mister-ede.de » Bundestagswahl 2013 https://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Die Rache der GroKo: SPD steht nach NRW-Wahl vor einem Scherbenhaufen https://www.mister-ede.de/politik/die-rache-der-groko/8418 https://www.mister-ede.de/politik/die-rache-der-groko/8418#comments Sun, 14 May 2017 16:02:31 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8418 Weiterlesen ]]> Als die SPD-Führung um Sigmar Gabriel im Herbst 2013 für die Regierungskoalition mit der Union warb, versprach sie den Mitgliedern: „Diesmal wird alles anders, denn der Koalitionsvertrag trägt die klare Handschrift der SPD.“ Rund drei Viertel der Genossinnen und Genossen vertrauten diesen Worten und stimmten beim anschließenden Mitgliederentscheid für die Große Koalition. Einstein hätte dazu wohl gesagt: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“
Anstatt die ungeliebte Rolle als Juniorpartner an der Seite der Merkel-Union den Grünen zu überlassen und mit der SPD auf der Bundesebene eine starke Opposition zu bilden oder gar mit der rot-rot-grünen Mehrheit im Bundestag eine SPD-geführte Regierung zu installieren, ging die Sozialdemokratie erneut jenen Weg, den sie auch nach der Bundestagswahl 2005 mit wenig Erfolg beschritten hatte.

Und so kam es, wie es kommen musste. Nach einem kurzen Hype rund um den Mitgliederentscheid sackte die SPD in der Wählergunst ab und wie bereits in der Regierungszeit von 2005 bis 2009 ging die SPD bei den anschließenden Landtagswahlen auf Talfahrt. Zwar konnten die Sozialdemokraten im Herbst 2014 in Sachsen noch 2,0% zulegen, allerdings nur von einer äußerst niedrigen Ausgangsbasis von 10,4%. Bereits zwei Wochen später verlor die SPD dann 1,1% der Wählerstimmen in Brandenburg und musste in Thüringen sogar ein Minus von 6,1% hinnehmen, was in beiden Bundesländern zu den historisch schlechtesten SPD-Ergebnissen führte. Auch 2015 setzte sich dieser Trend bei der Hamburger Bürgerschaftswahl mit -2,8% und dem Verlust der absoluten Mehrheit in der Hansestadt fort, bevor die Sozialdemokraten nach einem Minus von 5,8% ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg in Bremen einfuhren.
Einzige Ausnahme in dieser Reihe ist die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2016. Doch auch dort gelang es der SPD, trotz einer herausragenden Ministerpräsidentin Malu Dreyer, lediglich, das Ergebnis der letzten Wahl zu halten (+0,5%). Allerdings mussten die Sozialdemokraten am gleichen Tag bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg (-10,4%) und Sachsen-Anhalt (-10,9%) herbe Niederlagen und in diesen beiden Bundesländern ebenfalls die schlechtesten SPD-Ergebnisse in der Geschichte einstecken. Im Herbst 2016 folgten dann weitere schwere Schlappen für die Sozialdemokraten mit -5,0% in Mecklenburg-Vorpommern und -6,7% in Berlin, was auch in der Hauptstadt das schlechteste SPD-Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik bedeutete.

Anfang 2017 schmiss dann Sigmar Gabriel, der drei Jahre zuvor die Große Koalition eingefädelt und den Mitgliedern als kommende Erfolgsgeschichte verkauft hatte, seinen Parteivorsitz hin und hievte stattdessen Martin Schulz in das höchste Parteiamt. Doch auch Schulz konnte bislang keine Ideen und Vorstellungen präsentieren, durch die es der SPD gelungen wäre, ihr Image als Juniorpartner der Merkel-Union abzustreifen. Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass es auch bei den nachfolgenden Landtagswahlen im Saarland (-1,0%) und in Schleswig-Holstein (-3,2%) zu weiteren Verlusten für die Sozialdemokraten kam.
Unvermindert setzte sich dieser Trend nun bei der heutigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mit einem deutlichen Minus von über 8% fort. Sollte das Endergebnis unter 32% bleiben, bedeutet das auch für NRW das schlechteste SPD-Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg. Dreieinhalb Jahre nachdem sich die SPD in die Große-Koalition begab, steht sie damit heute vor den Scherbenhaufen dieser strategischen Fehlentscheidung. Wie der so geschwächten SPD, die auf der Bundesebene weiterhin in ihrer Rolle als Koalitionspartner der Union feststeckt, bis zur Bundestagswahl im Herbst ein Neuanfangen gelingen soll, bleibt fraglich. Klar ist allerdings, ein „Weiter so“ ohne klare Haltung und konkrete Inhalte werden nicht reichen, um die Partei aus jenem GroKo-Grab zu ziehen, dass sie sich in den vergangen Jahren selbst geschaufelt hat.


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Ein sozialdemokratischer Rück- und Vorausblick https://www.mister-ede.de/politik/spd-rueck-und-vorausblick/5031 https://www.mister-ede.de/politik/spd-rueck-und-vorausblick/5031#comments Thu, 19 May 2016 18:47:17 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5031 Weiterlesen ]]> Die letzten 3 Jahre Regierungstätigkeit der SPD kennzeichnen sich durch einige Erfolge. Die Einführung des Mindestlohns war ein Meilenstein genauso wie die dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft für hier geborene und aufgewachsene Kinder von Zuwanderern. Die Verbesserungen bei der Rente, also die bessere Anerkennung der Erziehungsleistung oder die Rente ab 63 bzw. ab 65, waren richtig und auch die Frauenquote für Aufsichtsräte war zumindest ein richtiges Signal.
Es war wichtig, mehr Geld für die Infrastruktur, die digitalen Netze, Straßen, Schienen und den sozialen Wohnungsbau auszugeben und mehr im Bereich Bildung zu machen. Dazu kommen als weitere Erfolge die finanzielle Unterstützung der Länder und Kommunen, um die Versorgung und Integration von Schutzsuchenden zu ermöglichen, und überdies ein größeres Engagement in der Entwicklungshilfe und mehr Geld für das Flüchtlingshilfswerk UNHCR.

Nur das darf es noch nicht gewesen sein, sondern muss jetzt weitergehen. Es ist richtig, die Rückstellungen der Atomkonzerne in einen staatlichen Fonds zu überführen, aber die Atomkonzerne dürfen dadurch nicht aus der Haftung genommen werden. Die Solidarrente muss endlich kommen und nach der anstehenden Erbschaftssteuerreform muss endlich das Gleichheitsprinzip gelten – auch für große Betriebsvermögen. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob bei der Leih- und Zeitarbeit wirklich schon die richtigen Konzepte gefunden wurden, um die ausufernde Nutzung dieser Instrumente einzudämmen. Und es gibt noch mehr offene Punkte, z.B. die Wiederbelebung der Finanztransaktionssteuer oder die konsequente Reduktion der CO2-Emissionen. Anders gesagt: Die vielen guten Punkte im Koalitionsvertrag müssen nun auch umgesetzt werden, denn am Ende zählt das Gesamtergebnis und nicht der Halbzeitstand. Und im anbrechenden Schlussviertel wird es allmählich Zeit, um da zu Potte zu kommen.

Außerdem muss eine klare Linie für 2017 entwickelt werden und eine klare Linie heißt, wieder an 2013 anzuknüpfen, bevor notgedrungen durch die Große Koalition Kompromisse gemacht werden mussten. Der Kurs, weg von der einstigen neoliberalen Agenda hin zu einer sozialen und solidarischen Politik, muss fortgesetzt werden und die „Wertekonferenz Gerechtigkeit“ in der letzten Woche war hierfür ein guter Auftakt. Der Vorschlag, die Abgeltungssteuer abzuschaffen, geht in die richtige Richtung und auch die Debatte zum künftigen Rentenniveau ist absolut notwendig.
Insgesamt muss es darum gehen, eine Politik zu entwickeln, die die Schere zwischen Arm und Reich wieder schließt und die Teilhabe der Bürger stärkt. Das bedeutet allerdings auch, dass die TTIP-Verhandlungen nicht länger mitgetragen werden dürfen, solange sie so intransparent gestaltet sind. Außerdem muss klar sein, dass TTIP mit der SPD nicht ohne ausführliche öffentliche Debatte vor der Bundestagswahl durchgepeitscht wird. Mögen doch 2017 die Bürger entscheiden, ob sie Merkel und der Union wirklich das Mandat für ein solches Abkommen geben wollen.

Mit einem Anknüpfen an 2013, einem Aufzeigen der bisherigen Erfolge in der Bundesregierung und einer erfolgreichen Umsetzung der noch offenen Punkte aus dem Koalitionsvertrag, kann die SPD eine gute Grundlage schaffen. Und mit einer klaren inhaltlichen Positionierung, z.B. bei TTIP, dem Thema Rente oder der Besteuerung von Kapitalerträgen, kann sie klare Kante zeigen und sich zur Union deutlich abgrenzen. Die Chancen sind also da, sie müssen nun aber auch genutzt werden.


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Wie ein neues Bundestagswahlrecht aussehen könnte https://www.mister-ede.de/politik/neues-bundestagswahlrecht/4989 https://www.mister-ede.de/politik/neues-bundestagswahlrecht/4989#comments Thu, 21 Apr 2016 19:09:11 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4989 Weiterlesen ]]> Das aktuelle Bundestagswahlrecht hat eine große Schwachstelle. Unter gewissen Umständen können die Wahlergebnisse zu deutlich mehr als den geplanten 598 Abgeordneten führen, z.B. wenn Parteien Überhangmandate erzielen oder wenn es, wie bei der letzten Bundestagswahl, Differenzen bei der Sitzzuteilung nach bundesweiten und landesweiten Zweitstimmenergebnissen gibt. Eine Reform ist also geboten und Bundestagspräsident Norbert Lammert hat hierzu nun auch einen Vorschlag gemacht [1]. Nachdem mir allerdings ein stärkerer Fokus auf der Gleichwertigkeit der Stimme wichtig wäre, bündele ich an dieser Stelle meine Vorstellungen und Wünsche zu einem eigenen Konzept.

1: Die Zahl der Bundestagswahlkreise wird auf 250 reduziert und die Gesamtzahl der Abgeordneten auf 625 festgelegt.

2: Wie bisher werden nur jene Parteien, die bei der Bundestagswahl bundesweit mindestens 5% der Stimmen oder drei Direktmandate erzielt haben, bei der Sitzzuteilung berücksichtig.

3: Die festgelegten 625 Sitze werden auf Basis jener Stimmen, die auf die zu berücksichtigenden Parteien entfallen, im Sainte-Laguë-Verfahren [2] auf diese verteilt.
In einem zweiten Schritt, werden die auf eine Partei entfallenden Sitze im Sainte-Laguë-Verfahren auf die einzelnen Landeslisten dieser Partei verteilt. Von den auf diese Weise auf die Landeslisten verteilten Sitzen, werden die von einer Partei im jeweiligen Bundesland durch Direktmandate errungenen Sitze abgezogen. Die verbleibenden Sitze werden dann nach den Landeslisten der Parteien mit Abgeordneten besetzt.

4: Erzielt eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate als ihr Sitze aus der Verteilung nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, werden die Direktmandate vollständig besetzt, jedoch nicht weiter ausgeglichen.

5: Die Zweitstimmen jener Wähler, die mit der Erststimme einen erfolgreichen unabhängigen Direktkandidaten gewählt haben, werden bei der Sitzzuteilung nach dem Zweitstimmenergebnis weiterhin nicht berücksichtigt.

Ergänzung vom 15.8.2018: Um das negative Stimmgewicht gänzlich zu verhindern, werden die Direktmandate bereits von jenen Sitzen abgezogen, die einer Partei nach dem bundesweiten Zweitstimmenergebnis zustehen. Überhangmandate, die bei einer bundesweiten Verrechnung nochmals unwahrscheinlicher werden, bleiben unausgeglichen. Auf die Landeslisten werden dann lediglich die verbleibenden Sitze verteilt. Ein Verteilungsmechanismus, der die Sitze dabei verstärkt auf jene Bundesländer verteilt, aus denen eine Partei vergleichsweise wenige Direktkandidaten entsendet, ist dabei wünschenswert.
Erläuterung:

Durch die Verteilung der Sitze nach dem bundesweiten Zweitstimmenergebnis auf Parteien und Landeslisten ohne garantierte Mindestsitze, kommt es zu keiner Differenz zwischen Landeszuteilung und Bundeszuteilung, so wie das bisher der Fall ist. Sofern es keine Überhangmandate gibt, ist damit immer die Gleichwertigkeit der Stimme gewährleistet und das Parlament auf eine Größe von genau 625 Sitzen festgelegt. Probleme mit einem negativen Stimmgeweicht sehe ich bei dieser Regelung ebenfalls nicht. Außerdem führt sie dazu, dass, bezogen auf jene Parteien, die in den Bundestag einziehen, eine hohe Wahlbeteiligung in einem Bundesland zu einer stärkeren Vertretung des Bundeslandes im Bundestag führt. Ein Wettbewerb um mehr Wahlbeteiligung, der meines Erachtens zu begrüßen ist.
Daneben ist durch die im Verhältnis zur Menge der Abgeordneten reduzierte Zahl der Wahlkreise auch die Gefahr von Überhangmandaten und damit die Gefahr einer Verzerrung des Zweitstimmenergebnisses deutlich verringert. Kommt es dennoch zu Überhangmandaten, findet jedoch eine Aufweichung des Gleichheitsprinzips zugunsten der Direktkandidaten und einer Begrenzung der Zahl der Mandatsträger statt.

Vergleich mit dem Lammert-Vorschlag:

Ein wesentlicher Unterschied ist, dass der Bundestag auch beim Lammert-Vorschlag zwischen 598 und z.B. 630 Abgeordneten variieren kann, während er bei meinem Vorschlag eine feste Größe hätte. Ein zweiter klarer Unterschied ist, dass die Gefahr föderaler Unterschiede im Zweitstimmenergebnis bei meinem Vorschlag entfällt. Im Gegenteil führt sogar eine höhere Wählermobilisierung zu einer stärkeren Vertretung des Bundeslandes im Bundestag. Überdies ist die Gefahr unausgeglichener Überhangmandate beim Lammert-Vorschlag deutlich größer und damit auch die Gefahr einer Verzerrung des Zweitstimmenergebnisses. Umgekehrt ist allerdings bei meinem Vorschlag die Zahl der Wahlkreise reduziert.
Sehr ähnlich sind sich die beiden Vorschläge in Bezug auf den festen Platz der direktgewählten Wahlkreiskandidaten im Bundestag. Selbst wenn die Richtgröße erreicht ist, bleibt ihr Platz im Parlament garantiert, so dass jeder Wahlkreis weiterhin einen direkten Vertreter im Bundestag hat.


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[1] Vorschlag von Bundestagspräsident Lammert als PDF (Link zum PDF auf www.bundestag.de)

[2] Wikipedia-Eintrag zum Sainte-Laguë-Verfahren (Link zum Artikel auf wikipedia.org)

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Die mangelnde Aufarbeitung der Wahlniederlagen der SPD der letzten Jahre https://www.mister-ede.de/politik/mangelnde-aufarbeitung-spd/4958 https://www.mister-ede.de/politik/mangelnde-aufarbeitung-spd/4958#comments Tue, 12 Apr 2016 17:57:59 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4958 Weiterlesen ]]> Es waren magere 25,7% der Stimmen, die die einst stolze Volkspartei SPD bei der letzten Bundestagswahl 2013 auf sich vereinigen konnte. Eine Steigerung gegenüber dem desaströsen Wahlergebnis von 23,0% bei der vorausgegangenen Wahl im Jahr 2009, allerdings noch immer das zweitschlechteste Ergebnis, welches die SPD jemals bei einer Bundestagswahl eingefahren hat.
Aber auch bei Europawahlen konnten die Sozialdemokraten, die 2004 bei 21,5%, 2009 bei 20,8% und 2014 bei 27,3% landeten, seit fast zwei Jahrzehnten keine Wahlerfolge mehr feiern. Dennoch hat eine Aufarbeitung dieser Niederlagenserie bei bundesweiten Wahlen kaum stattgefunden und auch eine Debatte über die generelle Ausrichtung und Strategie der SPD wurde nie wirklich geführt. Viel mehr erschöpften sich die Analysen in geflügelten Worten oder der Suche nach Sondereffekten. So wurde nach der Wahl 2009 vor allem der sogenannte GroKo-Effekt als ursächlich für die Wahlschlappe ausgemacht und 2013 waren mal der Merkel-Effekt und mal der Steinbrück-Effekt – „Der Kandidat hat nicht zum Programm gepasst“ – für die Niederlage verantwortlich.

Anstatt innezuhalten und ausführlich darüber zu reden, warum die Sozialdemokraten seit gut zehn Jahren bundesweit in der Wählergunst nur noch um die 25% schwanken, ging die SPD immer wieder zügig zur Tagesordnung über. Notwendig wäre die Diskussion über die programmatische Ausrichtung der Sozialdemokratie gewesen, eine Analyse der veränderten politischen Landschaft und die Entwicklung passender Strategien für die SPD.
Doch während 2013 Peer Steinbrück noch dabei war, die Verantwortung für die Wahlniederlage zu übernehmen, rückten bereits wieder mögliche Koalitionsverhandlungen in den Blick der Genossen. Gerade hierbei zeigte sich jedoch, wie sich die SPD mit der mangelnden Aufarbeitung der Wahlniederlagen selbst im Wege steht. Nachdem die Beschäftigung mit den politischen Realitäten immer weiter verschleppt wurde, gab es 2013 zwar eine Mehrheit für ein rot-rot-grünes Bündnis, allerdings keine reelle Option dies politisch umzusetzen.
Obwohl eine solche Koalition links der Mitte sogar eine Bundesratsmehrheit im Rücken gehabt hätte, rutschte die SPD damit selbstverschuldet in das Dilemma, Mehrheitsbeschafferin für Merkel zu werden oder ganz auf den sozialdemokratischen Anspruch zu verzichten, Regierungspolitik zu gestalten.

Spätestens der Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag hätte dann jedoch alle Alarmglocken schrillen lassen müssen. Immerhin ein Viertel (23,95% [1]) jener Sozialdemokraten, die sich an der Abstimmung beteiligten, votierten gegen den Eintritt in eine schwarz-rote Regierung. Bedenkt man, wie sehr die Parteiführung allerorts für den Koalitionsvertrag geworben hat, ist das schon ein deutliches Zeichen. Berücksichtig man aber außerdem, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche Genossen, die sich in der SPD nicht mehr heimisch fühlten, die Partei verlassen haben, hätte das Ergebnis Anlass genug geboten, zunächst Ausrichtung und Strategie der SPD auf den Prüfstand zu stellen und zu überdenken. Denn, gerade vor dem Hintergrund, dass die rot-rot-grüne Mehrheit im aktuellen Parlament dem Umstand geschuldet ist, dass mit AfD und FDP zwei Parteien knapp an der 5-Prozent-Hürde gescheitert sind, war es für die Sozialdemokratie möglicherweise fatal, die Chance auf eine Koalition links der Mitte verstreichen lassen zu müssen.
Sollte das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl tatsächlich ein 7-Parteien-Parlament, bestehend aus CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP, Linke und AfD, hervorbringen, rücken dann selbst rot-rot-grüne Regierungsträume in weite Ferne. Ob in diesem Fall, statt Ausrichtung und Strategie, wieder ein AfD-Effekt oder ein Gabriel-Effekt für das Abschneiden der SPD verantwortlich gemacht wird, bleibt aber vorerst offen.


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[1] Artikel auf Spiegel-Online vom 14.12.2013 zum Mitgliederentscheid (Link zum Artikel auf www.spiegel.de)

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Der kompromisslose Untergang des Piratenschiffs https://www.mister-ede.de/politik/der-kompromisslose-untergang/3159 https://www.mister-ede.de/politik/der-kompromisslose-untergang/3159#comments Tue, 04 Nov 2014 06:55:51 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=3159 Weiterlesen ]]> Für viele Piraten war es ein schmerzhafter Lernprozess, bis verstanden wurde, dass Politik ohne den Willen und die Fähigkeit zur Einigung nur bedeutet, ziellos durch die politischen Weiten zu irren. So kommt es im demokratischen System eben nicht auf das Nebeneinander mehr oder weniger guter Ideen an, sondern auf den Kompromiss, hinter den sich am Ende die Mehrheit auch stellen kann. Es ist zwar relativ leicht, viele verschiedene Ideen zusammenzutragen, allerdings beginnt die politische Arbeit erst damit, aus all den unterschiedlichen Wünschen, Vorstellungen und Zielen einen stimmigen Kompromiss zu erarbeiten, um dann gemeinsam auf Kurs gehen zu können.

Der Glaube daran, dass ein technisches System das ersetzen kann, was die Grundlage eines Kompromisses ist, nämlich die Suche nach dem Ausgleich, nahm nach meinem Eindruck dabei fast schon religiöse Züge an. Bei all der Technikgläubigkeit übersahen die Piraten jedoch, dass für einen Ausgleich nicht Konfrontation und Shitstorm notwendig sind, sondern Dialog und Überzeugungsarbeit. Nicht Liquid-Feedback, sondern Haltung und Werte, nicht Technik, sondern Argumente und nicht Formalien, sondern Inhalt machen Politik am Ende aus.

Es ist schade, dass viele der engagierten und meist jungen Leute nicht gesehen haben, dass auch außerhalb der Netzgemeinde verschiedene Organisationen und Parteien für genau jene Ziele eintreten, für die auch die Piraten stritten.
Wie heute die FDP wohl aussehen würde, wenn all jene Piraten, die sich im besonderen Maße für Datenschutz engagieren, den Liberalismus dort neu belebt hätten? Wie würde sich die Linke präsentieren, wenn sich die leidenschaftlichen Fürsprecher des bedingungslosen Grundeinkommens dort organisiert hätten? In der SPD hätten sich all jene versammeln können, die sich für Investitionen im Bereich der Internetwirtschaft stark machen, und für jene, denen besonders eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung am Herzen liegt, wäre bestimmt auch bei den Grünen noch ein Platz gewesen. Sicherlich hätte diesen Parteien eine solche Verjüngungskur auch ganz gut getan.

Natürlich gibt es in aller Regel keine Partei, bei der einem Inhalt und Ausrichtung hundertprozentig gefallen, aber genau das ist eben der Kompromiss, den Politik erfordert. Es mag zwar schwer sein, einen solchen Kompromiss einzugehen, allerdings war es der Trugschluss der Piraten, zu glauben, dass das Erfordernis eines Kompromisses mit einer neugegründeten Partei entfällt.
Am Ende sind die Piraten genau daran gescheitert, dass sie sich eben nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen konnten und somit nur im Nebeneinander der Ansätze stecken blieben.

Es wäre wirklich erfreulich, wenn die Mitglieder der Piraten nach dem Untergang ihres Schiffes aus diesem Lernprozess und ihren Erfahrungen jetzt aber nicht die Konsequenz ziehen, ihr politisches Engagement zu beenden, sondern neuen Mut fassen. Wenn sie sich zu einem Kompromiss durchringen und auf einem anderen Schiff anheuern, um sich dort einzubringen und den Kurs aktiv mitzugestalten, dann wäre dies auf jeden Fall ein Gewinn für die Demokratie und die Gesellschaft. Und bei so viel Leidenschaft und Engagement bin ich mir sicher, dass sich auch mit einem anderen Schiff das ein oder andere politische Ziel, wie verbesserter Datenschutz oder eine Reform des Urheberrechts, doch noch erreichen lässt.

Ahoi!

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SPD-Mitgliederentscheid in der Diskussion https://www.mister-ede.de/politik/diskussion-mitgliederentscheid/2301 https://www.mister-ede.de/politik/diskussion-mitgliederentscheid/2301#comments Sat, 30 Nov 2013 06:13:36 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=2301 Weiterlesen ]]> Es hat mich doch etwas erstaunt, wie heftig zurzeit der Mitgliederentscheid der SPD angegriffen wird. Dabei verwundert vor allem die Unsachlichkeit, mit der sich Journalisten und diverse Blogs mit der Frage der Verfassungskonformität dieses Mitgliederentscheids auseinandersetzen. Exemplarisch kann man das ZDF-Interview von Marietta Slomka nehmen, in dem die Argumente und Begründungen von Sigmar Gabriel einfach ignoriert wurden [1].

Dafür wird der Staatsrechtler Degenhart, der sich z.B. bei Handelsblatt Online zu den verfassungsrechtlichen Bedenken äußerte, vielfach zitiert [2]. Nun habe ich zwar auch schon auf  Degenhart verwiesen, z.B. bei der rechtlichen Bewertung der neuen Rundfunkbeiträge [3], allerdings muss man schon feststellen, dass Degenhart sehr viele Dinge als verfassungsrechtlich bedenklich einstuft und seine Meinung häufig auch nur eine Mindermeinung ist.
Dennoch wird auch in Blogs vielfach die Aussage zu den verfassungsrechtlichen Bedenken bereitwillig und völlig unreflektiert übernommen. Natürlich hat Degenhart recht mit seiner Kritik an der Parteiendemokratie, in der die Parteitage gelegentlich wichtiger erscheinen als Parlamentssitzungen des Bundestags. Der Fraktionszwang bei diversen Entscheidungen ist wohl die bekannteste Ausprägung dieser Unart. Trotzdem liegt Degenhart mit seiner Einschätzung zum Mitgliederentscheid falsch.

Als erstes ist festzustellen, dass ein Koalitionsvertrag kein Vertrag sondern eine Absichtserklärung ist. Damit binden sich keinerlei Rechtsfolgen an diesen Koalitionsvertrag, so dass er juristisch als gar nicht existent zu betrachten ist. Im Falle eines Vertragsbruchs kann keine Partei vor ein Gericht ziehen und den jeweiligen Koalitionspartner auf Einhaltung des Vertrags oder gar Schadenersatz verklagen. Das Scheitern von Regierungskoalitionen ist im Übrigen auch keine Neuheit, weder auf Bundesebene noch in den Ländern.

Als zweites muss man anfügen, dass die SPD-Mitglieder weder den Bundestag neuwählen, noch die Kanzlerin wählen, sondern lediglich über die Zusammenarbeit der SPD mit den Unionsparteien abstimmen. Insofern ist es schon kurios, wenn Thomas Stadler in seinem Blog zur Einschätzung kommt, „es geht […] – zumindest juristisch – nicht um die innere Ordnung der SPD, sondern um eine Regierungsbildung“ [4]. Genau darum geht es eben – zumindest juristisch – nicht.
Natürlich zielt eine Partei darauf ab, Regierungsverantwortung zu erhalten, um eigene Inhalte umzusetzen. Dennoch ist die Frage, wie sich die Partei ausrichtet, um dieses Ziel zu erreichen, eine innerparteiliche Angelegenheit. Auch dies ist ein Grund, warum nicht jeder Koalitionsvertrag am Ende auch in einer Regierung mündet. Heide Simonis in Schleswig-Holstein oder Andrea Ypsilanti in Hessen, die beide trotzt eines Koalitionsvertrags auf dem Weg zur Regierungsbildung scheiterten, belegen das eindrücklich.
Und nachdem es sich um eine innerparteiliche Angelegenheit handelt, ist es dementsprechend auch weder die Aufgabe der Nichtmitglieder, die Entscheidungsprozesse innerhalb der SPD festzulegen, noch ist es deren Aufgabe, über die internen Angelegenheiten der SPD mitzuentscheiden.

Besonders bizarr erscheint mir aber noch ein dritter Punkt. Kritisiert man tatsächlich nur den Mitgliederentscheid, so wie Slomka in ihrem Interview, dann bedeutet dies ja umgekehrt, dass eine Entscheidung eines kleinen Gremiums oder gar eine einsame Entscheidung eines Parteivorsitzenden unproblematisch seien. Wieso aber ausgerechnet die Kungelei unter einigen wenigen ein besonders schützenswerter demokratischer Prozess ist, hat sich mir bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erschlossen.
Damit wird auch deutlich, dass es völlig deplatziert ist, gerade den Mitgliederentscheid für die Kritik an der Parteiendemokratie zu nutzen. Ginge es wirklich um die Auswüchse der Parteiendemokratie, dann müsste man unabhängig von diesem Mitgliederentscheid fragen, ob Koalitionsvereinbarung zwischen Parteien oder ein möglicher Fraktionszwang bei der Kanzlerwahl nicht die Demokratie gefährden.
Dies wäre dann auch durchaus ein interessanter Punkt, denn er führt zur Frage, ob es für die Demokratie nicht besser wäre, wenn z.B. Angela Merkel ganz ohne Koalitionsvertrag in einer Minderheitsregierung versucht jedes Mal neue Mehrheiten zu suchen.


[1] Interview von Marietta Slomka im ZDF Heute-Journal vom 28.11.2013 mit Sigmar Gabriel (SPD) (Link zum Interview auf www.youtube.com)

[2] Artikel vom 28.11.2013 auf Handelsblatt Online zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dem SPD-Mitgliederentscheid (Link zum Artikel auf www.handelsblatt.com)

[3] Der Rundfunkbeitrag – Ein Koloss bewegt sich (www.mister-ede.de – 05.02.2013)

[4] Blog-Artikel vom 29.11.2013 von Thomas Stadler zum SPD-Mitgliederentscheid (Link zum Blog-Artikel auf www.internet-law.de)

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Der europapolitische Blindflug von Schwarz-Rot https://www.mister-ede.de/politik/europapolitischer-blindflug/2296 https://www.mister-ede.de/politik/europapolitischer-blindflug/2296#comments Thu, 28 Nov 2013 21:51:45 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=2296 Weiterlesen ]]> Die Finanzkrise ist schon mehr als fünf Jahre alt und dennoch ist kein Ende in Sicht. Trotz des Rekordtiefs bei den Leitzinsen der EZB sind viele Länder nicht in der Lage einen Maastricht-konformen oder gar ausgeglichen Haushalt vorzulegen. Dazu kommt die schon vorhandene massive Verschuldung von teilweise über 100% des BIP. Betrachtet man insgesamt die Bilanz der Rettungspolitik, dann muss man bei dieser massiven Verschuldung, der extremen Jugendarbeitslosigkeit und den weiterhin hohen Defiziten in den Krisenländern, ein verheerendes Scheitern feststellen. Notwendig wäre daher eine Neuausrichtung der Rettungspolitik um nicht nur auf die Symptome sondern endlich auch auf die Ursachen der Krise einzugehen.

Zwar wird im schwarz-roten Koalitionsvertrag auf die Einführung der europäischen Bankenaufsicht [1] und der Finanztransaktionssteuer [2] gedrängt, allerdings liegt Brüssel fern und an der bisher schleppenden Umsetzung war auch Deutschland nicht ganz unschuldig.
Man könnte die zu niedrigen Eigenkapitalreserven der Banken auch national angehen und genauso wäre das bei einer Besteuerung von Finanzprodukten möglich. Der Koalitionsvertrag sieht aber vor, auch weiterhin die Verantwortung für eine effizientere und schnellere Bankenregulierung einfach an Brüssel zu delegieren und in Berlin wie gewohnt abzuwarten. Natürlich sollte eine Lösung gesamteuropäisch sein, aber das Spielchen, Entscheidungen nach Brüssel abzugeben, um diese in der europäischen Kommission dann zu blockieren, wurde einfach viel zu lange schon betrieben.

Alleine mit einer Finanzmarkt- und Bankenregulierung lassen sich die Probleme aber ohnehin nicht lösen. Die im Moment zum Teil immer noch unterfinanzierten Banken müssen in den nächsten Jahren restrukturiert oder abgewickelt werden. Dafür müssten Mechanismen implementiert werden, die eine Kettenreaktion unter den Banken verhindern und gleichzeitig sicherstellen, dass die Kosten für eine solche Restrukturierung oder Abwicklung im Finanzbereich verbleiben.
Stattdessen sollen laut Koalitionsvertrag aber nur „in erster Linie Banken selbst für ihre Risiken haften und nicht die Steuerzahler“ [3], was eben heißt, dass in zweiter Instanz genau diese Steuerzahler doch für marode Banken zahlen werden. Damit wird aber wieder jener Prozess fortgesetzt, der bereits jetzt europaweit den Staaten und damit den Steuerzahlern Milliardensummen neuer Schulden eingebracht hat.

Im schwarz-roten Koalitionsvertrag finden sich auch keine  Impulse um die wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone zu minimieren. Wichtig wäre es gewesen, wenn Deutschland die Bereitschaft gezeigt hätte, einen Wachstumsfonds zu finanzieren oder z.B. zu Gunsten eines solchen europäischen Fonds auf die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer zu verzichten. Denkbar wäre es auch gewesen, sich auf einen Zinsausgleich zwischen den Euro-Staaten zu verständigen, damit der Zinsunterschied zu den Krisenstaaten innerhalb der Eurozone institutionell abgemildert wird.
Stattdessen werden von Schwarz-Rot lediglich die auf europäischer Ebene bereits beschlossenen Maßnahmen erneut serviert. Und nachdem die deutsche Hilfe wohl auch in Zukunft hauptsächlich aus Hilfskrediten bestehen wird [4], dürfte sich auch die Verschuldungsproblematik in den nächsten Jahren weiter verschärfen.

Betrachtet man die Aufgabe vor der die Krisenstaaten mit dieser Form der Rettungspolitik heute stehen, dann gleicht das dem Versuch der Quadratur des Kreises. Von außen werden keine neuen Wachstumsimpulse gesetzt, die maroden Banken belasten den Finanzsektor der Krisenländer, die hohen Schulden und Zinszahlung belasten die Staatshaushalte, die fehlende Währungsflexibilität verhindert gezielte geldpolitische Maßnahmen und unter diesen Voraussetzungen sollen die Länder für Wachstum sorgen und gleichzeitig die Staatsdefizite reduzieren.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Krisenländer das schaffen und ihre Schulden in Zukunft weiter bedienen können, geht damit stark gegen null. Das aber scheinen die Koalitionäre bei ihrem europapolitischen Blindflug zu übersehen. Denn anstatt die Gefahr eines Zahlungsausfalls von Krisenstaaten im Koalitionsvertrag zu thematisieren, wird lediglich darauf verwiesen, dass die Krisenstaaten selbst für ihre Kredite haften [5]. Wie aber das Kunststück gelingen soll, einem nackten Menschen in die Tasche zu greifen, kann auch der Koalitionsvertrag nicht klären.
Außerdem bleiben die aus diesem wirtschaftspolitischen Versagen resultierenden Gefahren in der sozialen Dimension völlig unbeachtet. Was passiert, wenn in einem Land eine europafeindliche Koalition die Mehrheit erringt? Steht die EU dann still, weil viele europäische Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen?

Ungeklärt ist auch, wie mit den noch immer großen Handelsbilanz-Divergenzen innerhalb der Eurozone umgegangen werden soll. Dabei sind nicht nur die Exportdefizite der Krisenstaaten sondern auch die deutschen Importdefizite ein Problem. Allerdings werden weder das Lohndumping in einigen Bereichen der deutschen Wirtschaft noch die Schwäche des deutschen Binnenmarktes im schwarz-roten Koalitionsvertrag thematisiert.

Insgesamt bleibt der Koalitionsvertrag damit die Antworten auf die Fragen der Finanzkrise schuldig. Statt die verfehlte Rettungspolitik zum Anlass für eine Kehrtwende zu nehmen, wird ein Freibrief zum weiterwurschteln ausgestellt.
Mit diesem europapolitischen Blindflug werden die schwarz-roten Koalitionäre aber weder der Situation noch der deutschen Verantwortung für Europa gerecht.


Ähnliche Artikel:
Eine Bilanz nach fünf Jahren Euro-Rettungspolitik (www.mister-ede.de – 15.10.2013)

Und täglich grüßt die Finanztransaktionssteuer (www.mister-ede.de – 29.10.2013)

Mögliche Gestaltung eines Bankensicherungsfonds (www.mister-ede.de – 02.07.2012)


[1] Schwarz-Roter Koalitionsvertrag vom 27.11.2013, S. 62 f. (Der Koalitionsvertrag als PDF-File auf www.bundesregierung.de)

[2] Schwarz-Roter Koalitionsvertrag vom 27.11.2013, S. 64 (Der Koalitionsvertrag als PDF-File auf www.bundesregierung.de)

[3] Schwarz-Roter Koalitionsvertrag vom 27.11.2013, S. 158 (Der Koalitionsvertrag als PDF-File auf www.bundesregierung.de)

[4] Schwarz-Roter Koalitionsvertrag vom 27.11.2013, S. 158 (Der Koalitionsvertrag als PDF-File auf www.bundesregierung.de)

[5] Schwarz-Roter Koalitionsvertrag vom 27.11.2013, S. 159 (Der Koalitionsvertrag als PDF-File auf www.bundesregierung.de)

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https://www.mister-ede.de/politik/europapolitischer-blindflug/2296/feed 1
Auf dem Weg zu einem Koalitionsvertrag: Union schafft erste Grundlage https://www.mister-ede.de/politik/union-schafft-erste-grundlage/2253 https://www.mister-ede.de/politik/union-schafft-erste-grundlage/2253#comments Sun, 27 Oct 2013 22:31:46 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=2253 Weiterlesen ]]> Nachdem mittlerweile auch die Union erste Anzeichen für eine Annäherung aussendet, könnte ich mir vorstellen, dass man sich in den nächsten Wochen in ein paar wesentlichen Punkten einigt. So könnte eine Einigung bei der doppelten Staatsbürgerschaft und dem Mindestlohn nahe an der Linie der SPD, zu einem Türöffner für die weiteren Verhandlungen werden.

Sollte sich die Union bei der doppelten Staatsbürgerschaft bewegen, so dass der Entscheidungszwang entfällt [1], dann wäre dies ein erheblicher Fortschritt. Allerdings muss man auf die Ausgestaltung schauen und was sich die CSU unter dem Ruhen der Staatsbürgerschaft vorstellt. Wenn jemand Familie in zwei Ländern hat, muss er hier wie dort leben können, ohne die Angst zu haben, die Staatsbürgerschaft zu verwirken. Insofern darf das Ruhen natürlich nicht zu einem de facto Verlust der Staatsbürgerschaft führen, wenn der Kompromiss für die SPD akzeptabel sein soll.
Auch beim Mindestlohn ist eine Einigung vorstellbar. Sollten sich die Parteien auf einen Kompromiss verständigen, der einen Mindestlohn von 8,50 Euro im Westen und 7,50 Euro im Osten vorsieht, dann wäre dies zumindest ein Anfang. Die Zustimmung der SPD wird dann zwar immer noch von der Ausgestaltung, z.B. einer Anpassung zwischen Ost und West abhängen, aber es wäre eine Grundlage um dieses Thema aus meiner Sicht zur Zufriedenheit beider Seiten zu lösen.
So könnte eine Tarifkommission die jährliche Steigerung bestimmen und für Ostdeutschland wird dieser Betrag um 20ct. pro Jahr erhöht. Damit wäre in fünf Jahren ein gleicher Mindestlohn in Ost und West umgesetzt, der dann entsprechend der Höhe der Steigerungen durch die Tarifkommission über 8,50 Euro liegt.

Betrachtet man die steuerliche Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare, dann denke ich, dass vor allem das Bundesverfassungsgericht für die Union Anlass sein sollte, ihre Linie zu überdenken [2]. Sollte sich die Union auch hier bewegen, und man sich auch beim Mindestlohn und bei der Abschaffung des Entscheidungszwanges verständigen, könnte ich mir vorstellen, dass auch das Betreuungsgeld für die SPD-Anhänger verkraftbar ist.
Immerhin hätte sich die Union in zwei gesellschaftspolitischen Bereichen bewegt, so dass man ihr auch zugestehen könnte, nicht noch das Elterngeld aufgeben zu müssen. Auch wenn ich das Elterngeld nicht als familienpolitisch zielführend  erachte, ist es am Ende eine Förderung, die auf jeden Fall Familien mit Kindern zu Gute kommt, was ja an und für sich nicht das schlimmste sein sollte.
Auch eine feste Verabredung, das Ehegattensplitting in seiner jetzigen Form beizubehalten, könnte ich mir in diesem Zusammenhang als Zugeständnis vorstellen. Zumal hier die Sichtweise der SPD dem Verfassungsgrundsatz vom Schutz der Ehe etwas zuwiderläuft. Eigentlich fördert das Ehegattensplitting nicht die Alleinverdiener-Ehe, sondern stellt diese nur den Doppelverdienern gleich [3]. Aus meiner Sicht gibt es gute Gründe um in diesem Punkt der Sichtweise der Union und insbesondere der CSU zu folgen, dass es sich um die Entscheidung der Familien handelt, wer innerhalb der Familie wie viel zum Haushaltseinkommen beiträgt.

Sollte man sich also in diesen fünf Punkten, Mindestlohn, doppelte Staatsbürgerschaft, steuerliche Gleichbehandlung homosexueller Paare, Ehegatten-Splitting und Betreuungsgeld, einigen, dann könnten die großen Themen Rente und Europa angegangen werden.
Betrachtet man die Vorschläge zur Rentenpolitik, dann dürften Mindestrente, Mütterrente und abschlagsfreier Rente ab 45 Jahren alleine schon 20 oder 30 Milliarden Euro jährlich kosten. Ohne das dritte große Thema der Steuer wird man daher diese Diskussion nicht führen können. Selbiges dürfte auch für die Europapolitik und insbesondere die Euro-Rettungspolitik gelten. Die Kosten sind entstanden, ohne dass sich an der grundlegenden Situation etwas geändert hat. Die einseitig auf Sparen ausgerichtete Rettungspolitik hat die Länder in eine Sackgasse geführt [4]. Und nun kann man warten bis Griechenland ein zweites Mal ausfällt und Spanien das griechische Szenario durchmacht oder man ändert den Kurs der bisherigen Euro-Rettungspolitik. Beides wird für Deutschland teuer.

Ebenso dürften Änderungen bei der Pflege teuer werden, wenn eine wirkliche Antwort auf die Probleme in diesem Bereich gefunden werden soll. Ein Knackpunkt dürften auch noch die Unterschiede in der Gesundheitspolitik und insbesondere bei der Bürgerversicherung sein. Bei Fragen des Arbeitsmarktes und der Begrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen scheinen mir die Parteien hingegen nicht so weit auseinander. Auch bei der Energiewende halte ich eine Einigung für möglich. Hieran wird meines Erachtens ein Koalitionsvertrag zumindest nicht scheitern, zumal in den Koalitionsverhandlungen nur die Marschroute festgelegt wird. Ähnliches gilt für den Ausbau der Kinderbetreuung, die finanziellen Leistungen für Kinder oder die von beiden Seiten versprochenen Infrastrukturprogramme.
Außerdem wird die Digitale Agenda nach der neuerlichen NSA-Affäre eine Rolle spielen müssen. Aber auch insgesamt wird man sich dem Thema Netz und Netzausbau intensiver widmen als bei anderen Koalitionsverhandlungen zuvor. Dabei könnten auch die Fragen nach Datenschutz oder Urheberrecht eine Rolle spielen. Der kurzzeitige politische Erfolg der Piraten macht es möglich.

Zum Schluss aber wird wohl das Thema Steuer ein Problem bleiben. Selbst wenn man sich auf höhere Pflegebeiträge einigt und einen Teil eines evtl. Rentenkompromisses aus der Rentenkasse bezahlt, wird man nicht um eine weitere Steuerfinanzierung herumkommen.
Außerdem wird sich die SPD, ob sie will oder nicht, an dem Versprechen einer gerechteren Ausgestaltung des Steuersystems messen lassen müssen. So sehr dieses Thema im Wahlkampf propagiert wurde, so schnell ist es nach dem Wahlabend verschwunden. Dennoch glaube ich nicht, dass die SPD das Thema so einfach abschütteln kann. Dass nicht Erbschafts-, Vermögens-, Spitzen-, Abgeltungs- und Körperschaftssteuer allesamt erhöht werden, ist verständlich, aber ob sich die SPD am Ende auf einen Koalitionsvertrag ohne irgendeine Form von mehr Steuergerechtigkeit einlässt, halte ich im Moment auch für fraglich.

Das Thema der Finanzausstattung der Länder, bzw. des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern, dürfte zwar in einer schwarz-roten Regierung eine größere Rolle spielen, besonders da auch in jedem Bundesland entweder Schwarze oder Rote mitregieren, allerdings könnte ich mir vorstellen, dass dieser Punkt bei den Koalitionsverhandlungen ausgespart und später im Zusammenwirken von Bundesrat und Bundestag ausgearbeitet wird. Dann könnte man eine Reform auch mit einer anstehenden Reform des auslaufenden Solidaritätszuschlags verknüpfen und hätte vor allem genügend Zeit um die damit verbundenen Fragen zu bearbeiten.
Dagegen könnte aus aktuellem Anlass eine Förderung der Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen ein Thema der Verhandlungen sein. Wünschenswert wäre natürlich auch die Frage nach der Finanzierung der Kirchen aus aktuellem Anlass zu überdenken, allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass die drei Parteien die eh schon schweren Koalitionsverhandlungen mit so einem Thema zusätzlich belasten wollen.

Insgesamt dürfte es bei den Koalitionsverhandlungen noch an verschiedenen Stellen knirschen, allerdings für einen Einstieg wäre eine Einigung in den medial stark beachteten Punkten durchaus ein positives Signal. Außerdem könnte man etwas Druck aus den Verhandlungen nehmen, in dem man die für die jeweiligen Parteien wichtigen Themen, wie Mindestlohn oder Betreuungsgeld, akzeptiert.


[1] Artikel von SZ-Online vom 27.10.2013 zur Seehofer Äußerung zur doppelten Staatsbürgerschaft (Link zum Artikel auf www.sueddeutsche.de)

[2] Artikel von SZ-Online vom 06.06.2013 zum Urteil des BVerfG zur steuerlichen Behandlung gleichgeschlechtlicher Paare (Link zum Artikel auf www.sueddeutsche.de)

[3] Abschaffung des Ehegattensplittings verfassungswidrig? (www.mister-ede.de – 18.02.2013)

[4] Eine Bilanz nach fünf Jahren Euro-Rettungspolitik (www.mister-ede.de – 15.10.2013)

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Die Wirkung des neuen Wahlrechts: Bundestag wächst https://www.mister-ede.de/politik/wirkung-des-neuen-wahlrechts/2239 https://www.mister-ede.de/politik/wirkung-des-neuen-wahlrechts/2239#comments Tue, 22 Oct 2013 13:16:03 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=2239 Weiterlesen ]]> Im neuen Bundestag sitzen 631 Abgeordnete. Neben den 598 regulären Parlamentssitzen gibt es 4 zusätzliche Sitze durch Überhangmandate und weitere 29 Sitze durch Ausgleichsmandate. Wer nun aber denkt, dass die 29 Ausgleichsmandate durch die 4 Überhangmandate entstehen, täuscht sich. Denn tatsächlich entstehen die Ausgleichsmandate durch die CSU, die ihrerseits gar keine Überhangmandate erhalten hat. Das Ganze hängt mit dem neuen Wahlrecht und der Diskrepanz zwischen dem Bundesergebnis und den garantierten Sitzen der jeweiligen Bundesländer zusammen.

So haben in Bayern CSU, SPD, Grüne und Linke insgesamt 81,5% der Zweitstimmen erhalten [1]. Mit 49,3% der Zweitstimmen stehen der CSU deshalb 56 der 92 bayerischen Sitze für den Bundestag zu. Bundesweit hat die CSU mit etwas über 3,2 Mio. Zweitstimmen einen Anteil von 7,4% erhalten [2].  Allerdings stehen ihr damit bundesweit nur 54 der 598 Sitze zu. Aufgrund des bayerischen Ergebnisses muss die CSU aber mit 56 Sitzen im Bundestag vertreten sein. Damit die anderen Parteien im Verhältnis zur CSU nicht schlechter gestellt sind, müssen diese dann Ausgleichsmandate erhalten. So haben die CDU dreizehn, die SPD zehn, die Linke vier und Grüne zwei zusätzliche Mandate erhalten [3] [4].

Treibt man den Gedanken weiter, hätte vor allem eine niedrigere Wahlbeteiligung in Bayern den Bundestag kräftig wachsen lassen. Wären in Bayern nur halb so viele Wähler zur Urne gegangen, dann hätte die CSU innerhalb Bayerns immer noch ihre 49,3% bzw. den Anspruch auf 56 Sitze im Bundestag. Bundesweit hätte die CSU allerdings nur noch ca. 4% der Zweitstimmen und damit vielleicht noch Anspruch auf 30 Sitze. In der Folge müssten die anderen Parteien dann erhebliche Mengen an Ausgleichsmandaten erhalten, um die 56 CSU Sitze in das Verhältnis zu den 4% zu rücken. In so einem Fall hätte der Bundestag weit über 1.000 Abgeordnete.

Da auch Parteien in den Bundestag einziehen, die zwar weniger als 5% der Stimmen haben, allerdings drei Wahlkreise gewinnen, lassen sich mit der CSU theoretisch Konstruktionen denken, die den Bundestag auf ein Vielfaches anwachsen lassen. Bei nur 10.000 Wählern in Bayern und einer üblichen Wahlbeteiligung im Rest der Republik, hätte die CSU bundesweit nur Anspruch auf einen Sitz. In Bayern könnte sie aber auch mit nur 10.000 Wählern Anspruch auf 100% der Sitze, also auf bis zu 92 Sitze haben. In Diesem Fall müsste der Bundestag fast hundertmal größer werden um das gegenüber den anderen Parteien auszugleichen. Für Sitzungen könnte man dann ja ins Berliner Olympiastadion umziehen.

Ganz soweit wird es aber nicht kommen, zumal das Wahlgesetz auch vorsieht, dass dort wo die Kandidatenlisten enden, die Plätze einfach frei bleiben. Die grundsätzliche Problematik ist aber real, da kleinere Schwankungen bei der Wahlbeteiligung durchaus möglich sind. Schon ein Rückgang der Wahlbeteiligung in Bayern um wenige Prozent z.B. auf Grund von Schneesturm und Hagel am Wahlsonntag, könnte zu zig zusätzlichen Abgeordneten führen.


[1] Bundestagswahlergebnis in Bayern (Link zum Ergebnis auf www.bundeswahlleiter.de)

[2] Bundesweites Bundestagswahlergebnis (Link zum Ergebnis auf www.bundeswahlleiter.de)

[3] Das vorläufige amtliche Ergebnis schlüsselt die Überhangmandate auf (Link zum vorläufigen amtlichen Ergebnis auf www.bundeswahlleiter.de)

[4] Im amtlichen Endergebnis gewinnt die SPD einen weitern Sitz hinzu (Link zum endgültigen amtlichen Ergebnis auf www.bundeswahlleiter.de)

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Für Merkel rücken die Zeitpunkte der Wahrheit näher https://www.mister-ede.de/politik/zeitpunkte-der-wahrheit/2233 https://www.mister-ede.de/politik/zeitpunkte-der-wahrheit/2233#comments Tue, 15 Oct 2013 19:53:55 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=2233 Weiterlesen ]]> Am 22. September war Bundestagswahl. An diesem Tag wurde die bisherige schwarz-gelbe Regierung auf Grund des schlechten Abschneidens der FDP abgewählt. Diese Tatsache ist bei der Freude der Union über ihr hervorragendes Bundestagswahlergebnis bislang eher untergegangen.
Allerdings wird sich die Union nicht auf Dauer vor dieser Wahrheit verstecken können. So wird von Tag zu Tag deutlicher, dass trotz erheblich gestiegener Stimmenanteile das Regieren für Merkel in den nächsten vier Jahren nicht einfacher wird.
Auch nach drei Wochen und einer Reihe von Sondierungstreffen, gibt es noch immer wenig Bewegung in der Koalitionsfrage. Nach dem gestrigen Treffen mit der SPD und der heutigen Sondierung mit den Grünen wird sich die Union allmählich entscheiden müssen mit welcher Partei sie Koalitionsverhandlungen führen will. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird klar sein, dass die bisherige Regierungskoalition die Wahl verloren hat und nun die Zeit der Kompromisse folgen muss.

Aber nicht nur hier muss sich die Union der Wahrheit stellen. Anders als im Wahlkampf, in dem das Thema der Finanzkrise ausgespart wurde, wird sich die Union in Koalitionsverhandlungen mit ihrer bisherigen Euro-Rettungspolitik auseinandersetzen müssen.
Dabei wird es darum gehen, die bisherigen Kosten der Rettungspolitik zu benennen, die Entwicklung und Lage der Krisenländer nach fünf Jahren der Krisenintervention zu analysieren und vor allem auch die Risiken für die Zukunft offen auf den Tisch zu legen.

Eine Bilanz nach fünf Jahren Euro-Rettungspolitik (www.mister-ede.de – 15.10.2013)

Bei einer ehrlichen Betrachtung könnten sich aber weitere unangenehme Fragen in Bezug auf die Euro-Rettungspolitik und ihre Wirksamkeit ergeben. Zum einen stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Ausmaß der Krise in Staaten wie Spanien oder Griechenland, zum anderen drängt sich die Frage auf, was außer der Bereitstellung von Hilfskrediten von den angekündigten Maßnahmen tatsächlich umgesetzt wurde.
Das betrifft die Bankenaufsicht und die noch immer fehlende Abwicklungsmechanismen für Großbanken, das betriff aber auch die Finanzmarktsteuer, die man trotzt aller Beteuerungen immer noch vergeblich sucht.

Neben dem Thema der Finanzkrise und dem Fakt, dass die bisherige Regierungspolitik nicht fortgesetzt werden kann, blendet die Union auch fast vollständig aus, dass sie bereits acht Jahre regiert. Im Gegensatz zu 2005 kommt die Union nicht mehr aus der Opposition und damit werden Veränderungen, z.B. beim Mindestlohn oder bei der Rente, auch immer gleichzeitig Kritik an der bisherigen Regierungspolitik sein. Dabei ist es auch unerheblich, ob es zu einer Neuauflage der Großen Koalition kommt oder ein schwarz-grünes Bündnis auf das bisherige schwarz-gelbe folgt.
Dazu kommt, dass es im Unterschied zu 2005 und 2009 auch im Bundesrat andere Mehrheitsverhältnissen zu Ungunsten der Union gibt. Anders als 2009, als die schwarz-gelbe Koalition von einer Mehrheit im Bundesrat unterstützt wurde, hat heute rot-grün im Bundesrat einen Vorsprung.
Egal mit wem die Union am Ende eine Regierungskoalition bildet, die Regierungspolitik wird sich stärker an den Interessen der rot-grünen Bundesratsmehrheit orientieren müssen. Auch dieser Tatsache wird sich die Union nicht auf Dauer verschließen können.

Insgesamt darf man nicht verkennen, dass die Hürden für eine Regierungsbildung nicht fünf Sitze im Bundestag sind sondern die inhaltlichen Differenzen zwischen der Union und möglichen Koalitionspartnern. Auch dies ist ein Unterschied zu 2009, als Union und FDP vor allem die Gemeinsamkeiten betonten.
So wird es diesmal Auseinandersetzung über die Fragen der Euro(pa)-Politik geben und auch die Arbeitsmarktpolitik ist nicht weniger konfliktträchtig. Ähnlich ist das auch beim Thema einer gerechteren Steuerverteilung. Ebenso machen der Streit um das Elterngeld oder die Fragen nach der doppelten Staatsbürgerschaft deutlich, dass sich auch bei der Familien- oder Integrationspolitik ziemlich gegensätzliche Gesellschaftsmodelle gegenüber stehen.
Wie lange es noch dauert, bis sich die Union mit dieser Situation abfindet und sich auch innerparteilich auf neue Linien verständigt, weiß ich zwar nicht, aber auf Dauer werden sich SPD und Grüne nicht mit unverbindlichen Sondierungsgesprächen zufrieden geben. Der Zeitpunkt an dem sich Merkel den Wahrheiten stellen muss rückt näher.

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