Der „New Pact for Europe“ – Sinnbild für das Abheben einer europäischen Elite

Vor rund zwei Jahren wurde der „New Pact for Europe“ aus der Taufe gehoben. Offizielles Ziel des Projektes ist es, nach den Erfahrungen der Finanzkrise Optionen für eine zukünftige Ausgestaltung der EU zu entwickeln und hierüber einen breiten Dialog mit der Bevölkerung zu führen. Soweit klingt dies alles sehr löblich, weshalb ich mich vor einigen Monaten auf die Suche nach diesem Dialog begeben habe. Das Bild, das sich bei näherer Betrachtung des „New Pact for Europe“ dann bot, war allerdings mehr als erschreckend.

Bei sämtlichen Veranstaltungen wird zwar der Wille zum Dialog mit den Bürgern hervorgehoben und mit einer Bürgerdebatte geworben, doch am Ende handelt es sich bei diesem Dialog lediglich um eine Kommentarfunktion auf der Homepage der Initiative zu fünf von den Initiatoren vorgegebenen Optionen. Zwar bietet der „New Pact for Europe“ auch offline Veranstaltungen an, jedoch häufig nur für einen ausgewählten Personenkreis bzw. ohne Möglichkeiten für Bürger tatsächlich an der Debatte teilzunehmen, also Fragen zu stellen oder Kritik anzubringen.
Hat es damit eine Initiative, hinter der diverse Stiftungen, wie z.B. die Bertelsmann-Stiftung, stehen und die eine „Reflection Group“ mit 12 Experten und eine „Advisory Group“ mit nochmals 30 Beratern hat, tatsächlich geschafft, den leichtesten Weg zum Bürgerkontakt, nämlich das Netz, zu vergessen?

Nun ja, zumindest gibt es diesen Kommentarbereich und da waren ja auch noch die fünf Optionen, die im einzelnen lauten, „Zurück zu den Anfängen“, „Das Erreichte festigen“, „Ambitioniert in der jetzigen Struktur voranschreiten“, „Neue Strukturen entwickeln“ und „Überwindung der Mehr/Weniger-Europa-Logik“.
Es drängt sich natürlich die Frage auf, inwiefern überhaupt Lösungswege debattiert werden können, wenn nicht zuvor die Zielsetzung klar ist. Allerdings auf mein nachhaken, welche Ziele der „New Pact for Europe“ mit Hilfe der vorgeschlagenen Optionen erreichen will, konnte mir keiner der 12 Experten, 30 Berater oder sonstigen Mitarbeiter auch nur ein einziges Ziel nennen. Wie man auf dieser Basis ernsthaft über die Zukunft der EU und mögliche Veränderungen debattieren will, ist mir schleierhaft. Wenn das unsere EU-Strategen sind, fange ich allmählich an, die Schildbürger um ihre kompetente Stadtverwaltung zu beneiden.

Aber auch bei Betrachtung der einzelnen Optionen kommen mir erhebliche Zweifel an deren Sinnhaftigkeit. Weder die Globalisierung noch der Klimawandel noch die Ost-Erweiterung lassen sich zurückdrehen. Wohin also will man da bei der ersten Option zurückgehen? Oder was für ein Erreichtes soll bei Option Nummer Zwei gefestigt werden? Dauerfinanzkrise, 12% Faschisten im Europaparlament, 50% Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa oder doch die überbordenden Staatsschulden?
Auch die fünfte Option, Überwindung der Mehr/Weniger-Europa-Logik, grenzt eher an Selbstironie, vor allem wenn man bei der Erläuterung der Option liest, dass Bürger mehr an Europa teilhaben sollen. Na, wenn das so gut klappt wie beim „New Pact for Europe“, dann hält die EU wahrscheinlich nicht mal bis zur nächsten Europawahl durch. Und bei Option drei und vier stellt sich, wie oben beschrieben, die Frage, wohin sich die EU denn entwickeln sollte oder welche Ziele mit neuen Strukturen in der EU verfolgt werden sollen.

Janis Emmanoulidis, einer der Experten aus der „Reflection Group“, vergleicht die Optionen auch immer wieder mit Gängen im Auto, also Rückwärtsgang, Leerlauf oder unterschiedlichen Vorwärtsgängen [1]. Womöglich ist es von den Rücksitzen aus schwer zu erkennen, dass der Fahrer eines Autos vor allem das Lenkrad fest in der Hand haben muss. Die EU steht vor einem großen Loch und man kann links oder rechts vorbei fahren, aber anstelle über die Richtung und die Ziele zu debattieren, spielt der „New Pact For Europe“ mit seinen Vorschlägen lediglich an der Gangschaltung herum.
Das was der „New Pact for Europe“ mit seinen fünf Optionen inhaltlich anbietet, könnte im Grunde genauso gut von einer Schülergruppe ausgearbeitet worden sein. Es ist ein oberflächlicher Leitfaden, der auf fast alle Herausforderungen anwendbar ist. Auf die Zukunft der Atomenergie umgemünzt, würden die Lösungsoptionen in etwa so aussehen, „weniger produzieren“, „gleichviel produzieren“ oder „mehr produzieren“.
Nur in Spurenelementen geht der „New Pact for Europe“ auf die vorhandenen und zum Teil spezifischen Probleme innerhalb der EU oder der Eurozone ein. Zwar werden einige Herausforderungen benannt, meistens allerdings nur um sie dann wieder beiseitezuschieben.

Neben der Inhaltsleere der vorgeschlagenen Optionen gibt es noch mehr Befremdliches, wie z.B. bei Beiträgen im Rahmen von Veranstaltungen des „New Pact for Europe“, die man bei Youtube finden kann. Wenn Thomas Fischer, ebenfalls Mitglied der „Reflection Group“, erklärt, „die Briten sagen nicht weg mit dem Euro“ [2], überlegt man, ob man in den letzten Jahren etwas verpasst hat. Aber zur beruhigen, nein, noch ist Großbritannien nicht in der Währungsunion.
Kurios ist auch, wenn das Mitglied der „Reflection Group“ Paweł Świeboda die Krise in der EU oder einzelnen Mitgliedsstaaten mit der Krise eines Unternehmens vergleicht und darauf verweist, wie sich solche Unternehmen in der Vergangenheit erfolgreich restrukturiert haben [3]. Soll Griechenland wie ein maroder Konzern abgewickelt werden oder soll Italien vielleicht den wirtschaftlich schwachen Süden verkaufen und dafür Luxembourg erwerben? Wenn die EU gestärkt aus der Krise hervorgehen soll, dann braucht es dafür eine Zielvorstellung und konkrete Veränderungen und nicht schräge Analogien. Taucht allerdings gerade im Zusammenhang mit Strukturreformen der Vergleich zu Unternehmen auf, lässt sich zumindest vermuten, wie dann die dahinterstehenden Zielvorstellungen für die EU in etwa aussehen könnten.

Ob dies aber der Wunschvorstellung der Mehrheit der EU-Bürger entspricht, darf bezweifelt werden. So gesehen macht es dann natürlich auch durchaus Sinn, eine solche Zielsetzung bewusst in den Hintergrund rücken zu lassen, wie es beim „New Pact for Europe“ geschieht. Damit stellt sich allerdings ferner die Frage, braucht es in diesem Fall dann überhaupt noch einen Bürgerdialog?
Und jetzt stelle ich noch einmal die Frage vom Anfang: „Hat es also eine Initiative, hinter der diverse Stiftungen, wie z.B. die Bertelsmann-Stiftung, stehen und die eine „Reflection Group“ mit 12 Experten und eine „Advisory Group“ mit nochmals 30 Beratern hat, tatsächlich geschafft, den leichtesten Weg zum Bürgerkontakt, nämlich das Netz, zu vergessen?“
Anmerken möchte ich noch, dass ich per Mail zu verschiedenen Beteiligten, z.B. der Bertelsmann-Stiftung, Kontakt aufgenommen habe, um auf den mangelnden Dialog hinzuweisen. Konkret fragte ich, ob nach den Erfahrungen beim „New Pact for Europe“ die Bereitschaft besteht, eine wirkliche Möglichkeit zum Dialog für Bürger anzubieten. Eine Antwort habe ich nie erhalten.

Der „New Pact for Europe“ ist für mich damit vor allem eines – ein Sinnbild für das Abheben einer europäischen Elite. In kleinen Zirkeln treffen sich genau jene zur Selbstbeweihräucherung, die von der EU am meisten profitieren, ob nun Politiker, sogenannte EU-Experten oder die Mitarbeiter und Vertreter von Lobbyorganisationen, Verbänden oder Stiftungen. Unter sich diskutiert diese Elite dann über die Zukunft des Systems und wie es am besten ausgestaltet ist, damit sie selbst davon weiter profitiert. Die nach außen signalisierte Dialogbereitschaft ist dabei nichts weiter als die notwendige PR, während die Bürger tatsächlich nur das störende Beiwerk bei der Verwirklichung der Eliten-Interessen sind.

Es bleibt zu hoffen, dass das nicht die Zukunft der EU ist!


Link zur Debatten-Seite des „New Pact for Europe“ auf www.newpactforeurope.eu

[1] Debatte des New Pact for Europe u.a. mit Herman Van Rompuy am 01.07.2014, z.B. in Minute 4 (Link zum Video auf www.youtube.com)

[2] Vorstellung des New Pact for Europe in Magdeburg am 22.05.2014, ab Minute 40 (Link zum Video auf www.youtube.com)

[3] Debatte des New Pact for Europe u.a. mit Herman Van Rompuy am 01.07.2014, ab Minute 56 (Link zum Video auf www.youtube.com)

Diskussion:

Ein Gedanke zu “Der „New Pact for Europe“ – Sinnbild für das Abheben einer europäischen Elite

  1. Gestern habe ich eine Antwort von der Bertelsmann Stiftung erhalten, für die ich mich bedanke. Ich hoffe zumindest, dass künftig bei solchen Projekten der Fokus mehr auf den Dialog gerichtet ist, damit Partizipation am Ende auch gelingt.

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