Der Effekt von Bewertungsinstitutionen

Innerhalb einer Marktwirtschaft entscheidet die Erwartung von Aufwand und Ertrag über den Abschluss eines Handels. Jeder Mensch bewertet für sich individuell diese beiden Faktoren. Neben dem Aufwand und dem Ertrag muss auch die Unsicherheit, in Form des Risikos, bewertet werden. In die Bewertung von Aufwand, Ertrag und Risiko fließt nun jede vorhandene Information ein. Das Gewicht jeder Information wird subjektiv festgelegt. Ein Mensch beurteilt also individuell, ob er z.B. Person A oder Person B vertraut. Je stärker das subjektive Gewicht einer Information, desto größer ist der Einfluss auf die Bewertung. Deshalb spielt für Unternehmen auch das Image eine große Rolle, weil es sich um eine gebündelte Information mit hohem Gewicht handelt.
Betrachtet man den gesamten Vorgang eines Handels, dann versuchen die beiden Handelnden mit den gegebenen Informationen den Ertrag, den Aufwand und ein mögliches Risiko zu bewerten. Gilt für beide Seiten, dass der Ertrag höher bewertet wird, als Aufwand und Risiko, dann kommt es zum Handel.

Wie man sieht, ist die Bewertung ein wesentlicher Bestandteil des Wirtschaftslebens. Bei einem Geschäft mit einem niedrigen Risikoanteil (z.B. „Essen gehen“) ist vor allem die Bewertung von Aufwand (Preis, Entfernung zum Restaurant) und Ertrag (Geschmack, Gemütlichkeit) wesentlich. Neben den persönlichen Erfahrungen können auch Tipps von einem Bekannten oder Berichte aus einem Restaurantführer zu der Entscheidungsfindung beitragen. Ist das Geschäft mit einem höheren Risikoanteil behaftet (vermieten einer Wohnung) spielt die Bewertung des Risikos eine deutlich größere Rolle. Einer vertrauenswürdigen Person werden bei der Vermietung z.B. Preisnachlässe angeboten (Beamtenrabatt), weil das Risiko niedriger bewertet wird. Besonders bei Dauerschuldverhältnissen spielt das Risiko eine wesentliche Rolle. Durch das wiederholte bzw. ständige entstehen von gegenseitigen Rechten und Pflichten besteht das latente Risiko, dass sich die bewertete Situation selbst verschlechtert. Während bei einem Kauf, der Käufer nur zum Zeitpunkt des Kaufs in der Lage sein muss den Kaufpreis zu entrichten, muss ein Mieter auch zu einem späteren Zeitpunkt in der Lage sein die Miete zu bezahlen und nicht nur in den ersten 3 Monaten.

Man kann also bei der Bewertung unterscheiden, ob Ertrag und Aufwand (Restaurantführer), oder das Risiko (Schufa-Auskunft) beurteilt werden. Ferner lässt sich die Bedeutung von externen Bewertungen erkennen. Neben der „Mund zu Mund Propaganda“ tragen vor allem Bewertungen von allgemein anerkannten Institutionen zu einer Entscheidungsfindung bei. Bei Restaurantführern ist daher auch die Wirkung des bekanntesten, dem „Guide Michelin“, am größten. Ähnliches gilt auch für die Stiftung Warentest, die für Unabhängigkeit steht, oder auch für Umweltzertifikate und weitere Bewertungsinstitutionen. Der wesentliche Effekt von Bewertungsinstitution liegt darin, dass sich nun die individuellen Bewertungen durch ein vorgefertigtes Meinungsbild überlagert werden.

Schon bei individuellen Bewertungen kann es zu Diskriminierung oder Machtausnutzung kommen. Solange aber eine individuelle Bewertung stattfindet, besteht zumindest die Möglichkeit einen Handelspartner zu finden, der eine andere Bewertung vornimmt. Schwierig wird dies aber dann, wenn entweder einheitliche Bewertungen (z.B. Restaurantführer) herangezogen werden, oder die gleiche Informationsbasis (Schuldenstand eines Unternehmens) genutzt wird. Je allgemeiner die Bewertung oder Informationsbasis, desto schwieriger wird die Situation für diejenigen, die schlecht bewertet werden oder eine schlechte Basis haben. Für den Effekt spielt es hierbei auch keine Rolle ob es sich um eine Positivliste (Gute Mieter) oder um eine Negativliste (Schlechte Mieter) handelt.

Um den Gefahren einer solchen Bonitätsbewertung zu begegnen, wurden der Schufa, als einer der wichtigsten Bewertungsinstitutionen in Deutschland, auch besondere Pflichten, wie die Auskunftspflicht, auferlegt. Dennoch ist durch die allgemeine Verwendung der Schufa-Auskünfte eine private Organisation mit extremer Macht entstanden. Diese Bewertungen ersetzen häufig die individuelle Risikoeinschätzung, und so bestimmt die Schufa maßgeblich das Handeln von Dritten. Dies führt dazu, dass gerade diejenigen die besonders schwach sind, mit zusätzlichen Problemen wie Zinsaufschlägen (eher Unternehmen) oder erschwertem Zugang zu Wohnungen (eher Privatpersonen) rechnen müssen. So kann selbst bei einer korrekten Bewertung diese Verallgemeinerung zu Problemen führen.
Desweiteren besteht aber auch eine zusätzliche Gefahr. Durch eine falsche Bewertung können die Bewerteten völlig zu Unrecht z.B. höheren Zinskosten ausgesetzt sein. Das Risiko einer falschen Bewertung wird aber bei Bewertungen nicht von den Bewertungsinstituten, sondern von den Bewerteten getragen. Wenn man die Bewertung von Aufwand und Ertrag betrachtet, wie sie bei einem Restaurantführer vorgenommen wird, sind die Folgen einer Nichtberücksichtigung genauso offensichtlich, wie bei der Bewertung des Risikos durch eine Ratingagentur. Sobald ein Restaurant nicht im Führer auftaucht, wird daraus geschlossen, dass es nicht besonders gut sein kann. Selbiges gilt für Unternehmen, wenn sie kein „anerkanntes“ Rating haben. Somit bestimmen Bewertungsinstitutionen stark unser Handeln, selbst wenn gar keine Bewertung vorgenommen wurde. Dieses Problem wird bei der „Stiftung Warentest“ dadurch eingedämmt, dass nicht die besten Produkte, sondern ein Querschnitt einer Produktpalette getestet wird.

Die Macht von Bewertungsinstitutionen liegt also darin, das Handeln von Dritten maßgeblich zu beeinflussen. Bei den meisten Bewertungen gibt es aber wenigstens keine Pflicht zur Nutzung. Bei der Schufa oder bei Ratingagenturen ist das anders. Ein Bankmitarbeiter der einen größeren Kredit ohne Schufa-Auskunft vergibt, handelt wahrscheinlich grob fahrlässig. Noch stärker ist der Einfluss der Ratingagenturen. Hier werden die Bewertungen sogar Bestandteil des gesamten Finanzsystems. Sowohl die Hinterlegung von Wertpapieren bei der EZB, als auch die Eigenkapitalanforderungen an Banken sind an die Bewertungen der Agenturen gebunden. Dies führt dazu, dass selbst kleinere Änderungen der Bewertung eine große Wirkung entfalten.


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