Die „westliche Provokation“ in der Ukraine

Der Ukraine-Konflikt kennzeichnet sich unter anderem dadurch, dass es zu jedem Ereignis mindestens zwei Sichtweisen gibt. Dies trifft allerdings nicht nur auf die Geschehnisse auf der Krim-Halbinsel und im Osten der Ukraine zu, sondern auch schon auf den Auslöser des Konflikts, also den Umsturz in Kiew. Während aus westlicher Sicht das ukrainische Volk seinen autokratischen Herrscher in die Wüste schickte, waren nach russischer Lesart maßgeblich „westliche Provokateure“ für den Umsturz in Kiew verantwortlich.

Und tatsächlich haben die Regierungen in der EU und den USA, bzw. die demokratischen Parteien, Stiftungen und Vereine dieser Länder, auch in vielfältiger Weise dazu beigetragen, dass das Stimmungsbild in der Ukraine so war, wie es war. Die westliche Medienaufmerksamkeit bei der Fußball-Europameisterschaft 2012, die Unterstützung der ukrainischen Opposition durch politische Organisationen aus dem Ausland oder der Druck auf Janukowytsch, z.B. im Bezug auf Frau Tymoschenko, sind Beispiele für diesen Einfluss. Ebenso wurde die Ukraine auch bei den jahrelangen Verhandlungen zu einer näheren Anbindung an die EU immer wieder zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ermahnt. All das zielte natürlich auf eine gesellschaftliche Veränderung im Sinne der westlichen Vorstellung einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ab. Aus russischer Sicht, wie auch aus Sicht einer jeden anderen Staatsführung, die eine solche Ordnung ablehnt, z.B. in China, ist dies natürlich eine Provokation.
Aus meiner Sicht handelt es sich hingegen bei dieser Form von Aufklärung und Unterstützung um die nachhaltigste und friedlichste Form, mit der gesellschaftliche Veränderungen erreicht werden können. Es wäre weder ratsam noch würde es unserer Verantwortung gerecht werden, wenn wir auf die Unterstützung demokratischer Bestrebungen in diesen Ländern verzichten würden, nur weil es für solche autokratischen Regime eine Provokation ist. Insoweit ist die russische Sichtweise in diesem Punkt zwar nachvollziehbar, aber bleibt erst mal abzulehnen.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob damit die Geschichte zu Ende erzählt ist. Auch wenn die jetzige Informationslage nur Vermutungen zulässt, will ich ein paar Punkte nennen, die mich an der bisherigen Erzählung ein wenig stutzen lassen.
So wurde auch in westlichen Medien von Geldströmen berichtet, die mit einer Unterstützung für politische Bildung in der Ukraine nur schwer zu erklären sind [1]. Die Aussage von Nuland ist, soweit ich weiß, nicht dementiert worden und aus meiner Sicht deutet dies zwei Dinge an. Über die Verbreitung liberaler Werte hinaus scheint es Interessen zu geben, ob nun geostrategischer oder ökonomischer Natur, die aus Sicht der Handelnden dieses besondere finanzielle Engagement rechtfertigen. Daneben deuten diese Summen darauf hin, dass das Geld für mehr als nur die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements eingesetzt wurde. Zumindest ist bei solchen Summen theoretisch viel denkbar, bis hin zur Bezahlung „inoffizieller Mitarbeiter“, die das Land durchsetzen.
Ein zweiter Punkt, der mich stutzen lässt, ist die Tatsache, dass es genau in jenem Moment zum Umsturz in der Ukraine kam, der für Putin, der bekanntermaßen ein Interesse am Machterhalt Janukowytschs hatte, wohl der ungeschickteste Zeitpunkt in den letzten Jahren war, nämlich während Russland die Olympischen Winterspiele zu Gast hatte. Der Auslöser für die rasante Entwicklung im Februar waren wohl letztendlich die Schüsse und Toten auf dem Maidan, ohne die mit großer Wahrscheinlichkeit die Geschichte anders verlaufen wäre. Bis heute scheint mir nicht geklärt [2], was die damalige Eskalation in genau diesem Moment auslöste, weshalb ich es zumindest für möglich halte, dass sich im Nachhinein die russische Lesart als realitätsnäher erweisen könnte als und lieb ist.

Auch weitere Punkte lassen meines Erachtens die Frage gerechtfertigt erscheinen, ob der Einfluss aus dem Westen nicht vielleicht doch größer war als das bislang bekannt ist. Wieso wurden manche nationalistischen Strömungen innerhalb der Protestbewegung so lange Zeit ausgeblendet? Wieso reagierte die westliche Wertegemeinschaft in Bezug auf die Ukraine ausnahmsweise so schnell und entschlossen? Immerhin dauerte es keine Woche bis die Interimsführung für den Westen hoffähig war und auch der IWF brauchte keine lange Prüfung für sein Hilfsprogramm. Wenn man das mit der Trägheit bei einer Vielzahl anderer Krisen vergleicht, ist das zumindest ungewöhnlich. Auch andere Entscheidung, z.B. in Bezug auf die Gas-Wirtschaft in der Ukraine, sind für die doch außergewöhnliche Situation sehr zügig getroffen worden.

Würde es sich allerdings bewahrheiten, dass der Westen doch mehr Einfluss genommen hat, als das bislang bekannt ist, müssten auch insgesamt die Geschehnisse rund um den Umsturz neu bewertet werden. Während es bislang abzulehnen ist, den westlichen Einfluss als „Provokation“ zu bezeichnen, hätte in diesem Fall die russische Lesart von der „westlichen Provokation“ dann durchaus eine Berechtigung.


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[1] Beitrag des ARD-Magazins Monitor vom 13.03.2014 (Link zum Beitrag auf www.wdr.de)

[2] Beitrag des ARD-Magazins Monitor vom 10.04.2014(Link zum Beitrag auf www.wdr.de)

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