SPD-Mitgliederentscheid in der Diskussion

Es hat mich doch etwas erstaunt, wie heftig zurzeit der Mitgliederentscheid der SPD angegriffen wird. Dabei verwundert vor allem die Unsachlichkeit, mit der sich Journalisten und diverse Blogs mit der Frage der Verfassungskonformität dieses Mitgliederentscheids auseinandersetzen. Exemplarisch kann man das ZDF-Interview von Marietta Slomka nehmen, in dem die Argumente und Begründungen von Sigmar Gabriel einfach ignoriert wurden [1].

Dafür wird der Staatsrechtler Degenhart, der sich z.B. bei Handelsblatt Online zu den verfassungsrechtlichen Bedenken äußerte, vielfach zitiert [2]. Nun habe ich zwar auch schon auf  Degenhart verwiesen, z.B. bei der rechtlichen Bewertung der neuen Rundfunkbeiträge [3], allerdings muss man schon feststellen, dass Degenhart sehr viele Dinge als verfassungsrechtlich bedenklich einstuft und seine Meinung häufig auch nur eine Mindermeinung ist.
Dennoch wird auch in Blogs vielfach die Aussage zu den verfassungsrechtlichen Bedenken bereitwillig und völlig unreflektiert übernommen. Natürlich hat Degenhart recht mit seiner Kritik an der Parteiendemokratie, in der die Parteitage gelegentlich wichtiger erscheinen als Parlamentssitzungen des Bundestags. Der Fraktionszwang bei diversen Entscheidungen ist wohl die bekannteste Ausprägung dieser Unart. Trotzdem liegt Degenhart mit seiner Einschätzung zum Mitgliederentscheid falsch.

Als erstes ist festzustellen, dass ein Koalitionsvertrag kein Vertrag sondern eine Absichtserklärung ist. Damit binden sich keinerlei Rechtsfolgen an diesen Koalitionsvertrag, so dass er juristisch als gar nicht existent zu betrachten ist. Im Falle eines Vertragsbruchs kann keine Partei vor ein Gericht ziehen und den jeweiligen Koalitionspartner auf Einhaltung des Vertrags oder gar Schadenersatz verklagen. Das Scheitern von Regierungskoalitionen ist im Übrigen auch keine Neuheit, weder auf Bundesebene noch in den Ländern.

Als zweites muss man anfügen, dass die SPD-Mitglieder weder den Bundestag neuwählen, noch die Kanzlerin wählen, sondern lediglich über die Zusammenarbeit der SPD mit den Unionsparteien abstimmen. Insofern ist es schon kurios, wenn Thomas Stadler in seinem Blog zur Einschätzung kommt, „es geht […] – zumindest juristisch – nicht um die innere Ordnung der SPD, sondern um eine Regierungsbildung“ [4]. Genau darum geht es eben – zumindest juristisch – nicht.
Natürlich zielt eine Partei darauf ab, Regierungsverantwortung zu erhalten, um eigene Inhalte umzusetzen. Dennoch ist die Frage, wie sich die Partei ausrichtet, um dieses Ziel zu erreichen, eine innerparteiliche Angelegenheit. Auch dies ist ein Grund, warum nicht jeder Koalitionsvertrag am Ende auch in einer Regierung mündet. Heide Simonis in Schleswig-Holstein oder Andrea Ypsilanti in Hessen, die beide trotzt eines Koalitionsvertrags auf dem Weg zur Regierungsbildung scheiterten, belegen das eindrücklich.
Und nachdem es sich um eine innerparteiliche Angelegenheit handelt, ist es dementsprechend auch weder die Aufgabe der Nichtmitglieder, die Entscheidungsprozesse innerhalb der SPD festzulegen, noch ist es deren Aufgabe, über die internen Angelegenheiten der SPD mitzuentscheiden.

Besonders bizarr erscheint mir aber noch ein dritter Punkt. Kritisiert man tatsächlich nur den Mitgliederentscheid, so wie Slomka in ihrem Interview, dann bedeutet dies ja umgekehrt, dass eine Entscheidung eines kleinen Gremiums oder gar eine einsame Entscheidung eines Parteivorsitzenden unproblematisch seien. Wieso aber ausgerechnet die Kungelei unter einigen wenigen ein besonders schützenswerter demokratischer Prozess ist, hat sich mir bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erschlossen.
Damit wird auch deutlich, dass es völlig deplatziert ist, gerade den Mitgliederentscheid für die Kritik an der Parteiendemokratie zu nutzen. Ginge es wirklich um die Auswüchse der Parteiendemokratie, dann müsste man unabhängig von diesem Mitgliederentscheid fragen, ob Koalitionsvereinbarung zwischen Parteien oder ein möglicher Fraktionszwang bei der Kanzlerwahl nicht die Demokratie gefährden.
Dies wäre dann auch durchaus ein interessanter Punkt, denn er führt zur Frage, ob es für die Demokratie nicht besser wäre, wenn z.B. Angela Merkel ganz ohne Koalitionsvertrag in einer Minderheitsregierung versucht jedes Mal neue Mehrheiten zu suchen.


[1] Interview von Marietta Slomka im ZDF Heute-Journal vom 28.11.2013 mit Sigmar Gabriel (SPD) (Link zum Interview auf www.youtube.com)

[2] Artikel vom 28.11.2013 auf Handelsblatt Online zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dem SPD-Mitgliederentscheid (Link zum Artikel auf www.handelsblatt.com)

[3] Der Rundfunkbeitrag – Ein Koloss bewegt sich (www.mister-ede.de – 05.02.2013)

[4] Blog-Artikel vom 29.11.2013 von Thomas Stadler zum SPD-Mitgliederentscheid (Link zum Blog-Artikel auf www.internet-law.de)

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