Die Schuldfrage in der Ukraine-Krise

Wenn man sich die Medienberichterstattung der vergangenen Wochen anschaut, so gewinnt man den Eindruck, als habe Vladimir Putin die krisenhafte Situation in der Ukraine höchstpersönlich und vor allem alleine zu verantworten. Schaut man sich die Tatsachen aber genauer an, dann erkennt man, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen zu dieser Eskalation geführt hat. Die Frage nach der Schuldverteilung ist aus meiner Sicht daher nicht ganz so leicht zu beantworten, wie das im ersten Moment scheinen mag.

Oligarchie, Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit:

Dass die Ukraine nie wirklich auf die Beine gekommen ist, hängt im Wesentlichen mit der post-sowjetischen Oligarchie, sowie der Korruption und der mangelnden Rechtsstaatlichkeit zusammen. Dafür einen konkreten Schuldigen zu finden, dürfte zwar schwer werden, man kann jedoch davon ausgehen, dass der „Westen“ nicht für das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verantwortlich zu machen ist. Allerdings schon bei der Korruption bin ich mir nicht mehr ganz so sicher.

Außenpolitischer Druck von Russland und EU:

Die Lage in der Ukraine verschärfte sich 2005 deutlich nach der orangenen Revolution auf Grund des gewachsenen außenpolitischen Drucks auf die Ukraine. Auf der einen Seite war die EU, die von der Ukraine viel forderte, sie aber nicht sonderlich unterstützte, und auf der anderen Seite stand Russland, das zum Beispiel die Abhängigkeit vom russischen Gas als Druckmittel gegen die Ukraine einsetzte, um eine weitere Westanbindung zu verhindern. Und auch wenn die europäischen Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit oder demokratischen Prozessen legitim sind, so hat neben Russland eben auch die EU dazu beigetragen, dass sich die Ukraine zwischen beiden Seiten aufrieb. Eine größere Verantwortung sehe ich in diesem Zusammenhang aber dennoch bei der russischen Verhinderungspolitik als bei der europäischen Forderungspolitik.

Proteste auf dem Maidan:

Nachdem 2010 mit Janukowytsch in der Ukraine wieder ein Präsident an die Macht kam, der sich enger an Russland anband, gab es für Putin entsprechend auch keinen Grund, einen Umsturz herbeizuführen.
Zwar hat erneut der Druck Russlands zu den Protesten auf dem Maidan geführt, weil Janukowytsch zu einer Aufgabe des Assoziierungsabkommens und einem stärkeren Ostkurs gezwungen wurde, allerdings wäre es Russland wohl recht gewesen, wenn sich die Proteste des vergangenen Jahres einfach wieder beruhigt hätten. Umgekehrt hatte aber der „Westen“ ein Interesse an einem Westkurs der Ukraine und so wurde die ukrainische Opposition unterstützt. Anders ausgedrückt hat es in der Ukraine schon vorher gebrannt und sowohl Russland mit dem Druck auf Janukowytsch als auch der „Westen“ mit der Unterstützung der Opposition haben dann noch Benzin ins Feuer gegossen.

Machtwechsel in Kiew:

Das Anwachsen der Proteste hat dazu geführt, dass eine Reaktion der ukrainischen Regierung notwendig wurde. Mit Zugeständnissen an die Demonstranten, sowie der Ankündigung von vorgezogenen Neuwahlen sollte eine weitere Eskalation verhindert werden und sowohl Janukowytsch als auch Russland hatten die Hoffnung, dass sich dadurch ein Machtwechsel in Kiew verhindern lässt.
Dass nur Stunden nach der vermeintlichen Einigung, sich die Situation in der Ukraine durch die Absetzung und Flucht von Janukowytsch dramatisch veränderte, war somit absolut nicht im Sinne Russlands. Auf den Umsturz bezogen hat Putin aus dem eigenen Interesse heraus versucht, die Lage zu entschärfen, daher kann man ihm am Umsturz selbst sicherlich keine Schuld geben.

Die Folgen des Umsturzes:

Durch den Umsturz ist der Konflikt in der Ukraine dann weiter eskaliert. Eine Folge des Umsturzes war so zum Beispiel die Regierungsbeteiligung der nationalistischen Swoboda Partei und genauso ist auch die aufgeheizte Situation in der Ost-Ukraine eine Folge des Umsturzes in Kiew. Auch die russische Intervention mit anschließender Annexion auf der Krim, kann als eine Folge des Umsturzes betrachtet werden, so wie auch die daraus resultierenden Sanktionen gegen Russland.

Die Schuldfrage:

Müsste ich die Schuldverteilung einschätzen, würde ich die größte Verantwortung bei der ukrainischen Führung um Janukowytsch suchen. Diese hat zum Biespiel durch die Wahlmanipulationen von 2012 und diversen weiteren innenpolitischen Entscheidungen die Lage in der Ukraine maßgeblich verschuldet. Ihren Anteil würde ich vielleicht bei 55% sehen.
Daneben hat der Druck Russlands auf die Ukraine im vergangenen Jahrzehnt, und auch direkt im Vorfeld der Proteste zu dieser Eskalation beigetragen. Die Schuld an der Eskalation würde ich hier vielleicht bei 25% ansiedeln. Etwas niedriger sehe ich noch die Schuld des „Westens“, der die Opposition in der Ukraine aktiv unterstützte und damit ebenfalls den Konflikt in der Ukraine anheizte. Dem „Westen würde ich vielleicht 20% der Schuld zuweisen.
Zieht man die Folgen des Umsturzes mit ein, dann haben an der weiteren Eskalation der Lage auch die nationalistischen Oppositionskräfte, die nun mit in der Regierung sitzen, eine Mitschuld. Auch durch die Annexion der Krim hat Russland zu einer weiteren Verschärfung beigetragen, genauso wie die EU mit ihren Reaktionen. Sowohl die schnelle Anerkennung der neuen Regierung, trotz der widrigen Umstände der Machterlangung, als auch das Verhalten in Bezug auf Russlands Vorgehen auf der Krim, haben den Konflikt weiter eskaliert.

Gegenseitige Schuldzuweisungen:

Aus meiner Sicht macht es nun aber wenig Sinn, sich in der jetzigen Situation gegenseitig die Schuld zuzuweisen. Beide Seiten sollten eingestehen, dass sie keine weiße Weste haben und sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, die Gegenseite trage die volle Verantwortung an der Eskalation.
Wenn Grinin, der russische Botschafter in Deutschland, sagt, dass Russland nichts für den Umsturz kann, dann stimmt das, unterschlägt aber gleichzeitig, dass Russland durch seinen Druck auf die Ukraine sehr wohl zu den Protesten auf dem Maidan beigetragen hat.
Und wenn Merkel die russische Einmischung auf der Krim verurteilt, sollte man sie fragen, wieso sie nicht im gleichen Atemzug auch die amerikanischen Einmischungen auf dem Maidan durch die Unterstützung der Oppositionskräfte kritisiert.
Es wäre meines Erachtens an der Zeit, endlich die Phase der Schuldzuweisungen zu überwinden und die Frage in den Mittelpunkt rücken, wie mit der jetzt vorliegenden Situation umgegangen wird.


Eine ausführlichere Darstellung der Entwicklungen in der Ukraine und mögliche Lösungsansätze der Konfliktsituation habe ich in einem anderen Artikel beschrieben:
Der Konflikt in der Ukraine (www.mister-ede.de – 20.03.2014)

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