EU-Türkei-Gipfel: Verbleib von Flüchtlingen in der Türkei

In den vergangen Monaten hat sich die Zahl der nach Europa kommenden Flüchtlinge zwar etwas reduziert, bislang gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass es sich hierbei um eine echte Trendwende handelt. Die deutliche Mehrheit der Flüchtlinge kommt über die Türkei nach Griechenland und damit in die EU und gerade auf dieser Route sind die Zahlen verglichen mit den Vorjahresmonaten noch weiter angestiegen. So sind trotz des schlechten Wetters alleine im Januar 2016 über 60.000 Flüchtlinge auf diesem Weg nach Griechenland gekommen, was eine Vervierzigfachung gegenüber dem Januar 2015 mit weniger als 2.000 Flüchtlingen auf dieser Route bedeutet [1]. Zwar lässt sich diese Vervierzigfachung nicht einfach auf das Gesamtjahr hochrechnen, allerdings ist bei unveränderten Rahmenbedingungen auch nicht gerade davon auszugehen, dass sich bei besserem Wetter im Sommer weniger Flüchtlinge auf diesen Weg begeben werden als im Januar. Ohne geeignete Maßnahmen könnten die Flüchtlingszahlen in diesem Jahr daher sogar auf ein erneutes Rekordhoch steigen.

Entsprechend liegt auch der Schlüssel für eine wirksame Reduktion der Flüchtlingszahlen vor allem an der Grenze der EU zur Türkei und in der Beantwortung der zentralen Frage, wie mit Flüchtlingen, die über die Türkei einreisen, in der EU umgegangen werden soll. Soll also z.B. ein Syrer, der über die Türkei nach Griechenland einreist, Schutz in der EU bekommen?
Wird dies bejaht, werden weiterhin Hunderttausende wenn nicht gar Millionen Flüchtlinge auf dem Weg über die Türkei in die EU kommen, legal oder illegal. Deshalb wäre es deutlich humaner, weil ungefährlich, und solidarischer, weil auch die Schwachen eine Chance hätten, wenn in diesem Fall dann ein legaler Weg über die offiziellen Grenzübergänge geschaffen würde.
Verneint man hingegen den Schutzanspruch, sollte allerdings auch dies konsequent umgesetzt werden, z.B. indem mit der Türkei ein Rückführungsabkommen für illegal nach Griechenland oder auch nach Bulgarien eingereiste Personen vereinbart wird. Wie in anderen Artikeln beschrieben, wird auf diese Weise die teure und gefährliche Überfahrt von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln für Flüchtlinge sinnlos und die Fluchtroute über die Ägäis könnte ohne großen Aufwand ausgetrocknet werden.

Daher wird es bei den heutigen Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei auch genau um diese Punkte gehen, wobei führende Politiker mittlerweile deutlich zu erkennen geben, dass sie die letztere Option bevorzugen. So drängen, z.B. EU-Ratspräsident Donald Tusk oder auch Kanzlerin Angela Merkel immer wieder darauf, ein Rückführungsabkommen mit der Türkei zu vereinbaren, um illegal eingereiste Personen direkt wieder in die Türkei abschieben zu können. Wie Merkel allerdings schon im vergangen Sommer darlegte, ist eine solche Vereinbarung auch von der Zustimmung der internationalen Partner, also eben der Türkei, abhängig.
Deshalb wird es auf dem Gipfeltreffen auch darum gehen, welche Forderungen die Türkei im Gegenzug stellt, z.B. Finanzhilfen, Reiseerleichterungen für türkische Staatsangehörige, die Unterstützung bei der Flüchtlingsversorgung in der Türkei, die Entlastung durch europäische Flüchtlingskontingente oder auch die Einrichtung einer Schutzzone in Syrien.

Bei all den Forderungen, die von der Türkei gestellt werden, sollte heute allerdings genauso auf den Tisch kommen, dass eine mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der türkischen Regierung ein Spiel mit dem Feuer wäre. Wenn nämlich durch eine fehlende Einigung weiterhin denjenigen in die Hand gespielt wird, die Russland hoffieren, von Le Pen über Orbán zur AfD, könnte das die türkische Regierung in eine sehr ungünstige Position bringen. Immerhin wäre es für die im Aufwind befindlichen Nationalisten ein Leichtes, im Kampf um die Regierungsmacht die Türkei zum Schuldigen zu erklären – und das nicht nur hinsichtlich der ungebremsten Flüchtlingsbewegung in der Ägäis, sondern auch in Bezug zum Syrienkonflikt selbst.
Umgekehrt sollte heute allerdings auch die EU daran denken, dass es eben nicht nur darum geht, die Flüchtlingszahlen in der EU zu reduzieren, sondern auch darum, gleichzeitig die (völker-)rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen und die europäischen Grundwerte zu wahren. Wenn also über Finanzmittel für eine menschenwürdige Versorgung der Schutzsuchenden in der Türkei oder über die Aufnahme von Kontingenten verhandelt wird, dann sind das eben nicht nur Gegenforderungen der türkischen Regierung, sondern liegt das genauso im ureigenen Interesse der europäischen Wertegemeinschaft.

Sowohl aus europäischer als auch aus türkischer Perspektive gibt es daher zahlreiche gute Gründe, sich bei den heutigen Gesprächen deutlich anzunähern. Und gelingt es, die Flüchtlingsbewegungen wieder in geordnete Bahnen zu bringen und gleichzeitig die Versorgung der Schutzsuchenden zu verbessern, nutzt das nicht nur der EU und der Türkei, sondern wäre auch ein humanitärer Gewinn.


Ähnliche Artikel:
Der künftige Umgang mit Schutzsuchenden aus sicheren Drittstaaten (www.mister-ede.de – 31.01.2016)

Flüchtlinge in der EU: Grenzsicherung durch Rückführungsabkommen (www.mister-ede.de – 05.02.2016)

Gedanken zu einer Europäisierung der Asylpolitik in der EU (www.mister-ede.de – 25.08.2015)


[1] Aktuelle Flüchtlingszahlen des UNHCR zur Route Türkei-Griechenland (Link zu den Zahlen auf unhcr.org)

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