Die Konzentration von Vermögen und die Auswirkungen

Seit der Entflechtung von Industrieunternehmen nach dem zweiten Weltkrieg gab es nicht mehr eine so starke Verdichtung von Vermögen und Macht auf so wenige Personen wie heute. Dies zumindest ist meine subjektive Wahrnehmung, aber auch statistisch lassen sich Indizien finden. Wenn man die Zahlen des ersten Armuts- und Reichtumsberichts von 2001 nimmt, dann lag das Einkommen der oberen 10% in Westdeutschland 1973 bei 21,1% des Gesamtnettoäquivalenzeinkommens [1]. Im Jahr 1993 wurde für Gesamtdeutschland der Wert von 22% ermittelt [2]. Der dritte Armuts- und Reichtumsbericht aus dem Jahr 2008 wies für 2002 schon einen Wert von 23,3% und für 2005 dann 24,9% aus [3]. Der vierte Bericht sollte 2012 erscheinen, ist aber wohl noch immer nicht veröffentlicht [4]. Auch andere Studien zeigen während der betrachteten Zeiträume einen Anstieg der Ungleichheit sowohl beim Einkommen als auch beim Vermögen [5][6][7][8].

Neben den Veränderungen von Einkommens und Vermögensverteilung zeigt sich diese Konzentration auch bei Wirtschaftsunternehmen, z.B. im Bereich der Medien. Kleine, unabhängige Zeitungen mussten weichen, während Augstein oder Springer große Medienkonzerne aufgebaut haben. Wenige Fernsehanstalten regieren das TV und nur ein paar Internetgiganten bestimmen das Netz, obwohl die IT-Technologie noch vergleichsweise jung ist.

Auch außerhalb der Medienbranche hat sich diese Konzentration vollzogen. Große Konzerne thronen über dem Markt, preisbestimmend, Gesetze diktierend und den Wettbewerb aushebelnd. Der Bäcker weicht der Backfabrik, der Handwerker dem Baulöwen, die örtliche Genossenschaftsbank fusioniert zur Regionalbank und selbst die Bar neben an wird von einer Bistro-Kette übernommen. Diese Konzentration alleine wäre nicht tragisch, wenn sich damit nicht auch die Machtverhältnisse verschieben würden.

Die Marktmacht:

Ein freier Markt entsteht nicht durch die Freiheit von staatlichen Regelungen, sondern durch die Freiheit zur wirtschaftlichen Betätigung. Diese Freiheit setzt aber zumindest annähernd gleiche Rahmenbedingungen beim Wettbewerb für alle Marktteilnehmer voraus und so ist die Begrenzung der Marktmacht ein fundamentaler Bestandteil der staatlichen Aufgaben. Dies bedeutet nicht, dass der Staat keine Monopole, z.B. bei der Daseinsvorsorge,  dulden darf, um ein gewisses gesamtgesellschaftliches Ziel, z.B. bei der Wohnraumschaffung, zu erreichen. Es heißt aber, dass unsere Parlamente die Wirtschaft genauso regeln müssen wie andere Bereiche der Politik, denn die Aussage von Wirtschaftsliberalen, dass sich der Markt selbst regelt, ist zwar grundsätzlich richtig, aber verschwiegen wird hierbei, dass er sich damit noch lange nicht zum Wohle der Gesellschaft entwickelt.

Betrachtet man die Macht von Automobilherstellern oder Lebensmittel-Discountern gegenüber den Lieferanten dann werden die Folgen der Marktmacht z.B. beim Milchpreis offensichtlich. In anderer Richtung kann auch der Verbraucher nicht der Marktmacht z.B. der Sprit-Riesen entkommen. Neben dem Absatzmarkt, auf dem alle Bürger als Konsumenten unterwegs sind,  ist für die Mehrheit der Deutschen auch der Arbeitsmarkt von Interesse. Auch hier ist die Marktmacht bei Leiharbeit, Werksvertrag und Minijob deutlich erkennbar. Diese Konzentration von Macht und Einfluss auf den Markt ist eine Verwerfung, die zwar den Regeln des Marktes folgt, aber nicht dem gewünschten gesellschaftlichen Ziel eines freien Marktes dient. Weder die Arbeitnehmer, noch die Milchbauern, noch die Autofahrer haben hier wirklich freien Zugang zum Markt.

Die Kapitalmacht:

Blickt man auf die Effekte um Bonität und Rentabilität innerhalb der Marktwirtschaft, sieht man eine systemimmanente Bevorteilung der Vermögenden. Gerade um diesen Effekt auszugleichen sind Gegenmaßnahmen zwingend für eine Marktwirtschaft erforderlich, wenn die Zugkraft der Gesellschaft die Innovation und nicht das vorhandene Kapital sein soll.

Der Zusammenhang von Bonität und Rentabilität (www.mister-ede.de – 08.06.2012)

In der Krise hat sich diese Spreizung  weiter verstärkt, so dass die vermögensstarken Staaten, Unternehmen oder Banken von niedrigen Zinsen profitieren, während vorher schon schwache Institutionen zusätzlich durch steigende Zinsen belastet werden.

Allerdings ist dieser Effekt, genauso wie die Konzentration von Vermögen, in der Marktwirtschaft selbst begründet und resultiert aus der individuellen Nutzenmaximierung. Ähnlich aber, wie die Nichtberücksichtigung von negativen Umweltauswirkungen auf die Preisfindung, z.B. durch Umweltauflagen oder die Besteuerung gemildert wird, muss auch die Kapitalmacht gedrosselt werden. Unter anderem funktioniert dies durch die Bereitstellung von Gründungs- oder Mittelstandskrediten zu günstigen Konditionen über die KfW auf der einen Seite. Auf der anderen Seite der Ungleichheit muss dies aber zukünftig auch zur Abschöpfung von übermäßigen Gewinnen z.B. durch eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen führen.

Die politische Macht:

Flick-Affäre, Leuna-Affäre, EnBW-Affäre oder die Spendenaffäre um Schäuble, Kohl, Koch und Co. müssten ein deutliches Zeichen für die Einflussnahme solcher Kapitalkonzentration auf die Politik sein. Betrachtet man die Nähe von Versicherungswirtschaft und die rot-grüne Rentenprivatisierung erscheinen Fragen ebenfalls berechtigt.

Je größer die Konzentration von Kapital und Vermögen auf einen einzelnen Entscheider ist, desto größer ist die Gefahr, dass dieser seine Interessen nicht nur auf legalem Wege verfolgt. Diese Binsenweisheit gepaart mit den Millionenzahlungen von Unternehmen, wie z.B. Mövenpick, an die politischen Parteien, legt die Vermutung nahe, dass es einen Grund für die Nichtunterzeichnung des UN-Antikorruptionsabkommens gibt.

Neben den Wirtschafts-Affären sind Subventionen für große Exportunternehmen ein Ausdruck dieser Entwicklung, genauso wie die steuerlichen Regelungen, die große Aktienunternehmen regelmäßig begünstigen. Kleinunternehmer oder kleinere Mittelständlern haben hingegen einen schwereren Stand in Deutschland.

Der Verantwortungs- und Haftungsverlust:

Über die Machtverschiebung durch die Vermögenskonzentration hinaus führt eine zusätzliche Entwicklung zu weiteren Problemen. Während die freie Marktwirtschaft eigentlich von persönlich haftenden Unternehmern ausgeht, bestimmt auf der Welt zunehmend die Form der Kapitalgesellschaft das Wirtschaftsbild. Dies aber hat zur Folge, dass die Entkopplung von Unternehmer und Unternehmung zu Anleger und Anteilsschein eine deutliche Verschiebung bei Verantwortung und Haftung mit sich bringt.

Die Mehrheit der Anteilseigner von Aktienunternehmen hat meistens weder Einfluss auf das Unternehmen, noch Einblicke in den Geschäftsalltag. So halten die 3 größten Anteilseigner des Dax-Konzerns BMW immerhin gut 46% der Stimmrechte [9]. Die restlichen Aktionäre können nach dem Motto „Friss oder stirb“ entweder am Gewinn partizipieren und damit auch Leiharbeit und anderes fördern, oder aus dem Investment aussteigen. Anders als der Kleinunternehmer der seine Mitarbeiter täglich sieht, hat ein Anleger bei BMW keinerlei Kontakt mehr zu denjenigen, die den Gewinn erwirtschaften.

Umgekehrt muss man sich aber Fragen, wer diesen Einfluss, der eigentlich den vielen Anlegern zustehen würde, gewinnt. Betrachtet man wieder BMW, dann haben die drei größten Aktionäre einen rechnerischen Anteil am Eigenkapital von ca. 12 Mrd. Euro. Insgesamt hat BMW aber eine Bilanzsumme von 123 Mrd. Euro, die von der Geschäftsführung bewegt werden [10]. Die verlorene Verantwortung der einen, ist der gewonnene Einfluss der anderen.

Daneben verschieben Kapitalgesellschaften aber auch die Haftung. Kein Aktionär der Hypo-Real-Estate musste für die Fehlentwicklungen haften. Das sieht unser Wirtschafts- und Rechtssystem bislang nicht vor. Aber wie bei der Verantwortung lässt sich auch bei der Haftung die Gegenfrage stellen, wer den Schaden im Zweifel tragen muss. Es werden die Arbeitnehmer mit ausstehendem Lohn, private Gläubiger mit nicht beglichenen Rechnungen oder der Staat mit offenen Steuerforderungen oder Hilfsgeldern sein.

Wahrscheinlich ist die Vorstellung von einer Art Aktien-Haftpflichtversicherung in Anlehnung an eine KFZ-Haftpflichtversicherung im globalen Wettbewerb utopisch, aber vor 50 Jahren wäre wohl auch eine Ökosteuer belächelt worden.

Fazit:

Die Konzentration von Vermögen und die Verschiebung von Einfluss, Macht und Verantwortung führen zu sichtbaren Problemen in unserer Gesellschaft. Als Maßnahmen um diese Entwicklung zu stoppen oder zu verlangsamen wären eine Finanztransaktionssteuer, die per se ja nur Personen mit Kapital betrifft, oder höhere Steuern auf Vermögens- oder Spitzeneinkommen sinnvoll. Neben einer zusätzlichen Belastung der Stärkeren würden aber auch Grenzen bei der Leiharbeit oder ein Mindestlohn helfen um den Schwächeren eine bessere Ausgangslage zu verschaffen.


Ähnliche Artikel:
Die Konzentration wirtschaftlicher Macht (www.mister-ede.de – 17.07.2014)

Die Struktur unserer Wirtschaft (www.mister-ede.de – 02.06.2012)


[1] Lebenslagen in Deutschland – Daten und Fakten: Materialband zum ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2002, S.47  (Link zum PDF – www.bmas.de)

[2] Lebenslagen in Deutschland – Daten und Fakten: Materialband zum ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2002, S.48 (Link zum PDF – www.bmas.de)

[3] Lebenslagen in Deutschland – Dritter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2008, S.19 (Link zum PDF – www.bmas.de)

[4] Ich habe den Bericht nicht gefunden, sondern nur Artikel die den Bericht ankündigen. Z.B. Information des paritätischen Gesamtverbands vom 22.11.2012 (www.der-paritaetische.de)

[5] Joas, H.: Lehrbuch der Soziologie, 3. Aufl., Berlin 2007, S. 258

[6] Vortrag von Dr. Grabka von 2011: Die Einkommens und Vermögensverteilung (DIW) (Link zum Vortrag – www.diw.de)

[7] Lebenslagen in Deutschland – Dritter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2008, S.308 (Link zum PDF – www.bmas.de)

[8] Integrierte Analyse der Einkommens und Vermögensverteilung, Studie des BMAS von 2007, S. 80 (Link zum PDF – www.bmas.de)

[9] Übersicht zur BMW-Aktie (www.comdirect.de)

[10] Kennzahlen zur BMW-Aktie (www.comdirect.de)

Diskussion:

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>