EU-Türkei-Verhandlungen: Die Pflicht zum Balanceakt

In der Flüchtlingspolitik ist dieser Tage die relevante Frage, ob es der EU und ihren Mitgliedsstaaten gelingt, den Verbleib von Schutzsuchenden außerhalb des EU-Gebiets zu organisieren, ohne dabei rechtliche Vorgaben zu verletzen oder die europäischen Werte und Überzeugungen zu verraten. Gelingt dieser Balanceakt nämlich nicht und fällt die EU in die eine oder andere Richtung vom Drahtseil, so verliert sie damit auch ihre Existenzberechtigung.

Blieben im Rahmen der Flüchtlingspolitik europäische Werte und Gesetze auf der Strecke, wäre die EU bloß noch eine leere Hülle ohne inneren Wert. Und was würde eine Rechtsgemeinschaft nutzen, in der das Recht obsolet ist? Kämen hingegen weiterhin Flüchtlinge in dieser Zahl in die EU, würden uns die Bilder aus Idomeni erhalten bleiben, weil jeder neue Hotspot sofort gefüllt und jedes neue Kontingent zur Umverteilung sofort ausgeschöpft wäre. Auch auf diese Weise würde die EU ihre Existenzberechtigung verlieren, denn was nutzt eine zur Krisenbewältigung unfähige Staatengemeinschaft?
Wenn es aber auf der einen Seite notwendig ist, die Zahl der nach Europa kommenden Flüchtlinge zu reduzieren, und auf der anderen Seite die EU ihren rechtlichen Verpflichtungen und ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden muss, dann kann dieser Balanceakt nur in Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb Europas gelingen.

Genauso wie deshalb die vertiefte Kooperation mit den Ländern Nordafrikas zu begrüßen ist, sind auch die Verhandlungen mit der Türkei positiv zu bewerten. Im Sinne ihres Selbstverständnisses hat die EU sogar geradezu die Pflicht, alles zu versuchen, um in Gesprächen mit dem südöstlichen Nachbarn Türkei eine gemeinsame Lösung zu finden. Allerdings steht die EU bei diesem schwierigen Balanceakt noch ganz am Anfangen. Erst bei den Verhandlungen mit Erdoğan wird sich zeigen, ob die EU das Gleichgewicht zwischen der Reduzierung der Flüchtlingszahlen und der humanitären und rechtlichen Verantwortung tatsächlich halten kann.


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