4. Fortschrittsbericht zum EU-Türkei-Abkommen: Bilanz eines europäischen Versagens
Die seit Abschluss des EU-Türkei-Abkommens am 18. März 2016 von der EU-Kommission in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Fortschrittsberichte offenbaren eine katastrophale Bilanz der europäischen Flüchtlingspolitik [1]. Zwar ist die Zahl der irregulären Einreisen von Flüchtlingen nach Griechenland deutlich zurückgegangen, jedoch bleibt die Situation dort weiterhin katastrophal.
Wie der am 8. Dezember erschienene 4. Fortschrittsbericht einräumt, sind die Aufnahmekapazitäten auf den griechischen Inseln inzwischen längst ausgeschöpft und für über 16.000 Schutzsuchende stehen dort in den offiziellen Aufnahmezentren gerade mal 7.450 Plätze bereit. Außerdem droht eine weiter zunehmende Überbelegung, weshalb sich die Sicherheitslage in den Camps zusehends verschlechtert. Hierzu trägt auch bei, dass viele Schutzsuchende auf den griechischen Inseln noch immer kaum oder keine Informationen über ihren Status erhalten haben und nicht wissen, wie es mit ihnen weitergehen wird.
Daneben bleiben die von anderen EU-Ländern versprochenen Hilfen weit hinter den Anforderungen und auch hinter den einstigen Zusagen zurück. So konnte das europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, kurz EASO, seit März dieses Jahres lediglich 39 Sachbearbeiter für die griechischen Inseln aus anderen EU-Ländern auftreiben. Das ist nur etwas mehr als ein Drittel des eigentlich vorgesehenen Personals zur Unterstützung der griechischen Behörden. Entsprechend lange ist der Rückstau bei der Bearbeitung der Asylanträge. Gerade mal 6.000 Entscheidungen sind in den neun Monaten seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Abkommens auf den Inseln gefällt worden und von den bislang eingegangen 2.014 Einsprüchen wurden erst 838 gerichtlich überprüft. Überdies musste etwa die Hälfte dieser Entscheidungen wieder revidiert werden und gerade in Bezug auf die Zulässigkeit eines Asylantrags wurden lediglich 17 Entscheidungen in zweiter Instanz bestätigt, während in 390 Fällen die vorherige Nichtzulassung zum Asylverfahren aufgehoben wurde. Hinzu kommt, dass noch immer das Urteil des obersten griechischen Verwaltungsgerichts aussteht, ob die zwischenzeitlich auf den Inseln neu eingeführten Rechtsbehelfsausschüsse überhaupt mit griechischem Recht vereinbar sind.
Ferner funktioniert auch die Rückführung irregulärer Migranten und abgelehnter Asylbewerber in die Türkei nur schleppend. Zwar nimmt die Türkei nach einer längeren Unterbrechung wieder Flüchtlinge aus Griechenland auf, allerdings bleibt die Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden weiterhin schwierig. Seit dem Sommer konnten deshalb lediglich 170 Personen auf Basis des EU-Türkei-Abkommens aus Griechenland in die Türkei zurückgeführt werden, während die Rückführung in 137 Fällen an fehlenden Genehmigungen der Türkei scheiterte. Damit kommen noch immer weit mehr neue Schutzsuchende auf den griechischen Inseln an, alleine 5.687 seit Ende September, als in die Türkei abgeschoben werden. Seit Beginn des Jahres haben aber zumindest 5.710 Personen, die sich überwiegend auf dem griechischen Festland aufhielten, Griechenland freiwillig wieder verlassen und sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt.
Jedoch sind gleichzeitig auch in der anderen Richtung zahlreiche Flüchtlinge mit Hilfe von Schleusern von den griechischen Inseln auf das Festland weitergereist, weshalb nun die Europäische Grenz- und Küstenwache zusätzlich an den griechischen Landesgrenzen zu Mazedonien und Albanien eingesetzt wird. Somit schafft die EU in Griechenland nun tatsächlich einen neuen Eisernen Vorhang, der Menschen, wie es einst schon in der DDR der Fall war, am Verlassen des Landes hindert und de facto in Griechenland einsperrt.
Dublin-Abkommen erzwingt neuen Eisernen Vorhang für Flüchtlinge (www.mister-ede.de – 04.09.2015)
Außerdem wurden von den 3 Mrd. Euro, die zur Flüchtlingsversorgung in der Türkei vorgesehen waren, bislang lediglich 677 Mio. Euro ausgezahlt. Auch die Umsetzung des im EU-Türkei-Abkommen vereinbarten humanitären Aufnahmemechanismus befindet sich seit der Einigung vor neun Monaten ergebnislos in der Beratung. Allerdings sind über den sogenannten 1:1-Mechanismus inzwischen 2.761 von der Türkei ausgewählte Syrer in der EU angesiedelt worden. Die Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland, die zwar kein Bestandteil des EU-Türkei-Abkommens ist, aber die dortige Situation entschärfen könnte, kommt hingegen weiterhin kaum voran. So konnte seit dem September 2015 nur für 6.212 Flüchtlinge ein anderes EU-Land gefunden werden, das diese Schutzsuchenden aufnimmt [2].
Insgesamt liefert die EU damit ein so erschreckendes Bild, dass man eigentlich von Stillstandsberichten und nicht von Fortschrittsberichten sprechen müsste. Obwohl das EU-Türkei-Abkommen die Zahl der in die EU kommenden Flüchtlinge von rund 200.000 im September 2015 auf ca. 20.000 pro Monat im Herbst 2016 reduziert hat, die hauptsächlich über Libyen nach Italien kommen, bleiben die Europäer beim Management dieser Krise komplett überfordert.
Oder anders ausgedrückt: Im Vergleich zu dieser EU-Flüchtlingspolitik muss man ein Auto mit abgestochenen Reifen, gebrochener Achse, kaputtem Getriebe, defektem Motor, Elektronikfehler und leerem Tank als voll funktionsfähig bezeichnen.
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[1] Fortschrittsberichte der EU-Kommission zur Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens:
Link zur PDF des 1. Fortschrittsbericht auf ec.europa.eu
Link zur PDF des 2. Fortschrittsbericht auf ec.europa.eu
Link zur PDF des 3. Fortschrittsbericht auf ec.europa.eu
Link zur PDF des 4. Fortschrittsbericht auf ec.europa.eu
[2] Information der EU-Kommission vom 8.12.2016 u.a. zur Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland (Link zur Nachricht auf ec.europa.eu)