Die Finanzkrise und die deutsche Öffentlichkeit

Obwohl die Finanzkrise eines der wesentlichsten Ereignisse für die europäische Union seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Osteuropa darstellt, spielt das Thema in der deutschen Öffentlichkeit zurzeit eine eher nachrangige Rolle. So werden die Ursachen der Finanzkrise und die Folgen der Rettungspolitik oft nur am Rande thematisiert und auch die Rekordarbeitslosigkeit in Spanien oder die massive Verschuldung innerhalb der Eurozone sind selten das Topthema in Deutschland.

Aus meiner Sicht gibt es für dieses öffentliche Desinteresse in Deutschland mehrere Gründe. Zum einen handelt es sich um ein ziemlich komplexes Thema und zum anderen ist es nicht wirklich greifbar. Was sich hinter Begriffen wie Eigenkapital oder Handelsbilanzen versteckt, weiß nicht jeder und spätestens unter primären Haushaltsüberschüssen oder Target2-Salden kann sich dann kaum noch ein Normalbürger etwas vorstellen.
Außerdem hat die Finanzkrise auch wenige direkte Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Deutschland. Sieht man von ein paar Einzelfällen ab, haben die Bürger ihr Erspartes bislang behalten und auch die verschiedenen Konjunkturpakete haben in Deutschland vieles abgefedert. Die mit diesen Maßnahmen verbundenen Staatsschulden sind hingegen für die Deutschen erst mal nicht spürbar.
Für die Bundesrepublik ist dabei auch die Systematik der Euro-Rettung von Vorteil, da sie zurzeit die Kosten der Finanzkrise innerhalb der Eurozone sehr stark auf die schwachen Staaten abwälzt. Diese haben die hohen Zinskosten zu zahlen, während umgekehrt die starken Staaten wie Deutschland Niedrigzinsen haben. Auch das dürfte ein Grund sein, warum das Thema von politischen Akteuren hierzulande nicht vehement in die Öffentlichkeit getragen wird. Die Vertreter der bisherigen Regierung möchten verständlicherweise nicht das eigene Versagen eingestehen und die Opposition möchte nicht sagen, dass eine Lösung für Deutschland teuer wird.

Neben dem Zustand, dass die Folgen von Finanzkrise, Banken- und Euro-Rettung bislang eher im Ausland als in Deutschland spürbar sind, scheint mir das Fehlen der öffentlichen Debatte aber auch im Interesse einzelner Lobbygruppen zu liegen.
So profitieren insbesondere die Besitzer großer Vermögen von der staatlichen Bankenrettung mit Hilfe von Steuergeldern. Während Kleinsparer auch schon vor den Rettungsmaßnahmen abgesichert waren, hätten eventuelle Bankpleiten große Vermögen in Gefahr gebracht. Aber auch viele Unternehmen profitieren zurzeit von der Krise. Infolge der niedrigen Zinsen können sie sich günstig refinanzieren und solange diese Unternehmen nicht ihren Hauptabsatzmarkt in den Krisenländern haben, spielt für sie die dortige wirtschaftliche Entwicklung eine untergeordnete Rolle.

Somit ist mein Eindruck, dass es eine Mischung aus den verschiedenen Interessen, dem kurzfristigen Nutzen der aktuellen Rettungssystematik und der insgesamt schweren Vermittelbarkeit des Themas ist, die eine breite Diskussion über die Finanzkrise und die Auswirkungen und Folgen verhindert.

Diskussion:

Ein Gedanke zu “Die Finanzkrise und die deutsche Öffentlichkeit

  1. Was ist die “Finanzkrise”?

    “Der Sparer erzeugt mehr Ware, als er selbst kauft, und der Überschuß wird von den Unternehmern mit dem Geld der Sparkassen gekauft und zu neuen Realkapitalien verarbeitet. Aber die Sparer geben das Geld nicht her ohne Zins, und die Unternehmer können keinen Zins bezahlen, wenn das, was sie bauen, nicht wenigstens den gleichen Zins einbringt, den die Sparer fordern. Wird aber eine Zeitlang an der Vermehrung der Häuser, Werkstätten, Schiffe usw. gearbeitet, so fällt naturgemäß der Zins dieser Dinge. Dann können die Unternehmer den von den Sparern geforderten Zins nicht zahlen. Das Geld bleibt in den Sparkassen liegen, und da gerade mit diesem Geld die Warenüberschüsse der Sparer gekauft werden, so fehlt für diese jetzt der Absatz, und die Preise gehen zurück. Die Krise ist da.”

    (aus “Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld”, 1916)

    20 Jahre später bezeichnete der “Jahrhundertökonom” J. M. Keynes in seiner “Allgemeinen Theorie (der Beschäftigung der Politik)” dieses Phänomen, das sich zwangsläufig aus der Verwendung von hortbarem Geld mit Wertaufbewahrungs(un)funktion (Zinsgeld) ergibt, als “Liquiditätsfalle” – und beschrieb zwei Mittel, um sie hinauszuzögern: Erhöhung der Staatsverschuldung mit Ausgabe des Geldes für Projekte, die den Zinsfuß nicht senken (Löcher graben und wieder zuschaufeln, Kriegsrüstung, etc.), und Geldmengenausweitung.

    Um aus der Liquiditätsfalle herauszukommen, gibt es bei der weiteren Verwendung von Zinsgeld nur eine Möglichkeit: Eine umfassende Sachkapitalzerstörung muss den Zinsfuß anheben. Diese früher sehr beliebte “Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln” konnte jedoch nur solange der “Vater aller Dinge” sein, wie es noch keine Atomwaffen gab!

    Was ist Politik?

    “Im Grunde ist Politik nichts anderes als der Kampf zwischen den Zinsbeziehern, den Nutznießern des Geld- und Bodenmonopols, einerseits und den Werktätigen, die den Zins bezahlen müssen, andererseits.”

    Otto Valentin (“Warum alle bisherige Politik versagen musste”, 1949)

    Was nun?

    “Ich finde die Zivilisation ist eine gute Idee. Nur sollte endlich mal jemand anfangen, sie auszuprobieren.”

    Sir Arthur Charles Clarke (1917 – 2008)

    Der längst überfällige, eigentliche Beginn der menschlichen Zivilisation setzt die Überwindung der Religion voraus, die den Kulturmenschen überhaupt erst “wahnsinnig genug” für das Geld machte, lange bevor diese seitdem grundlegendste zwischenmenschliche Beziehung wissenschaftlich erforscht war:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/10/glaube-aberglaube-unglaube.html

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