mister-ede.de » Türkei https://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 4. Fortschrittsbericht zum EU-Türkei-Abkommen: Bilanz eines europäischen Versagens https://www.mister-ede.de/politik/bericht-eu-tuerkei-abkommen/5930 https://www.mister-ede.de/politik/bericht-eu-tuerkei-abkommen/5930#comments Wed, 28 Dec 2016 15:06:27 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5930 Weiterlesen ]]> Die seit Abschluss des EU-Türkei-Abkommens am 18. März 2016 von der EU-Kommission in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Fortschrittsberichte offenbaren eine katastrophale Bilanz der europäischen Flüchtlingspolitik [1]. Zwar ist die Zahl der irregulären Einreisen von Flüchtlingen nach Griechenland deutlich zurückgegangen, jedoch bleibt die Situation dort weiterhin katastrophal.
Wie der am 8. Dezember erschienene 4. Fortschrittsbericht einräumt, sind die Aufnahmekapazitäten auf den griechischen Inseln inzwischen längst ausgeschöpft und für über 16.000 Schutzsuchende stehen dort in den offiziellen Aufnahmezentren gerade mal 7.450 Plätze bereit. Außerdem droht eine weiter zunehmende Überbelegung, weshalb sich die Sicherheitslage in den Camps zusehends verschlechtert. Hierzu trägt auch bei, dass viele Schutzsuchende auf den griechischen Inseln noch immer kaum oder keine Informationen über ihren Status erhalten haben und nicht wissen, wie es mit ihnen weitergehen wird.

Daneben bleiben die von anderen EU-Ländern versprochenen Hilfen weit hinter den Anforderungen und auch hinter den einstigen Zusagen zurück. So konnte das europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, kurz EASO, seit März dieses Jahres lediglich 39 Sachbearbeiter für die griechischen Inseln aus anderen EU-Ländern auftreiben. Das ist nur etwas mehr als ein Drittel des eigentlich vorgesehenen Personals zur Unterstützung der griechischen Behörden. Entsprechend lange ist der Rückstau bei der Bearbeitung der Asylanträge. Gerade mal 6.000 Entscheidungen sind in den neun Monaten seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Abkommens auf den Inseln gefällt worden und von den bislang eingegangen 2.014 Einsprüchen wurden erst 838 gerichtlich überprüft. Überdies musste etwa die Hälfte dieser Entscheidungen wieder revidiert werden und gerade in Bezug auf die Zulässigkeit eines Asylantrags wurden lediglich 17 Entscheidungen in zweiter Instanz bestätigt, während in 390 Fällen die vorherige Nichtzulassung zum Asylverfahren aufgehoben wurde. Hinzu kommt, dass noch immer das Urteil des obersten griechischen Verwaltungsgerichts aussteht, ob die zwischenzeitlich auf den Inseln neu eingeführten Rechtsbehelfsausschüsse überhaupt mit griechischem Recht vereinbar sind.

Ferner funktioniert auch die Rückführung irregulärer Migranten und abgelehnter Asylbewerber in die Türkei nur schleppend. Zwar nimmt die Türkei nach einer längeren Unterbrechung wieder Flüchtlinge aus Griechenland auf, allerdings bleibt die Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden weiterhin schwierig. Seit dem Sommer konnten deshalb lediglich 170 Personen auf Basis des EU-Türkei-Abkommens aus Griechenland in die Türkei zurückgeführt werden, während die Rückführung in 137 Fällen an fehlenden Genehmigungen der Türkei scheiterte. Damit kommen noch immer weit mehr neue Schutzsuchende auf den griechischen Inseln an, alleine 5.687 seit Ende September, als in die Türkei abgeschoben werden. Seit Beginn des Jahres haben aber zumindest 5.710 Personen, die sich überwiegend auf dem griechischen Festland aufhielten, Griechenland freiwillig wieder verlassen und sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt.
Jedoch sind gleichzeitig auch in der anderen Richtung zahlreiche Flüchtlinge mit Hilfe von Schleusern von den griechischen Inseln auf das Festland weitergereist, weshalb nun die Europäische Grenz- und Küstenwache zusätzlich an den griechischen Landesgrenzen zu Mazedonien und Albanien eingesetzt wird. Somit schafft die EU in Griechenland nun tatsächlich einen neuen Eisernen Vorhang, der Menschen, wie es einst schon in der DDR der Fall war, am Verlassen des Landes hindert und de facto in Griechenland einsperrt.

Dublin-Abkommen erzwingt neuen Eisernen Vorhang für Flüchtlinge (www.mister-ede.de – 04.09.2015)

Außerdem wurden von den 3 Mrd. Euro, die zur Flüchtlingsversorgung in der Türkei vorgesehen waren, bislang lediglich 677 Mio. Euro ausgezahlt. Auch die Umsetzung des im EU-Türkei-Abkommen vereinbarten humanitären Aufnahmemechanismus befindet sich seit der Einigung vor neun Monaten ergebnislos in der Beratung. Allerdings sind über den sogenannten 1:1-Mechanismus inzwischen 2.761 von der Türkei ausgewählte Syrer in der EU angesiedelt worden. Die Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland, die zwar kein Bestandteil des EU-Türkei-Abkommens ist, aber die dortige Situation entschärfen könnte, kommt hingegen weiterhin kaum voran. So konnte seit dem September 2015 nur für 6.212 Flüchtlinge ein anderes EU-Land gefunden werden, das diese Schutzsuchenden aufnimmt [2].

Insgesamt liefert die EU damit ein so erschreckendes Bild, dass man eigentlich von Stillstandsberichten und nicht von Fortschrittsberichten sprechen müsste. Obwohl das EU-Türkei-Abkommen die Zahl der in die EU kommenden Flüchtlinge von rund 200.000 im September 2015 auf ca. 20.000 pro Monat im Herbst 2016 reduziert hat, die hauptsächlich über Libyen nach Italien kommen, bleiben die Europäer beim Management dieser Krise komplett überfordert.
Oder anders ausgedrückt: Im Vergleich zu dieser EU-Flüchtlingspolitik muss man ein Auto mit abgestochenen Reifen, gebrochener Achse, kaputtem Getriebe, defektem Motor, Elektronikfehler und leerem Tank als voll funktionsfähig bezeichnen.


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[1] Fortschrittsberichte der EU-Kommission zur Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens:
Link zur PDF des 1. Fortschrittsbericht auf ec.europa.eu

Link zur PDF des 2. Fortschrittsbericht auf ec.europa.eu

Link zur PDF des 3. Fortschrittsbericht auf ec.europa.eu

Link zur PDF des 4. Fortschrittsbericht auf ec.europa.eu

[2] Information der EU-Kommission vom 8.12.2016 u.a. zur Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland (Link zur Nachricht auf ec.europa.eu)

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https://www.mister-ede.de/politik/bericht-eu-tuerkei-abkommen/5930/feed 0
9-11 im Mittelmeer und das Zuschauen der EU https://www.mister-ede.de/politik/9-11-im-mittelmeer-und-die-eu/5584 https://www.mister-ede.de/politik/9-11-im-mittelmeer-und-die-eu/5584#comments Sun, 23 Oct 2016 10:43:39 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5584 Weiterlesen ]]> Am 11. September 2001 starben rund 3.000 Menschen beim Terroranschlag auf das World Trade Center. Dies hat die Welt verändert. 3.654 Menschen sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration seit Anfang des Jahres 2016 im Mittelmeer ertrunken oder gelten als vermisst [1]. Doch hier schaut die Welt nur zu.

Das soll nun allerdings kein Vorwurf an die USA oder die Welt sein, jedoch umso mehr an die EU, denn es ist ihre Außengrenze, an der die Menschen krepieren. Wenigsten kümmert man sich in der EU nun in intensiven Gesprächen, Krisentreffen und Sondersitzung – nur leider nicht um die Flüchtlinge und um ein Ende des Sterbens im Mittelmeer, sondern um CETA [2]. Man muss eben Prioritäten setzen. Und was sind schon 3.654 Menschenleben gegen die Kapitalinteressen der Wirtschaftseliten? Aus EU-Sicht wohl vernachlässigbar.


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[1] Aktuelle Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (Link zu den Zahlen auf iom.int)

[2] Artikel der Tagesschau vom 22.10.2016 zu den CETA-Verhandlungen (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

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EU-Flüchtlingspolitik: Was endlich angepackt werden muss! https://www.mister-ede.de/politik/eu-fluechtlingspolitik/5537 https://www.mister-ede.de/politik/eu-fluechtlingspolitik/5537#comments Sun, 09 Oct 2016 15:15:19 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5537 Weiterlesen ]]> In den letzten Monaten ist zwar die Zahl der irregulär in die EU kommenden Flüchtlinge deutlich gesunken, für eine dauerhaft erfolgreiche EU-Flüchtlingspolitik muss allerdings noch immer ein weiter Weg zurückgelegt werden. Zum einen muss die irreguläre Migration weiter reduziert werden und zum anderen müssen endlich reguläre Wege für die Migration geschaffen werden, damit die EU auch ihrer humanitären Verantwortung gerecht wird.

Blick auf die Ägäis-Route

In den letzten Monaten kamen schon deutlich weniger Schutzsuchende nach Griechenland, allerdings gibt es noch immer kaum reguläre Wege für z.B. syrische Kriegsflüchtlinge in die EU. Auch umgekehrt wurden zumindest bis zum Sommer nur diejenigen Personen aus Griechenland in die Türkei zurückgeführt, die in Griechenland keinen Asylantrag gestellt haben. Die überfüllten „Hot Spots“ auf Lesbos und anderen griechischen Inseln deuten an, dass sich daran in den letzten Monaten nicht viel geändert hat. Ob also Rückführungen abgelehnter Asylbewerber in die Türkei rechtlich und faktisch möglich sind, ist somit noch immer offen. Die Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens bleibt daher eine vordringliche Aufgabe.

Blick auf die Libyen-Italien-Route

Libyen ist weiterhin ziemlich instabil, weshalb die Hauptroute der irregulären Migration zurzeit von dort über das Mittelmeer nach Italien führt. Soll diese Route geschlossen werden, muss entweder Libyen selbst stabilisiert werden oder es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, um die von dort irregulär einreisenden Personen z.B. in UN-Camps in Nachbarländern unterzubringen.
Um eine Zunahme der irregulären Migration aus Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten zu verhindern, müssen Rückführungen in diese Länder forciert werden. Das Problem ist hierbei allerdings, dass selbst bei zwei zugedrückten Augen z.B. Ägypten nicht wirklich als sicher gelten kann. Nachdem allerdings die geographische Lage nun mal so ist, wie sie ist, bleibt kaum ein anderer Weg, als mit Aufbauhilfe, Fördergeldern und einer Zusammenarbeit bei der Flüchtlingsversorgung darauf hinzuarbeiten, dass der Flüchtlingsschutz auch in Ägypten faktisch gewährleistet ist. Als Gegenleistung für weitere Hilfszahlungen wären dann Rückführungsabkommen denkbar, die rechtlich wie ethisch vertretbar sind. Nur bis dorthin ist es eben noch ein verdammt weiter Weg.

Blick auf die EU

Das Dublin-System muss grundlegend überarbeitet und durch ein funktionierendes, humanitäres und solidarisches Modell ersetzt werden, z.B. durch ein EU-Migrations- und Asylsystems im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit innerhalb der EU. Notwendig sind hierbei Kapazitäten für die Arbeitsmigration und humanitäre Kontingente für Schutzsuchende. Ferner muss die Möglichkeit geschaffen werden, Asylgesuche schon außerhalb der EU zu stellen. Daneben braucht es klare und gemeinsame Regeln, wer wann wie und wo Schutz bekommt oder ein Aufenthaltsrecht in der EU. Auch die Kosten- und Lastenverteilung unter den EU-Ländern muss überdacht und künftig solidarischer ausgestaltet werden, damit einzelne Länder nicht überfordert werden. Genauso muss der Schutz der Außengrenzen verbessert werden, um die Grenzüberwachung auch in schwierigeren Situationen tatsächlich gewährleisten zu können.
Eine Lösung muss auch für jene Menschen gefunden werden, die bislang ohne Aufenthaltsrecht in der EU leben, aber auch nicht abgeschoben werden können. Hier wäre eine Altfallregelung erforderlich, um solche langjährigen Fälle aus ihrem unklaren Status herauszuholen und sie entweder tatsächlich abzuschieben oder ihnen eine echte Chance zur Integration zu geben.

Skizze eines EU-Migrations- und Asylsystem (www.mister-ede.de – 29.09.2016)

Blick auf Wirtschaft und Handel

Die Wirtschafts- und Handelspolitik der EU-Länder muss auf den Prüfstand, insbesondere die Handelsabkommen mit Entwicklungsländern. Auch die Frage nach der Kostenträgerschaft für die Folgen des Klimawandels muss gestellt werden. Daneben sollte die europäische Entwicklungszusammenarbeit inhaltlich wie strukturell neu ausgerichtet werden, z.B. durch die Einrichtung eines EU-Flüchtlingshilfswerks, dem Ausbau der Generaldirektion der EU für Entwicklung und Zusammenarbeit und der inhaltlichen Fokussierung auf die Etablierung regionaler Wirtschaftskreisläufe.

Eine Neuausrichtung der europäischen Entwicklungs-, Migrations- und Asylpolitik (www.mister-ede.de – 29.09.2016)


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Beschwerde über die EU-Kommission wegen fehlender Flüchtlingskontingente https://www.mister-ede.de/politik/fluechtlingskontingente-fehlen/5528 https://www.mister-ede.de/politik/fluechtlingskontingente-fehlen/5528#comments Sat, 08 Oct 2016 16:44:01 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5528 Weiterlesen ]]> Im EU-Türkei-Statement vom 18.03.2016 hat sich die EU-Kommission zusammen mit den Regierungen der EU-Länder unter Punkt 4 verpflichtet, Kontingente zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Türkei zu schaffen. Die Bedingung, ein signifikanter Rückgang der irregulären Migration von der Türkei nach Griechenland, ist zwar mittlerweile erfüllt, jedoch bleibt die EU-Kommission bei der Einrichtung der Kontingente untätig.

Nachdem in diesem Jahr bereits mehr als 3.000 Menschen an den EU-Außengrenzen gestorben sind, ist für mich die Untätigkeit der EU-Kommission nicht nur unverständlich, sondern auch ein schwerer Verstoß gegen Artikel 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“

Zur Beseitigung des Missstandes schlage ich die Bereitstellung von 2,5 Mrd. Euro durch die EU-Kommission vor. Kommunen, die sich verpflichten, einem Flüchtling für mindestens drei Jahre Schutz zu gewähren, sofern der Schutzgrund solange besteht, können aus diesem Topf pauschal mit 50.000 Euro pro Flüchtling entschädigt bzw. unterstützt werden. Das reicht zumindest zur freiwilligen humanitären Aufnahme von 50.000 Flüchtlingen.


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Die friedensstiftende Wirkung der Genfer Flüchtlingskonvention https://www.mister-ede.de/politik/friedensstiftende-wirkung-gfk/5098 https://www.mister-ede.de/politik/friedensstiftende-wirkung-gfk/5098#comments Thu, 23 Jun 2016 18:31:02 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5098 Weiterlesen ]]> Es waren die Erfahrungen von massenhafter Flucht, Verfolgung und Vertreibung im und nach dem 2. Weltkrieg, die in einer Verständigung auf eine Konvention zum Schutz von Flüchtlingen mündeten. Die heutige Form der Konvention mit einem Schutzanspruch für alle Flüchtlinge ist jedoch erst im Laufe der Zeit entstanden und wird außerhalb der EU in dieser allgemeinen Form auch nicht überall angewendet. Dort allerdings, wo dies der Fall ist, bietet die Genfer Flüchtlingskonvention einen umfassenden Schutz für verfolgte und vertriebene Menschen. So ist unter anderem festgeschrieben, dass schutzberechtigte Personen nicht nur Anspruch auf eine Mindestversorgung haben, sondern auf eine Rechtsstellung, die derjenigen der einheimischen Bevölkerung nicht nachsteht. Daneben wird in der Konvention festgehalten, dass jeder, der aus einem für seine Person nicht sicheren Gebiet einreist, das Recht hat, seinen Schutzanspruch geltend zu machen.
Mit diesen weitreichenden Schutzrechten für Geflüchtete setzt die Genfer Flüchtlingskonvention aber nicht nur Maßstäbe bei der Humanität, sondern entfaltet auch eine große Friedenskraft. Sobald in einer Nachbarregion eines Staates, der die GFK vollständig anwendet, eine Situation entsteht, die Menschen zur Flucht zwingt, steht dieser Staat unmittelbar in der Pflicht, Schutz zu gewähren. Er darf den Verfolgten und Vertriebenen die Einreise nicht verweigern und ist darüber hinaus im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Versorgung dieser Schutzsuchenden verpflichtet.

Bei Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Land somit automatisch für die in seiner Nachbarschaft lebenden Menschen mitverantwortlich. Im Falle einer Krisensituation kommt hierdurch von außen ein zusätzlicher Akteur hinzu, der ein eigenes Interesse daran hat, Krisen, Verfolgung und Vertreibung zu beenden. Allerdings ist die GFK in Bezug auf die zwischenstaatlichen Beziehungen neutral gefasst und schreibt deshalb nur Schutzansprüche für Flüchtlinge fest und keinerlei Eingriffsrechte in Staaten, aus denen Menschen fliehen. Beim Versuch, eine Krise von außen zu beruhigen, muss daher die Souveränität der betroffenen Länder gewahrt werden. Auf diese Weise führt die Genfer Flüchtlingskonvention nicht zu Alleingängen von Staaten, sondern fördert den Prozess der Krisenbewältigung mit Hilfe der internationalen Völkergemeinschaft. Während also die Pflicht zur Schutzgewährung ein Wegschauen vor Krisen verhindert, lenkt das Fehlen von Eingriffsrechten die beteiligten Staaten hin zum Dialog.
Im besten Falle entfaltet sich die friedensstiftende Wirkung der GFK allerdings schon im Vorfeld von Krisen und führt zu einer vorausschauenden Nachbarschaftspolitik. Hat ein Land die Konvention unterschrieben, liegt es in seinem ureigenen Interesse, dem Entstehen von Fluchtgründen in angrenzenden Regionen vorzubeugen und die Stabilität dieser Regionen zu fördern und zwar nicht nur in Bezug auf die politische Führung, sondern auch im Hinblick auf die Menschenrechts-, Sicherheits- und Versorgungslage.

Entsprechend bedeutet die Anwendung der GFK für die Europäische Union, dass aus der Verpflichtung zur Schutzgewährung die Notwendigkeit erwächst, sich gegen Krisen, Verfolgung und Vertreibung in der Nachbarschaft der EU einzusetzen.
Konkret heißt das beispielsweise, den westlichen Balkan auf dem Weg in die Europäische Union zu begleiten, weiterhin den Friedensprozess in der Ukraine zu unterstützen oder zu versuchen, zumindest eine Verschärfung des türkisch-kurdischen Konflikts oder eine Verschlechterung der Menschenrechtslage in der Türkei zu verhindern. Es bedeutet aber auch, auf die Einhaltung der Menschenrechte in Ägypten, Algerien und Marokko hinzuwirken, Libyen bei der Rückgewinnung der Staatlichkeit und Tunesien beim Aufbau des demokratischen Rechtsstaats zu helfen.
Gelingt der EU auf diese Weise die Stabilisierung ihrer Nachbarschaft, wäre das der mit Abstand beste Flüchtlingsschutz, aber eben auch die Entfaltung der friedensstiftenden Wirkung der Genfer Flüchtlingskonvention.

Text und weitere Informationen zur Genfer Flüchtlingskonvention auf www.unhcr.de


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Nach einem Scheitern des EU-Türkei-Abkommens https://www.mister-ede.de/politik/scheitern-eu-tuerkei-abkommen/5067 https://www.mister-ede.de/politik/scheitern-eu-tuerkei-abkommen/5067#comments Sun, 12 Jun 2016 16:46:06 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5067 Weiterlesen ]]> Mit dem EU-Türkei-Abkommen, das vor wenigen Monaten geschlossen wurde, konnte die Zahl der irregulären Einreisen nach Griechenland zwar deutlich gesenkt werden, allerdings gab es in dieser Zeit auch verschiedene Entwicklungen, durch die diese Vereinbarung nun auf der Kippe steht. So verhindern die mittlerweile noch stärkeren Einschränkungen der Pressefreiheit und die noch massiveren Menschenrechtsverletzungen in der Türkei Fortschritte in den EU-Türkei-Beziehungen, was sich z.B. im Streit um die Visaliberalisierung manifestiert. Hinzu kommen Auseinandersetzungen und Verstimmungen, wie durch die Böhmermann-Affäre oder die Armenien- bzw. Völkermordresolution des Deutschen Bundestages.

Nachdem laut Medienmeldungen in den letzten Wochen nun auch die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland von der türkischen Regierung ausgesetzt wurde, müssen, für den Fall, dass das EU-Türkei-Abkommen endgültig scheitert, neue Möglichkeiten gesucht werden, um die Ordnung an der EU-Außengrenze zur Türkei aufrechtzuerhalten. Zwar dürften die geschlossenen Grenzen auf dem Balkan eine Wiederauflage der Balkanroute verhindern, allerdings wird es ohne eine Vereinbarung mit der Türkei weiterer Maßnahmen benötigen, um irreguläre Einreisen in die EU nach Möglichkeit zu verhindern.
Gerade in Bezug auf Syrien und den Irak muss hierfür wohl noch stärker als bisher eine Lösung vor Ort gesucht werden. Vorstellbar wäre beispielsweise, mit den frei werdenden Milliarden aus dem EU-Türkei-Abkommen ein stärkeres Engagement in Syrien und dem Irak zu finanzieren, um die Not in diesen Regionen zu lindern und die Fluchtursachen zu reduzieren.

Ein Fernziel eines solchen Engagements könnte dabei sein, befriedete Gebiete zu schaffen, in denen Flüchtlinge künftig Schutz finden, leben und eine Perspektive entwickeln können. Hierfür könnte die Bevölkerung in den kurdischen Gebieten Syriens, aber auch die autonome Region Kurdistan im Irak finanziell unterstützt werden. Auch die Versorgung mit medizinischen Geräten oder Lebensmitteln könnte verbessert werden, wenn Gelder aus dem EU-Türkei-Abkommen frei werden.
Zusätzlich könnten künftig neben Peschmerga auch PKK-Kämpfer für den militärischen Einsatz ausgerüstet und ausgebildet werden, um vergleichbar mit dem Irak auch in Syrien ein autonomes kurdisches Gebiet zu schaffen, das von seiner Bevölkerung selbst gegen den IS geschützt wird. Mittel- bis langfristig wäre dann auch die Vereinigung dieser autonomen Gebiete im nördlichen Irak und nordöstlichen Syrien zu einem eigenständiger, völkerrechtlich anerkannter Staat Kurdistan vorstellbar, um in einer friedlichen Koexistenz von Syrien, Irak und Kurdistan die Staatlichkeit in dieser Region wiederherzustellen und damit den Terroristen des IS den Boden zu entziehen.

Neben der Reduktion der Fluchtursachen im Nahen Osten sollte aber auch die Reaktivierung des Rückführungsabkommens mit Pakistan und die Ausweitung auf andere Länder angestrebt werden.
Darüber hinaus wirft eine Entscheidung der Türkei, Personen nicht zurückzunehmen, die von ihrem Staatsgebiet aus irregulär in die EU einreisen, unweigerlich die Frage auf, ob die Türkei überhaupt noch ein Bündnispartner sein kein. Wenn die Türkei noch nicht mal bereit ist, die Verantwortung für das zu übernehmen, was Personen von türkischem Staatsgebiet aus machen, wie soll man dann auf die Wahrnehmung einer Verantwortung außerhalb der Türkei, z.B. bei einem Bündnisfall, vertrauen? Sollte das EU-Türkei-Abkommen endgültig scheitern, muss daher wohl auch dieser Punkt neu beleuchtet werden müssen.


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Die Hürden des EU-Türkei-Abkommens https://www.mister-ede.de/politik/huerden-eu-tuerkei-abkommen/4933 https://www.mister-ede.de/politik/huerden-eu-tuerkei-abkommen/4933#comments Fri, 08 Apr 2016 14:11:12 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4933 Weiterlesen ]]> Beim letzten EU-Gipfel Mitte März haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten durch eine Vereinbarung mit der Türkei die Grundlage dafür gelegt, die Migration aus der Türkei in die EU in geordnete Bahnen zu lenken und dabei gleichzeitig der Verantwortung für Schutzsuchende gerecht zur werden. Der große Knackpunkt des Abkommens ist allerdings, dass die Umsetzung erst noch gelingen muss und überdies viele Punkte nicht abschließend geregelt sind.
Hoffnung gibt jedoch, dass der Erfolg der Vereinbarung im Interesse beider Seiten liegt. Die EU möchte die Zahl der irregulären Einreisen deutlich reduzieren und ein funktionierendes Abkommen mit der Türkei ist hierzu ein wesentlicher Schritt. Die Türkei wiederum hat ein Interesse an einem regen Handel und Austausch mit der EU genauso wie an der Hilfe bei der Versorgung von Schutzsuchenden in der Türkei. Daneben erhofft sich die türkische Regierung vermutlich auch, durch ein solches Abkommen künftig als Transitland für Migranten, die in die EU wollen, generell auszuscheiden.

Die ersten Hürden zur Umsetzung wurden mittlerweile auch erfolgreich überwunden, so dass Anfang der Woche mit der Rückführung irregulär eingereister Schutzsuchender begonnen werden konnte, während gleichzeitig in umgekehrter Richtung einige Schutzsuchende aus der Türkei regulär in die EU einreisen durften. Dennoch wird sich der Mechanismus in den nächsten Wochen erst noch beweisen müssen. So muss sich zeigen, ob es tatsächlich gelingt, in ausreichender Geschwindigkeit Asylanträge zu prüfen und rechtlich einwandfrei abzulehnen. Denn nur dann hört der Irrsinn auf, dass regulär kaum Chance auf Schutz in der EU besteht, während die teure, riskante und irreguläre Einreise zu einem Schutzanspruch führt. Doch selbst wenn nur jene Personen zurückgeführt werden, die keinen Asylantrag stellen, ist das organisatorisch ein riesiger Fortschritt, weil auf diese Weise die Asylanträge zumindest schon in Griechenland bearbeitet werden können.
Neben rechtsstaatlichen Asylverfahren in Griechenland muss allerdings auch gewährleistet sein, dass zurückgeführte Personen, deren Schutzanspruch in der EU mit Verweis auf die Schutzmöglichkeiten in der Türkei verwehrt wurde, diesen Schutz in der Türkei auch tatsächlich erhalten, z.B. bei türkischen Behörden oder in einem Flüchtlingslager der Vereinten Nationen. Wenn die Rückführung von Schutzsuchenden erfolgreich im Einklang mit humanitären und rechtlichen Verpflichtungen umgesetzt werden soll, muss diese Hürde in den nächsten Tagen genommen werden.
Umgekehrt muss aber auch rasch die Auswahl von Schutzsuchenden zur regulären Einreise in die EU gelingen, um den Verpflichtungen gegenüber der Türkei nachzukommen. Ein möglicher Ansatzpunkt könnte hierbei ein beschleunigter Familiennachzug sein, um zeitnah eine größere Zahl von Schutzsuchenden regulär aufzunehmen. Gerade Deutschland, das innerhalb der EU bereits viele Syrer aufgenommen hat, könnte hier einen Beitrag leisten.

Ein weiterer Knackpunkt des EU-Türkei-Abkommens ist die Schaffung regulärer Wege für Schutzsuchende in die EU. Neben der fest vereinbarten Aufnahme von bis zu 72.000 Flüchtlingen im Rahmen des sogenannten 1:1-Mechanismus, sollen im Rahmen freiwilliger Kontingente weitere Schutzsuchende die Möglichkeit zur regulären Einreise erhalten. Gerade in diesem Punkt ist die EU und ist auch die Bundesregierung in einer besonderen Pflicht, ihrer humanitären Verantwortung nachzukommen, weil die türkische Regierung sicherlich bereit wäre, auch über kleinere Kontingente zu reden, wenn dafür an anderer Stelle ein größeres Entgegenkommen stattfindet.
Sollte die Zahl der irregulären Einreisen in Griechenland durch das EU-Türkei-Abkommen vom schon jetzt spürbar reduzierten Niveau weiter abnehmen, dürfte allerdings auch in der EU wieder die Bereitschaft steigen, sich zu gemeinsamen größeren Kontingenten durchzuringen und damit dieser Verantwortung gerecht zu werden.
Um bei den freiwilligen Kontingenten zügig zu einem brauchbaren Ergebnis zu gelangen, könnte auch hier zumindest ein Teil des Familiennachzugs eingebettet werden. Würde dieser auf die freiwilligen Kontingente angerechnet, könnte z.B. Deutschland ein erstes Kontingent zur regulären Einreise von 125.000 Schutzsuchenden ausweisen und dieses dann eigenständig durch beschleunigte Verfahren bei der Familienzusammenführung auffüllen. Beteiligen sich weitere EU-Länder, wäre ein vorläufiges Kontingent für 250.000 Schutzsuchende vorstellbar, das dann später durch umfassendere Mechanismen, die z.B. auch andere EU-Nachbarstaaten betreffen oder eine Verteilung per Quote vorsehen, abgelöst werden kann.

Außer den humanitären, rechtlichen und organisatorischen Herausforderungen beim Umgang mit Schutzsuchenden, enthält das EU-Türkei-Abkommen aber auch noch weitere Hürden. So müssen für die Visafreiheit noch zahlreiche Punkte abgebarbeitet werden und das Voranschreiten bei einem EU-Beitritt wird nur möglich sein, wenn sich die Türkei in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Pressefreiheit wieder in die richtige Richtung entwickelt.
Offen bleibt auch die Umsetzung des medial weniger beachteten Teils des Abkommens, also die Verbesserung der humanitären Lage in Syrien. Gerade wenn das Ziel der Vereinbarung ist, eine Art Schutzzone einzurichten, kann das auch neues Konfliktpotential in sich bergen.

Fazit:

Insgesamt bedeutet das EU-Türkei-Abkommen vor allem noch viel Arbeit, um die Migrationsbewegung zu ordnen und dabei der humanitären Verantwortung vollständig gerecht zu werden. Rechtstaatliche Verfahren in Griechenland und ein menschenwürdiger Umgang mit rückgeführten Personen in der Türkei müssen gewährleistet werden. Außerdem muss die EU nach dem Rückgang der irregulären Einreisen nach Griechenland schleunigst reguläre Wege schaffen, damit aus Ordnung nicht Abschottung wird.


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Eine Kritik der Kritik am EU-Türkei-Abkommen https://www.mister-ede.de/politik/kritik-am-eu-tuerkei-abkommen/4918 https://www.mister-ede.de/politik/kritik-am-eu-tuerkei-abkommen/4918#comments Tue, 22 Mar 2016 20:57:43 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4918 Weiterlesen ]]> Wer am vergangenen Wochenende die Berichterstattung zum EU-Gipfel und zum Abkommen der EU mit der Türkei verfolgt hat, musste eine starke Einseitigkeit bei der Kommentierung und Bewertung feststellen. Schaut man z.B. auf tagesschau.de, finden sich dort mit „Merkel ist gescheitert“ [1] und „Der Gipfel der Heuchelei“ [2] genau zwei Kommentare zum EU-Gipfel, die allerdings beide die Vereinbarung mit der Türkei in Bausch und Bogen verurteilen. Gerade von den öffentlich-rechtlichen Medien hätte man doch etwas mehr Ausgewogenheiten erwarten dürfen und eine Kommentarauswahl, durch die eben nicht nur die Meinung der schärfsten Kritiker widergespiegelt wird.
Aber auch in anderen Medien finden sich zahlreiche nicht an Kritik sparende Kommentare, wie zum Beispiel bei der taz mit „Europa, deine Schande“ [3] oder dem Beitrag „Niemand schreit Hurra“ [4], dessen Überschrift zwar gemäßigt klingt, aber dessen Inhalt genauso gepfeffert ist.
Zur Einseitigkeit der Bewertung und der ungewöhnlichen Schärfe der Worte kommt allerdings hinzu, dass die Kritik an dem Abkommen zum Teil an den Haaren herbeigezogen ist. Wenn Malte Pieper die Frage, „Kann sich die EU zufrieden auf die Schulter klopfen?“, mit Verweis auf das jahrelange Versagen in der Flüchtlingspolitik mit „Nein“ beantwortet, ist das schräg. Gerade wenn man die bisherige Flüchtlingspolitik kritisch sieht, muss einen das Gipfelergebnis mit legalen Kontingenten und Milliardensummen für die Versorgung von Schutzsuchenden doch freuen. Wer hätte vor zwei Jahren eine so verantwortliche Flüchtlingspolitik in der EU für möglich gehalten?

Daneben machen es sich die Kritiker aber auch viel zu einfach. Wer die Bilder aus Idomeni sieht, die zahlreichen Toten in der Ägäis und die täglich rund 1.500 auf den griechischen Inseln ankommenden Schutzsuchenden, der kann den dringenden Handlungsbedarf kaum bestreiten. Selbst die Befürworter nationaler Maßnahmen und Grenzschließungen sehen ja mittlerweile, dass ihr Lösungsansatz gescheitert ist und nicht nur Schengen zerstört wird, sondern auch humanitäre Notlagen in Europa verursacht werden. Wenn aber ein dringender Handlungsbedarf besteht und in dieser Situation zwischen verschiedenen Optionen gewählt werden muss, die alle ihre Haken haben, dann ist es meines Erachtens recht billig, zu kritisieren, dass die gewählte Option auch Nachteile hat, ohne sich selbst zu positionieren.
Noch ärgerlich ist es aber, wenn dazu noch der Eindruck vermittelt wird, es hätte deutlich bessere Optionen und einfache Lösungen ohne Nachteile gegeben. So schreibt z.B. Karin Bensch, man hätte auch folgendes probieren können: „Den Griechen tatsächlich mal helfen, die Außengrenzen zu sichern. Und die Flüchtlinge, die ein Bleiberecht haben, gerecht in der EU verteilen.“ Zur Wahrheit gehört dann aber, dass dies bedeutet hätte, weiterhin einem Syrer an einem türkisch-griechischen Grenzübergang zu sagen, hier kommst du nur rein, wenn du einen Schlepper bezahlst und die Überfahrt in einem Schlauchboot riskierst. Im Lichte dieser Tatsache wirkt es dann aber schon reichlich zynisch, einen solchen Ansatz als bessere Option darzustellen.

Natürlich war die Flüchtlingspolitik in der Vergangenheit ein Desaster und natürlich gibt es kritische Punkte bei dieser Vereinbarung. Allerdings auf eine Verbesserung der Flüchtlingssituation zu verzichten, weil in Deutschland rechtliche und humanitäre Bedenken an einer Zusammenarbeit mit der Türkei bestehen, fände zumindest ich bei Weitem beschämender als die Ergebnisse des vergangenen Gipfels.


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[1] Kommentar von Malte Pieper vom 18.03.2016 auf tagesschau.de zum EU-Türkei-Gipfel (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

[2] Kommentar von Karin Bensch vom 19.03.2016 auf tagesschau.de zum EU-Türkei-Gipfel (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

[3] Kolumne von Bettina Gaus vom 19.03.2016 bei taz-online zum EU-Türkei-Gipfel (Link zur Kolumne auf taz.de)

[4] Kommentar von Eric Bonse vom 19.03.2016 bei taz-online zum EU-Türkei-Gipfel (Link zum Kommentar auf taz.de)

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EU-Türkei-Abkommen: Ein Lichtblick in der Flüchtlings- und Asylpolitik https://www.mister-ede.de/politik/tuerkei-abkommen-fluechtlinge/4910 https://www.mister-ede.de/politik/tuerkei-abkommen-fluechtlinge/4910#comments Tue, 22 Mar 2016 17:37:37 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4910 Weiterlesen ]]> Seit Monaten sind zahlreiche internationale Hilfsorganisation und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, in Teilen Europas aktiv und auch die EU hat mittlerweile alle zur Verfügung stehenden Notfallmechanismen zur Versorgung von Schutzsuchenden aktiviert. Dennoch setzte sich der Streit unter den 28 EU-Mitgliedsstaaten über die richtige Flüchtlingspolitik unbeeindruckt von diesen humanitären Notlagen auch im März 2016 unvermindert fort. Obwohl deutlich erkennbar wurde, dass die nationalen Ansätze mit geschlossenen Grenzen zum Scheitern verurteilt waren, entfernten sich die EU-Mitgliedsstaaten immer weiter von einer gemeinsamen Lösung. Ein großer Erfolg des EU-Gipfels der vergangen Woche war es daher, dass es trotzt aller Widrigkeiten gelungen ist, alle 28 EU-Mitgliedsländern auf eine gemeinsame Linie einzuschwören und mit der Türkei eine Vereinbarung zu treffen.

Gelingt nach dem Abkommen nun auch die Umsetzung dessen, was darin vereinbart wurde, ist dies ein Lichtblick in der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik.
Zum ersten Mal nehmen alle EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam die Verantwortung für Schutzsuchende in und um die EU wahr. Wer hätte es vor zwei Jahren für möglich gehalten, dass von der EU und ihren Mitgliedsstaaten mehrere Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt werden, Kontingente geschaffen werden und die Bewältigung des Flüchtlingsaufkommens in einem einzelnen EU-Land als gemeinsame Aufgabe in der EU betrachtet wird?
Die Gipfelbeschlüsse bedeuten neben mehr Gemeinschaft und mehr Ordnung aber auch einen deutlichen Zugewinn an Humanität in der europäischen Flüchtlingspolitik. Statt 10 oder 20 Millionen Euro werden nunmehr Milliarden für das Flüchtlingshilfswerk UNHCR oder direkt für die Versorgung von Schutzsuchenden bereitgestellt. Wird dieses Engagement im Rahmen einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik verstetigt, ist das ein nachhaltiger Beitrag, um die Versorgungs- und Lebenssituation von Flüchtlingen spürbar zu verbessern.
Daneben wird durch das Abkommen endlich jener tödliche Widerspruch an den EU-Außengrenzen aufgelöst, durch den Flüchtende nur nach einer von Schleppern organisierten, irregulären, meist teuren und gefährlichen Einreise einen Schutzanspruch geltend machen konnten. Wenn künftig durch Kontingente legale Wege eröffnet werden und gleichzeitig die irreguläre Migration keine Erfolgsaussichten mehr bietet, wird dadurch aber nicht nur das Sterben in der Ägäis beendet, sondern Europa auch endlich seiner humanitären Verantwortung bei der Schutzgewährung gerecht. Statt einer ungeregelten und inhumanen Aufnahme von Flüchtlingen nach dem Prinzip „Survival-of-the-Fittest“, wird durch die legalen Kontingente künftig z.B. auch Verwundeten und Kranken ermöglicht, um Schutz zu ersuchen und diesen in der EU zu erhalten. Gerade für die Schwächsten der Schwachen ist das Abkommen daher ein Meilenstein.

Sollten sinkende Flüchtlingszahlen in der EU außerdem dazu führen, dass die Lage der Schutzsuchenden auf dem Balkan verbessert werden kann oder in EU-Mitgliedsstaaten eine höhere Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen von Kontingenten entsteht, wäre dies ein weiterer Erfolg dieses Gipfels. Und sollte es darüber hinaus gelingen, auf solchen Erfolgen aufbauend auch das europäische Asylsystem weg von Dublin hin zu einer fairen Lastenverteilung zu reformieren, würde aus dem Lichtblick in der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik strahlender Sonnenschein. Bis dorthin ist es allerdings noch ein langer Weg und daher bleibt nur zu hoffen, dass in den kommenden Wochen und Monaten nicht doch noch Wolken des Misserfolgs den Himmel erneut verdunkeln.


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Der europäische Ansatz:

Geht es nach denjenigen, die einen europäischen Ansatz verfolgen, soll vor allem an der Ägäis-Route bzw. allgemein an der Außengrenze der EU angesetzt werden. Um den Grenzschutz zu verbessern soll die Sicherung der Außengrenze künftig eine gesamteuropäische Aufgabe werden und hierfür eine europäische Grenzpolizei entstehen.
Weil allerdings Seegrenzen, die einen erheblichen Teil der EU-Außengrenze ausmachen, nur mit großem Aufwand kontrolliert werden können, kooperieren die EU bzw. die EU-Mitgliedsstaaten zusätzlich bereits seit längerem mit jenen Ländern, die auf der jeweils anderen Seite des Wassers liegen, also z.B. mit Marokko oder mit der Türkei. Genau diese Zusammenarbeit soll nun weiter vertieft werden und bezogen auf die Ägäis-Route ist deshalb der europäische Ansatz, eine Vereinbarung mit der Türkei zu treffen, um die Flüchtlingsbewegung zu ordnen und irreguläre Migration zu stoppen.

Der nationale Ansatz:

Im Unterschied zum gesamteuropäischen Weg, steht bei diesem Ansatz die Balkan-Route im Vordergrund. Durch die diversen nationalen Maßnahmen der europäischen Länder innerhalb und außerhalb der EU hat sich die Flüchtlingssituation auf der Balkan-Route jedoch nicht wie erhofft aufgelöst, sondern sogar verschärft. So bilden sich vor den geschlossenen Grenzen regelmäßig humanitäre Notlagen, während sich die Flüchtlingsbewegung innerhalb Europas einfach verschiebt. Glaubten die Befürworter nationaler Maßnahmen zunächst, dass der Zaunbau zwischen Ungarn und Serbien die Lage entspannen würde, sollten danach Zäune zwischen Ungarn und Slowenien bzw. zwischen Österreich und Ungarn helfen und mittlerweile ruht die Hoffnung auf der befestigten und geschlossenen Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland.
Diese ständige Verschiebung zeigt allerdings deutlich, warum der Schengen-Raum durch solche nationalen Maßnahmen auf Dauer gesprengt wird. So werden nicht nur immer neue Grenzen abgeriegelt, sondern auch die hierfür notwendigen Ausnahmegenehmigungen werden immer weiter verlängert. Wenn aber die räumliche und zeitliche Ausnahme irgendwann zum Regelfall wird, was so manchen Nationalisten sicher freuen würde, dann war es das mit Schengen.

Ausblick:

Wenn man die Bilder von Idomeni sieht oder was von Schengen noch übrig ist, muss für den nationalen Ansatz festgestellt werden, dass dieser bereits gescheitert ist. Umgekehrt ist allerdings eine europäische Lösung, sei es ein Abkommen mit der Türkei oder sei es ein gesamteuropäischer Grenzschutz, auch noch ein weiter und schwieriger Weg. Jedoch könnte gerade das sichtbare Scheitern des nationalen Ansatzes dazu führen, dass eine europäische Lösung auf dem aktuellen EU-Gipfel ein gutes Stück näher rückt. Für die Schutzsuchenden, aber auch für die EU und ihre Mitgliedsstaaten, wäre das auf jeden Fall wünschenswert.


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