Das Wahlrechts-Trilemma einfach erklärt

Zurzeit ist der Bundestag mit 709 Parlamentariern weit größer, als er eigentlich sein sollte. Beigetragen zur kräftigen Überschreitung der Normgröße von 598 Abgeordneten hat zum einen die veränderte Parteienlandschaft. Aufgrund der Mischung von Mehrheits- und Verhältniswahl werden Abweichungen nach oben wahrscheinlicher, je mehr Parteien in den Bundestag einziehen. Zum anderen haben die Parlamentarier selbst einen großen Anteil an der Entwicklung. Bei einer Wahlrechtsreform vor der Bundestagswahl 2013 haben sie das Ziel einer möglichst festen Größe des Parlaments zugunsten einer korrekten Abbildung des Zweitstimmenergebnisses hinten angestellt – mit dem bekannten Ergebnis.
Um künftig das Anwachsen des Bundestages wieder zu verhindern, soll nun eine neuerliche Wahlrechtsreform Abhilfe schaffen, die dann allen Ansprüchen genügt. Doch genau da liegt, wie auch schon bei der letzten Wahlrechtsreform, der Hase im Pfeffer begraben. Denn letztlich handelt es sich bei der Problemstellung um ein Trilemma, also einen Zielkonflikt, bei dem sich von drei Zielen höchstens zwei vollständig erreichen lassen. Das heißt, auch bei sehr verständlichen Zielen für das Bundestagswahlrecht, müssen an manchen Stellen Abstriche gemacht werden. Welche drei Ziele erreicht werden sollen und warum sich aus ihnen ein Zielkonflikt ergibt, wird nachfolgend dargestellt.

Die drei Ziele:

Ziel 1: Die Korrekte Abbildung des Zweitstimmenergebnisses

Das Ziel ist klar. Die Sitze im Bundestag sollen entsprechend dem Zweitstimmenergebnis der Parteien auf diese verteilt werden. Damit wird gewährleistet, dass die Stimme jedes Wählers einen gleich großen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlamentes hat oder zumindest eine gleich große Chance auf diesen Einfluss.

Ziel 2: Eine feste Größe des Bundestags

Auch hier ist das Ziel klar. Das Parlament soll eine feste Größe haben, sodass seine Arbeitsfähigkeit gewährleistet und seine Akzeptanz in der Öffentlichkeit nicht gefährdet ist. Außerdem soll der Bundestagsapparat nicht durch unnötig große Schwankungen der Parlamentsgröße und dem damit einhergehenden erheblichen Anpassungsbedarf belastet werden.

Ziel 3: Regionalkomponente

Die Regionalkomponente kann unterschiedlich gestaltet sein. Im aktuellen Wahlrecht gibt es zwei Regionalkomponenten.

1) Länderproporz:
Die Bundesländer erhalten eine garantierte Anzahl an Sitzen im Bundestag. Das Ziel ist, dass die Bundesländer entsprechend ihrer Größe in Berlin repräsentiert werden.

2) Direktkandidaten:
Die Hälfte aller Abgeordneten wird mit der Erststimme direkt im Wahlkreis gewählt und bekommt einen Sitz garantiert. Damit wird gewährleistet, dass jeder Wahlkreis mindestens einen Abgeordneten als Brückenbauer zum Bundestag hat, um die Anliegen der Bürger dort einzubringen und umgekehrt über die Entwicklungen im Bundestag informieren zu können.

Zielkonflikt / Trilemma

Wie eingangs erwähnt, können bei einem Trilemma immer nur zwei von drei Zielen vollständig erreicht werden. Wer in jedem Fall ein korrektes Abbild der Zweitstimmen verlangt, muss entweder auf jegliche Regionalkomponente verzichten, also sowohl auf Länderproporz als auch auf Direktkandidaten, oder auf eine feste Größe des Parlaments. Und das gleiche gilt umgekehrt für die beiden anderen Ziele. Mit zwei theoretischen, aber dafür sehr einfachen Beispielen lässt sich der Grund für dieses Trilemma leicht verdeutlichen:

Beispiel 1:

Wir stellen uns eine A-Partei vor, die nur in einem Bundesland antritt und dort in genau drei Wahlkreisen einen erfolgreichen Direktkandidaten hat. Gleichzeitig erreicht diese Partei aber nur 0,25% der bundesweiten Zweitstimmen. Alle anderen Stimmen entfallen in diesem Beispiel auf die B-Partei.
Soll nun garantiert werden, dass die drei Direktkandidaten der A-Partei in Berlin sitzen, bleiben rein logisch nur zwei Optionen. Entweder die Zahl der Abgeordneten wird auf 1.200 erhöht, damit das Verhältnis von A-Partei (0,25% – 3 Abgeordnete) zu B-Partei (99,75% – 1197 Abgeordnete) stimmt. Oder man muss in diesem Fall auf die korrekte Abbildung des Zweitstimmenergebnisses verzichten, wie man das im Übrigen auch bei erfolgreichen parteilosen Einzelbewerbern machen würde. Diese können theoretisch mit wenigen Stimmen in einem Wahlkreis einen garantierten Sitz erwerben, ohne dass ein entsprechender Ausgleich für die im Bundestag vertretenen Parteien stattfindet.

Beispiel 2:

Ein Bundesland X bekommt aufgrund seiner Bevölkerungszahl 100 der 598 Bundestagssitze garantiert. Allerdings gehen in diesem Bundesland im Vergleich zu den anderen Bundesländern nur halb so viele Menschen zur Wahl. In X tritt lediglich die A-Partei an, die alle Stimmen erringt. In den übrigen Bundesländern tritt lediglich die B-Partei an, die ebenfalls alle Stimmen erringt.
Soll nun garantiert werden, dass das Bundesland X seine 100 Sitze bekommt, können diese nur an die A-Partei als einzige dort antretende Partei vergeben werden. Soll hingegen das Zweitstimmenergebnis korrekt abgebildet werden, darf die A-Partei aufgrund der deutlich niedrigeren Wahlbeteiligung in X nur etwas über 50 der 598 Sitze erhalten.
Die einzige Möglichkeit, um diesen Widerspruch aufzulösen, ist, die Zahl der Sitze im Bundestag soweit zu erhöhen, bis die A-Partei 100 Sitze hat und die B-Partei die ihr im Verhältnis der Zweitstimmen dann zustehenden grob 1100 Sitze.

Fazit:

Einen Ausweg aus diesem Trilemma gibt es nicht. Soll die Zahl der Bundestagssitze wieder näher an der Normgroße liegen, müssen sich die Fraktionen im Bundestag von ihren Maximalforderungen verabschieden. Ansonsten verteidigen die einen die Regionalkomponenten in der jetzigen Ausprägung und die anderen die genaue Abbildung des Zweitstimmenergebnisses und im Ergebnis bleibt es dann weiter bei der schwankenden Größe des Bundestages.


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Diskussion:

2 Gedanken zu “Das Wahlrechts-Trilemma einfach erklärt

  1. Das mit dem Länderproporz ist so nicht richtig. Die Sitzkontingente garantieren keine Mindestsitzzahlen, sondern dienen lediglich zur Bestimmung der Gesamtsitzzahl. 2013 hat Bayern nur 91 Sitze bei einem Kontingent von 92 gehabt (negatives lokales Ausgleichsmandat für die SPD). Der Effekt entsteht nur indirekt über Regionalparteien (primär die CSU, aber potenziell auch sonstige Parteien mit sehr verschiedenen Landesergebnissen, insbesondere die Linke).

    • Ok, wieder etwas gelernt. Dass es durch die Zweitverteilung dann doch wieder zu Abweichungen von der Sitzzahl kommen kann, war mir nicht bewusst.

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