Auf dem Weg zu einem Koalitionsvertrag: Union schafft erste Grundlage

Nachdem mittlerweile auch die Union erste Anzeichen für eine Annäherung aussendet, könnte ich mir vorstellen, dass man sich in den nächsten Wochen in ein paar wesentlichen Punkten einigt. So könnte eine Einigung bei der doppelten Staatsbürgerschaft und dem Mindestlohn nahe an der Linie der SPD, zu einem Türöffner für die weiteren Verhandlungen werden.

Sollte sich die Union bei der doppelten Staatsbürgerschaft bewegen, so dass der Entscheidungszwang entfällt [1], dann wäre dies ein erheblicher Fortschritt. Allerdings muss man auf die Ausgestaltung schauen und was sich die CSU unter dem Ruhen der Staatsbürgerschaft vorstellt. Wenn jemand Familie in zwei Ländern hat, muss er hier wie dort leben können, ohne die Angst zu haben, die Staatsbürgerschaft zu verwirken. Insofern darf das Ruhen natürlich nicht zu einem de facto Verlust der Staatsbürgerschaft führen, wenn der Kompromiss für die SPD akzeptabel sein soll.
Auch beim Mindestlohn ist eine Einigung vorstellbar. Sollten sich die Parteien auf einen Kompromiss verständigen, der einen Mindestlohn von 8,50 Euro im Westen und 7,50 Euro im Osten vorsieht, dann wäre dies zumindest ein Anfang. Die Zustimmung der SPD wird dann zwar immer noch von der Ausgestaltung, z.B. einer Anpassung zwischen Ost und West abhängen, aber es wäre eine Grundlage um dieses Thema aus meiner Sicht zur Zufriedenheit beider Seiten zu lösen.
So könnte eine Tarifkommission die jährliche Steigerung bestimmen und für Ostdeutschland wird dieser Betrag um 20ct. pro Jahr erhöht. Damit wäre in fünf Jahren ein gleicher Mindestlohn in Ost und West umgesetzt, der dann entsprechend der Höhe der Steigerungen durch die Tarifkommission über 8,50 Euro liegt.

Betrachtet man die steuerliche Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare, dann denke ich, dass vor allem das Bundesverfassungsgericht für die Union Anlass sein sollte, ihre Linie zu überdenken [2]. Sollte sich die Union auch hier bewegen, und man sich auch beim Mindestlohn und bei der Abschaffung des Entscheidungszwanges verständigen, könnte ich mir vorstellen, dass auch das Betreuungsgeld für die SPD-Anhänger verkraftbar ist.
Immerhin hätte sich die Union in zwei gesellschaftspolitischen Bereichen bewegt, so dass man ihr auch zugestehen könnte, nicht noch das Elterngeld aufgeben zu müssen. Auch wenn ich das Elterngeld nicht als familienpolitisch zielführend  erachte, ist es am Ende eine Förderung, die auf jeden Fall Familien mit Kindern zu Gute kommt, was ja an und für sich nicht das schlimmste sein sollte.
Auch eine feste Verabredung, das Ehegattensplitting in seiner jetzigen Form beizubehalten, könnte ich mir in diesem Zusammenhang als Zugeständnis vorstellen. Zumal hier die Sichtweise der SPD dem Verfassungsgrundsatz vom Schutz der Ehe etwas zuwiderläuft. Eigentlich fördert das Ehegattensplitting nicht die Alleinverdiener-Ehe, sondern stellt diese nur den Doppelverdienern gleich [3]. Aus meiner Sicht gibt es gute Gründe um in diesem Punkt der Sichtweise der Union und insbesondere der CSU zu folgen, dass es sich um die Entscheidung der Familien handelt, wer innerhalb der Familie wie viel zum Haushaltseinkommen beiträgt.

Sollte man sich also in diesen fünf Punkten, Mindestlohn, doppelte Staatsbürgerschaft, steuerliche Gleichbehandlung homosexueller Paare, Ehegatten-Splitting und Betreuungsgeld, einigen, dann könnten die großen Themen Rente und Europa angegangen werden.
Betrachtet man die Vorschläge zur Rentenpolitik, dann dürften Mindestrente, Mütterrente und abschlagsfreier Rente ab 45 Jahren alleine schon 20 oder 30 Milliarden Euro jährlich kosten. Ohne das dritte große Thema der Steuer wird man daher diese Diskussion nicht führen können. Selbiges dürfte auch für die Europapolitik und insbesondere die Euro-Rettungspolitik gelten. Die Kosten sind entstanden, ohne dass sich an der grundlegenden Situation etwas geändert hat. Die einseitig auf Sparen ausgerichtete Rettungspolitik hat die Länder in eine Sackgasse geführt [4]. Und nun kann man warten bis Griechenland ein zweites Mal ausfällt und Spanien das griechische Szenario durchmacht oder man ändert den Kurs der bisherigen Euro-Rettungspolitik. Beides wird für Deutschland teuer.

Ebenso dürften Änderungen bei der Pflege teuer werden, wenn eine wirkliche Antwort auf die Probleme in diesem Bereich gefunden werden soll. Ein Knackpunkt dürften auch noch die Unterschiede in der Gesundheitspolitik und insbesondere bei der Bürgerversicherung sein. Bei Fragen des Arbeitsmarktes und der Begrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen scheinen mir die Parteien hingegen nicht so weit auseinander. Auch bei der Energiewende halte ich eine Einigung für möglich. Hieran wird meines Erachtens ein Koalitionsvertrag zumindest nicht scheitern, zumal in den Koalitionsverhandlungen nur die Marschroute festgelegt wird. Ähnliches gilt für den Ausbau der Kinderbetreuung, die finanziellen Leistungen für Kinder oder die von beiden Seiten versprochenen Infrastrukturprogramme.
Außerdem wird die Digitale Agenda nach der neuerlichen NSA-Affäre eine Rolle spielen müssen. Aber auch insgesamt wird man sich dem Thema Netz und Netzausbau intensiver widmen als bei anderen Koalitionsverhandlungen zuvor. Dabei könnten auch die Fragen nach Datenschutz oder Urheberrecht eine Rolle spielen. Der kurzzeitige politische Erfolg der Piraten macht es möglich.

Zum Schluss aber wird wohl das Thema Steuer ein Problem bleiben. Selbst wenn man sich auf höhere Pflegebeiträge einigt und einen Teil eines evtl. Rentenkompromisses aus der Rentenkasse bezahlt, wird man nicht um eine weitere Steuerfinanzierung herumkommen.
Außerdem wird sich die SPD, ob sie will oder nicht, an dem Versprechen einer gerechteren Ausgestaltung des Steuersystems messen lassen müssen. So sehr dieses Thema im Wahlkampf propagiert wurde, so schnell ist es nach dem Wahlabend verschwunden. Dennoch glaube ich nicht, dass die SPD das Thema so einfach abschütteln kann. Dass nicht Erbschafts-, Vermögens-, Spitzen-, Abgeltungs- und Körperschaftssteuer allesamt erhöht werden, ist verständlich, aber ob sich die SPD am Ende auf einen Koalitionsvertrag ohne irgendeine Form von mehr Steuergerechtigkeit einlässt, halte ich im Moment auch für fraglich.

Das Thema der Finanzausstattung der Länder, bzw. des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern, dürfte zwar in einer schwarz-roten Regierung eine größere Rolle spielen, besonders da auch in jedem Bundesland entweder Schwarze oder Rote mitregieren, allerdings könnte ich mir vorstellen, dass dieser Punkt bei den Koalitionsverhandlungen ausgespart und später im Zusammenwirken von Bundesrat und Bundestag ausgearbeitet wird. Dann könnte man eine Reform auch mit einer anstehenden Reform des auslaufenden Solidaritätszuschlags verknüpfen und hätte vor allem genügend Zeit um die damit verbundenen Fragen zu bearbeiten.
Dagegen könnte aus aktuellem Anlass eine Förderung der Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen ein Thema der Verhandlungen sein. Wünschenswert wäre natürlich auch die Frage nach der Finanzierung der Kirchen aus aktuellem Anlass zu überdenken, allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass die drei Parteien die eh schon schweren Koalitionsverhandlungen mit so einem Thema zusätzlich belasten wollen.

Insgesamt dürfte es bei den Koalitionsverhandlungen noch an verschiedenen Stellen knirschen, allerdings für einen Einstieg wäre eine Einigung in den medial stark beachteten Punkten durchaus ein positives Signal. Außerdem könnte man etwas Druck aus den Verhandlungen nehmen, in dem man die für die jeweiligen Parteien wichtigen Themen, wie Mindestlohn oder Betreuungsgeld, akzeptiert.


[1] Artikel von SZ-Online vom 27.10.2013 zur Seehofer Äußerung zur doppelten Staatsbürgerschaft (Link zum Artikel auf www.sueddeutsche.de)

[2] Artikel von SZ-Online vom 06.06.2013 zum Urteil des BVerfG zur steuerlichen Behandlung gleichgeschlechtlicher Paare (Link zum Artikel auf www.sueddeutsche.de)

[3] Abschaffung des Ehegattensplittings verfassungswidrig? (www.mister-ede.de – 18.02.2013)

[4] Eine Bilanz nach fünf Jahren Euro-Rettungspolitik (www.mister-ede.de – 15.10.2013)

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