingspolitik der letzten 12 Monate
Als im April 2015 bei starker Tendenz nach oben über 10.000 Schutzsuchende in Griechenland ankamen, wurde erkennbar, dass sich neben der bisherigen Fluchtroute von Libyen nach Italien, über die seit dem arabischen Frühling 2011 jährlich rund 100.000 – 200.000 Flüchtlinge irregulär in die EU einreisen, eine weitere etabliert. Bei über 50.000 Einreisen nach Griechenland alleine im Monat Juli und über 100.000 im August wurde jedoch schnell deutlich, dass die Flüchtlingszahlen, auch aufgrund veränderter Rahmenbedingungen, auf dieser Strecke ganz andere Dimensionen erreichen werden.
Nachdem durch die Verschiebung der Fluchtrouten außerdem zusätzliche Länder von der Migration betroffen waren, wurde ab diesem Zeitpunkt in weiten Teilen der EU jener Handlungsbedarf gesehen, auf den Italien bis dahin vergeblich aufmerksam machte.
In der Folge reagierten die EU und ihre Mitgliedsstaaten mit verschiedenen Maßnahmen, von einem Ausbau der Grenzsicherung über einen veränderten Umgang mit Asylbewerbern aus den Balkanländern bis hin zu einer verbesserten Ausstattung des Internationalen Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Auch zahlreiche Asylrechtsdebatten waren die Folge, seien das Gesetzesänderungen oder die Auseinandersetzung über eine Obergrenze in Deutschland, die Einführung einer solchen in Österreich, die Aussagen osteuropäischer Regierungen, keine Muslime aufnehmen zu wollen, oder die aktuellen Änderungsvorschläge der EU-Kommission zum Dublin-Verfahren.
Reduktion der Zahl der in die EU kommenden Flüchtlinge:
Durch die Ausweitung der Finanzmittel für die Flüchtlingshilfe konnte in den letzten Monaten die gröbste Not in den Flüchtlingslagern rund um Syrien gelindert werden.
Auf einer Balkan-Konferenz im Herbst wurden Finanzhilfen für und eine bessere Zusammenarbeit mit den Nicht-EU-Ländern des Balkans vereinbart. Ergänzt um Maßnahmen der Mitgliedsstaaten, z.B. in Deutschland die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten auf die Balkan-Region, konnte damit die Zahl der Asylbewerber vom Balkan noch im Herbst 2015 deutlich gesenkt werden.
Zahlreiche EU-Länder reagierten überdies mit Grenzkontrollen an Binnengrenzen, wie z.B. Deutschland gegenüber Österreich, und an Außengrenzen, wie beim ungarischen Zaunbau zu Serbien. Gleichzeitig verstärkten die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Zusammenarbeit mit der Türkei zum Schutz der Außengrenzen, was im März dieses Jahres in einem EU-Türkei-Abkommen mündete. Insgesamt führten diese Maßnahmen dazu, dass die Zahl der in die EU kommenden Flüchtlinge von über 200.000 im Oktober 2015 auf unter 20.000 im April 2016 gesunken ist.
Kleine Schritte der Harmonisierung und Koordination der Flüchtlingspolitik:
Daneben wurden die Mitgliedsstaaten durch die EU an die Verwendung des gemeinsamen Registrierungssystems für Flüchtlinge, Eurodac, erinnert, so dass heute der Datenaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten besser funktioniert. Außerdem wurde eine finanzielle und personelle Stärkung von Frontex verabredet und mit der EU-Verordnung Nr. 399/2016, die am 12.4.2016 in Kraft getreten ist, wurden im Rahmen des Schengener Grenzkodex neue Standards zur Grenzsicherung und zum Umgang mit Personen beim Grenzübertritt festgeschrieben.
Entgegen anderer Pläne der EU-Kommission, bleibt allerdings die Überwachung der EU-Außengrenzen, wie von den Mitgliedsstaaten gefordert, weiterhin die Aufgabe des jeweiligen Nationalstaats. Eine grundlegende Änderung der Systematik hin zu einer echten gemeinsamen europäischen Grenzsicherung findet damit nicht statt und bei der Reform des Dublin-Systems droht ähnliches. Auch hier stoßen schon die aktuellen Vorstellungen der EU-Kommission, die nur ansatzweise hin zu einem echten gemeinsamen Asylsystem gehen, auf zum Teil erbitterten Widerstand zahlreicher EU-Länder.
Mangelnde Bereitschaft, der humanitären Verantwortung gerecht zu werden:
Während es bei der Grenzsicherung noch gelungen ist, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu verständigen, fehlt die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, gänzlich. So sind die dringend benötigten Umverteilungen aus Griechenland oder Italien bislang kaum vorangekommen und die Situation vieler Schutzsuchender in der EU ist noch immer beschämend. Auch die freiwilligen Kontingente zur Aufnahme von Flüchtlingen, wie sie im EU-Türkei-Abkommen vereinbart wurden, gibt es bislang nur auf dem Papier und auf noch größeren Widerstand der EU-Mitgliedsstaaten stoßen Mechanismen, bei denen die Nationalstaaten die Hoheit über die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Hand geben müssten, z.B. Quotensysteme.
Weiterhin fehlend damit jene regulären Wege nach Europa, mit denen die EU ihre humanitäre Verantwortung wahrnehmen könnte. Daneben ist bislang aber auch die Kontrolle unzureichend, ob der Schutz von abgewiesenen oder rückgeführten Personen in den Herkunfts- oder Drittstaaten tatsächlich gewährleistet ist. Und auch bei der Hilfe vor Ort bleibt die EU vieles schuldig und so fehlt z.B. eine Bündelung der Flüchtlingshilfe in einem gemeinsamen europäischen Flüchtlingshilfswerk, um Geflüchteten eng verknüpft mit einer europäischen Entwicklungszusammenarbeit in der Nähe ihrer Heimatregionen eine Perspektive zu geben.
Die Bilanz:
Fasst man zusammen, dann unternimmt die EU heute zumindest das Nötigste, um die Lage in den Krisengebieten und Flüchtlingslagern zu verbessern – aber eben auch nicht mehr. Die Asylmigration vom Balkan wurde gestoppt und häufig wurde das nationale Asylrecht verschärft. Weiterhin fehlen jedoch reguläre Wege in die EU, während die Zahl der irregulären Einreisen in Kooperation mit Herkunfts- und Drittstaaten reduziert wurde. Kleinere Schritte zur Harmonisierung des Grenzschutzes und zur besseren Koordination des Flüchtlingsmanagements wurden in der EU gegangen.
Insgesamt ist die Bilanz der EU-Flüchtlingspolitik der letzten Monate damit durchwachsen und es bleibt noch viel Luft nach oben.
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Die Hürden des EU-Türkei-Abkommens (www.mister-ede.de – 08.04.2016)
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