Abschiebeforderung nach Berlin-Anschlag: Sankt Florian bei Union und Grünen zu Gast

Es hat nicht lange auf sich warten lassen, bis die Politik nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz mit populistischen Antworten reagierte. Schon am Folgetag der Terrorattacke forderte die CSU um Horst Seehofer lauthals eine Art Abschottungskultur und das Ende der Flüchtlingsaufnahme. Sieht man davon ab, dass die Zahl der nach Deutschland kommenden Schutzsuchenden sowieso längst zurückgegangen ist, zeigte sich nur wenige Stunden später auch, wie daneben der bayerische Ministerpräsident mit seinem Populismus lag. Denn der Täter gehörte überhaupt nicht zu jener Personengruppe, die im Zuge der Flüchtlingskrise von 2015 nach Europa kam, sondern war schon 2011 in die EU eingereist. Was also von der CSU vorschnell gefordert wurde, ist zum einen längst Realität und zum anderen hat es mit dem konkreten Anschlag nichts zu tun.
Vielmehr muss man nun umgekehrt bei den Unionsparteien nachfragen, wieso sie jahrelang abgelehnt haben, den Italienern zu helfen, die seit dem Arabischen Frühling einen enormen Zuzug von Flüchtlingen erleben. Vielleicht hätte das dazu beigetragen, Anis Amri durch eine Abschiebung nach Tunesien an einem Anschlag in der EU zu hindern. Doch damals hat die Bundesregierung noch aktiv weggeschaut, obwohl man gemeinsam mit Italien in Bezug auf schnelle Ausweisungen sicherlich etwas hätte bewegen können.

Einen Schönheitsfehler hat eine solche von Egoismus geprägte europäische Denkweise aber sowieso. Was nutzen konsequente Abschiebungen von Gefährdern, wie sie mittlerweile nicht nur von der CSU und Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sondern auch von Cem Özdemir (Grüne) und seiner Partei gefordert werden, wenn Tunesien dann nicht gleichzeitig geholfen wird, mit diesen Terroristen fertig zu werden. Wäre es denn besser gewesen, wenn Anis Amri einen Anschlag auf eine tunesische Hotelanlage durchgeführt hätte? Und wäre es wirklich zielführend, wenn Tunesien, das erst vor 5 Jahren demokratisch wurde, durch solche Leute in ein ähnliches Chaos gestürzt würde wie Libyen?
Was Union und Grüne jetzt fordern, erinnert deshalb nicht nur an das Sankt-Florians-Prinzip, sondern erscheint auch schlicht kontraproduktiv, wenn es um die langfristige Sicherheit Europas geht.

Zumindest von einer Oppositionspartei wie den Grünen hätte man daher erwarten dürfen, dass sie den Finger in die tatsächlichen Wunden legt. Wenn es nämlich deutschen Sicherheitsbehörden nicht möglich ist, die ca. 200 in Deutschland befindlichen und nicht inhaftierten Gefährder ordentlich zu überwachen, dann ist das das Ergebnis eines massiven Regierungs- und Staatsversagens.
Selbst wenn man die Unterstützerkreise dieser Gefährder hinzuzählt, kommt man laut offiziellen Angaben auf deutlich weniger als 600 Personen [1]. Um eine vollständige Überwachung dieser potentiellen Terroristen in Deutschland zu gewährleisten, wären, großzügig gerechnet, rund 20.000 Beamte notwendig bzw. grob 2 Mrd. Euro für Personal- und Sachkosten, die sogar zum Teil über Steuern und Sozialabgaben wieder zurück in den Staatshaushalt fließen würden. Außerdem könnte der Bund mit BKA und Bundespolizei bei diesen anscheinend sehr mobilen Gefährdern die Überwachung übernehmen, womit Fehler bei der Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Landesbehörden verhindert würden. Sobald ein Gefährder dann eine Straftat begeht oder Auflagen verletzt, kann er wenigstens eine gewisse Zeit aus dem Verkehr gezogen oder, wenn es Tat und Persönlichkeitsprofil hergeben, sogar anschließend in Sicherheitsverwahrung genommen werden.

Außerdem ist es vielleicht nicht nur Zufall, dass Anis Amri am Ende in Italien dingfest gemacht wurde, das mehr Polizeibeamte im Dienst hat als die Bundesrepublik mit 20 Millionen mehr Einwohnern. Kommen in Deutschland gerade mal 30 Polizeibeamte auf 10.000 Einwohner, sind es in Italien 47 [2].
Zugegeben, Italien hat mit der Mafia auch ein größeres Kriminalitätsprobleme und die Zahl der Polizeibeamten sagt noch nichts über die Sicherheit in einem Land aus, das zeigen Finnland oder Norwegen mit nur 15 Polizisten je 10.000 Einwohner. Aber bei der hiesigen Sozialstruktur, der Lage mitten in Europa und der vorhandenen Gefährdung durch Terrorismus kann man sich schon fragen, warum Deutschland nicht wenigstens, wie z.B. Belgien, auf 40 Polizisten je 10.000 Einwohner kommt.
Doch anstatt diese Missstände und Fehler klar zu benennen, wird lieber nach Abschiebungen nach Tunesien gerufen. Bei den Regierungsparteien mag dieser ablenkende Populismus ja noch verständlich sein, aber für die grüne Opposition ist das ein echtes Armutszeugnis. Natürlich muss es künftig möglich werden, irregulär einreisende Tunesier wieder abzuschieben, wenn sie keinen Schutzanspruch haben. Ein Verschiebebahnhof für terroristische Gefährder, wie es Anis Amri war, nutzt allerdings niemandem. Für den Kampf gegen den Terror braucht es deshalb vor allem gut ausgerüstete und funktionierende Sicherheitsapparate, egal ob nun in Deutschland, Italien oder Tunesien.


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EU-Flüchtlingspolitik: Der Bumerang des deutschen Egoismus (www.mister-ede.de – 27.10.2015)

Rechter Terror in Deutschland: Brennende Flüchtlingsheime und tatenlose Innenminister (www.mister-ede.de – 19.07.2015)

Ein Überblick über die Herausforderungen der Europäischen Union (www.mister-ede.de – 20.04.2014)


[1] Artikel zu Gefährdern von Zeit-Online vom 21.12.2016 (Link zum Artikel auf www.zeit.de)

[2] Zahl der Polizeibeamte 2010-2012 laut Eurostat (Schlüsseldaten über Europa, S. 45) (Link zur PDF auf ec.europa.eu)

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