Europa-Wahlkampf der Scheinthemen

Am nächsten Wochenende ist Europawahl und es gäbe reichlich über die Probleme und Herausforderungen der EU zu debattieren. Die Integration der Neu-Mitglieder läuft bei weitem nicht reibungslos und in einzelnen Mitgliedsländern gibt es erhebliche Probleme bei Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Eine gemeinsame Außenpolitik ist genauso weit entfernt wie gemeinsame Datenschutzstandards und in vielen Bereichen wie der Unternehmenssteuer steht die Konkurrenz der Nationalstaaten dem europäischen Gemeinwohl im Weg.
Auch die Flüchtlingsdramen an den EU-Außengrenzen zeigen diese fehlende Bereitschaft der nationalen Regierungen, die gemeinsamen europäischen Probleme über die eigenen Landesgrenzen hinaus zu betrachten. Dazu kommt in der Eurozone noch ein gemeinsamer Währungsraum mit einem Konstruktionsfehler, weil die notwendige stärkere wirtschaftspolitische Koordination, mit der das Fehlen geldpolitischer Instrumente ausgeglichen werden kann, ausgeblieben ist.

Doch anstatt solche großen Themen, ob nun die Finanzkrise, die digitale Massenüberwachung oder den Tod tausender Flüchtlinge, auf die Agenda zu setzen, befindet sich die europäische Politik viel mehr in einem Wahlkampf über Scheinthemen.
Beispielhaft ist die Diskussion über einen gemeinsamen europäischen Spitzenkandidaten. Damit der Kommissionspräsident nicht mehr von den Staats- und Regierungschefs im Hinterzimmer ausgekungelt wird, werden dem Wähler jetzt fünf Spitzenkandidaten vorgesetzt, die zuvor von den Parteigremien ausgekungelt wurden. An der Wesentlichkeit dieser Neuerung habe ich zumindest meine Zweifel.

Aber auch bei anderen Themen wie einem europäischen Mautsystem oder der Umstellung der Auslandsprogramme für Schüler und Studenten handelt es sich meines Erachtens in Anbetracht der großen Herausforderungen an anderer Stelle um Nebensächlichkeiten.
Anstelle einer breiten Debatte über die Auswüchse des Wirtschaftslobbyismus, gerade auch im Zusammenhang mit den Geheimverhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA, wird eine wie auch immer geartete Entbürokratisierung zum Wahlkampfthema. Die Frage ist doch aber nicht, ob die eine oder andere Entscheidung wieder in nationalen Parlamenten getroffen wird, sondern wie demokratisch, frei und transparent jene Politik ist, die am Ende in Brüssel oder Straßburg gemacht wird.

Ebenso habe ich beim Thema Finanzkrise das Gefühl, dass sich viele europäische Parteienfamilien zurzeit lieber mit dem bauen Potemkinscher Dörfer als den Realitäten wirtschaftlicher und sozialer Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone und den Folgen beschäftigen.
Anstatt die Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa zu thematisieren, wird allseits die Rückkehr einiger Krisenländer an die Finanzmärkte als Fortschritt gefeiert. Ich stimme zwar zu, dass auch die Staatsschulden eine Debatte wert sind, allerdings entscheidend ist doch nicht, wem die Länder Geld schulden, sondern wie viel Schulden die Länder insgesamt haben. Und bei einem Blick auf die Staatsschuldenquoten der Krisenländer von zum Teil weit über 100% wird vor allem in Kombination mit der schlechten realwirtschaftlichen Situation in jenen Ländern deutlich, dass es sich bei der Rückkehr an die Finanzmärkte lediglich um eine Art Scheinerholung handelt.

Genauso werden auch andere unangenehmen Themen, wie die Wahrheiten des Lohndumpings in Deutschland, des Steuerdumpings in diversen anderen Mitgliedsstaaten oder des Datenschutzdumpings im englischsprachigen EU-Raum, weitgehend ausgeklammert. Stattdessen darf dafür in keinem Statement und bei keiner Talk-Sendung zum Thema EU das Olivenkännchen und die Gurkenkrümmung fehlen.
Ich bin zwar auch der Überzeugung, dass für die Existenz der EU die Akzeptanz der Bürger zwingend erforderlich ist, allerdings sind doch nicht solche Geschichtchen für den Vertrauensverlust der EU in den letzten Jahren verantwortlich. Vielmehr schwindet das Vertrauen doch, weil viele EU-Politiker sich lieber mit solchen Scheinthemen beschäftigen als die tatsächlich vorhandenen Probleme offen zu benennen und entsprechende Lösungen zu präsentieren.


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Diskussion:

Ein Gedanke zu “Europa-Wahlkampf der Scheinthemen

  1. Eine kleine Ausnahme ist für mich die Idee eines legalen Einwanderungssystems. Das könnte zumindest ein Baustein beim Versuch sein, das Problem an den EU-Außengrenzen anzugehen.

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