Die Unzulänglichkeiten der Wirtschaftswissenschaften (in Deutschland)

Im Betriebswirtschaftsstudium wird gelehrt, die Lohnkosten zu senken, um Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen.

Im Volkswirtschaftsstudium wird gelehrt, die Kosten des Faktors Arbeit zu senken, um Länder wettbewerbsfähig zu machen.

Aber nirgends wird erklärt, was passiert, wenn gleichzeitig alle Unternehmen die Löhne und alle Länder die Sozialstandards absenken.

Dieser Widerspruch ist nur eines von vielen Beispielen für die Unzulänglichkeiten der Wirtschaftswissenschaften, insbesondere in Deutschland.
Ein anderes Beispiel sind die hierzulande von Schulen über Universitäten bis in Zeitungen oder Talkshows von zahlreichen Ökonomen propagierten Modelle zur Bewertung des Mindestlohns. Noch vor wenigen Monaten wurde allerorten verkündet, unterrichtet und gelehrt, dass ein Mindestlohn zu weniger Beschäftigung führe und deshalb aus volkswirtschaftlicher Sicht abzulehnen sei. Nicht berücksichtigt wurde bei diesen Modellen allerdings der Druck auf geringqualifizierte Arbeitnehmer, einen Arbeitsplatz zu finden, und ein aus dieser schwachen Verhandlungsposition resultierendes Dumping in dieser Arbeitnehmergruppe. Unberücksichtigt blieben auch die durch die Regelungen zur Aufstockung vorhandenen Möglichkeiten für Unternehmen, den Lohn auf niedrigstes Niveau abzusenken und die Differenz durch die Arbeitsagentur ausgleichen zu lassen. Und auch Opportunitätskosten, wie die in dieser Arbeitszeit nicht mögliche Weiterbildung des Arbeitnehmers, oder andere Folgekosten, z.B. im Gesundheitssystem, fanden keinen Eingang in diese Modelle.
Zwar sind solche Berechnungen, die die Auswirkung des Mindestlohns auf die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse untersuchen, nicht falsch, allerdings erlauben sie eben nicht, den volkswirtschaftlichen Nutzen oder Schaden einer solchen Regelung zu bestimmen. Genau jene Schlussfolgerungen, die vorgegeben werden, aus solchen Modellen gezogen werden zu können, lassen sich also überhaupt nicht daraus ziehen.

Man kann die Reihe problemlos weiter fortsetzen, zum Beispiel mit der von Rogoff vor einigen Jahren ins Feld geführten These, Staaten könnten nur eine Verschuldung in Höhe von 90% des BIP verkraften. Obwohl das schlicht absurd ist, konnte diese These eine gewisse Zeit die Wirtschaftswissenschaften hierzulande prägen.
Genauso lässt sich fragen, ob angesichts der Euro-Realitäten jene volkswirtschaftlichen Modelle geeignet sind, welche nahelegen, dass eine Zentralbank die Geldmenge und damit die Preissteigerungsrate über den Leitzins maßgeblich steuern kann.
Zwar betreffen alle diese Beispiele für Unzulänglichkeiten der Wirtschaftswissenschaften verschiedene Teilbereiche und Aspekte, sie eint dabei jedoch, dass sie immer wieder zu den gleichen zentralen Fragen führen:

Wieso werden in den Wirtschaftswissenschaften Theorien und Modelle verwendet, die die Realität nicht nur ungenügend abbilden, sondern zum Teil von ihr widerlegt wurden und werden?

Ist das, was hierzulande als Wirtschaftswissenschaft bezeichnet wird, überhaupt eine erkenntnisorientierte Wissenschaft oder sind das nur noch Dogmen einer neoliberalen Ideologie?

Und was nutzt einer Gesellschaft eine solche Wissenschaft, die nicht erkenntnisorientiert ist, und eine Lehre, die sich in Indoktrination erschöpft?


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