Die Gleichwertigkeit der Stimmen und das Verfassungsgerichtsurteil zur 3%-Hürde

Am Mittwoch urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die 3%-Hürde für Parteien bei der Europawahl unzulässig ist und entfallen muss. Als Begründung führte das Gericht an, dass die Sperrklausel „gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien“ [1] verstößt.
Dies ist juristisch sicherlich richtig, denn für die Beurteilung des Wahlverfahrens der deutschen Abgeordneten ist das deutsche Grundgesetz maßgeblich und deshalb muss eben auch die Gleichwertigkeit der Stimmen in besonderem Maße beachtet werden. Es stellt sich für das Gericht somit lediglich die Frage, ob es für eine solche Sperrklausel einen Rechtfertigungsgrund gibt und genau dies verneint das BVerfG zurzeit.
Kritisiert wird am BVerfG, dass es damit möglicherweise zu weit auf das Spielfeld der Politik vorgedrungen ist. Denn ob und wie weit eine Gefahr einer Zersplitterung droht, ist eine Frage der Einschätzung, und bei solchen Fragen darf das Bundesverfassungsgericht eigentlich nur dem Spielraum des Gesetzgebers verfassungsrechtliche Grenzen setzen.
Ich teile aber auch hier die Auffassung des Gerichts, denn nachdem es keine Anzeichen dafür gibt, dass bei einem Wegfall der 3%-Hürde die Funktionsfähigkeit des Parlaments in irgendeiner Form beeinträchtigt wird, entfällt meines Erachtens auch der Spielraum des Gesetzgebers, eine mögliche Gefährdung zu prognostizieren.

Doch obwohl ich das Urteil für juristisch völlig korrekt halte, ist es aus meiner Sicht ein glatter Witz – ein Schildbürgerstreich. So stellt das Urteil höchstrichterlich fest, dass bei einer Wahl, bei der von vorneherein keine Gleichwertigkeit der Stimmen gegeben ist, eine 3%-Hürde an genau diesem Gleichwertigkeitsgebot scheitert. Betrachtet man das Europäische Parlament, dann ist die Zusammensetzung des Parlaments nicht proportional zu der Einwohnerzahl. Während Luxemburg mit rund einer halben Million Einwohner sechs Abgeordnete nach Brüssel oder Straßburg schicken darf, entfallen auf die BRD mit der 150-fachen Anzahl an Einwohnern gerade mal 96 Sitze [2], also nur 16-mal so viele.
Nun kann man sich fragen, ob es, auf die Einwohnerzahl bezogen, leichter ist 90.000 Luxemburger oder 800.000 Deutsche zu überzeugen, aber von einer Gleichwertigkeit der Stimmen kann man hier nicht sprechen.
Würde man das Bundestagswahlrecht auf diese Weise ausgestalten, also z.B. proportional dem Saarland mehr Sitze im Bundestag zuteilen, würde man gegen das Grundgesetz verstoßen. Doch weil für das Europäische Parlament europäische Gesetze gelten, muss die Gleichwertigkeit der Stimmen eben nicht bei der Wahl des gesamten Parlaments sondern nur bei der Wahl des deutschen Kontingents beachtet werden. Dies führt zu diesem zwar juristisch korrekten aber dennoch recht sinnfreien Urteil.

Aber neben dieser Realsatire wirft das Urteil auch noch für einen anderen Bereich eine Frage auf. Sind heutzutage denn noch Sperrklauseln bei Bundestags- und Landtagswahlen zulässig und in welcher Höhe sind diese vertretbar? Welche Auswirkungen die 5%-Hürde auf die Zusammensetzung des Parlaments haben kann, hat die jüngste Bundestagswahl mit zwei Parteien, die kurz vor dieser Hürde scheiterten, gezeigt. Mehrere Millionen Stimmen sind nicht im Bundestag vertreten und auch die Miniopposition ist eine direkte Folge der hohen Hürde. Auf der anderen Seite kann eine niedrigere Hürde auch den Anreiz erhöhen, mit kleineren Nischenparteien den politischen Erfolg zu suchen, was möglicherweise dann tatsächlich auf Dauer zu Problemen bei der Regierungsbildung führt.
Aus meiner Sicht sind jetzt die Abgeordneten auf Bundes- und Landesebenen gefordert, die jeweiligen Sperrklauseln zumindest auf den Prüfstand zu stellen.


[1] Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2014 (Link zur Entscheidung auf www.bundesverfassungsgericht.de)

[2] Zusammensetzung des europäischen Parlaments laut Wikipedia (Link zum Artikel über das europäische Parlament auf de.wikipedia.org)

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