mister-ede.de » nationale Egoismen https://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Die Europäische Einigung ist mehr als die EU https://www.mister-ede.de/politik/europaeische-einigung-und-eu/8781 https://www.mister-ede.de/politik/europaeische-einigung-und-eu/8781#comments Wed, 16 Jan 2019 15:25:22 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8781 Weiterlesen ]]> Die Europäische Einigung ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Die jeweils aktuellen Strukturen und europäischen Institutionen sind kein Selbstzweck, sondern nur Instrumente, um Harmonisierung und Vertiefung innerhalb Europas weiter voranzutreiben und das Erreichte abzusichern. In der Geschichte hatte die EU deshalb auch schon viele Gesichter – EGKS, EURATOM, EG, „Maastricht“ und jetzt „Lissabon“. Immer wieder wurden die Strukturen an die Gegebenheiten der Zeit und die Erfordernisse der jeweiligen Integrationsfelder und Integrationstiefen angepasst.
Die Europäische Einigung ist aber auch kein einzelner, einheitlicher Prozess, sondern eine Vielzahl sich teilweise überlappender, oft parallel und manchmal auch gegeneinander ablaufender Prozesse – man denke hierbei z.B. an die Visegrád-Gruppe innerhalb der EU. Entsprechend ist die Europäische Union eben gerade nicht das einheitliche Gebilde, als das sie häufig wahrgenommen wird. Beispielsweise ist die Eurozone eine noch einmal weitaus engere Kooperation, als es die EU für sich alleine genommen ist. Und auch Schengen oder das Europäische Asylsystem sind Teilbereiche der Integration, an denen auch Nicht-EU-Länder wie die Schweiz teilnehmen, sich umgekehrt aber nicht alle EU-Länder beteiligen – Dänemark nimmt z.B. nicht am Europäischen Asylsystem teil und Irland ist kein Schengen-Mitglied.
Darüber hinaus findet die Europäische Integration nicht nur auf der Ebene der EU statt. Auch außerhalb der EU gibt es mit dem Europarat inklusive Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine eigenständige Ebene der Europäischen Einigung mit eigenen Strukturen. Fast 50 Staaten in Europa, inklusive Russland und der Türkei, haben die Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Rund 850 Millionen Menschen haben damit Anspruch auf Schutz durch den EGMR. Bei allen Defiziten und Verbesserungspotentialen ist auch das ein Erfolg europäischer Einigungspolitik.

„die EU ist lediglich ein Werkzeug der Europäischen Einigung“

Alles, was dazu beiträgt, europäische Länder und Bevölkerungen in Kooperation zu vernetzen oder gar zu vereinen, dient der Europäischen Integration. Natürlich spielt die EU hierbei eine herausragende Rolle. Sie und ihre Vorläuferorganisationen haben sich große Verdienste erworben, auch in den letzten 20, 30 Jahren: Das Auffangen der Staaten Osteuropas nach dem Zerfall der Sowjetunion, festgelegte einheitliche Grundstandards – auch Ungarn muss Mindestnormen bei der Flüchtlingsaufnahme erfüllen – und ein unglaublich positiver Austausch auf kultureller und persönlicher Ebene durch Städtepartnerschaften und eine Vielzahl anderer Programme wie Erasmus oder das Deutsch-Französische Jugendwerk. Und natürlich sind auch die erheblichen Wohlstandsgewinne durch eine deutliche Erleichterung des grenzüberschreitenden Wirtschaftens ein riesiger Erfolg. Wenn man das heutige Prag mit dem Prag vor 20 Jahren vergleicht – was für eine unglaubliche Entwicklung!
Und dennoch, die EU ist lediglich ein Werkzeug der Europäischen Einigung, dessen Tauglichkeit immer wieder geprüft werden muss. Wofür sind die Strukturen der EU gut? Welche Integrationsprozesse können mit dem Werkzeug EU bearbeitet werden? Und wo braucht es Anpassungen oder wo werden auch ganz andere, neue Werkzeuge benötigt, um die in den kommenden Jahren anstehenden Arbeiten am Haus Europa ordentlich durchführen zu können?

„ein geeignetes Instrument, um bisherige Erfolge der Europäischen Einigung zu bewahren“

Außerhalb der EU gibt es eine Vielzahl von Strukturen, die eine Zusammenarbeit von Staaten in Europa und global fördern – z.B. die Vereinten Nationen. Diese Strukturen, wie auch die allermeisten anderen Formen bi- und multilateraler Zusammenarbeit, beruhen auf der intergouvernementalen Kooperation souveräner Nationalstaaten. Die EU ist hier ein gutes Stück weiter, mit direkt gewähltem Europäischem Parlament und zum Teil sehr umfassenden Kompetenzübertragungen, z.B. in Angelegenheiten des Binnenmarkts oder der Zollpolitik. Gleichwohl handelt es sich bei den EU-Mitgliedsländern noch immer um vollkommen souveräne Nationalstaaten, die lediglich für die Dauer der Mitgliedschaft einen Teil ihrer Souveränitätsrechte übertragen. Das sieht man natürlich am deutlichsten am Brexit, aber auch daran, dass die Mitgliedsländer sogar an EU-Außengrenzen die Anwesenheit europäischer Grenzschützer ablehnen können. Im Aufbau der EU spiegelt sich diese Souveränität der Mitgliedsländer in der Tatsache wider, dass Vertragsänderung ausschließlich einstimmig von den Mitgliedsländern beschlossen werden können und dass auch im Rahmen der EU-Prozesse, insbesondere bei weitreichenderen Entscheidungen wie CETA, immer wieder die Zustimmung jedes einzelnen EU-Mitgliedslands notwendig ist.
Diese Struktur der EU wird häufig kritisiert und ist dennoch einer der wichtigsten Pfeiler auf dem diese Union steht. Die Akzeptanz der grundsätzlichen Souveränität ist für viele EU-Länder, z.B. Dänemark, ein unverzichtbares Element des Integrations-Werkzeugs „EU“. Außerdem wird damit gewährleistet, dass die Schwelle zur Europäischen Union nicht zu einer unüberwindbaren Hürde für andere Länder wird. Die EU bleibt auf diese Weise für all jene souveränen Nationalstaaten anschlussfähig, die sich im Europarat versammelt haben, und auch der Brückenschlag zu Serbien und Montenegro und den übrigen Ländern des Westbalkans, zu Norwegen, Island, der Schweiz und künftig vielleicht auch zu Großbritannien wird erleichtert.
Für viele Einigungsprozesse, z.B. die Harmonisierung des Verbraucherschutzes, ist es auch überhaupt kein Hindernis, dass die EU aus souveränen Nationalstaaten besteht. Zahllose Integrationsschritte, man denke an die Datenschutzgrundverordnung oder das gemeinsame Freihandelsabkommen mit Japan, konnten bisher problemlos innerhalb dieser EU-Struktur gegangen werden. Und auch für die Zukunft gibt es noch vieles, was im Rahmen dieser EU vorangetrieben werden kann. Es wäre daher töricht, zugunsten einer weiteren Vertiefung nun genau diesen Pfeiler der nationalen Souveränität und die damit einhergehende EU-Struktur einzureißen. Auch in Zukunft wird die EU ein geeignetes Instrument sein, um die bisherigen Erfolge der Europäischen Einigung zu bewahren und weitere Integrationsschritte zu ermöglichen, sei es im Rahmen der EU-Prozesse innerhalb der Union oder auch durch die Aufnahme weiterer Länder in diese Union. Im Rahmen der Europäischen Einigung sollten die Bemühungen daher stärker darauf abzielen, das bislang Erreichte zu verteidigen und zu erhalten, also die Grundwerte auf denen die EU steht, die gemeinsamen Institutionen und die Prinzipien und das Prozedere der Zusammenarbeit.

„für neue Herausforderungen immer häufiger ungeeignet“

An einigen Punkten des europäischen Einigungsprozesses stößt die EU als Verbund souveräner Nationalstaaten aber auch an Grenzen. Die Verteidigungsunion ist beispielsweise nicht viel mehr als ein wohlklingender Name für eine Einkaufsgenossenschaft für Kriegsgeräte – und sie kann es auch nie werden. Natürlich kann man deutsch-französische Brigaden aufstellen, die Waffensysteme harmonisieren und gemeinsam militärisch agieren, aber die letztendliche Entscheidungsbefugnis wird im Rahmen der aktuellen EU-Struktur immer bei den nationalen Regierungen mit ihren Verteidigungsministern liegen, die weiterhin zuallererst den nationalen Verfassungen verpflichtet sind. Denn wie auch sollte ohne massive Übertragung von Souveränitätsrechten ein europäisches Verteidigungsministerium entstehen? Und wie sollte die EU diese Verantwortung überhaupt tragen können ohne adäquate Prozesse und Institutionen?
Die Liste solcher Beispiele ist lang und reicht von der Erhebung EU-eigener Steuern über einen echten gemeinsamen Außengrenzschutz bis hin zu einer Vielzahl von Problemstellungen rund um die gemeinsame Währung. Und die Liste wird zusehends länger, denn immer häufiger kommt der europäische Einigungsprozess an eben jenen Punkt, ab dem die sinnvollen oder sogar notwendigen Integrationsschritte eine noch erheblich umfassendere Einschränkung der nationalen Eigenständigkeit erfordern. Solche Integrationsschritte müssten dann aber zum einen von einer grundlegend anderen prozessualen Struktur, beispielsweise mit Mehrheitsentscheidungen, und einem dazu passenden institutionellen Unterbau mit Verfassung, vollwertigem Parlament und echter Regierung begleitet werden. Zum anderen bräuchte es aber auch wenigstens von einer größeren Zahl der EU-Mitgliedsländer die Bereitschaft, Souveränitätsrechte an die EU zu übertragen. Weder das eine noch das andere ist zurzeit gegeben. In ihrer jetzigen Form ist die EU deshalb für neue Herausforderungen immer häufiger ungeeignet.

„neue Integrations-Werkzeuge in den Werkzeugkoffer der Europäischen Einigung packen“

Auf der einen Seite ist die EU gerade wegen ihrer Struktur und ihrem Aufbau auf souveränen Nationalstaaten ein sinnvolles Integrations-Werkzeug, das es auf jeden Fall beizubehalten gilt. Auf der anderen Seite müsste genau diese Struktur geändert werden, damit die EU für jene weiteren Integrationsschritte das geeignete Werkzeug wird, die eine Übertragung von Souveränitätsrechten in deutlich größerem Umfang erfordern. Beides gleichzeitig kann die EU aber nicht erfüllen. Sie bleibt entweder der jetzige Verbund souveräner Nationalstaaten oder aus ihr wird eben mehr.
Es sollte daher eine Rückbesinnung auf das Wesentliche stattfinden, nämlich auf die Frage, was dient dem Integrationsprozess insgesamt. Nachdem die EU in ihrer jetzigen Form im Rahmen der Europäischen Einigung noch für vieles nützlich ist, macht es wenig Sinn, dieses Integrations-Instrument umzugestalten – und nachdem zahlreiche EU-Mitglieder die jetzige EU-Struktur erhalten wollen, würde dies auch nicht gelingen. Gleichzeitig lehrt uns die Geschichte, dass es immer mal wieder Zeitpunkte gab, an denen es notwendig wurde, für neue Herausforderungen neue Integrations-Werkzeuge zu entwickeln und in den Werkzeugkoffer der Europäischen Einigung zu packen. Ideen dafür gibt es genug. Sie beginnen bei einem Umbau der Eurozone und Ausstattung mit eigenen Institutionen, z.B. einem Eurozonen-Parlament, und gehen über verschiedenste Vorstellung eines Kerneuropas bis hin zur völligen Neukonstruktion einer föderativen Ebene auf bi- oder multilateralem Wege. Eine solche Weiterentwicklung der europäischen Einigung hätte dabei nicht nur den Vorteil, dass wichtige Integrationsschritte gegangen werden können, sondern auch, dass die EU in ihrer Form erhalten bliebe und der Integrationsdruck innerhalb der Europäischen Union reduziert würde. Dies könnte die Akzeptanz der EU insbesondere bei jenen Bevölkerungen wieder erhöhen, denen die nationale Eigenständigkeit sehr wichtig ist, bei Polen, Tschechen, Dänen aber eben auch bei Norwegern oder Briten.

Fazit:

Die EU ist nur ein Werkzeug der Europäischen Integration. Sie hat in der Vergangenheit viele Erfolge gebracht und sie wird in ihrer jetzigen Form auch weiterhin benötigt. Gleichzeitig ist die EU den neuen Herausforderungen nicht mehr vollständig gewachsen und zahlreiche Mitgliedsländer lehnen eine weitere Übertragung von Souveränitätsrechten an die EU ab. Anstatt nur nach Möglichkeiten einer tieferen Integration innerhalb der EU zu suchen, sollte deshalb viel stärker überlegt werden, ob es außerhalb des Systems der 27/28 eine Möglichkeit für Schritte nach vorne gibt, z.B. durch die Entwicklung eines Kerneuropas.


Text als PDF: Die Europäische Einigung ist mehr als die EU


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Die EU ist also immer häufiger selbst Teil des Problems und eine wesentliche Ursache dafür liegt in der fehlenden oder nicht ausreichenden europäischen Integration. Folgerichtig wird an vielen Baustellen der EU immer wieder der Ruf nach weiteren Integrationsschritten der EU laut. Um dem Steuerdumping zu begegnen, soll es eine gemeinsame Unternehmensbesteuerung geben und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine europäische Arbeitslosenversicherung. Die Währungsunion soll endlich durch eine politische Union ergänzt werden und zur Bewältigung der Flüchtlingskrise soll es ein solidarisches europäisches Migrations- und Asylsystem geben. Die Außengrenzen sollen gemeinschaftlich geschützt und mit einer Verteidigungsunion soll die Abwehrfähigkeit aller EU-Länder verbessert werden. Doch trotz der klaren Forderungen nach mehr Kooperation, die quer durch das politische Spektrum der Pro-Europäer erhoben werden, hat sich bislang nichts geändert – und dafür gibt es Gründe.

Für viele der eigentlich notwendigen Integrationsschritte innerhalb der EU, z.B. der Entwicklung eines echten EU-Außengrenzschutzes, wäre die Einstimmigkeit der EU-Länder notwendig und oftmals sogar eine Änderung der EU-Verträge. Doch durch die Vielzahl nationaler Egoismen ist es inzwischen kaum noch möglich, diese notwendige Einstimmigkeit unter den 28, bald 27, EU-Ländern zu erreichen. So blockiert beispielsweise Deutschland alles, was auch nur im Verdacht stehen könnte, der deutschen Automobilindustrie zu schaden, während andere EU-Länder umgekehrt ihre wichtigen nationalen Unternehmen und Wirtschaftszweige schützen. Und auch bei der Steuergesetzgebung versucht jedes Land immer genau seine eigenen Schlupflöcher zu verteidigen. Die in der Versenkung verschwundene gemeinsame europäische Finanztransaktionssteuer ist ein Musterbeispiel hierfür.
Hinzukommen dann aber auch noch EU-Länder, vorneweg Ungarn und Polen, deren Regierungen den Status quo sowieso ganz gerne erhalten möchten, weil ihnen überhaupt nicht an einer starken EU-Ebene gelegen ist. An dieser Gruppe scheiterte beispielsweise ein erster Versuch, die Verantwortung für die EU-Außengrenzen an die EU zu übertragen, weil diese Länder nicht bereit waren, die Hoheit über den Grenzschutz an ihren eigenen EU-Außengrenzen aufzugeben. Und darüber hinaus gibt es dann sogar noch weitere EU-Länder, z.B. Dänemark, die sich die Möglichkeit zur Nichtteilnahme am Euro-Währungsverbund, an Schengen oder am Dublin-System vertraglich haben zusichern lassen.

Es ist daher extrem schwer, die Hürde der Einstimmigkeit für substanzielle Änderungen innerhalb der EU zu überwinden. Aus diesem Grund laufen auch die vielen Forderungen, z.B. nach einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung oder einer EU-Migrations- und Asylpolitik, kontinuierlich ins Leere. Dadurch ist es inzwischen kaum noch möglich, die EU durch eine tiefere Integration handlungsfähig zu machen und sie damit in die Lage zu versetzen, vom Teil des Problems wieder zum Teil der Lösung zu werden.
Neben den Rufen nach einer tieferen Integration muss daher künftig die Tatsache diskutiert werden, dass solche Vertiefungen nicht mehr mit allen EU-Ländern zusammen gegangen werden können. So schön z.B. Ulrike Guérots „Europäische Republik“ ist, hilft sie solange nicht weiter, bis die Frage beantwortet wurde, welche EU-Länder bei dieser Umgestaltung mitmachen und was das für jene EU-Länder bedeutet, in denen die Bevölkerung nicht zu diesem Schritt bereit ist. Hier setzt nun das „Konzept der Europäischen Föderation“ an, aber auch der frisch gewählte französische Präsident Macron beantwortet mit seinen Vorstellungen zur Reform der Eurozone und einer Weiterentwicklung zu einem Kern innerhalb der EU die Frage, welche EU-Länder an den Integrationsschritten beteiligt wären. Doch in der Öffentlichkeit fehlt es noch immer an einem breiten Diskurs dazu, während sich die Europa-Debatte weiterhin überwiegend in einer Dauerschleife zwischen der Forderung nach tieferer Integration und einer blockierten EU befindet.
Das Ziel muss daher sein, auf die Beantwortung der Frage hinzuarbeiten, mit welchen EU-Ländern eine tiefere Integration umgesetzt werden kann und soll. Denn zum einen hat die Zusammensetzung der Länder umgekehrt Einfluss darauf, in welchem Rahmen und in welcher Tiefe Integrationsschritte verwirklicht werden können und sollen. Und zum anderen wird damit die Europa-Debatte auf die tatsächliche Umsetzung einer tieferen Integration ausgerichtet, was hilfreich wäre, um der Debatte neuen Schwung zu geben und sie endlich wieder vorwärts zu bewegen.


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Und so kam es, wie es kommen musste. 2006 scheiterte der Versuch, der EU eine Verfassung zu geben, und die europäische Integration kam zum Stillstand. Als nächstes crashte 2009 das europäische Bankenwesen und mit ihm zahlreiche Euro-Länder. Die einstige wirtschaftliche Prosperität in Europa gehört seitdem der Vergangenheit an und im Hinblick auf das Wohlstandsversprechen der europäischen Idee wurde die Eurozone zu einem Krisengebiet.
Von 2012 bis heute starben dann rund 20.000 Menschen, darunter zahlreiche Kriegsflüchtlinge, an den EU-Außengrenzen und mit ihnen der Mythos von der europäischen Wertegemeinschaft, die der Würde des Menschen und den Menschenrechten verpflichtet ist. Ab 2013 wurde dann Italien bei der Versorgung von Flüchtlingen von den europäischen Partnern im Stich gelassen und jeder konnte sehen, dass auch die bis dahin viel beschworene europäische Solidargemeinschaft nichts weiter ist als eine hohle Phrase. Danach löste 2015 das schon lange zuvor gescheiterte Dublin-System eine tiefe politische Krise in Europa aus und mit dem Bau von Grenzzäunen zwischen EU-Ländern wurde die völlige Handlungsunfähigkeit der Europäischen Union offenkundig.
Letztendlich mündete der Niedergang der EU dann im Jahr 2016 in der Entscheidung der Briten, das europäische Projekt zu beenden und die britische Politik künftig wieder vollständig im Rahmen ihres Nationalstaats zu organisieren.

So steht die EU-Bürgerschaft heute vor einer desintegrierenden europäischen Integration, vor einer wertlosen Wertegemeinschaft, vor einer unwirtschaftlichen Wirtschaftsgemeinschaft, vor einer unsolidarischen Solidargemeinschaft und vor einer EU, in der das nationale Handeln die gemeinschaftliche Handlungsunfähigkeit ersetzt. Sahen sich viele EU-Bürger vor zehn Jahren noch auf dem Weg in eine europäische Oase des Glücks, hat sich dieses Ziel in den letzten Jahren immer mehr als Fata Morgana entpuppt. Vom europäischen Projekt ist somit nichts geblieben, außer der bitteren Erkenntnis, sich viel zu lange von einem schönen Schein blenden haben zu lassen.


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Union der Europäischen Föderalisten:

Schon seit 1946 gibt es die Union der Europäischen Föderalisten, die sich seit ihrer Gründung für das Zusammenwachsen Europas engagiert. Mit rund 20.000 europaweit organisierten Mitgliedern ist sie die größte überparteiliche Organisation, die sich für ein demokratisches und rechtsstaatliches Europa einsetzt. Die Grundfreiheiten der Bürger, die Solidarität untereinander und die Wahrung der Menschenrechte sind für die Union der Europäischen Föderalisten nicht verhandelbar. Ihr deutscher Ableger ist die Europa-Union Deutschland.

Link zur Europa-Union Deutschland e.V.

Die Europäische Föderation:

Die Europäische Föderation ist eine dialogorientierte Vision zur Weiterentwicklung der europäischen Integration. Mit ihrer Verfassung stellt sie sich auf die Seite derer, die den Mangel an Humanität und Solidarität in Europa beklagen und ermöglicht es den europäischen Bürgern, sich in einem fairen und gleichberechtigten Miteinander an der Gestaltung der europäischen Integration zu beteiligen.

Link zur Europäischen Föderation

The European Republic:

Die Europäische Republik verkörpert ein Europa der Regionen und Bürger. Sie ist aus dem 2013 gegründeten European Democracy Lab an der European School of Governance in Berlin hervorgegangen und setzt vor allem auf ein Europa mit starker Zivilgesellschaft. Hierzu gibt es daher Vorträge und Veranstaltungen, in denen die Bürger ermutigt und befähigt werden, aktiv an der Zukunft Europas mitzuarbeiten.

Link zur European Republic


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Regelmäßig bastelte der Pfälzer am europäischen Haus und gestaltete es je nach Bedarf um, ohne dabei auch nur einen Gedanken an Statik und Benutzbarkeit zu verschwenden. So wurde nach seinen Plänen immer weiter aufgestockt und angebaut, obwohl die Probleme bei der Tragfähigkeit allseits bekannt waren. Das Ergebnis ist heute ein Gebäude, bei dem es an vielen Ecken knirscht, mit undichtem Dach und schrägen Wänden. Selbst die Türen sind kaputt und lassen sich nicht mehr richtig schließen, sodass nun auch ungebetene Gäste ohne Probleme in das europäische Haus kommen können.

Neben der maroden Bausubstanz machen den Bewohnern aber auch zahlreiche andere Fehlplanungen das Leben schwer. Statt jedem Wohnungsbesitzer einen eigenen Parkplatz zu geben, stehen alle 28 Autos hintereinander gereiht in einer Garage. Je nachdem, wer also gerade etwas zu erledigen hat, müssen zunächst alle anderen 27 Hausbewohner ihre Autos aus der Garage holen. Das ist natürlich mühsam und hat ein Bewohner gerade keine Lust, gerät alles ins Stocken und nichts geht mehr voran.
Genauso ist bei der Hausordnung und der Organisation des Zusammenlebens einiges im europäischen Haus schief gelaufen. Gemeinsam wollten sich die Bewohner um die Außenanlagen kümmern, doch am Ende ist aus dieser Verabredung ein völliges Durcheinander geworden. Zwar freuten sich alle, als vor einigen Jahren auf der Ostseite des Hauses die Kastanien erblühten, allerdings um die zarten Gewächse kümmern wollte sich damals niemand. So gingen die Kastanien wieder ein und auch dem Jasmin, der südlich des Gartenteiches sprießte, erging es ähnlich. Als dann vor zwei Jahren der Bub aus dem Nachbarhaus anfing, wild durch den Vorgarten zu trampeln und ihn zu verwüsten, schimpften die Hausbewohner zwar laut. Am Ende lösten sie das Problem aber einfach, indem sie den Gartenzaun näher zu sich versetzten, damit der Nachbarsjunge mehr Platz zum Spielen hat.

Doch nicht nur der Vorgarten wuchert so vor sich hin, sondern auch sonst ist der Zusammenhalt unter den Hausbewohnern allmählich geschwunden. Anstatt zum Beispiel der bulgarischen Oma zu helfen, ihre Wohnung herzurichten, vermietet ihr der Deutsche lieber zu horrenden Preisen eine Matratze und lässt die arme Frau für einen Hungerlohn bei sich putzen. Genauso greift niemand ein, wenn der rumänische Papa wieder einmal seine Roma-Kinder schlägt, und auch dem jungen Spanier, der keinen Arbeitsplatz findet, hilft keiner der Hausbewohner.
Und wie es dann noch in einigen Wohnungen des europäischen Hauses zugeht. Zum Beispiel sind die Gerichte, die der Pole Jaroslaw zubereitet, so überhaupt nicht nach der europäischen Rezeptur und werden immer ungenießbarer. Außerdem gibt es dann noch ein paar unangenehme Zeitgenossen unter den Hausbewohnern, wie z.B. diesen Ungarn, der jedem, der nicht nach seinem Mund redet, Hausverbot erteilt oder ihn in seiner Rumpelkammer einschließt. Wen wundert es da eigentlich noch, dass die britische Familie inzwischen dabei ist, das Kündigungsschreiben fertig zu machen und den Auszug vorzubereiten.

Nimmt man also alles zusammen, dann hat Helmut K. einen europäischen Schwarzbau errichtet, der Mängel in der Bausubstanz und der Gebäudestruktur hat und dessen Bewohner sich nicht an die vereinbarte Hausordnung halten, unsolidarisch sind und nun zum Teil sogar wieder ausziehen wollen. Auch wenn der Hobbyhandwerker aus der Pfalz sicher etwas anderes plante, eine attraktive Luxusimmobilie hat er da wahrlich nicht gebaut.


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Im Gegensatz zu vielen anderen Talksendungen, die sich dieser Frage in den vergangenen Monaten widmeten, ist es dabei allerdings gelungen, abseits von Schlagworten die tiefliegenden politischen und strukturellen Probleme der EU ziemlich klar herauszuarbeiten und darüber hinaus auch noch Lösungsansätze aufzuzeigen. Für eine lediglich 60-minütige Fernsehsendung und ein so komplexes Thema ist das eine beachtenswerte Leistung.

Wer sich die Sendung anschauen möchte, kann dies auf YouTube machen.

Link zum Video auf YouTube


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Allerdings wiederholen die Europaparlamentarier dabei viele der Fehler, die bereits in der Vergangenheit gemacht wurden und die die EU mit der Zeit dorthin geführt haben, wo sie jetzt steht. Insgesamt bieten die Vorschläge wenig Neues und vor allem nichts Brauchbares, um die Probleme der EU zu lösen. Im Gegenteil ist sogar zu befürchten, dass der europäischen Einigungsprozesses mit den angestrebten Reformschritten vollends gegen die Wand gefahren wird.

Unter anderem fordern die Europaabgeordneten im Verfassungsausschuss eine weitere Vergemeinschaftung von Politikfeldern, ohne aber gleichzeitig passende demokratisch-rechtsstaatliche Strukturen zu schaffen. Darüber hinaus sollen nach den Vorstellungen der EU-Parlamentarier sogar diejenigen EU-Länder, die im Moment keine weiteren Integrationsschritte unternehmen wollen, die EU wieder verlassen. Nun sei die Zeit gekommen, „in der man die Spreu vom Weizen auch trennen müsse“, erklärte dazu ein Abgeordneter in der Ausschusssitzung [1].
Damit aber schaffen die Europaparlamentarier nun tiefe Gräben, wo sich die nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsländer nach dem Brexit-Referendum mal ausnahmsweise geschlossen zeigen. Keiner der Staats- und Regierungschefs hat gebrüllt „Jetzt wollen wir auch raus aus der EU!“, kein Kaczyński, kein Orbán, im Gegenteil. Nach dem Treffen der EWR-Gründungsmitglieder u.a. mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier oder dem gemeinsamen Besuch des Grabes des Antifaschisten und europäischen Vordenkers Altiero Spinelli durch Angela Merkel, François Hollande und Matteo Renzi [2], hatte man den Eindruck, als würden sich die östlichen EU-Länder sogar eine stärkere Einbindung in die EU wünschen und wären gerne bei diesen Treffen dabei gewesen. Aber auch hier beweisen die Bundesregierung oder Frankreichs Präsident Hollande sehr viel Fingerspitzengefühl, indem sie auch mit diesen EU-Mitgliedern zurzeit aktiv den Dialog über die Zukunft des gemeinsamen Projektes suchen. Allmählich scheinen die Regierungen der EU-Länder doch den Wert des europäischen Einigungsprozesses erkannt zu haben und nach der britischen Abstimmung ist ihnen vielleicht auch bewusst geworden, dass dieser Prozess sehr wohl scheitern kann. Zumindest ist aber ein solches Vorgehen, wie u.a. von der Bundesregierung praktiziert, doch wesentlich besser geeignet, um Europa zusammenzuhalten, als das engstirnige „Wir sind Brüssel, folgt uns gefälligst!“, das aus dem Europaparlament schallt.

Neben dieser doch eher brachialen Haltung der Abgeordneten sind es aber auch die im Verfassungsausschuss präsentierten Reformideen selbst, die in eine völlig falsche Richtung gehen. Es ist zwar zunächst erfreulich, dass Themen, wie die Verschiebung der politischen Macht in der EU von Parlamenten hin zu Regierungen [3], endlich von den Europaabgeordneten behandelt werden, allerdings müssen dann auch die richtigen Schlüsse gezogen werden. Es hilft dem europäischen Einigungsprozess nicht, wenn aus der richtigen Erkenntnis, dass an manchen Stellen eine tiefere Integration notwendig ist, aber in einigen Ländern hierfür keine Bereitschaft besteht, geschlossen wird, man müsse nun einen Teil der EU-Mitglieder wieder aus der Gemeinschaft werfen.
Anstelle eines solchen exklusiven Konzepts (Wer sich nicht weiter integrieren will, soll die EU verlassen) bräuchte es, um Europa zusammenzuhalten, viel eher ein inklusives Modell (Wer sich an die bislang vereinbarten Regeln der EU hält, bleibt in der EU willkommen). Anstatt die EU auf ein Kerneuropa einzuschmelzen, werbe ich daher für ein Kerneuropa, das sich innerhalb der EU befindet – die Europäische Föderation. Damit würde der Integrationsdruck von der EU genommen, so dass die EU und die Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses für alle erhalten werden können und gleichzeitig ein Kern von EU-Ländern die nächsten Integrationsschritte auf Basis fester Regeln, z.B. einer gemeinsamen Verfassung, gehen kann.
Während somit bei der Umsetzung der Vorschläge der EU-Abgeordneten in einigen Jahren vielleicht nur noch eine verkleinerte EU-22 in einem Europa der Nationalstaaten existiert, wäre die Europäische Föderation mit z.B. 10 EU-Staaten in einer möglicherweise sogar gewachsenen EU mit 29 oder 30 Ländern eingebunden. Und auch die übrigen Nationalstaaten Europas, wie z.B. Norwegen, hätten mit einer solchen nicht auf permanente Integration ausgelegten EU nicht mehr so eine große Hürde für einen Beitritt. Würde man hingegen die EU weiter vertiefen und dabei sogar auf manche Länder verzichten, käme der europäische Einigungsprozess für die nächsten Jahrzehnte aller Voraussicht nach zum erliegen.

Ich denke, auch in Brüssel muss endlich erkannt werden, dass der europäische Einigungsprozess mehr ist, als das Zusammenwachsen einiger Euroländer. Knapp 850 Mio. Menschen leben in den Ländern Europas und auch wenn man Russland, die Türkei, den Kaukasus, die Ukraine und Weißrussland abzieht, bleiben immerhin rund 550 Mio. Einwohner übrig, wovon in der gesamten Eurozone nur knapp 340 Mio. Personen leben. Die Leistung der EU ist es hingegen, zumindest knapp 510 Mio. Menschen in einem demokratischen europäischen System einzubinden. Es wäre daher absolut falsch, den Vorschlägen der EU-Parlamentariern zu folgen und jetzt für die tiefere Integration der Eurozone auf grundlegenden Errungenschaften, u.a. die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes (Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit), für einen Teil der 510 Mio. Menschen zu verzichten. Vielmehr muss es im Sinne des europäischen Einigungsprozesses darum gehen, eben jenes, was bisher erreicht wurde, zu erhalten und trotzdem einem Teil der EU die Möglichkeit zu geben, etwas Neues zu schaffen. Zu Ende gedacht kommt man dann aber zur Europäischen Föderation, also einem Kerneuropa innerhalb der EU.


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[1] Sitzung des Verfassungsausschuss des Europaparlaments am 12.07.2016 (Link zum Video auf www.europarl.europa.eu)

[2] Kommentar vom 23.08.2016 zum Dreier Gipfel bei taz-online(Link zum Artikel auf www.taz.de)

[3] Die Machtverschiebung von Parlamenten zu Regierungen in der EU (Link zum Artikel auf www.mister-ede.de)

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Der ganz normale Wahnsinn https://www.mister-ede.de/politik/der-ganz-normale-wahnsinn/4970 https://www.mister-ede.de/politik/der-ganz-normale-wahnsinn/4970#comments Wed, 13 Apr 2016 18:58:44 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4970 Weiterlesen ]]> Auf Taumeln und Schwanken
folgt Streiten und Zanken,
ein Zerren, ein Reißen,
dann Kratzen und Beißen,
mal Treten, mal Schlagen,
Duelle austragen.

Oder kürzer gesagt:
Europa tagt!

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Flüchtlingspolitik: Der europäische und der nationale Ansatz https://www.mister-ede.de/politik/ansatz-europaeisch-national/4897 https://www.mister-ede.de/politik/ansatz-europaeisch-national/4897#comments Thu, 17 Mar 2016 21:23:36 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4897 Weiterlesen ]]> Nachdem die Fluchtroute von der Türkei über Griechenland und den Balkan bis nach Österreich, Deutschland oder Schweden die mit Abstand meistgenutzte auf dem Weg nach Europa ist, sind die europäischen Länder in der Flüchtlingspolitik zurzeit bestrebt, die Flüchtlingsbewegung auf dieser Route zu ordnen und irreguläre Migration zu stoppen. Neben dem europäischen Ansatz, der unter anderem von der Bundesregierung seit dem Sommer 2015 kontinuierlich verfolgt wird und z.B. in Verhandlungen mit der Türkei seinen Ausdruck findet, gibt es mit Maßnahmen auf nationaler Ebene, wie sie z.B. von Österreich getroffen wurden, einen zweiten Ansatz.

Der europäische Ansatz:

Geht es nach denjenigen, die einen europäischen Ansatz verfolgen, soll vor allem an der Ägäis-Route bzw. allgemein an der Außengrenze der EU angesetzt werden. Um den Grenzschutz zu verbessern soll die Sicherung der Außengrenze künftig eine gesamteuropäische Aufgabe werden und hierfür eine europäische Grenzpolizei entstehen.
Weil allerdings Seegrenzen, die einen erheblichen Teil der EU-Außengrenze ausmachen, nur mit großem Aufwand kontrolliert werden können, kooperieren die EU bzw. die EU-Mitgliedsstaaten zusätzlich bereits seit längerem mit jenen Ländern, die auf der jeweils anderen Seite des Wassers liegen, also z.B. mit Marokko oder mit der Türkei. Genau diese Zusammenarbeit soll nun weiter vertieft werden und bezogen auf die Ägäis-Route ist deshalb der europäische Ansatz, eine Vereinbarung mit der Türkei zu treffen, um die Flüchtlingsbewegung zu ordnen und irreguläre Migration zu stoppen.

Der nationale Ansatz:

Im Unterschied zum gesamteuropäischen Weg, steht bei diesem Ansatz die Balkan-Route im Vordergrund. Durch die diversen nationalen Maßnahmen der europäischen Länder innerhalb und außerhalb der EU hat sich die Flüchtlingssituation auf der Balkan-Route jedoch nicht wie erhofft aufgelöst, sondern sogar verschärft. So bilden sich vor den geschlossenen Grenzen regelmäßig humanitäre Notlagen, während sich die Flüchtlingsbewegung innerhalb Europas einfach verschiebt. Glaubten die Befürworter nationaler Maßnahmen zunächst, dass der Zaunbau zwischen Ungarn und Serbien die Lage entspannen würde, sollten danach Zäune zwischen Ungarn und Slowenien bzw. zwischen Österreich und Ungarn helfen und mittlerweile ruht die Hoffnung auf der befestigten und geschlossenen Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland.
Diese ständige Verschiebung zeigt allerdings deutlich, warum der Schengen-Raum durch solche nationalen Maßnahmen auf Dauer gesprengt wird. So werden nicht nur immer neue Grenzen abgeriegelt, sondern auch die hierfür notwendigen Ausnahmegenehmigungen werden immer weiter verlängert. Wenn aber die räumliche und zeitliche Ausnahme irgendwann zum Regelfall wird, was so manchen Nationalisten sicher freuen würde, dann war es das mit Schengen.

Ausblick:

Wenn man die Bilder von Idomeni sieht oder was von Schengen noch übrig ist, muss für den nationalen Ansatz festgestellt werden, dass dieser bereits gescheitert ist. Umgekehrt ist allerdings eine europäische Lösung, sei es ein Abkommen mit der Türkei oder sei es ein gesamteuropäischer Grenzschutz, auch noch ein weiter und schwieriger Weg. Jedoch könnte gerade das sichtbare Scheitern des nationalen Ansatzes dazu führen, dass eine europäische Lösung auf dem aktuellen EU-Gipfel ein gutes Stück näher rückt. Für die Schutzsuchenden, aber auch für die EU und ihre Mitgliedsstaaten, wäre das auf jeden Fall wünschenswert.


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Der Blick durch die nationale Brille und die Folgen https://www.mister-ede.de/politik/blick-durch-nationale-brille/4825 https://www.mister-ede.de/politik/blick-durch-nationale-brille/4825#comments Sat, 05 Mar 2016 19:31:41 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4825 Weiterlesen ]]> Vergleicht man öffentliche Debatten in Deutschland, lassen sich interessante Unterschiede erkennen.

Nutzt ein Unternehmen bescheidene Arbeitsbedingungen, z.B. in Bangladesch, um dort für unsere Wohlstandsgesellschaft zu günstigen Konditionen zu produzieren, dann können wir daran kaum etwas ändern. Es ist die Angelegenheit des dortigen Staates, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Außerdem haben die Verbraucher die Macht, so etwas durch ihr Kaufverhalten zu beenden.

Nutzt hingegen ein Unternehmen die Gestaltungsspielräume des Steuerrechts, z.B. in den Niederlanden, dann ist das hierzulande ein riesiger Skandal und überall wird erklärt, dass es einen dringenden Handlungsbedarf auf europäischer oder globaler Ebene gibt.

Nutzt wiederum ein Unternehmen niedrige Umweltauflagen, z.B. in afrikanischen Ländern, um dort für unsere Wohlstandsgesellschaft zu günstigen Konditionen zu produzieren, dann können wir daran wieder kaum etwas ändern. Es ist ja die Angelegenheit des dortigen Staates, die Umweltauflagen zu erhöhen. Und außerdem haben eben die Verbraucher die Macht, so etwas durch ihr Kaufverhalten zu beenden.

Nutzt hingegen ein Unternehmen einen geringen Datenschutzstandard, z.B. in Irland, dann ist das hierzulande jedoch wieder ein riesiger Skandal und überall wird erklärt, dass es einen dringenden Handlungsbedarf auf europäischer oder globaler Ebene gibt.

Es ist natürlich nicht verwunderlich, dass die Empörung über mangelnden Datenschutz für uns Kunden oder die Steuervermeidung zulasten des hiesigen Staatshaushaltes deutlich größer ist als die Empörung über die schlechten Arbeitsbedingungen in Bangladesch oder die Umweltzerstörung z.B. durch Müllexporte nach Afrika. Allerdings zeigt es eindrücklich, wie sehr bei öffentlichen Debatten die Welt durch eine nationale Brille betrachtet wird und die eigenen nationalen Belange in den Vordergrund gerückt werden. Der Syrienkonflikt, der hierzulande erst so wirklich interessiert, seitdem in Deutschland die Flüchtlingszahlen steigen, könnte dafür genauso als Beispiel angeführt werden.

Dieser Blick durch die nationale Brille hat jedoch auch Folgen für die deutsche Außenpolitik, die – auch wenn das eben nicht der deutschen Selbstwahrnehmung entspricht – nicht weniger interessensgeleitet ist als in anderen Ländern. So gelingt es beispielsweise, über die EU oder über die WTO Steueroasen auszuweisen, diverse Sanktionen zu verhängen, eine Datenschutzverordnung zu erarbeiten oder Produktpiraterie zu bekämpfen. Wenn es allerdings um Lohn- und Sozialdumping bzw. niedrige Arbeits- und Umweltschutzstandards geht, dann werden die Erfolge spürbar kleiner.
Nun werden vielleicht manche einwenden, es sei das gute Recht eines Landes, in der Außenpolitik den eigenen Interessen nachzugehen, allerdings hat auch diese Betrachtung einen großen Haken. Sie blendet nämlich völlig aus, dass es erhebliche Machtunterschiede gibt, die es z.B. Entwicklungsländern sehr schwer machen, ihre eigenen Interessen tatsächlich wirksam zu verfolgen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen EPA zwischen der EU und afrikanischen Ländern, bei denen die EU ihre Machtposition nutzte, um Druck auf ihre Verhandlungspartner auszuüben [1].

Für öffentliche Debatten aber bedeutet dies, dass die Perspektive viel stärker hinterfragt werden müsste. Anstatt das deutsche Handeln in der Welt vorschnell zu glorifizieren, sollte zunächst die nationale Brille abgenommen werden. Häufig wird dann nämlich eine äußerst interessensgeleitetet Politik erkennbar, die sich herzlich wenig um die Welt kümmert, solange Deutschland auf der Seite der Nutznießer steht.


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[1] Tagesschau-Artikel vom 08.06.2015 zu den EPA-Verhandlungen (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

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