mister-ede.de » Brexit https://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Briten wollen mehr Zeit, um zu keiner Brexit-Einigung zu kommen https://www.mister-ede.de/politik/briten-brexit-frist-deal/8791 https://www.mister-ede.de/politik/briten-brexit-frist-deal/8791#comments Sat, 16 Mar 2019 19:01:52 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8791 Weiterlesen ]]> Was sich zurzeit in Großbritannien abspielt, wäre selbst für einen Monty-Python-Film zu skurril. Man muss sich das mal vorstellen, da führt eine Theresa May ihre Partei ohne Rückhalt bei den Parteimitgliedern, ihre Koalition ohne Rückhalt im Parlament, ihre Regierung ohne Rückhalt selbst bei den eigenen Ministern und das Land ohne Rückhalt in der Bevölkerung. Und als ob das nicht absurd genug wäre, kommt dazu noch ein Parlament, das konsequent seine Arbeit verweigert, nämlich die Suche nach einem mehrheitsfähigen Kompromiss. Müssten die Abgeordneten des Unterhauses gemeinsam entscheiden, was es für sie zu essen gibt, dann wären die Parlamentarier längst verhungert. „Fleisch?“ „Nein!“ „Salat?“ „Nein!“ „Fisch?“ „Nein!“ „Gemüse?“ „Nein!“ „Was dann?“ „Wissen wir nicht. Gebt uns mehr Zeit.“

Trotz dieser (w)irren Politik der Briten wird die EU nun über genau diesen Wunsch des Unterhauses nach mehr Zeit beraten müssen. Es ist allerdings unmöglich, eine seriöse Voraussage zu treffen, was in Großbritannien in den nächsten Wochen geschehen wird, wenn sich die EU für oder gegen eine Verlegung des Austrittstermins entscheidet. Viel zu undurchsichtig ist dafür das Gemenge der unterschiedlichen Interessen in der britischen Politik, zumal es dabei meist nicht um das Wohl des Landes geht, sondern um die Egos einzelner Politikerinnen und Politiker, um Machtfragen in Parteien oder um Geländegewinne in der Wählergunst. Unter dem Motto „täuschen, tricksen, tarnen“ halten alle Akteure der britischen Politik ihre Karten verdeckt und pokern hoch – extrem hoch.
Und so kann sich die Situation in Großbritannien, unabhängig davon welche Entscheidung die EU trifft, in den nächsten Tagen genauso schnell in Wohlgefallen auflösen, wie sie auch umgekehrt eskalieren kann bis hin zu Gewaltausbrüchen auf der Straße oder gar bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Die EU ist in dieser Situation deshalb gut beraten, als letzter verlässlicher Akteur in diesem Durcheinander bei ihrer eigenen, klaren Linie und den gemeinsam gesetzten Regeln zu bleiben, anstatt das Insel-Chaos auch noch auf den Kontinent zu importieren. Es nutzt niemandem, jetzt wild darüber zu spekulieren, was alles bei welcher EU-Entscheidung eventuell passieren könnte. Und als Spielball auf diesem Schlachtfeld britischer Politik kann die EU sowieso nur verlieren.
Stattdessen hilft nur ein nüchterner Blick auf das, was diese Woche in Großbritannien passiert ist. Insgesamt 278 Abgeordnete des britischen Unterhauses haben bei einer entscheidenden Abstimmung am Mittwoch ganz bewusst für die Option eines harten No-Deal-Brexits gestimmt. Sie wollen also mit Großbritannien aus der EU raus – und sei es ohne Deal. Für manche von ihnen ist sogar genau das die bevorzugte Variante. Zwar hat auch eine knappe Mehrheit von 321 Parlamentariern gegen einen No-Deal-Brexit gestimmt, diese Gruppe ist allerdings in dem was sie will fast völlig uneins – wie man diese Woche leider erneut feststellen musste. Ein Teil der Abgeordneten hätte gerne den May-Deal, andere Parlamentarier hätten lieber einen härteren, wieder andere lieber einen weicheren Brexit-Deal. Einige wünschen sich einen Rücktritt von May, manche sogar Neuwahlen und ein Teil des Unterhauses würde gerne nochmal das Volk befragen. Aber selbst da können sich die Parlamentarier nicht einigen, ob in diesem Fall lieber über den gesamten Brexit oder nur einen etwaigen Deal abgestimmt werden sollte. Nur in einem Punkt sind sich auch diese 321 Abgeordneten fast alle einig, den Brexit, oder zumindest die Option auf einen Brexit, wollen auch sie keinesfalls vom Tisch nehmen.
Im Ergebnis muss man also festhalten, dass das britische Unterhaus, bis auf eine Minderheit an Abgeordneten, auf jeden Fall raus aus der EU will und nur noch darüber gestritten wird, wie schnell und wie hart der Austritt erfolgen soll. Das aber haben die Briten nun schon über zwei Jahre ergebnislos diskutiert. Sofern also nicht doch noch irgendeine klare Ansage aus Großbritannien kommt, z.B. die Ansetzung von Neuwahlen, gibt es für die EU überhaupt keinen Grund, den seit zwei Jahren festgelegten Scheidungstermin jetzt noch einmal zu verschieben. Sowohl von staatlicher wie auch von privater Seite wurden für die Trennung am 29.3. die notwendigen Vorkehrungen getroffen und das muss nun wirklich nicht alle paar Wochen wiederholt werden. An der Tatsache, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem die Abspaltung offiziell werden muss, ändert eine Verschiebung sowieso nichts und die Ungewissheit schadet letztlich noch mehr als ein Brexit, der mit einem klaren und verlässlichen Austrittsfahrplan unterlegt ist.


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Der Niedergang des europäischen Projekts https://www.mister-ede.de/politik/der-niedergang-der-eu/8432 https://www.mister-ede.de/politik/der-niedergang-der-eu/8432#comments Wed, 31 May 2017 15:28:38 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8432 Weiterlesen ]]> Als um die Jahrtausendwende der Euro eingeführt wurde und 2004 die große Ost-Erweiterung der EU stattfand, wähnten sich weite Teile der EU-Bürgerschaft in einem goldenen Zeitalter von Frieden und Wohlstand in Europa angekommen. Der Ost-West-Konflikt gehörte der Vergangenheit an, die europäische Integration schien unumkehrbar und der Glaube an eine Zukunft im europäischen Miteinander war unerschütterlich. Keine zwei Jahre später zeigte sich jedoch, dass das europäische Projekt eher auf Sand gebaut ist, denn in Stein gemeißelt.

Und so kam es, wie es kommen musste. 2006 scheiterte der Versuch, der EU eine Verfassung zu geben, und die europäische Integration kam zum Stillstand. Als nächstes crashte 2009 das europäische Bankenwesen und mit ihm zahlreiche Euro-Länder. Die einstige wirtschaftliche Prosperität in Europa gehört seitdem der Vergangenheit an und im Hinblick auf das Wohlstandsversprechen der europäischen Idee wurde die Eurozone zu einem Krisengebiet.
Von 2012 bis heute starben dann rund 20.000 Menschen, darunter zahlreiche Kriegsflüchtlinge, an den EU-Außengrenzen und mit ihnen der Mythos von der europäischen Wertegemeinschaft, die der Würde des Menschen und den Menschenrechten verpflichtet ist. Ab 2013 wurde dann Italien bei der Versorgung von Flüchtlingen von den europäischen Partnern im Stich gelassen und jeder konnte sehen, dass auch die bis dahin viel beschworene europäische Solidargemeinschaft nichts weiter ist als eine hohle Phrase. Danach löste 2015 das schon lange zuvor gescheiterte Dublin-System eine tiefe politische Krise in Europa aus und mit dem Bau von Grenzzäunen zwischen EU-Ländern wurde die völlige Handlungsunfähigkeit der Europäischen Union offenkundig.
Letztendlich mündete der Niedergang der EU dann im Jahr 2016 in der Entscheidung der Briten, das europäische Projekt zu beenden und die britische Politik künftig wieder vollständig im Rahmen ihres Nationalstaats zu organisieren.

So steht die EU-Bürgerschaft heute vor einer desintegrierenden europäischen Integration, vor einer wertlosen Wertegemeinschaft, vor einer unwirtschaftlichen Wirtschaftsgemeinschaft, vor einer unsolidarischen Solidargemeinschaft und vor einer EU, in der das nationale Handeln die gemeinschaftliche Handlungsunfähigkeit ersetzt. Sahen sich viele EU-Bürger vor zehn Jahren noch auf dem Weg in eine europäische Oase des Glücks, hat sich dieses Ziel in den letzten Jahren immer mehr als Fata Morgana entpuppt. Vom europäischen Projekt ist somit nichts geblieben, außer der bitteren Erkenntnis, sich viel zu lange von einem schönen Schein blenden haben zu lassen.


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Die drei Hauptströmungen der Europa-Debatte https://www.mister-ede.de/politik/stroemungen-europa-debatte/8343 https://www.mister-ede.de/politik/stroemungen-europa-debatte/8343#comments Fri, 21 Apr 2017 17:04:43 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8343 Weiterlesen ]]> Eurokrise, Flüchtlingskrise, Brexit – all das hat dafür gesorgt, dass es heute in der Öffentlichkeit so viel Aufmerksamkeit für das europäische Projekt gibt wie nie zuvor. Geprägt wird die Debatte dabei von drei Hauptströmungen, die im Folgenden näher betrachtet werden:

Rollback ins Nationale:

Eine Vielzahl nationalistischer Kräfte in Europa möchte die europäische Integration am liebsten auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen und den Kontinent wieder in Nationalstaaten aufspalten. Ihr Narrativ ist, dass sich der Nationalstaat in der Vergangenheit bewährt habe und auch heute besser als die gemeinschaftlichen europäischen Institutionen in der Lage sei, die Interessen der Bürger zu vertreten. Dabei spielt diesen Kräften zurzeit in die Hände, dass es die europäischen Institutionen bei zahlreichen Problemen tatsächlich nicht mehr schaffen, befriedigende Lösungen zu finden. So können die Nationalisten die für die Bevölkerungen der EU-Mitgliedsländer spürbaren und sichtbaren Schwachstellen der EU für ihre Erzählung nutzen, ohne den Beweis antreten zu müssen, dass die Nationalstaaten, wenn sie für sich alleine wären, diese Probleme wirklich besser lösen könnten.
Wichtige Vertreter dieser Hauptrichtung sind z.B. die britische UKIP, die vehement für den Brexit geworben hat, der französische Front National um die rechte Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, die deutsche AfD, die österreichische FPÖ und die italienische Partei Movimento Cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung) um Beppe Grillo.

Status quo verteidigen:

Für ein Beibehalten der EU in ihrer jetzigen Form treten vor allem diejenigen ein, die zu den Gewinnern der bisherigen Ausgestaltung des europäischen Miteinanders gehören und deshalb wenig bis gar kein Interesse daran haben, etwas zu ändern. Hierzu gehören insbesondere die Eigentümer und Vertreter jener Unternehmen, die vom gemeinsamen Binnenmarkt und dem Wettbewerb der EU-Länder stark profitieren. Bleibt es bei der aktuellen Konstruktion, können sich deren Unternehmen weiterhin in manchen EU-Ländern das Steuerdumping, in anderen das Lohn- und Sozialdumping und in nochmals anderen EU-Ländern z.B. niedrige Umweltschutzauflagen zunutze machen. Hinzugesellen sich aber auch einige Betriebsräte und Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften, die weit weg sind von Fehlentwicklungen wie wachsendem Niedriglohnsektor und prekärer Beschäftigung und daher ebenfalls für den Erhalt der EU in ihrer bisherigen Struktur plädieren. Mit dem Status quo gut leben können außerdem Politiker wie Viktor Orbán, die keine tiefere Integration und schon gar keine gestärkten europäischen Institutionen möchten, deren Länder allerdings weiterhin vom Binnenmarkt und den EU-Fördergeldern profitieren sollen.
Zu diesen konservativen Kräften hinzuzählen muss man allerdings auch den parteilosen französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron, der sich in seinem Wahlkampf nicht für einen Umbau Europas stark gemacht hat, sondern für eine Agenda-Politik in Frankreich, wie sie Gerhard Schröder einst in Deutschland durchführte. Zum Kreis derer, die vor allem die jetzige EU erhalten und bestenfalls an einzelnen Stellschrauben moderat drehen wollen, gehören außerdem Wolfgang Schäuble, der anstelle tiefgreifender Reformen lediglich einen Euro-Aufseher zur Durchsetzung des Spardiktats in Südeuropa befürwortet, genauso wie der in Deutschland stark gehypte #PulseOfEurope, der zum Fahnenschwenken für die aktuelle EU aufruft, statt substanzielle Veränderungen an dieser EU einzufordern.

Europäische Integration neu denken:

Last but not least gibt es dann noch all jene, die das europäische Miteinander weiterentwickeln und die europäische Integration neu denken wollen. Allerdings sind die Anhänger dieser Strömung quer über das politische Spektrum verteilt, weshalb es innerhalb dieser Gruppe sehr unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, wie ein Europa der Zukunft am Ende gestaltet sein sollte und wie ein Weg dorthin aussehen könnte. Trotz dieser Vielfalt lassen sich diese progressiven pro-europäischen Kräfte aber dennoch auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Sie erkennen die Strukturprobleme der jetzigen EU an, beispielsweise das Demokratiedefizit, und erachten es deshalb für das europäische Miteinander als unabdingbar, diese Konstruktionsfehler der EU durch grundlegende Reformen zu beseitigen.
Zu dieser Gruppe gehören zahlreiche Politiker von Linken und Grünen sowie einige der SPD und auch z.B. die EU-Parlamentarier Manfred Weber (CSU) und Alexander Graf Lambsdorff (FDP). Hinzu kommen außerdem verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen, wie die Union Europäischer Föderalisten, die sich für ein föderales Europa einsetzt, oder die Bewegung DIEM25 um den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, die europaweit Dialoge für ein neues Europa durchführt. Aber auch die Wissenschaftlerin Ulrike Guérot, die ihre Vorstellung einer European Republic in ihrem Buch „Warum Europa eine Republik werden muss!“ niedergeschrieben hat und dieser Blog, der sich unter anderem für eine europäische Verfassung stark macht, sind zu dieser Gruppe progressiver Pro-Europäer zu zählen.


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Elitenversagen live: Erfahrungsbericht zu einem misslungenen Brexit-Vortrag https://www.mister-ede.de/gesellschaft/elitenversagen-live-erfahrung/5976 https://www.mister-ede.de/gesellschaft/elitenversagen-live-erfahrung/5976#comments Fri, 06 Jan 2017 18:25:51 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5976 Weiterlesen ]]> Es war der Donnerstagmorgen des 10.11.2016, als ich gespannt auf den Vortrag mit anschließender Diskussion zum Thema „Brexit-Referendum: Ursachen und mögliche Folgen“ wartete. Ich hoffte vom Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Siegen, Dr. Hannes Rösler, Neues zu erfahren und freute mich auf eine weitere Perspektive und die Möglichkeit, in der anschließenden Diskussion die Frage zu stellen, ob die Überschrift nicht schon einer Fehlannahme unterliege. Schließlich hat ja fast die Hälfte der am Referendum teilnehmenden Briten für einen Verbleib in der EU votiert, weshalb man bei ihnen ja nicht nach Ursachen suchen braucht. Vielmehr hätte man mit Hinblick auf die Ursachen also fragen müssen, warum im anderen Teil der Bevölkerung die „Leave“-Option als besser empfunden wurde.

Doch leider kam es erst gar nicht soweit, denn der Vortrag befasste sich fast ausschließlich mit der Geschichte und der Entwicklung des Rechts in Großbritannien. Einem Schüler hätte man für ein solches Referat wohl eine 6 mit dem Hinweis „Thema komplett verfehlt“ gegeben. Und so zog sich der mit unsinnigen Anekdoten, z.B. zum Fanshop eines britischen Gerichts, und zu meinem Erstaunen auch mit ziemlich schrägen Darstellungen durchsetzte Vortrag des Professors von der Magna Carta über die Kolonialgeschichte bis zum Zerfall des Commonwealth. Hingegen fiel kein Wort zum massiven Eliteversagen, kein Wort zu Cameron, kein Wort zu den Konstruktionsfehlern der EU, kein Wort zur Spaltung zwischen Arm und Reich oder zur neoliberalen Deindustrialisierungspolitik im Großbritannien der 80er- und 90er-Jahre.

Wer also Elitenversagen mal live erleben wollte, war bei diesem Vortrag auf jeden Fall richtig, wer sich aber für die Ursachen des Brexits interessierte, war hier definitiv falsch. Meine entsprechende Nachfrage gegen Ende des Vortrags, übrigens die einzige, trotz angekündigter Diskussion, empfand der Professor dann wohl auch als Majestätsbeleidigung. Dabei wollte ich nur wissen, ob er ernsthaft glaubt, dass das, was er uns da jetzt erzählt hat, irgendwas mit dem Brexit-Votum zu tun hat. Auf meine Ergänzung, dass GB auch keine 11 Mrd. zur EU beiträgt, sondern nur rund 4 Milliarden Euro, bezweifelte er einfach meine Zahlen. Diese kann man zwar bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachlesen, aber ein Professor fällt halt lieber auf Zahlen der Brexiteers herein, bevor er vor Publikum seine Ahnungslosigkeit eingesteht. Auf seinen Vorschlag, ich solle doch einfach selbst einen Vortrag halten und er würde Fragen stellen, habe ich gleich nachmittags per Mail geantwortet – gehört habe ich seitdem aber nichts mehr von ihm…


Ergänzung vom 05.02.2017: Auf Grund eines Einmaleffektes, wie die Wirtschaftswoche im Sommer 2016 schrieb, lag der Nettobeitrag Großbritanniens 2015 bei 11,5 Mrd. Euro. (Link zur Auflistung der Nettozahler 2015 auf www.wiwo.de)


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Deshalb hat vor zwei Jahren in Griechenland nicht Syriza gewonnen, sondern vor allem das bisherige Establishment verloren. Genauso haben sich in Spanien die Wähler nicht Podemos und Ciudadanos zugewendet, sondern vor allem von den zum Teil korrupten spanischen Eliten abgewendet. Und auch in den USA hat nicht Donald Trump gesiegt, sondern vor allem Hillary Clinton, das Aushängeschild der US-amerikanischen Politikelite, eine deftige Klatsche einstecken müssen. Ebenso wurde in Österreich das Establishment bei der Präsidentschaftswahl regelrecht weggefegt und in die Stichwahl kamen der grüne Kandidat van der Bellen und der nationalistische Hofer. Vermutlich war der Einzug van der Bellens sogar eine glückliche Fügung, denn ein SPÖ- oder ein ÖVP-Kandidat hätten die Stichwahl gegen den FPÖ-Mann Hofer wahrscheinlich krachend verloren. Und auch die AfD in Deutschland überzeugt ja ihre Wählerschaft nicht mit guten und fundierten Argumenten, sondern vor allem mit dem ewigen Mantra „Merkel muss weg!“

Sehr deutlich wird die Ablehnung der herrschenden Eliten auch bei Volksabstimmungen, bei denen sich Wähler gegen das Establishment stellen können, ohne dabei gleich für eine populistische Partei stimmen zu müssen. Entsprechend war der Brexit nicht das Ergebnis einer gelungen Überzeugungsarbeit der Brexiteers, sondern vielmehr eine rote Karte, mit der zum einen David Cameron und zum anderen die EU-Eliten vom Platz gestellt wurden. Ähnliches gilt auch für die Volksabstimmung in den Niederlanden bezüglich des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine oder das von Matteo Renzi angesetzte Verfassungsreferendum in Italien.
Was sich also bei Wahlen und Volksentscheiden in Europa und den USA zeigt, ist weniger Ausdruck eines Rechts- oder Linksrucks, sondern vor allem ein klares Votum gegen diese Elite, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Politik gemacht hat, die das Auseinanderdriften der Gesellschaft beförderte. Insofern gilt eben einfach, was schon Abraham Lincoln feststellte, „man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täuschen.“


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Regelmäßig bastelte der Pfälzer am europäischen Haus und gestaltete es je nach Bedarf um, ohne dabei auch nur einen Gedanken an Statik und Benutzbarkeit zu verschwenden. So wurde nach seinen Plänen immer weiter aufgestockt und angebaut, obwohl die Probleme bei der Tragfähigkeit allseits bekannt waren. Das Ergebnis ist heute ein Gebäude, bei dem es an vielen Ecken knirscht, mit undichtem Dach und schrägen Wänden. Selbst die Türen sind kaputt und lassen sich nicht mehr richtig schließen, sodass nun auch ungebetene Gäste ohne Probleme in das europäische Haus kommen können.

Neben der maroden Bausubstanz machen den Bewohnern aber auch zahlreiche andere Fehlplanungen das Leben schwer. Statt jedem Wohnungsbesitzer einen eigenen Parkplatz zu geben, stehen alle 28 Autos hintereinander gereiht in einer Garage. Je nachdem, wer also gerade etwas zu erledigen hat, müssen zunächst alle anderen 27 Hausbewohner ihre Autos aus der Garage holen. Das ist natürlich mühsam und hat ein Bewohner gerade keine Lust, gerät alles ins Stocken und nichts geht mehr voran.
Genauso ist bei der Hausordnung und der Organisation des Zusammenlebens einiges im europäischen Haus schief gelaufen. Gemeinsam wollten sich die Bewohner um die Außenanlagen kümmern, doch am Ende ist aus dieser Verabredung ein völliges Durcheinander geworden. Zwar freuten sich alle, als vor einigen Jahren auf der Ostseite des Hauses die Kastanien erblühten, allerdings um die zarten Gewächse kümmern wollte sich damals niemand. So gingen die Kastanien wieder ein und auch dem Jasmin, der südlich des Gartenteiches sprießte, erging es ähnlich. Als dann vor zwei Jahren der Bub aus dem Nachbarhaus anfing, wild durch den Vorgarten zu trampeln und ihn zu verwüsten, schimpften die Hausbewohner zwar laut. Am Ende lösten sie das Problem aber einfach, indem sie den Gartenzaun näher zu sich versetzten, damit der Nachbarsjunge mehr Platz zum Spielen hat.

Doch nicht nur der Vorgarten wuchert so vor sich hin, sondern auch sonst ist der Zusammenhalt unter den Hausbewohnern allmählich geschwunden. Anstatt zum Beispiel der bulgarischen Oma zu helfen, ihre Wohnung herzurichten, vermietet ihr der Deutsche lieber zu horrenden Preisen eine Matratze und lässt die arme Frau für einen Hungerlohn bei sich putzen. Genauso greift niemand ein, wenn der rumänische Papa wieder einmal seine Roma-Kinder schlägt, und auch dem jungen Spanier, der keinen Arbeitsplatz findet, hilft keiner der Hausbewohner.
Und wie es dann noch in einigen Wohnungen des europäischen Hauses zugeht. Zum Beispiel sind die Gerichte, die der Pole Jaroslaw zubereitet, so überhaupt nicht nach der europäischen Rezeptur und werden immer ungenießbarer. Außerdem gibt es dann noch ein paar unangenehme Zeitgenossen unter den Hausbewohnern, wie z.B. diesen Ungarn, der jedem, der nicht nach seinem Mund redet, Hausverbot erteilt oder ihn in seiner Rumpelkammer einschließt. Wen wundert es da eigentlich noch, dass die britische Familie inzwischen dabei ist, das Kündigungsschreiben fertig zu machen und den Auszug vorzubereiten.

Nimmt man also alles zusammen, dann hat Helmut K. einen europäischen Schwarzbau errichtet, der Mängel in der Bausubstanz und der Gebäudestruktur hat und dessen Bewohner sich nicht an die vereinbarte Hausordnung halten, unsolidarisch sind und nun zum Teil sogar wieder ausziehen wollen. Auch wenn der Hobbyhandwerker aus der Pfalz sicher etwas anderes plante, eine attraktive Luxusimmobilie hat er da wahrlich nicht gebaut.


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Veranstaltung „Erst Brexit, dann Trump und bald Le Pen? Wieso unsere Demokratie in Gefahr ist.“ https://www.mister-ede.de/politik/brexit-trump-und-bald-le-pen/5840 https://www.mister-ede.de/politik/brexit-trump-und-bald-le-pen/5840#comments Wed, 07 Dec 2016 07:17:07 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5840 Weiterlesen ]]> Immer mehr Menschen in den westlichen Demokratien sind abgehängt oder haben zumindest das Gefühl einer Entwurzelung. Rechtspopulisten und Nationalisten ziehen hieraus ihr Kapital und erstarken – in den USA, in Großbritannien, Österreich, Frankreich und auch bei uns in Deutschland.

Am Mittwoch den 14.12.2016 lädt Mister Ede deshalb recht herzlich in die Räumlichkeiten von Scoutopia zu einem Vortrag und Dialog zu dieser gesellschaftlichen Entwicklung ein. Ziel der Veranstaltung ist es, gemeinsam mit dem Publikum über die Gefahren für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft zu diskutieren. Hierbei soll insbesondere den Ursachen dieser Entwicklung nachgespürt und die Wirkweise des Rechtspopulismus offengelegt werden. Außerdem sollen Ansätze für Auswege aufgezeigt und entwickelt werden.

Zeit: 14.12.2016, 19:00 Uhr

Ort: Scoutopia Uni Siegen, Weidenauer Str. 167, 57076 Siegen
(Wegbeschreibung auf scoutopia-siegen.de)

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linked: „Fuck you, European Union“ (Freude schöner Götterfunken) https://www.mister-ede.de/politik/fuck-you-european-union/5592 https://www.mister-ede.de/politik/fuck-you-european-union/5592#comments Mon, 24 Oct 2016 07:00:05 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5592 Weiterlesen ]]> Der britische EU-Song, der kurz vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien durch die Medien ging, zeigt perfekt, woran die EU leidet: „Herauskommt, dass wir die EU brauchen. Nichtsdestotrotz, fick Dich, Europäische Union, es tut so gut, Dir das zu sagen.“

Jeder weiß, dass ein einzelnes Land „ohne die anderen Länder aufgeschmissen ist“, aber die EU hat einfach das komplette Vertrauen der Bürger verspielt und ist so vollständig abgewirtschaftet, dass man heute selbst als überzeugter Pro-Europäer nur noch rufen will „Fuck you, European Union!“

Song „Fuck you, European Union“ auf youtube.com


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Die verkehrte Richtung der EU-Reformdebatte im Europaparlament https://www.mister-ede.de/politik/verkehrte-richtung-eu-reform/5309 https://www.mister-ede.de/politik/verkehrte-richtung-eu-reform/5309#comments Wed, 31 Aug 2016 13:58:36 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5309 Weiterlesen ]]> Seit dem Votum der Briten für einen Austritt aus der EU ist die Diskussion über die Zukunft des europäischen Einigungsprozesses voll entbrannt. Im Juli hat sich nun auch das Europaparlament in die Reformdebatte eingeschaltet und eigene Vorschläge für eine Weiterentwicklung der EU im Ausschuss für konstitutionelle Fragen vorgelegt.
Allerdings wiederholen die Europaparlamentarier dabei viele der Fehler, die bereits in der Vergangenheit gemacht wurden und die die EU mit der Zeit dorthin geführt haben, wo sie jetzt steht. Insgesamt bieten die Vorschläge wenig Neues und vor allem nichts Brauchbares, um die Probleme der EU zu lösen. Im Gegenteil ist sogar zu befürchten, dass der europäischen Einigungsprozesses mit den angestrebten Reformschritten vollends gegen die Wand gefahren wird.

Unter anderem fordern die Europaabgeordneten im Verfassungsausschuss eine weitere Vergemeinschaftung von Politikfeldern, ohne aber gleichzeitig passende demokratisch-rechtsstaatliche Strukturen zu schaffen. Darüber hinaus sollen nach den Vorstellungen der EU-Parlamentarier sogar diejenigen EU-Länder, die im Moment keine weiteren Integrationsschritte unternehmen wollen, die EU wieder verlassen. Nun sei die Zeit gekommen, „in der man die Spreu vom Weizen auch trennen müsse“, erklärte dazu ein Abgeordneter in der Ausschusssitzung [1].
Damit aber schaffen die Europaparlamentarier nun tiefe Gräben, wo sich die nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsländer nach dem Brexit-Referendum mal ausnahmsweise geschlossen zeigen. Keiner der Staats- und Regierungschefs hat gebrüllt „Jetzt wollen wir auch raus aus der EU!“, kein Kaczyński, kein Orbán, im Gegenteil. Nach dem Treffen der EWR-Gründungsmitglieder u.a. mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier oder dem gemeinsamen Besuch des Grabes des Antifaschisten und europäischen Vordenkers Altiero Spinelli durch Angela Merkel, François Hollande und Matteo Renzi [2], hatte man den Eindruck, als würden sich die östlichen EU-Länder sogar eine stärkere Einbindung in die EU wünschen und wären gerne bei diesen Treffen dabei gewesen. Aber auch hier beweisen die Bundesregierung oder Frankreichs Präsident Hollande sehr viel Fingerspitzengefühl, indem sie auch mit diesen EU-Mitgliedern zurzeit aktiv den Dialog über die Zukunft des gemeinsamen Projektes suchen. Allmählich scheinen die Regierungen der EU-Länder doch den Wert des europäischen Einigungsprozesses erkannt zu haben und nach der britischen Abstimmung ist ihnen vielleicht auch bewusst geworden, dass dieser Prozess sehr wohl scheitern kann. Zumindest ist aber ein solches Vorgehen, wie u.a. von der Bundesregierung praktiziert, doch wesentlich besser geeignet, um Europa zusammenzuhalten, als das engstirnige „Wir sind Brüssel, folgt uns gefälligst!“, das aus dem Europaparlament schallt.

Neben dieser doch eher brachialen Haltung der Abgeordneten sind es aber auch die im Verfassungsausschuss präsentierten Reformideen selbst, die in eine völlig falsche Richtung gehen. Es ist zwar zunächst erfreulich, dass Themen, wie die Verschiebung der politischen Macht in der EU von Parlamenten hin zu Regierungen [3], endlich von den Europaabgeordneten behandelt werden, allerdings müssen dann auch die richtigen Schlüsse gezogen werden. Es hilft dem europäischen Einigungsprozess nicht, wenn aus der richtigen Erkenntnis, dass an manchen Stellen eine tiefere Integration notwendig ist, aber in einigen Ländern hierfür keine Bereitschaft besteht, geschlossen wird, man müsse nun einen Teil der EU-Mitglieder wieder aus der Gemeinschaft werfen.
Anstelle eines solchen exklusiven Konzepts (Wer sich nicht weiter integrieren will, soll die EU verlassen) bräuchte es, um Europa zusammenzuhalten, viel eher ein inklusives Modell (Wer sich an die bislang vereinbarten Regeln der EU hält, bleibt in der EU willkommen). Anstatt die EU auf ein Kerneuropa einzuschmelzen, werbe ich daher für ein Kerneuropa, das sich innerhalb der EU befindet – die Europäische Föderation. Damit würde der Integrationsdruck von der EU genommen, so dass die EU und die Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses für alle erhalten werden können und gleichzeitig ein Kern von EU-Ländern die nächsten Integrationsschritte auf Basis fester Regeln, z.B. einer gemeinsamen Verfassung, gehen kann.
Während somit bei der Umsetzung der Vorschläge der EU-Abgeordneten in einigen Jahren vielleicht nur noch eine verkleinerte EU-22 in einem Europa der Nationalstaaten existiert, wäre die Europäische Föderation mit z.B. 10 EU-Staaten in einer möglicherweise sogar gewachsenen EU mit 29 oder 30 Ländern eingebunden. Und auch die übrigen Nationalstaaten Europas, wie z.B. Norwegen, hätten mit einer solchen nicht auf permanente Integration ausgelegten EU nicht mehr so eine große Hürde für einen Beitritt. Würde man hingegen die EU weiter vertiefen und dabei sogar auf manche Länder verzichten, käme der europäische Einigungsprozess für die nächsten Jahrzehnte aller Voraussicht nach zum erliegen.

Ich denke, auch in Brüssel muss endlich erkannt werden, dass der europäische Einigungsprozess mehr ist, als das Zusammenwachsen einiger Euroländer. Knapp 850 Mio. Menschen leben in den Ländern Europas und auch wenn man Russland, die Türkei, den Kaukasus, die Ukraine und Weißrussland abzieht, bleiben immerhin rund 550 Mio. Einwohner übrig, wovon in der gesamten Eurozone nur knapp 340 Mio. Personen leben. Die Leistung der EU ist es hingegen, zumindest knapp 510 Mio. Menschen in einem demokratischen europäischen System einzubinden. Es wäre daher absolut falsch, den Vorschlägen der EU-Parlamentariern zu folgen und jetzt für die tiefere Integration der Eurozone auf grundlegenden Errungenschaften, u.a. die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes (Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit), für einen Teil der 510 Mio. Menschen zu verzichten. Vielmehr muss es im Sinne des europäischen Einigungsprozesses darum gehen, eben jenes, was bisher erreicht wurde, zu erhalten und trotzdem einem Teil der EU die Möglichkeit zu geben, etwas Neues zu schaffen. Zu Ende gedacht kommt man dann aber zur Europäischen Föderation, also einem Kerneuropa innerhalb der EU.


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Reformvorschlag für das Wahlverfahren der EU-Kommission (www.mister-ede.de – 05.08.2014)

Gedanken zu einer Europäisierung der Asylpolitik in der EU (www.mister-ede.de – 25.08.2015)


[1] Sitzung des Verfassungsausschuss des Europaparlaments am 12.07.2016 (Link zum Video auf www.europarl.europa.eu)

[2] Kommentar vom 23.08.2016 zum Dreier Gipfel bei taz-online(Link zum Artikel auf www.taz.de)

[3] Die Machtverschiebung von Parlamenten zu Regierungen in der EU (Link zum Artikel auf www.mister-ede.de)

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Britische EU-Beamte: EU-Apparat künftig unter Fremdkontrolle? https://www.mister-ede.de/politik/eu-unter-fremdkontrolle/5259 https://www.mister-ede.de/politik/eu-unter-fremdkontrolle/5259#comments Fri, 12 Aug 2016 11:54:14 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5259 Weiterlesen ]]> Erneut hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am vergangenen Wochenende seine Beschäftigungsgarantie für britische EU-Mitarbeiter bekräftigt. Auch wenn Großbritannien die EU verlässt, sollen die rund 1.200 britischen EU-Beamten weiterhin im Dienst der EU verbleiben [1]. Dies verstößt jedoch gegen geltendes EU-Recht, das für EU-Mitarbeiter die Staatsangehörigkeit eines EU-Landes vorschreibt.

Allerdings hat die Regelung durchaus Sinn, denn würde man, wie Juncker das andeutet, einfach Beamte aus Ländern beschäftigen, die irgendwann mal in der EU waren oder noch hinein wollen, könnten genauso auch ukrainische oder russische EU-Beamte angestellt werden oder auch türkische – immerhin läuft mit der Türkei gerade ein Beitrittsprozess. Es kann aber wohl kaum sinnvoll sein, einen nicht unerheblichen Teil der EU-Verwaltung mit Mitarbeitern auszustatten, die aus Ländern kommen, die noch nicht oder nicht mehr Teil der EU sind. Am Ende sollen diese Beamten ja unsere EU-Interessen vertreten und zwar gerade auch z.B. gegenüber der Türkei, Russland oder Großbritannien.
Außerdem braucht es nach einem Abschied Großbritanniens aus der EU insgesamt weniger EU-Mitarbeit und nachdem sich die EU in den letzten Jahren suboptimal entwickelt hat, wäre es überdies eine Chance für einen Neuanfang. Die bisherigen 1.200 Stellen kosten die EU mehrere Millionen Euro im Monat und mit diesem Geld könnten motivierte EU-Bürger angestellt werden, die dieser EU endlich wieder neuen Schwung geben. Gerade bei der hohen Arbeitslosigkeit, die in weiten Teilen der EU herrscht, dürfte qualifiziertes Personal leicht zu finden sein.

Zudem erfüllen viele britische EU-Beamte sowieso die Voraussetzungen, um einfach die Staatsbürgerschaft eines der 27 übrigen EU-Länder annehmen zu können. Sofern ihr Herz für die EU schlägt, wäre es allgemein ein sinnvoller Schritt, wenn dieser Teil der britischen EU-Beamten eine solche Staatsbürgerschaft erwirbt.
Bei den Austrittsgesprächen sollte deshalb jetzt auf eine Vereinbarung zwischen der EU und Großbritannien hingearbeitet werden, so dass Großbritannien die dann noch verbleibenden britischen EU-Mitarbeiter in den eigenen Staatsdienst übernimmt. Hierdurch würde eine Fremdkontrolle der EU vermieden und auch für künftige Austritte würde damit Klarheit geschaffen.


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[1] ARD-Interview mit Jean-Claude Juncker vom 07.08.2016 (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

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