Zukunft EU: Dachverband der Nationalinteressen oder Gemeinschaftsprojekt?

Das Ziel des europäischen Integrationsprozesses ist eine gemeinsame Wertebasis zu manifestieren, wirtschaftliche Prosperität zu sichern und die Zivilgesellschaft mit Menschen- und Bürgerrechte zu stärken. Über mehrere Jahrzehnte ist so die heutige EU mit ihren 27 Mitgliedsstaaten entstanden.
Im Jahr 2013 wirkt die EU allerdings mehr wie ein Sammelsurium nationaler Interessen und lokaler Probleme und scheint vielerorts wirkungslos, wenn es um den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte geht. Auch ökonomisch ist die EU mehr Flickenteppich statt Wirtschaftsgemeinschaft.

Die Probleme mit der Finanzkrise und die ökonomisch abgeschlagenen Gebiete Ost-Europas dokumentieren diese Zersplitterung der Wirtschaftslandschaft innerhalb der EU. In Griechenland, Portugal, Spanien und Zypern trifft die Wirtschaftskrise eine Bevölkerung von ca. 70 Mio. Menschen. In Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Ungarn und Polen liegt das reale BIP pro Kopf bei unter 10.000 Euro (ca. 60 Mio. Einwohner). In Rumänien und Bulgarien bei durchschnittlich unter 5.000 Euro pro Kopf (knapp 30 Mio. Einwohner) [1] [2]. Damit lebt ein Drittel der EU-Bevölkerung von rund 500 Mio. Menschen in Ländern mit deutlichen wirtschaftlichen Problemen. Auch die Zukunftsaussichten für die Einwohner und diese Regionen sind momentan nicht gerade berauschend.

Aber nicht nur bei der Wirtschaftsunion zeigt sich das europäische Flickwerk. Auch nationale Alleingänge, ob vor einiger Zeit bei den Reisekontrollen in Dänemark oder aktuell der französische Einsatz in Mali, zeugen von wenig Gemeinsamkeiten und Abstimmung. Auch die Finanztransaktionssteuer ist ein Musterbeispiel von „Nebeneinander“ und sicher kein Zeichen für ein „Miteinander“. Es sieht so aus, als schaffe es selbst die Finanzkrise nicht die 27 EU-Mitglieder zu einen.

Im Hinblick auf eine gemeinsame Wertebasis bietet die EU ebenfalls einen doppelten Boden. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Bürgerrechte, auf diesem Fundament ist die EU aufgebaut. Auf das Fundament der einzelnen Mitgliedsländer scheint dies aber wenig Auswirkung zu haben. Kunst-, Presse- oder Meinungsfreiheit gelten in Europa. Gelten sie aber beispielhaft auch in Ungarn [3]? Was ist mit Rechtsstaatlichkeit? Gilt sie auch in Rumänien [4]?

Die EU scheint mittlerweile mehr ein Dachverband der Nationalinteressen zu sein als ein Gemeinschaftsprojekt. Das Ausblenden der vielen lokalen Probleme und regionalen Unterschiede zu Gunsten eines Potemkinschen Dorfes Namens „Europäische Wertegemeinschaft“ ist aus meiner Sicht aber kein Lösungs- sondern ein Irrweg. Wenn der Abstand zwischen den einzelnen Mitgliedsländern der EU so groß wird, dass man die Verbindungen nicht mehr sehen kann, dann werden neue Partnerschaften ins Blickfeld rücken. So ist die Eurozone innerhalb der EU eine Folge der unterschiedlichen Entwicklung bei der Währungsgestaltung.
Die EU und ihre Vertreter wären daher gut beraten den Kern der EU, also die Entwicklung einer Gemeinschaft, wieder in den Vordergrund zu stellen. Die einzelnen Nationalstaaten müssen sich wieder näher hin zu den gemeinsamen europäischen Werten von Bürgerfreiheiten und Menschenrechten entwickeln. Mit einer aktiven Wirtschaftspolitik müssen die gröbsten Ungleichgewichte kontinuierlich beseitigt werden.

Ein starker Vertreter der EU, der demokratisch legitimiert diese Gemeinschaft von den Nationalstaaten einfordert, wäre hilfreich. Eine vom europäischen Parlament gewählte „Parlamentsvertretung“, die den Regierungen der Mitgliedsstaaten gleichgestellt ist, könnte eine solche Möglichkeit sein. Durch die Gleichstellung mit den nationalen Regierungen hätten die „EU-Parlamentsvertreter“ dann im EU-Ministerrat genauso ein Stimmrecht wie die nationalen Ressortministern. Auch bei den Gipfeltreffen der 27 Regierungschefs würde dann ein 28. stimmberechtigter Vertreter aus dem EU-Parlament teilnehmen.
Eine solche „EU-Parlamentsvertretung“ müsste naturgemäß auch keine eigenen Ministerien betreuen und könnte anstelle dessen die Koordination zwischen den Mitgliedsstaaten verbessern und die Interessen des europäischen Parlaments einbringen. Auf diese Weise wäre es einer solchen EU-Parlamentsvertretung dann möglich, gemeinschaftliche Lösungen einzufordern, nationale Alleingänge zu kritisieren und die Geschlossenheit Europas zu fördern.


[1] Übersicht der Einwohnerzahlen von Eurostat (Link zur Übersicht auf epp.eurostat.ec.europa.eu)

[2] Übersicht zum realen BIP von Eurostat (Link zur Übersicht auf epp.eurostat.ec.europa.eu)

[3] Beitrag bei Titel Thesen Temperamente zur Kunstfreiheit in Ungarn vom 27.01.2013 (Link zur Beitragsinformation auf www.daserste.de)

[4] Artikel auf Tagesschau.de vom 30.01.2013 zur Rechtsstaatlichkeit in Rumänien (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

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