Nachgefragt: Fragen an die Bundesregierung zur Änderungen des Bleiberechts

Anfang dieses Monats ist eine Änderungen des Bleiberechts für Flüchtlinge in Deutschland in Kraft getreten, durch die es „gut integrierten“ Flüchtlingen künftig erleichtert werden soll, in Deutschland bleiben zu können oder zumindest eine längere Duldung zu erhalten. Für die Bewertung der Integrationsleistung der einzelnen Personen wird dabei auf Schulbesuche, Abschlüsse oder einen vorhandenen Ausbildungsplatz abgestellt.
Allerdings frage ich mich in diesem Zusammenhang, ob das nicht unfair gegenüber jenen Flüchtlingen ist, die aufgrund einer Krankheit, eines Traumas oder einer Behinderung einfach nicht so leistungsfähig sind und damit auch die Anforderungen für diese bevorzugte Behandlung schwerer erfüllen können, also zum Beispiel keine Ausbildungsstelle finden. Um dies jetzt aber nicht verkürzt und gefühlsmäßig, sondern rational und voll umfänglich beantworten zu können, habe ich meine Frage(n) an die zuständigen Stellen gerichtet, also an das für das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration verantwortliche Bundesinnenministerium sowie an die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Aydan Özoğuz (SPD).

Hier sind zunächst meine Fragen und weiter unten nach einem Fazit die Antworten:

1. Nachdem das neue Bleiberecht die frühere Möglichkeit einer Aufenthaltsgenehmigung bei gut integrierten Jugendlichen vorsieht, habe ich folgende Fragen:

Haben Jugendliche mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit, z.B. aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung oder Traumata durch Krieg und Vertreibung, dieselben Chancen wie gesunde und leistungsstarke Jugendliche, eine Aufenthaltsgenehmigung nach diesen Vorschriften zu erhalten?

Wie wird verhindert, dass nur leistungsstarke Jugendliche in den Genuss dieses Vorteils kommen? Gibt es entsprechende Härtefallregelungen?

2. Nachdem das neue Bleiberecht Personen mit einer Ausbildungsstelle eine längere Duldung ermöglicht und diese damit anders behandelt als Personen ohne eine Ausbildungsstelle, habe ich folgende Fragen:

Haben Personen mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit, z.B. aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung oder Traumata durch Krieg und Vertreibung, dieselben Chancen wie gesunde und leistungsstarke Personen, in Deutschland einen Ausbildungsplatz zu finden und von dieser Regelung zu profitieren?

Wie wird verhindert, dass nur leistungsstarke Personen in den Genuss dieses Vorteils kommen? Gibt es entsprechende Härtefallregelungen?

3. Abschließende Frage zur Vereinbarkeit mit Art. 3 III S. 2 GG:

Ist aus Sicht des Bundesinnenministeriums / der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration die Anknüpfung an die gute Integration bzw. an das Vorhandensein eines Ausbildungsplatzes mit dem Grundgesetz und insbesondere mit Art. 3 III S. 2 GG, „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, vereinbar?

Fazit:

Zu 1) Zwar gibt es keine expliziten Härtefallregeln für diese Situation, aber Personen, die durch eine Behinderung oder andere Beeinträchtigungen benachteiligt werden könnten, können andere Schutzklauseln für sich in Anspruch nehmen. Außerdem haben schwächer begabte Personen keine Nachteile, weil auf den Besuch einer Schule und nicht gleich auf einen Diplom-Abschluss abgestellt wird. Diese Verbesserung ist aus meiner Sicht daher uneingeschränkt zu begrüßen.

Zu 2) Auch in Bezug auf die 1-jährige Duldung können neben der Aufnahme einer Ausbildung auch andere Härtefallgründe in Betracht kommen. Hier jedoch fallen jene durch das Raster, die entweder nicht das richtige Talent mitbringen oder einfach nicht das Glück haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Zu Begrüßen sind daher Sonderprogramme, die hier eine Förderung bieten.
Dennoch hat diese Neuregelung einen gewissen selektiven Charakter, weil jene, die gut in das Profil Deutschlands passen, leichter eine bevorzugte Behandlung erfahren können. Allerdings, auch wenn ich dies bei humanitären Angelegenheiten als schwierig empfinde, befürchte ich, dass in der aktuellen Situation dem Umgang mit der Realität der Vorrang vor dem Beharren auf Wunschbildern einzuräumen ist.

Zu 3) Aus meiner Sicht ist die Verfassungskonformität durch die Kombination mit anderen Schutzvorschriften und Maßnahmen gegeben, auch wenn ich das Anknüpfen an einen Ausbildungsplatz zumindest als nicht unkritisch ansehe.

Antwortschreiben des BMI vom 07.08.2015:

Antworten des BMI zu 1) Die Bleiberechtsregelung nach § 25a AufenthG für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende setzt in der Regel den erfolgreichen Besuch einer Schule oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss voraus. Eine Härtefallklausel ist in § 25a AufenthG nicht vorgesehen.
Dafür ist es nach der allgemeinen Bleiberechtsregelung des § 25b AufenthG möglich wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen von den Regelerteilungsvoraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung und der hinreichenden Deutschkenntnisse abzuweichen (§ 25b Absatz 3 AufenthG).
Traumatisierte oder behinderte Jugendliche kommen zudem auch für weitere humanitäre Aufenthaltsrechte, z.B. nach § 25 Absatz 4oder 5 AufenthG, in Betracht, so dass sie genauso wie „leistungsstarke Jugendliche“ eine Bleibeperspektive in Deutschland erhalten können.

Antworten des BMI zu 2) Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung ist in § 60a Absatz 2 AufenthG klarstellend ergänzt worden, dass die Aufnahme einer Berufsausbildung ein dringender persönlicher Grund zur Erteilung einer Duldung sein kann.
Daneben sieht das Aufenthaltsgesetz aber auch die Erteilung einer Duldung aus dringenden humanitären Gründen vor (siehe § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG), so dass auch die von Ihnen angesprochenen Personen ggf. eine Ermessensduldung erhalten können.
Die Bundesregierung und die übrigen Partner der „Allianz für Aus- und Weiterbildung 2015 – 2018“ wollen gemeinsam daran arbeiten, sowohl mehr leistungsstarke junge Menschen für die beruf¬liche Bildung zu gewinnen als auch mehr jungen Menschen mit schlechteren Startchancen, jungen Menschen mit migrationsbedingten Problemlagen sowie Menschen mit Behinderung eine betriebliche Berufsausbildung zu ermöglichen. Etwa durch die neu in § 130 SGB III eingeführte Maßnahme der Assistierten Ausbildung sollen mehr lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte junge Menschen zu einem beruflichen Abschluss gebracht und die Unter¬nehmen bei der Ausbildung unterstützt werden. Die Assistierte Ausbildung steht auch Geduldeten offen. Zudem können Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung für behinderte und schwerbehinderte Jugendliche geleistet werden, wenn die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für eine Ausbildung vorliegen und eine Ausbildung sonst nicht erreicht werden kann.

Antworten des BMI zu 3) Das Aufenthaltsgesetz hält verschiedene Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen bereit, die gerade auch behinderten Personen zu Gute kommen können. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz kann mithin nicht erkannt werden.


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