Katalonien: Ein Gerichtsurteil wie eine Kriegserklärung
Nein, ich bin kein Freund des Separatismus, zumindest solange es sich dabei nicht um friedliche und einvernehmliche Prozesse handelt wie bei der Auflösung der Tschechoslowakei oder dem schottischen Unabhängigkeits-Referendums. Denn letztlich, so meine Sicht, ist das Gedankenmodell, auf dem der Separatismus fußt, dasselbe, das auch dem Nationalismus zugrunde liegt: Wir für uns und die anderen sind uns bestenfalls egal! Das ist eine Haltung, die man zwar haben darf, aber wahrlich nicht haben muss. Denn letztlich fördert sie nur ein argwöhnendes Gegeneinander und nicht – wie ich mir das wünsche – ein vertrauensvolles Miteinander.
Doch trotz meiner prinzipiellen Ablehnung des Separatismus empfinde selbst ich das am Montag gefällte Gerichtsurteil der spanischen Justiz gegen die katalanischen Unabhängigkeitsführer als absolut maßlos. Bis zu 13 Jahren Haft für die Initiatoren einer zumindest im Grundsatz ja erst einmal friedlichen Volksbefragung und dabei war der Anführer des „Aufruhrs“, Carles Puigdemont, noch nicht mal unter den Verurteilten. Wie viele Jahre Kerker drohen denn bitteschön dem? 20 Jahre? 25 Jahre? Das sprengt einfach so offensichtlich jeden Rahmen, dass man es nur als Demütigung verstehen kann. Und wie muss das alles erst auf jene wirken, die sich schon jetzt – egal ob zu Recht oder zu Unrecht – von der madrilenischen Zentralgewalt in die Enge getrieben fühlen? Das ist doch wie eine Kriegserklärung. Meine große Befürchtung ist deshalb, dass mit diesem Urteil eine Eskalationsspirale losgetreten wurde, die sich höchstens noch durch eine zeitnahe Revision des Urteils, im Zweifel gar einer Amnestie, wieder einfangen lässt.
Denn was werden die Konsequenzen sein, wenn dieses Urteil so fortbesteht? All jene, die sich bislang für eine einvernehmliche Verständigung zwischen Region und Gesamtstaat eingesetzt haben, reisen jetzt nicht mehr als Vertreter eines stolzen katalanischen Volkes nach Madrid. Sie kommen künftig als machtlose Bittsteller, die nicht mal die eigene Bevölkerung befragen dürfen, welche Vorstellung sie von der Zukunft Kataloniens haben. Selbst einem noch so fairen Ausgleich zwischen den beiden Landesteilen würde bei solchen Begleitumständen der Geruch einer Kapitulation anhaften.
Und was ist gar mit jenen, die sich für eine Loslösung von Spanien aussprechen? Bislang haben sie ihre Forderung im Rahmen der demokratischen Ordnung Kataloniens vorgetragen. Werden sie dies auch weiterhin tun, wenn sie wissen, dass auch darauf drakonische Strafen stehen? Oder greifen sie dann gleich zu anderen Mitteln? Ich halte das für eine hoch brisante Situation. Die vergangenen Tage lassen bereits nichts Gutes ahnen.
Aus meiner Sicht ist daher jetzt der Zeitpunkt zum Handeln gekommen. Das laute Schweigen der EU ist in der aktuellen Situation nicht mehr angemessen und muss schleunigst durch eine aktive Vermittlungsmission ersetzt werden. Beide Seiten sind umgehend aufzufordern, ihre nächsten Schritte im Interesse ihrer Kinder und Kindeskinder mit Bedacht zu machen. Noch gibt es eine Lage, die eine Umkehr erlaubt. Diese Chance muss genutzt werden – jetzt und von allen.
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