Die Hürden des EU-Türkei-Abkommens

Beim letzten EU-Gipfel Mitte März haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten durch eine Vereinbarung mit der Türkei die Grundlage dafür gelegt, die Migration aus der Türkei in die EU in geordnete Bahnen zu lenken und dabei gleichzeitig der Verantwortung für Schutzsuchende gerecht zur werden. Der große Knackpunkt des Abkommens ist allerdings, dass die Umsetzung erst noch gelingen muss und überdies viele Punkte nicht abschließend geregelt sind.
Hoffnung gibt jedoch, dass der Erfolg der Vereinbarung im Interesse beider Seiten liegt. Die EU möchte die Zahl der irregulären Einreisen deutlich reduzieren und ein funktionierendes Abkommen mit der Türkei ist hierzu ein wesentlicher Schritt. Die Türkei wiederum hat ein Interesse an einem regen Handel und Austausch mit der EU genauso wie an der Hilfe bei der Versorgung von Schutzsuchenden in der Türkei. Daneben erhofft sich die türkische Regierung vermutlich auch, durch ein solches Abkommen künftig als Transitland für Migranten, die in die EU wollen, generell auszuscheiden.

Die ersten Hürden zur Umsetzung wurden mittlerweile auch erfolgreich überwunden, so dass Anfang der Woche mit der Rückführung irregulär eingereister Schutzsuchender begonnen werden konnte, während gleichzeitig in umgekehrter Richtung einige Schutzsuchende aus der Türkei regulär in die EU einreisen durften. Dennoch wird sich der Mechanismus in den nächsten Wochen erst noch beweisen müssen. So muss sich zeigen, ob es tatsächlich gelingt, in ausreichender Geschwindigkeit Asylanträge zu prüfen und rechtlich einwandfrei abzulehnen. Denn nur dann hört der Irrsinn auf, dass regulär kaum Chance auf Schutz in der EU besteht, während die teure, riskante und irreguläre Einreise zu einem Schutzanspruch führt. Doch selbst wenn nur jene Personen zurückgeführt werden, die keinen Asylantrag stellen, ist das organisatorisch ein riesiger Fortschritt, weil auf diese Weise die Asylanträge zumindest schon in Griechenland bearbeitet werden können.
Neben rechtsstaatlichen Asylverfahren in Griechenland muss allerdings auch gewährleistet sein, dass zurückgeführte Personen, deren Schutzanspruch in der EU mit Verweis auf die Schutzmöglichkeiten in der Türkei verwehrt wurde, diesen Schutz in der Türkei auch tatsächlich erhalten, z.B. bei türkischen Behörden oder in einem Flüchtlingslager der Vereinten Nationen. Wenn die Rückführung von Schutzsuchenden erfolgreich im Einklang mit humanitären und rechtlichen Verpflichtungen umgesetzt werden soll, muss diese Hürde in den nächsten Tagen genommen werden.
Umgekehrt muss aber auch rasch die Auswahl von Schutzsuchenden zur regulären Einreise in die EU gelingen, um den Verpflichtungen gegenüber der Türkei nachzukommen. Ein möglicher Ansatzpunkt könnte hierbei ein beschleunigter Familiennachzug sein, um zeitnah eine größere Zahl von Schutzsuchenden regulär aufzunehmen. Gerade Deutschland, das innerhalb der EU bereits viele Syrer aufgenommen hat, könnte hier einen Beitrag leisten.

Ein weiterer Knackpunkt des EU-Türkei-Abkommens ist die Schaffung regulärer Wege für Schutzsuchende in die EU. Neben der fest vereinbarten Aufnahme von bis zu 72.000 Flüchtlingen im Rahmen des sogenannten 1:1-Mechanismus, sollen im Rahmen freiwilliger Kontingente weitere Schutzsuchende die Möglichkeit zur regulären Einreise erhalten. Gerade in diesem Punkt ist die EU und ist auch die Bundesregierung in einer besonderen Pflicht, ihrer humanitären Verantwortung nachzukommen, weil die türkische Regierung sicherlich bereit wäre, auch über kleinere Kontingente zu reden, wenn dafür an anderer Stelle ein größeres Entgegenkommen stattfindet.
Sollte die Zahl der irregulären Einreisen in Griechenland durch das EU-Türkei-Abkommen vom schon jetzt spürbar reduzierten Niveau weiter abnehmen, dürfte allerdings auch in der EU wieder die Bereitschaft steigen, sich zu gemeinsamen größeren Kontingenten durchzuringen und damit dieser Verantwortung gerecht zu werden.
Um bei den freiwilligen Kontingenten zügig zu einem brauchbaren Ergebnis zu gelangen, könnte auch hier zumindest ein Teil des Familiennachzugs eingebettet werden. Würde dieser auf die freiwilligen Kontingente angerechnet, könnte z.B. Deutschland ein erstes Kontingent zur regulären Einreise von 125.000 Schutzsuchenden ausweisen und dieses dann eigenständig durch beschleunigte Verfahren bei der Familienzusammenführung auffüllen. Beteiligen sich weitere EU-Länder, wäre ein vorläufiges Kontingent für 250.000 Schutzsuchende vorstellbar, das dann später durch umfassendere Mechanismen, die z.B. auch andere EU-Nachbarstaaten betreffen oder eine Verteilung per Quote vorsehen, abgelöst werden kann.

Außer den humanitären, rechtlichen und organisatorischen Herausforderungen beim Umgang mit Schutzsuchenden, enthält das EU-Türkei-Abkommen aber auch noch weitere Hürden. So müssen für die Visafreiheit noch zahlreiche Punkte abgebarbeitet werden und das Voranschreiten bei einem EU-Beitritt wird nur möglich sein, wenn sich die Türkei in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Pressefreiheit wieder in die richtige Richtung entwickelt.
Offen bleibt auch die Umsetzung des medial weniger beachteten Teils des Abkommens, also die Verbesserung der humanitären Lage in Syrien. Gerade wenn das Ziel der Vereinbarung ist, eine Art Schutzzone einzurichten, kann das auch neues Konfliktpotential in sich bergen.

Fazit:

Insgesamt bedeutet das EU-Türkei-Abkommen vor allem noch viel Arbeit, um die Migrationsbewegung zu ordnen und dabei der humanitären Verantwortung vollständig gerecht zu werden. Rechtstaatliche Verfahren in Griechenland und ein menschenwürdiger Umgang mit rückgeführten Personen in der Türkei müssen gewährleistet werden. Außerdem muss die EU nach dem Rückgang der irregulären Einreisen nach Griechenland schleunigst reguläre Wege schaffen, damit aus Ordnung nicht Abschottung wird.


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