Der Riss der Währungsunion geht mitten durch die EZB
Es ist die Hüterin der Währung selbst, die zurzeit im eigenen Haus mit ansehen muss, wie das europäische Finanzsystem zerrissen wird. Denn, neben der normalen Tätigkeit einer Notenbank ist die EZB seit Ende letzten Jahres bzw. Anfang dieses Jahres auch für den Single Supervisory Mechanism (SSM) [1], also die europäische Bankenaufsicht über die großen europäischen Finanzinstitute, und den Single Resolution Mechanism (SRM) [2], also die Abwicklung dieser Großbanken im Insolvenzfall, zuständig.
Unter diese Geldinstitute fallen allerdings auch die vier größten Banken in Griechenland, die Alpha Bank, die Eurobank, die National Bank of Greece (die trotz des Namens nicht die Zentralbank, sondern auch eine normale Geschäftsbank ist) und die Piraeus Bank [3]. Alle diese Institute haben derzeit einen massiven Liquiditätsengpass und, falls Griechenland als Staat ausfallen sollte, wahrscheinlich auch Probleme beim Eigenkapital. Kommt es auf der politischen Ebene nicht binnen weniger Tage zu einer Einigung, ist die EZB wie schon in den vergangen Monaten wieder in der misslichen Lage, entweder die Liquidität der ausgebluteten Banken über eine Ausweitung der ELA-Kredite aufrechterhalten zu müssen, um weitere Auszahlungen zu gewährleisten und einen Ausfall des griechischen Staates durch kurzfristige Anleihen zu verhindern, oder die vier größten griechischen Banken abwickeln zu müssen. Egal wie sich die EZB dabei entscheidet, entstehen allerdings Risiken für die Währungsunion als Ganzes.
Belässt die EZB die ELA-Hilfen auch weiterhin auf dem aktuellen Niveau, werden die griechischen Banken nach einigen Tagen nicht mehr in der Lage sein auch nur noch einen Cent auszuzahlen. In diesem Fall wäre die EZB gezwungen, die Banken wegen Illiquidität unter Zwangsverwaltung zu stellen und mit einer Abwicklung zu beginnen. Ein ähnliches Szenario droht auch im Falle eines griechischen Staatsbankrotts, dann allerdings nicht wegen fehlender Liquidität, sondern aufgrund mangelnden Eigenkapitals, weil Abschreibungen notwendig werden.
In beiden Fällen kann der Schaden jedoch über Griechenland hinausgehen, denn auch Banken in anderen kriselnden Ländern, bei denen ein ähnliches Szenario bis hin zu einer Abwicklung durch die EZB vorstellbar ist, könnten so wieder in den Blick geraten. Ähnlich wie nach der Lehman-Pleite könnte damit erneut das Spiel losgehen, dass sich Banken nur noch bedingt Kredite gewähren und einzelne Institute dann tatsächlich in die Illiquidität rutschen.
Daneben entsteht eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Sicherungsmechanismen. Geraten die Banken tatsächlich in die Pleite, sollte eigentlich der griechische Staat nach dem Mechanismus der harmonisierten europäischen Einlagensicherung [4] die Einlagen bis 100.000 Euro garantieren, was bei einem gleichzeitigen Staatsbankrott des Landes in der Praxis schwer umsetzbar ist. Wird der Sicherungsmechanismus allerdings hinfällig, könnte das auch bei normalen Sparern dazu führen, dass diese sich dann veranlasst sehen, ihr Geld doch lieber auf eine deutsche oder niederländische Bank zu bringen als auf eine italienische oder spanische. Auch dies könnte dann zu Problemen bei der Liquidität von Instituten führen.
Entscheidet sich die EZB hingegen auch bei einer fehlenden Einigung, den Geldhahn durch eine weitere zumindest langsame Ausweitung der ELA-Hilfen zu öffnen, hat auch das Konsequenzen für die Währungsunion.
Spätestens wenn die EZB den griechischen Banken bei einem Mittelzufluss durch ELA-Hilfen gleichzeitig auch die Ausweitung der Kredite an den griechischen Staat erlaubt, würde das dem strikten Verbot der direkten Staatsfinanzierung zuwiderlaufen. Die EZB würde damit aber nicht nur ihr eigenes Mandat überschreiten und ihre eigenen Regeln ad absurdum führen, sondern auch den anscheinend leider notwendigen Einigungsdruck von der politischen Ebene nehmen, die dann wieder endlos ohne Lösung weiterverhandeln kann.
Aber auch ohne eine Ausweitung der Kreditlinien von griechischen Banken an den griechischen Staat, droht der EZB ein erheblicher Vertrauensschaden. Immerhin ist sie, wie oben erwähnt, auch für die Kontrolle und gegebenenfalls Abwicklung der systemrelevanten Banken zuständig. Wenn sie nun aber im klaren Fall der Illiquidität nicht eingreift, wirkt das ohnmächtig und es stellt sich die Frage, ob die EZB in Bezug auf ihre Aufsichts- und Abwicklungsfunktion im Krisenfall überhaupt handlungsfähig ist.
Die EZB hat damit bei einer fehlenden Einigung auf politischer Ebene die Auswahl zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Möglichkeit.
Denkbar ist, dass die EZB noch bis zum 20. Juli, also dem Datum, an dem Griechenland auch der EZB über 3 Mrd. Euro zurückzahlen müsste, die Liquidität der Banken gewährleistet und bei fehlender Einigung an diesem Tag dann endgültig den Zahlungsausfall Griechenlands und damit die Insolvenz der vier Banken feststellt. In der Folge würden dann die Finanzinstitute vom Markt genommen werden und es bliebe für Griechenland nur noch zu hoffen, dass die Syriza-Regierung einen Plan B hat, wie sie den Geldfluss im Land ohne einen Mittelzufluss von außen wieder zum Laufen bringt.
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[1] Wikipedia-Eintrag zum einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus
[2] Wikipedia-Eintrag zum einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus
[3] Liste der aktuell von der Bankenaufsicht überwachten Institute (Link zur PDF auf www.bankingsupervision.europa.eu)
[4] Erläuterung des Bundesfinanzministeriums zur harmonisierten europäischen Einlagensicherung (Link zur Erläuterung auf www.bundesfinanzministerium.de)