Berechtigte und unberechtigte Kritik an Ungarns Flüchtlingspolitik

Die Regierung in Budapest betreibt eine radikale Abschreckungspolitik und kümmert sich nur unzureichend um Flüchtlinge. Dazu kommt, dass Viktor Orbán die Situation in der letzten Woche anscheinend bewusst eskalieren ließ, um auf Kosten von Flüchtlingen bei seiner Wählerschaft zu punkten und künftige Flüchtlinge vom Land fernzuhalten. Auch die EU wurde auf diese Weise unter Druck gesetzt, entweder Ungarn zu helfen oder das Land von einem Teil seiner Last zu befreien, wie es durch die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland am Wochenende dann auch geschehen ist.

Eine andere Wahrheit ist aber auch, dass Ungarn zu einem großen Teil nur die Folgen jener Probleme ausbadet, welche die EU insgesamt nicht gelöst bekommt. So ist es z.B. das Versagen der Europäischen Union und nicht die Schuld Orbáns, dass der Westbalkan noch immer das Armenhaus Europas ist.
Die Entwicklung dieser Region ist schon seit Jahren suboptimal und die logische Konsequenz daraus ist, dass immer mehr Menschen vom Balkan die Möglichkeiten der Visafreiheit nutzen und ihr Glück in anderen Ländern suchen – und sei es nur mit einem aussichtlosen Asylantrag. Erschwerend kommt für Ungarn in den letzten Jahren hinzu, dass Italien oder Frankreich als Zielregionen nicht mehr so attraktiv sind, weshalb vermehrt der Weg der Menschen nach Ungarn bzw. über Ungarn z.B. nach Österreich oder Deutschland führt. Wenn also Orbán einen deutlichen Anstieg der Migration beklagt, so ist dies vor allem das Ergebnis einer erfolglosen Balkan-Politik der EU, was dann zu manch populistischer Reaktion im Land der Magyaren führte.

Aber auch wenn man den Balkan außen vor lässt und nur auf Flüchtlinge aus anderen Weltregionen, z.B. Syrien, schaut, dann bricht ja nicht zuerst Ungarn die europäischen Regeln, sondern z.B. Griechenland. Theoretisch dürfte nach den Regeln des Dublin-Abkommens in Ungarn überhaupt kein nicht registrierter Flüchtling aus Syrien ankommen. Wenn also Dublin funktionieren würde, hätte Ungarn kaum einen Asylberechtigten, weil die meisten Antragsteller wieder abgeschoben werden könnten, z.B. nach Griechenland. Entsprechend abwegig ist es daher aber auch, jetzt von Ungarn mit seinen 9,9 Mio. Einwohnern zu verlangen, dass es das europäische Chaos alleine ausbadet und, wie das von der Bundesregierung gefordert wird, alle Flüchtlinge registriert, um später ein Asylverfahren durchzuführen und ihnen dann in Ungarn Asyl zu gewähren.

Bedenkt man außerdem, dass im Verhältnis zur Einwohnerzahl in Ungarn trotz der Dublin-Regeln im ersten Halbjahr 2015 doppelt so viele Asylanträge gestellt wurden wie in Deutschland, so wirkt manche Kritik an Orbán ziemlich deplatziert. Und so hat wohl auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nicht geahnt, dass er seine Frage vom 1.9., warum Ungarn die Flüchtlinge plötzlich unkontrolliert weiter ziehen lässt [1], nicht mal eine Woche später selbst beantworten kann, nachdem auch das bayerische Registrierungssystem aufgrund der großen Menge an Flüchtlingen zusammengebrochen ist. Insofern besteht Ungarn aber auch völlig zu Recht darauf, dass die EU entweder Griechenland zur Einhaltung der Regeln bewegt oder Ungarn in dieser Situation zumindest entlastet.


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[1] Interview im ZDF Morgenmagazin mit Joachim Herrmann (Link zum Beitrag auf www.heute.de)

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