mister-ede.de » Balkan-Route https://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Nach einem Scheitern des EU-Türkei-Abkommens https://www.mister-ede.de/politik/scheitern-eu-tuerkei-abkommen/5067 https://www.mister-ede.de/politik/scheitern-eu-tuerkei-abkommen/5067#comments Sun, 12 Jun 2016 16:46:06 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5067 Weiterlesen ]]> Mit dem EU-Türkei-Abkommen, das vor wenigen Monaten geschlossen wurde, konnte die Zahl der irregulären Einreisen nach Griechenland zwar deutlich gesenkt werden, allerdings gab es in dieser Zeit auch verschiedene Entwicklungen, durch die diese Vereinbarung nun auf der Kippe steht. So verhindern die mittlerweile noch stärkeren Einschränkungen der Pressefreiheit und die noch massiveren Menschenrechtsverletzungen in der Türkei Fortschritte in den EU-Türkei-Beziehungen, was sich z.B. im Streit um die Visaliberalisierung manifestiert. Hinzu kommen Auseinandersetzungen und Verstimmungen, wie durch die Böhmermann-Affäre oder die Armenien- bzw. Völkermordresolution des Deutschen Bundestages.

Nachdem laut Medienmeldungen in den letzten Wochen nun auch die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland von der türkischen Regierung ausgesetzt wurde, müssen, für den Fall, dass das EU-Türkei-Abkommen endgültig scheitert, neue Möglichkeiten gesucht werden, um die Ordnung an der EU-Außengrenze zur Türkei aufrechtzuerhalten. Zwar dürften die geschlossenen Grenzen auf dem Balkan eine Wiederauflage der Balkanroute verhindern, allerdings wird es ohne eine Vereinbarung mit der Türkei weiterer Maßnahmen benötigen, um irreguläre Einreisen in die EU nach Möglichkeit zu verhindern.
Gerade in Bezug auf Syrien und den Irak muss hierfür wohl noch stärker als bisher eine Lösung vor Ort gesucht werden. Vorstellbar wäre beispielsweise, mit den frei werdenden Milliarden aus dem EU-Türkei-Abkommen ein stärkeres Engagement in Syrien und dem Irak zu finanzieren, um die Not in diesen Regionen zu lindern und die Fluchtursachen zu reduzieren.

Ein Fernziel eines solchen Engagements könnte dabei sein, befriedete Gebiete zu schaffen, in denen Flüchtlinge künftig Schutz finden, leben und eine Perspektive entwickeln können. Hierfür könnte die Bevölkerung in den kurdischen Gebieten Syriens, aber auch die autonome Region Kurdistan im Irak finanziell unterstützt werden. Auch die Versorgung mit medizinischen Geräten oder Lebensmitteln könnte verbessert werden, wenn Gelder aus dem EU-Türkei-Abkommen frei werden.
Zusätzlich könnten künftig neben Peschmerga auch PKK-Kämpfer für den militärischen Einsatz ausgerüstet und ausgebildet werden, um vergleichbar mit dem Irak auch in Syrien ein autonomes kurdisches Gebiet zu schaffen, das von seiner Bevölkerung selbst gegen den IS geschützt wird. Mittel- bis langfristig wäre dann auch die Vereinigung dieser autonomen Gebiete im nördlichen Irak und nordöstlichen Syrien zu einem eigenständiger, völkerrechtlich anerkannter Staat Kurdistan vorstellbar, um in einer friedlichen Koexistenz von Syrien, Irak und Kurdistan die Staatlichkeit in dieser Region wiederherzustellen und damit den Terroristen des IS den Boden zu entziehen.

Neben der Reduktion der Fluchtursachen im Nahen Osten sollte aber auch die Reaktivierung des Rückführungsabkommens mit Pakistan und die Ausweitung auf andere Länder angestrebt werden.
Darüber hinaus wirft eine Entscheidung der Türkei, Personen nicht zurückzunehmen, die von ihrem Staatsgebiet aus irregulär in die EU einreisen, unweigerlich die Frage auf, ob die Türkei überhaupt noch ein Bündnispartner sein kein. Wenn die Türkei noch nicht mal bereit ist, die Verantwortung für das zu übernehmen, was Personen von türkischem Staatsgebiet aus machen, wie soll man dann auf die Wahrnehmung einer Verantwortung außerhalb der Türkei, z.B. bei einem Bündnisfall, vertrauen? Sollte das EU-Türkei-Abkommen endgültig scheitern, muss daher wohl auch dieser Punkt neu beleuchtet werden müssen.


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Nachdem durch die Verschiebung der Fluchtrouten außerdem zusätzliche Länder von der Migration betroffen waren, wurde ab diesem Zeitpunkt in weiten Teilen der EU jener Handlungsbedarf gesehen, auf den Italien bis dahin vergeblich aufmerksam machte.

In der Folge reagierten die EU und ihre Mitgliedsstaaten mit verschiedenen Maßnahmen, von einem Ausbau der Grenzsicherung über einen veränderten Umgang mit Asylbewerbern aus den Balkanländern bis hin zu einer verbesserten Ausstattung des Internationalen Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Auch zahlreiche Asylrechtsdebatten waren die Folge, seien das Gesetzesänderungen oder die Auseinandersetzung über eine Obergrenze in Deutschland, die Einführung einer solchen in Österreich, die Aussagen osteuropäischer Regierungen, keine Muslime aufnehmen zu wollen, oder die aktuellen Änderungsvorschläge der EU-Kommission zum Dublin-Verfahren.

Reduktion der Zahl der in die EU kommenden Flüchtlinge:

Durch die Ausweitung der Finanzmittel für die Flüchtlingshilfe konnte in den letzten Monaten die gröbste Not in den Flüchtlingslagern rund um Syrien gelindert werden.
Auf einer Balkan-Konferenz im Herbst wurden Finanzhilfen für und eine bessere Zusammenarbeit mit den Nicht-EU-Ländern des Balkans vereinbart. Ergänzt um Maßnahmen der Mitgliedsstaaten, z.B. in Deutschland die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten auf die Balkan-Region, konnte damit die Zahl der Asylbewerber vom Balkan noch im Herbst 2015 deutlich gesenkt werden.
Zahlreiche EU-Länder reagierten überdies mit Grenzkontrollen an Binnengrenzen, wie z.B. Deutschland gegenüber Österreich, und an Außengrenzen, wie beim ungarischen Zaunbau zu Serbien. Gleichzeitig verstärkten die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Zusammenarbeit mit der Türkei zum Schutz der Außengrenzen, was im März dieses Jahres in einem EU-Türkei-Abkommen mündete. Insgesamt führten diese Maßnahmen dazu, dass die Zahl der in die EU kommenden Flüchtlinge von über 200.000 im Oktober 2015 auf unter 20.000 im April 2016 gesunken ist.

Kleine Schritte der Harmonisierung und Koordination der Flüchtlingspolitik:

Daneben wurden die Mitgliedsstaaten durch die EU an die Verwendung des gemeinsamen Registrierungssystems für Flüchtlinge, Eurodac, erinnert, so dass heute der Datenaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten besser funktioniert. Außerdem wurde eine finanzielle und personelle Stärkung von Frontex verabredet und mit der EU-Verordnung Nr. 399/2016, die am 12.4.2016 in Kraft getreten ist, wurden im Rahmen des Schengener Grenzkodex neue Standards zur Grenzsicherung und zum Umgang mit Personen beim Grenzübertritt festgeschrieben.
Entgegen anderer Pläne der EU-Kommission, bleibt allerdings die Überwachung der EU-Außengrenzen, wie von den Mitgliedsstaaten gefordert, weiterhin die Aufgabe des jeweiligen Nationalstaats. Eine grundlegende Änderung der Systematik hin zu einer echten gemeinsamen europäischen Grenzsicherung findet damit nicht statt und bei der Reform des Dublin-Systems droht ähnliches. Auch hier stoßen schon die aktuellen Vorstellungen der EU-Kommission, die nur ansatzweise hin zu einem echten gemeinsamen Asylsystem gehen, auf zum Teil erbitterten Widerstand zahlreicher EU-Länder.

Mangelnde Bereitschaft, der humanitären Verantwortung gerecht zu werden:

Während es bei der Grenzsicherung noch gelungen ist, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu verständigen, fehlt die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, gänzlich. So sind die dringend benötigten Umverteilungen aus Griechenland oder Italien bislang kaum vorangekommen und die Situation vieler Schutzsuchender in der EU ist noch immer beschämend. Auch die freiwilligen Kontingente zur Aufnahme von Flüchtlingen, wie sie im EU-Türkei-Abkommen vereinbart wurden, gibt es bislang nur auf dem Papier und auf noch größeren Widerstand der EU-Mitgliedsstaaten stoßen Mechanismen, bei denen die Nationalstaaten die Hoheit über die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Hand geben müssten, z.B. Quotensysteme.
Weiterhin fehlend damit jene regulären Wege nach Europa, mit denen die EU ihre humanitäre Verantwortung wahrnehmen könnte. Daneben ist bislang aber auch die Kontrolle unzureichend, ob der Schutz von abgewiesenen oder rückgeführten Personen in den Herkunfts- oder Drittstaaten tatsächlich gewährleistet ist. Und auch bei der Hilfe vor Ort bleibt die EU vieles schuldig und so fehlt z.B. eine Bündelung der Flüchtlingshilfe in einem gemeinsamen europäischen Flüchtlingshilfswerk, um Geflüchteten eng verknüpft mit einer europäischen Entwicklungszusammenarbeit in der Nähe ihrer Heimatregionen eine Perspektive zu geben.

Die Bilanz:

Fasst man zusammen, dann unternimmt die EU heute zumindest das Nötigste, um die Lage in den Krisengebieten und Flüchtlingslagern zu verbessern – aber eben auch nicht mehr. Die Asylmigration vom Balkan wurde gestoppt und häufig wurde das nationale Asylrecht verschärft. Weiterhin fehlen jedoch reguläre Wege in die EU, während die Zahl der irregulären Einreisen in Kooperation mit Herkunfts- und Drittstaaten reduziert wurde. Kleinere Schritte zur Harmonisierung des Grenzschutzes und zur besseren Koordination des Flüchtlingsmanagements wurden in der EU gegangen.
Insgesamt ist die Bilanz der EU-Flüchtlingspolitik der letzten Monate damit durchwachsen und es bleibt noch viel Luft nach oben.


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Gelingt nach dem Abkommen nun auch die Umsetzung dessen, was darin vereinbart wurde, ist dies ein Lichtblick in der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik.
Zum ersten Mal nehmen alle EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam die Verantwortung für Schutzsuchende in und um die EU wahr. Wer hätte es vor zwei Jahren für möglich gehalten, dass von der EU und ihren Mitgliedsstaaten mehrere Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt werden, Kontingente geschaffen werden und die Bewältigung des Flüchtlingsaufkommens in einem einzelnen EU-Land als gemeinsame Aufgabe in der EU betrachtet wird?
Die Gipfelbeschlüsse bedeuten neben mehr Gemeinschaft und mehr Ordnung aber auch einen deutlichen Zugewinn an Humanität in der europäischen Flüchtlingspolitik. Statt 10 oder 20 Millionen Euro werden nunmehr Milliarden für das Flüchtlingshilfswerk UNHCR oder direkt für die Versorgung von Schutzsuchenden bereitgestellt. Wird dieses Engagement im Rahmen einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik verstetigt, ist das ein nachhaltiger Beitrag, um die Versorgungs- und Lebenssituation von Flüchtlingen spürbar zu verbessern.
Daneben wird durch das Abkommen endlich jener tödliche Widerspruch an den EU-Außengrenzen aufgelöst, durch den Flüchtende nur nach einer von Schleppern organisierten, irregulären, meist teuren und gefährlichen Einreise einen Schutzanspruch geltend machen konnten. Wenn künftig durch Kontingente legale Wege eröffnet werden und gleichzeitig die irreguläre Migration keine Erfolgsaussichten mehr bietet, wird dadurch aber nicht nur das Sterben in der Ägäis beendet, sondern Europa auch endlich seiner humanitären Verantwortung bei der Schutzgewährung gerecht. Statt einer ungeregelten und inhumanen Aufnahme von Flüchtlingen nach dem Prinzip „Survival-of-the-Fittest“, wird durch die legalen Kontingente künftig z.B. auch Verwundeten und Kranken ermöglicht, um Schutz zu ersuchen und diesen in der EU zu erhalten. Gerade für die Schwächsten der Schwachen ist das Abkommen daher ein Meilenstein.

Sollten sinkende Flüchtlingszahlen in der EU außerdem dazu führen, dass die Lage der Schutzsuchenden auf dem Balkan verbessert werden kann oder in EU-Mitgliedsstaaten eine höhere Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen von Kontingenten entsteht, wäre dies ein weiterer Erfolg dieses Gipfels. Und sollte es darüber hinaus gelingen, auf solchen Erfolgen aufbauend auch das europäische Asylsystem weg von Dublin hin zu einer fairen Lastenverteilung zu reformieren, würde aus dem Lichtblick in der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik strahlender Sonnenschein. Bis dorthin ist es allerdings noch ein langer Weg und daher bleibt nur zu hoffen, dass in den kommenden Wochen und Monaten nicht doch noch Wolken des Misserfolgs den Himmel erneut verdunkeln.


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Flüchtlingspolitik: Der europäische und der nationale Ansatz https://www.mister-ede.de/politik/ansatz-europaeisch-national/4897 https://www.mister-ede.de/politik/ansatz-europaeisch-national/4897#comments Thu, 17 Mar 2016 21:23:36 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4897 Weiterlesen ]]> Nachdem die Fluchtroute von der Türkei über Griechenland und den Balkan bis nach Österreich, Deutschland oder Schweden die mit Abstand meistgenutzte auf dem Weg nach Europa ist, sind die europäischen Länder in der Flüchtlingspolitik zurzeit bestrebt, die Flüchtlingsbewegung auf dieser Route zu ordnen und irreguläre Migration zu stoppen. Neben dem europäischen Ansatz, der unter anderem von der Bundesregierung seit dem Sommer 2015 kontinuierlich verfolgt wird und z.B. in Verhandlungen mit der Türkei seinen Ausdruck findet, gibt es mit Maßnahmen auf nationaler Ebene, wie sie z.B. von Österreich getroffen wurden, einen zweiten Ansatz.

Der europäische Ansatz:

Geht es nach denjenigen, die einen europäischen Ansatz verfolgen, soll vor allem an der Ägäis-Route bzw. allgemein an der Außengrenze der EU angesetzt werden. Um den Grenzschutz zu verbessern soll die Sicherung der Außengrenze künftig eine gesamteuropäische Aufgabe werden und hierfür eine europäische Grenzpolizei entstehen.
Weil allerdings Seegrenzen, die einen erheblichen Teil der EU-Außengrenze ausmachen, nur mit großem Aufwand kontrolliert werden können, kooperieren die EU bzw. die EU-Mitgliedsstaaten zusätzlich bereits seit längerem mit jenen Ländern, die auf der jeweils anderen Seite des Wassers liegen, also z.B. mit Marokko oder mit der Türkei. Genau diese Zusammenarbeit soll nun weiter vertieft werden und bezogen auf die Ägäis-Route ist deshalb der europäische Ansatz, eine Vereinbarung mit der Türkei zu treffen, um die Flüchtlingsbewegung zu ordnen und irreguläre Migration zu stoppen.

Der nationale Ansatz:

Im Unterschied zum gesamteuropäischen Weg, steht bei diesem Ansatz die Balkan-Route im Vordergrund. Durch die diversen nationalen Maßnahmen der europäischen Länder innerhalb und außerhalb der EU hat sich die Flüchtlingssituation auf der Balkan-Route jedoch nicht wie erhofft aufgelöst, sondern sogar verschärft. So bilden sich vor den geschlossenen Grenzen regelmäßig humanitäre Notlagen, während sich die Flüchtlingsbewegung innerhalb Europas einfach verschiebt. Glaubten die Befürworter nationaler Maßnahmen zunächst, dass der Zaunbau zwischen Ungarn und Serbien die Lage entspannen würde, sollten danach Zäune zwischen Ungarn und Slowenien bzw. zwischen Österreich und Ungarn helfen und mittlerweile ruht die Hoffnung auf der befestigten und geschlossenen Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland.
Diese ständige Verschiebung zeigt allerdings deutlich, warum der Schengen-Raum durch solche nationalen Maßnahmen auf Dauer gesprengt wird. So werden nicht nur immer neue Grenzen abgeriegelt, sondern auch die hierfür notwendigen Ausnahmegenehmigungen werden immer weiter verlängert. Wenn aber die räumliche und zeitliche Ausnahme irgendwann zum Regelfall wird, was so manchen Nationalisten sicher freuen würde, dann war es das mit Schengen.

Ausblick:

Wenn man die Bilder von Idomeni sieht oder was von Schengen noch übrig ist, muss für den nationalen Ansatz festgestellt werden, dass dieser bereits gescheitert ist. Umgekehrt ist allerdings eine europäische Lösung, sei es ein Abkommen mit der Türkei oder sei es ein gesamteuropäischer Grenzschutz, auch noch ein weiter und schwieriger Weg. Jedoch könnte gerade das sichtbare Scheitern des nationalen Ansatzes dazu führen, dass eine europäische Lösung auf dem aktuellen EU-Gipfel ein gutes Stück näher rückt. Für die Schutzsuchenden, aber auch für die EU und ihre Mitgliedsstaaten, wäre das auf jeden Fall wünschenswert.


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Blieben im Rahmen der Flüchtlingspolitik europäische Werte und Gesetze auf der Strecke, wäre die EU bloß noch eine leere Hülle ohne inneren Wert. Und was würde eine Rechtsgemeinschaft nutzen, in der das Recht obsolet ist? Kämen hingegen weiterhin Flüchtlinge in dieser Zahl in die EU, würden uns die Bilder aus Idomeni erhalten bleiben, weil jeder neue Hotspot sofort gefüllt und jedes neue Kontingent zur Umverteilung sofort ausgeschöpft wäre. Auch auf diese Weise würde die EU ihre Existenzberechtigung verlieren, denn was nutzt eine zur Krisenbewältigung unfähige Staatengemeinschaft?
Wenn es aber auf der einen Seite notwendig ist, die Zahl der nach Europa kommenden Flüchtlinge zu reduzieren, und auf der anderen Seite die EU ihren rechtlichen Verpflichtungen und ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden muss, dann kann dieser Balanceakt nur in Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb Europas gelingen.

Genauso wie deshalb die vertiefte Kooperation mit den Ländern Nordafrikas zu begrüßen ist, sind auch die Verhandlungen mit der Türkei positiv zu bewerten. Im Sinne ihres Selbstverständnisses hat die EU sogar geradezu die Pflicht, alles zu versuchen, um in Gesprächen mit dem südöstlichen Nachbarn Türkei eine gemeinsame Lösung zu finden. Allerdings steht die EU bei diesem schwierigen Balanceakt noch ganz am Anfangen. Erst bei den Verhandlungen mit Erdoğan wird sich zeigen, ob die EU das Gleichgewicht zwischen der Reduzierung der Flüchtlingszahlen und der humanitären und rechtlichen Verantwortung tatsächlich halten kann.


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Die Entwicklung der Flüchtlingsrouten:

Vergleicht man die Zahlen, flohen und fliehen seit etwa vier Jahren über die Staaten Nordafrikas und das Mittelmeer grob 200.000 Personen pro Jahr, während über die Türkei nach Griechenland bis zum Frühjahr 2015 nur einige tausend Schutzsuchende kamen. Dies änderte sich ab diesem Zeitpunkt, vermutlich weil erkennbar wurde, dass dieser Weg für Flüchtlinge mit weniger Risiko und Aufwand verbunden, aber genauso erfolgsversprechend ist. In den Sommermonaten 2015 reisten dann zum Teil 200.000 Flüchtlinge in einem einzigen Monat irregulär über die Türkei in Griechenland und damit der EU ein und selbst jetzt im Winter lag diese Zahl mit z.B. 67.000 Einreisen im Januar 2016 äußerst hoch.
Dies zeigt allerdings, dass es sich bei der Ägäis-Route schon um eine besondere Route und nicht nur um eine unter vielen handelt. Die geografischen Verhältnisse mit kilometerlangen Seegrenzen bei zum Teil wenigen Kilometern Abstand zwischen türkischem Festland und griechischen Inseln sind für eine irreguläre Einreise in die EU weit besser geeignet, als das bei allen bisherigen Wegen der Fall war. Gerade deshalb dürfte es für Schlepper und Flüchtlinge allerdings schwer werden, diese Route einfach durch eine andere zu ersetzen, zumal für die irreguläre Migration von monatlich 100.000 Menschen auch erst wieder eine gewisse Infrastruktur aufgebaut werden muss.

Alternative Routen:

Die naheliegendste Alternative ist der Geografie entsprechend eine Fluchtroute von der Türkei über das Schwarze Meer nach Bulgarien. Bei einem Abkommen mit der Türkei könnte allerdings genau das schon berücksichtigt werden, so dass einem Ausweichverhalten automatisch vorgebeugt wäre.
Nördlich der Türkei sind Wege über Russland denkbar, allerdings erscheint eine Fluchtbewegung in dieser Dimension über Russland bei aller Phantasie höchst unwahrscheinlich. Hingegen scheitern die südlich der Türkei gelegenen Fluchtrouten über Zypern daran, dass das EU-Mitglied bislang nicht in den kontrollfreien Schengenraum integriert ist.
Damit verbleiben jedoch nur wieder jene Fluchtrouten über Nordafrika, die von den Flüchtlingen, wenn es denn geht, gemieden werden. Hinzu kommt, dass die EU diesbezüglich ihre Kooperation mit Marokko, Algerien und Tunesien weiter vertieft, weshalb auch dort eine Entwicklung wie in der Ägäis zurzeit unwahrscheinlich ist. Übrig bleibt somit alleine die Fluchtroute über das Gebiet des früheren Libyens z.B. nach Lampedusa oder Malta. Doch selbst wenn sich an der dortigen Situation vorerst nichts ändert und es nicht gelingt, mit Hilfe einer neuen Regierung zu einer stabilen Lage an der libyschen Küste zu kommen, wird diese Route nur zum Teil einen Ersatz darstellen können. Immerhin ist es ein gewaltiger Unterschied, ob mit einem Boot im Mittelmeer eine Strecke von 3 oder 300 Kilometern überwunden werden muss und das zeigt sich eben auch darin, dass der sprunghafte Anstieg der Flüchtlingszahlen im Frühjahr 2015 eng mit der Ägäis-Route verbunden ist.

Fazit:

Kommt es zu einer Vereinbarung mit der Türkei, welche die irreguläre Migration in die EU deutlich erschwert, z.B. durch ein Rückführungsabkommen, wird der Druck auf andere Fluchtrouten zunehmen. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass dort ähnliche Dimensionen bei den Flüchtlingszahlen erreicht werden, wie auf der Ägäis-Route von der Türkei nach Griechenland. Die Vermutung, dass ein Abkommen mit der Türkei wegen eines Ausweichverhaltens der Flüchtlinge ins Leere läuft, ist deshalb zumindest gewagt.


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Aber auch an anderen Stellen offenbaren sich, insbesondere durch die im letzten Jahr stark gestiegen Flüchtlingszahlen, zahlreiche solcher eklatanten Widersprüche im Umgang mit Flüchtlingen. Ein Beispiel dafür ist die scharfe Kritik an Ungarns Regierungschef Orbán für einen Zaun an der ungarischen EU-Außengrenze zu Serbien, der jedoch bereits seit Jahren in professionellster Ausführung an den Grenzen der spanischen Exklaven Melilla und Ceuta in Nordafrika steht. So wenig ich Orbáns Politik auch mag, aber wenn es denn zulässig ist, Schutzsuchende aus Marokko abzuhalten, wieso sollte dann der Grenzzaun zu Serbien problematisch sein?
Nicht weniger widersprüchlich ist es, wenn einem Flüchtling an der griechisch-türkischen Grenze gesagt wird, dass er doch bitte in der Türkei Schutz suchen soll, während er an der deutsch-österreichischen Grenze einfach durchgewinkt wird. Umgekehrt wäre es ja noch irgendwie nachvollziehbar. Nach Österreich weist man zurück, weil die Flüchtlinge dort ordentlich versorgt werden, und aus der Türkei lässt man die Flüchtlinge einreisen, weil man zumindest darüber streiten kann, ob Schutzsuchende in der Türkei wirklich gut aufgehoben sind. Aber so herum wie es jetzt ist, müsste die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei ja deutlich besser sein, als in Österreich.

Noch paradoxer ist es allerdings, wenn man die griechisch-türkische Grenze für sich alleine nimmt. Kommt ein Flüchtling an den offiziellen Grenzübergang, wird ihm mit dem Hinweis, in der Türkei sei es sicher, die Einreise verweigert. Zahlt der Flüchtling hingegen einem Schlepper ein paar tausend Dollar und macht sich auf den lebensgefährlichen Weg, um illegal auf eine griechische Insel überzusetzen, sieht die Sache schon ganz anders aus. Wenn er denn schon mal da ist, darf er nämlich auch bleiben. Nur, was soll das eigentlich? Ist das eine Art modernes Aufnahmeritual in die EU? Dieselbe Person, die aus demselben Land in dasselbe Land einreisen will, bekommt nach einer illegalen Einreise jene Schutzansprüche, die ihr auf legalem Wege verwehrt werden?
Insofern gehen hunderte ertrunkene Flüchtlinge auf das Konto alleine dieses einen Widerspruchs. Würde man ihn auflösen und die Frage beantworten, wie mit Schutzsuchenden, die aus der Türkei einreisen, künftig umgegangen werden soll, würde dies zahlreiche Leben retten. Bei einer Entscheidung für die Schutzgewährung könnte dann nämlich auch die Einreise über offizielle Grenzübergänge ermöglicht werden und bei einer Entscheidung dagegen könnte die illegale Einreise durch ein Rückführungsabkommen mit der Türkei unattraktiv gemacht werden. Auch in letzterem Fall würde sich dann wohl kaum noch jemand für tausende Dollar auf eine lebensgefährliche Reise machen, wenn er wüsste, dass er selbst bei geglückter Überfahrt drei Tage später wieder zurück in der Türkei ist.

Wenn sich das Drama des letzten Jahres bei einem weiter eskalierenden Syrien-Konflikt und wieder besserem Wetter in den Sommermonaten in diesem Jahr nicht wiederholen soll, werden wir nicht umhin kommen, diese großen Widersprüche aufzulösen und zentrale Fragen zum Umgang mit Flüchtlingen zu beantworten. Unterbleibt dies jedoch, wird auch 2016 das Chaos die Oberhand in der Flüchtlingspolitik behalten.


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Obergrenzen:

Geht es nach der bayerischen CSU, dann wird künftig eine Obergrenze eingeführt, die festlegt, wie viele Flüchtlinge in einem gewissen Zeitraum nach Deutschland einreisen dürfen, also z.B. 500.000 Flüchtlinge pro Jahr.

Eine solche Regelung wäre jedoch kaum mit Art. 16a GG und der Genfer Flüchtlingskonvention zu vereinbaren, denn beide Vorschriften stellen auf einen individuellen Schutzanspruch ab. Das heißt, dass es bei der Frage der Schutzgewährung nicht auf äußere Umstände ankommen darf, sondern nur darauf, ob eine Person die Voraussetzungen für einen Schutzanspruch erfüllt, z.B. eine Verfolgung vorliegt oder die Einreise nicht aus einem sicheren Drittland erfolgt. Lediglich bei einer objektiven Gefahr für die Existenz des Staates bzw. für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann von dieser Maßgabe abgewichen werden. Allerdings dürfte es ebenfalls unzulässig sein, für einen solchen Fall unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten allgemein und schon im Voraus einen Grenzwert festzulegen.
Außerdem führt eine solche Obergrenze, wenn sie denn funktionieren soll, unweigerlich zu einem Bruch des Schengen-Abkommens, weil Deutschland, sobald die festgelegte Höchstzahl erreicht ist, seine Grenzen komplett schließen und jeden Einreisenden kontrollieren müsste. Daneben stellt sich aber auch die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit einer solchen Beschränkung, vor allem mit Blick auf ein mögliches Ausweichen auf die grüne Grenze. Ob dann Soldaten mit Gewehr im Anschlag die illegalen Eindringlinge – also unbewaffnete und unschuldige Flüchtlinge – am Grenzübertritt hindern sollen, hat die CSU bislang nämlich noch nicht erklärt.

Kontingente:

Geht es nach Angela Merkel, SPD, Grünen und auch Menschenrechtsorganisationen, werden künftig Kontingente eingeführt, um legale und vor allem sichere Wege für Flüchtlinge nach Deutschland zu eröffnen. Bereits in Krisenländern bzw. in Flüchtlingslagern vor Ort sollen Flüchtlinge die Möglichkeit haben, über dieses Instrument ihren Schutzanspruch geltend zu machen und dann z.B. aus der Türkei per Flugzeug direkt nach Deutschland zu reisen. Auf diese Weise sollen dann die EU-Außengrenzen, die Balkanländer und damit am Ende auch die deutsch-österreichische Grenze entlastet werden und geordnete Verfahren entstehen.

Sowohl das Recht auf Asyl als auch die Genfer Flüchtlingskonvention würden durch eine solche Regelung unberührt bleiben, weil es sich bei diesen Kontingenten nicht um einen Ersatz für diese Schutzrechte handelt, sondern um ein zusätzliches Aufnahmeangebot Deutschlands. Genau deshalb kann Deutschland im Rahmen solcher Kontingente dann aber auch einseitig eine Obergrenze festlegen oder weitere Vorgaben machen, z.B. im Bezug auf die Nationalität oder im Hinblick darauf, ob Familien, Waisenkinder, Menschen mit Behinderung oder Opfer von Gewalttaten innerhalb dieser Kontingente bevorzugt behandelt werden sollen.
Außerdem sind Grenzschließungen bei diesem Ansatz nicht notwendig, weil ein erschöpftes Kontingent lediglich zu einem Aufnahmestopp über den Weg der Kontingente führt, nicht jedoch zu einem Ende der Aufnahme im Rahmen des grundgesetzlichen Asylschutzes oder der Genfer Flüchtlingskonvention.

Gegenüberstellung:

Der wesentlichste Unterschied beider Konzepte ist, dass Kontingente neue Zugangswege für Flüchtlinge schaffen, während mit einer Obergrenze die vorhandenen Wege zur Schutzsuche eingeschränkt werden. Entsprechend setzen die Kontingente mit der Schaffung legaler Fluchtmöglichkeiten am Anfang der Fluchtkette an, wohingegen eine Obergrenze mit dem Ziel einer Abschottung Deutschlands am Ende dieser Fluchtkette ansetzt.
Im Gegensatz zu Kontingenten ist eine Obergrenze allerdings kaum mit Art. 16a GG und der Genfer Flüchtlingskonvention zu vereinbaren und führt zu weiteren rechtlichen und praktischen Problemen, sobald es tatsächlich zu Grenzschließungen kommen müsste.


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[1] Artikel auf Tagesschau.de vom 22.11.2015 (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

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EU-Flüchtlingspolitik: Der Bumerang des deutschen Egoismus https://www.mister-ede.de/politik/bumerang-des-egoismus/4663 https://www.mister-ede.de/politik/bumerang-des-egoismus/4663#comments Tue, 27 Oct 2015 17:14:41 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4663 Weiterlesen ]]> Viel zu lange betrachtete das Deutschland der Schröders und Merkels die EU als eine Veranstaltung, von der man profitieren kann, ohne selbst etwas zur europäischen Integration oder zur Steigerung des gemeinsamen Wohlstands beizutragen. Das von Schröder praktizierte und von konservativer Seite bejubelte Lohndumping mit Hilfe von Hartz IV und Leiharbeit ist dabei nur eines von vielen Beispielen, wie Deutschland auf Kosten seiner EU-Nachbarn den eigenen Vorteil suchte und seinen Wohlstand mehrte. Genauso könnten auch Merkels Blockade gegen strengere Abgasgrenzwerte für Automobile, das von rot-grün betriebene Steuerdumping, z.B. durch die Einführung der Abgeltungssteuer, oder die Bankenrettung zu Lasten Irlands als Beispiele dieser deutschen Kirchturmpolitik angeführt werden. Selbst der griechische Bail-out zu Gunsten deutscher Banken, der uns hierzulande meist als Solidarität verkauft wurde, ist Ausdruck des nationalen Egoismus, der von Deutschland noch bis vor wenigen Monaten hochgehalten wurde – sehr hoch.

Wenn sich heute einige EU-Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen vornehm zurückhalten und Orbán, nach dem Bau von Zäunen an Ungarns Südgrenze, die katastrophale Lage der Flüchtlinge auf der Balkanroute nicht mehr als sein Problem ansieht, dann ist das nur jene Haltung gegenüber der gemeinsamen EU, die von Deutschland seit fast 20 Jahren konsequent vorgelebt wird. Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass Merkels Appelle in der Flüchtlingsfrage auf taube Ohren stoßen, denn wie man in den Wald hineinruft, so schallt es am Ende auch wieder heraus.
Führt man sich z.B. vor Augen, dass Griechenland, von dem heute eine solidarische Zusammenarbeit bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms eingefordert wird, noch vor wenigen Monaten von Schäuble gerne aus dem Euro und damit auch aus der EU gekegelt worden wäre, so darf die dortige Prioritätensetzung nicht wirklich überraschen. Und auch Italien hätte genügend Gründe, Merkel und Juncker auflaufen zu lassen, nachdem es nicht nur bei seiner Rettungsmission „Mare nostrum“ im Stich gelassen wurde, sondern schon seit Jahren vergeblich um Unterstützung bei der Versorgung von Flüchtlingen bat.

Was also die deutsche Politik heute von links bis rechts in der Flüchtlingsfrage bei anderen EU-Ländern beklagt, ist genau jene Kirchturmpolitik, die sie über Jahre selbst gerne praktizierte und in die EU trug. Wenn also aktuell von anderen EU-Ländern hundertausende Flüchtlinge einfach nach Deutschland durchgewunken werden, so ist das lediglich der Bumerang des nationalen Egoismus, der nun hierher zurückkehrt.


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https://www.mister-ede.de/politik/bumerang-des-egoismus/4663/feed 0
Flüchtlinge in der EU: Deutschland ist akut gefordert https://www.mister-ede.de/politik/deutschland-ist-akut-gefordert/4334 https://www.mister-ede.de/politik/deutschland-ist-akut-gefordert/4334#comments Sat, 05 Sep 2015 17:55:45 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=4334 Weiterlesen ]]> Es ist an Deutschland, den gordischen Knoten in der europäischen Flüchtlingspolitik zu durchschlagen, um so die Bewältigung der aktuellen Migrationsbewegung zu ermöglichen. Die gestrige Entscheidung, in Zusammenarbeit mit Österreich zunächst einige tausend Flüchtlinge von Ungarn zu übernehmen, ist hierzu ein erster Schritt, der allerdings nur für zwei, drei Tage Entlastung schaffen wird. Zwar wird Ungarn in den nächsten Tagen beginnen, seine EU-Außengrenze zu Serbien mit Soldaten zu sichern, das allerdings hat keinerlei Auswirkung auf die Gesamtsituation. Entweder die Flüchtlinge schaffen es dennoch über diese Grenze, weichen auf andere Routen aus, z.B. über die EU-Staaten Rumänien oder Kroatien, oder sie stranden in Serbien.
Um in den nächsten Tagen und Wochen eine Rückkehr zu einem einigermaßen geordneten Verfahren zu bewerkstelligen, wird es daher eine Kraftanstrengung Deutschlands benötigen, die nochmals deutlich über das bisher geleistete hinausgehen muss.

Türkei einbinden:

Vordringlichste Aufgabe sollte es sein, die EU-Außengrenzen zur Türkei hin abzusichern. Hierzu sollte der Türkei bzw. der UN finanziell, materiell und personell geholfen werden, um die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei zu gewährleisten. Für die Gruppe der syrischen Flüchtlinge sollten legale Wege zur Asylsuche in der EU eingerichtet werden, um den Druck auf die Außengrenze zu nehmen. Daneben könnte der Türkei für die Grenzsicherung ein fester Betrag von z.B. 50 Mio. Euro zur Verfügung gestellt werden und zusätzlich zum 31.12.2015 eine Zahlung von 1 Mrd. Euro zugesichert werden, die sich je illegal über die Türkei eingereister Person um 10.000 Euro reduziert. Reisen bis Ende des Jahres mehr als 100.000 Flüchtlinge auf illegalem Weg über die Türkei ein, so muss die Milliarde nicht bezahlt werden, sind es weniger, wurde der Zustrom erfolgreich eingedämmt.

Hilfe bei der Sicherung der Außengrenze:

Bei einem Tagessatz von 100 Euro können für 1 Mio. Euro 10.000 Soldaten einen Tag lang eingesetzt werden. Deutschland sollte den Ländern Bulgarien und Griechenland 100 Mio. Euro zur akuten Sicherung der Grenze für die nächsten 100 Tage zur Verfügung stellen und zusätzlich Personal und Material zur Unterstützung anbieten. Daneben sollte geprüft werden, ob Ungarn, Kroatien oder Slowenien Hilfe bei der Grenzsicherung benötigen.

EU-Aufnahmelager:

Es müssen umgehend in Griechenland und Bulgarien EU-Aufnahmelager zur Versorgung und Registrierung von Flüchtlingen geschaffen werden und zwar mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Hierzu sollte die Hilfe des UNHCR und europäischer Rotkreuz-Organisationen erbeten werden. Auch in Italien sollten so schnell wie möglich von der EU und Italien EU-Aufnahmelager eingerichtet werden. Deutschland sollte bei der Einrichtung der EU-Aufnahmelager als treibende Kraft vorangehen und zum Aufbau und Betrieb bis zu 1 Mrd. Euro Finanzhilfen bis Ende des Jahres zur Verfügung stellen und auch Personal und Material anbieten.

Balkan-Route abarbeiten:

Nur wenn es gelingt, die Durchlässigkeit der Außengrenzen hin zur Türkei deutlich zu minimieren und jene, die neu ankommen, in Griechenland oder auch Bulgarien in ein geordnetes Verfahren zu bringen, kann das Flüchtlingsaufkommen auf der Balkan-Route abgearbeitet werden. Gelingt dies nicht, wird jede neu geschaffene Kapazität binnen kürzester Zeit ausgeschöpft sein ohne eine Verbesserung der Lage zu bewirken.

Um den Flüchtlingen auf der Balkan-Route möglichst zügig zu helfen, sollten Serbien und Mazedonien bei der Versorgung der Flüchtlinge finanziell unterstützt werden. Gleichzeitig sollte Deutschland ein Kontingent einrichten um weitere 50.000 Flüchtlinge aufzunehmen und andere Länder ebenfalls bitten ein Kontingent zur Verfügung zu stellen um insgesamt auf 100.000 Plätze zu kommen. Um einen Platz für dieses Kontingent zu erhalten, sollten die Flüchtlinge in Griechenland an der Grenze zu Mazedonien ein einzurichtendes Notlager aufsuchen müssen. Auf diese Weise besteht für Flüchtlinge kein Anreiz mehr, sich auf die Balkan-Route zu begeben und auch Flüchtlinge die sich schon in Mazedonien oder Serbien befinden, könnten so zur Umkehr bewogen werden. Gleichzeitig würde dies ermöglichen, den Aufbau eines ordentlichen Verfahrens mit EU-Aufnahmelagern in Griechenland voranzutreiben. In der akuten Situation wäre wohl zunächst sinnvoll, mit dem Transport nicht registrierter Flüchtlinge nach Deutschland zu starten, bevor dann in ein paar Wochen die Möglichkeit vorhanden sein sollte, zumindest die Registrierung vor Ort durchzuführen.

Hierauf aufbauend könnte irgendwann auch das gesamte Asylverfahren vor Ort durchgeführt werden. Hierzu sollte Deutschland schon jetzt nach Partnern für ein Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit in der EU suchen, mit denen dann eine gemeinsame Asylbehörde mit einheitlichen Asylverfahren und anschließender Verteilung der Asylberechtigten auf diese Partnerländer eingerichtet wird. Ankommenden Flüchtlingen könnte dann in diesem EU-Auffanglager die Möglichkeit gegeben werden, entweder Asyl in Griechenland zu beantragen oder das gemeinsame Asylverfahren z.B. von Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien und Schweden zu durchlaufen, um Asyl in diesen Ländern zu suchen. Es wäre ein deutlicher Schritt hin zu einer echten gemeinsamen EU-Asylpolitik, der sich andere EU-Länder anschließen könnten und die man dann auch z.B. auf Italien ausdehnen könnte.


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