Fehlanreize durch eine doppelte Risikobewertung bei der Basel-Regulierung

Die Regelwerke Basel I, Basel II und Basel III dienen der Regulierung von Banken. Neben einer risikounabhängigen Eigenkapitalquote von 3%, die Banken künftig für alle Anlagen hinterlegen müssen, wird weiterhin eine risikoabhängige Eigenkapitalquote vorhanden sein. Umso mehr Risiken, z.B. Ausfall- oder Währungsrisiken, die von einer Bank gehaltenen Anlagen enthalten, desto höher ist die geforderte Eigenkapitalquote.

Grundsätzlich ist diese Risikobewertung zu begrüßen, allerdings findet bei der Bewertung von Ausfallrisiken durch die Basel-Regulierung eine doppelte Berücksichtigung struktureller Risiken statt. Hierdurch kommt es zu einer Verzerrung bei der Bewertung des tatsächlichen Risikos von Anlagen und in der Folge zu Fehlanreizen.

Ratings:

Mithilfe von Ratings wird die Bonität einer Institution, z.B. eines Landes oder eines Unternehmens, bewertet. Je besser ein Rating desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass z.B. ein Land seine Kredite zurückzahlt. Nachdem aber das strukturelle Risiko eines Kreditausfalls bei Unternehmen größer ist als bei Staaten, haben auch hochrentable Unternehmen im Vergleich zu Staaten nur eine durchschnittliche Bonitätsbewertung. Zum Beispiel erreichen zurzeit bei der Ratingagentur Moody’s der Autobauer Volkswagen oder der Chemiekonzern Bayer die gleiche Bonitätsnote wie die Länder Mexico oder Peru.

Forderungsklassen:

Die Basel-Vorschriften unterteilen die Anlagen einer Bank aufgrund ihrer Struktur in verschiedene Forderungsklassen [1]. Neben einer Forderungsklasse für Forderungen gegenüber Staaten gibt es zum Beispiel eine Klasse für Forderungen gegenüber Unternehmen oder eine für Forderungen gegenüber anderen Bankinstituten. Entsprechend dem strukturellen Risiko der einzelnen Klassen knüpfen an die Forderungsklassen unterschiedliche Eigenkapitalanforderungen für die Banken an. Nachdem Unternehmen regelmäßig einem höheren Ausfallrisiko unterliegen als Staaten, müssen Banken z.B. für einen in Euro gerechneten Kredit an ein Nicht-Euro-Land weniger Eigenkapital hinterlegen als bei einem Kredit an ein Unternehmen mit gleichem Rating [2].

Doppelbewertung:

Auf der einen Seite wird so das strukturelle Risiko bei den Ratings berücksichtigt, auf der anderen Seite fließt dasselbe strukturelle Risiko auch in die Ausgestaltung der Forderungsklassen mit ein. In der Folge muss daher eine Bank für einen Kredit an Volkswagen mehr Eigenkapital hinterlegen als für einen Kredit an den mexikanischen Staat.

Mittelstand besonders betroffen:

Besonders deutlich wird das Problem der Doppelbewertung, wenn man sich mittelständischen Unternehmen anschaut. Sind Unternehmen nur auf einen Markt ausgerichtet oder gar von einem einzelnen Abnehmer abhängig, erhöht sich ihre Anfälligkeit für Kreditausfälle. Die Insolvenz eines Großkunden oder technische Neuerungen können ein solches Unternehmen wesentlich schneller und überraschender in der Existenz bedrohen, als dies bei einem breit aufgestellten Großkonzern der Fall ist. Dies schlägt sich in den Ratings nieder, weshalb gerade kleinere oder mittlere Unternehmen (KMU) häufig nur ein schlechtes Rating erhalten. Viele kleinere Unternehmen verzichten daher sogar ganz auf eine Bewertung und sparen sich die Gebühren der Rating-Agenturen. Allerdings sowohl ein schlechteres als auch ein nicht vorhandenes Rating führen durch die Basel-Vorschriften dazu, dass Banken noch weiteres Eigenkapital bei einer Kreditvergabe an ein solches Unternehmen hinterlegen müssen. Zwar können unter bestimmten Umständen die Eigenkapitalanforderungen bei Krediten an KMU wieder um knapp ¼  gesenkt werden [3], allerdings auch nach einer Reduktion der Eigenkapitalanforderung verbleibt häufig eine erhebliche Differenz gegenüber anderen Anlagen z.B. im Bankensektor oder bei Staaten.

Großbanken profitieren:

Neben Nicht-Euro-Staaten, die durch die doppelte Risikobewertung besser gestellt sind, profitieren auch Großbanken, die als Bankinstitute einer eigenen Forderungsklasse zugeordnet sind. So müssen auch bei Krediten im Interbanken-Bereich weniger Eigenkapitalmittel hinterlegt werden als bei Krediten an Unternehmen mit gleichem Rating. Allerdings erreichen gerade auch die Großbanken aufgrund ihrer systemrelevanten Struktur, ähnlich wie Staaten, sowieso schon bessere Ratings im Gegensatz zu anderen Unternehmen. So hat z.B. die Deutsche Bank, die zurzeit in einer schwierigen Phase ist, dasselbe Rating wie der Vorzeigekonzern Volkswagen.

Euro-Staaten profitieren massiv:

Am stärksten profitieren durch die Basel-Vorschriften weiterhin die Euro-Staaten. Dies liegt aber nicht an der doppelten Risikobewertung, sondern an einer komplett fehlenden Risikobewertung. Obwohl es in der Eurozone in der Vergangenheit Schuldenschnitte gab und zurzeit ein neuerlicher Schuldenschnitt für Griechenland diskutiert wird, müssen Banken für Kredite an Euro-Staaten kein Eigenkapital hinterlegen. Für ein Bankinstitut wird es durch diese auf null gesenkte Eigenkapitalanforderung allerdings deutlich attraktiver, Kredite an EU-Staaten zu vergeben als zum Beispiel an kleinere oder mittlere Unternehmen.

Auswirkungen:

Durch die doppelte Risikobewertung entstehen Fehlanreize, weil Banken bei einer Kreditvergabe an Institutionen mit gleicher Bonität eine unterschiedliche Eigenkapitalanforderung zu erfüllen haben. Einen Kredit an Volkswagen oder Bayer muss eine Bank mit 4% Eigenkapital absichern, während ein Kredit bei gleichem Rating an die Deutsche Bank oder an Mexico lediglich mit 1,6% Eigenkapital zu hinterlegen ist. Vor allem Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen können so für Banken unattraktiv werden, weil aufgrund eines unterdurchschnittlichen oder fehlenden Ratings weiteres Eigenkapital hinterlegt werden muss.

Eine weitere Folge ist die Entwicklung von Finanzprodukten, die genau diese Schwachstelle nutzen, um die Eigenkapitalanforderungen zu senken. Gelingt es zum Beispiel, Kredite an Unternehmen mit mäßigem Rating so zu bündeln und neu zu verpacken, dass sie als gedeckte Schuldverschreibungen mit gutem Rating enden, sozusagen Subprime-Unternehmenskredite, lässt sich die Eigenkapitalhinterlegung z.B. von 8% auf 0,8% reduzieren.


Ähnliche Artikel:
Gastbeitrag von Fleer: Basel III – Die Eigenkapitalregulierung (www.mister-ede.de – 03.03.2014)


PDF zur EU-Verordnung 575/2013 auf eur-lex.europa.eu

[1] Art. 112 EU-Verordnung Nr. 575/2013 (CRR)

[2] Art. 114 II und Art. 122 I EU-Verordnung Nr. 575/2013 (CRR)

[3] Art. 501 EU-Verordnung Nr. 575/2013 (CRR)

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