mister-ede.de » Frankreich https://www.mister-ede.de Information, Diskussion, Meinung Fri, 01 Dec 2023 14:44:02 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.4.2 Wie wird sich die Corona-Pandemie in Deutschland, Europa und der Welt weiterentwickeln? https://www.mister-ede.de/politik/corona-deutschland-europa/8963 https://www.mister-ede.de/politik/corona-deutschland-europa/8963#comments Tue, 31 Mar 2020 20:56:21 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8963 Weiterlesen ]]> Viele Menschen treibt aktuell diese eine Frage um: Wie wird sich die Corona-Pandemie weiterentwickeln? Eine Antwort auf diese Frage kann aktuell aber niemand seriös geben. Es ist noch ungewiss, wie das Virus auf sommerliche Temperaturen reagiert. Und sollten beispielsweise Impfstoffe oder Medikamente verfügbar werden, ändert sich die Situation ebenfalls schlagartig. Aber auch wenn man solche Wendungen außen vor lässt, ist es aktuell schwierig, eine einigermaßen zuverlässige Aussage über den Fortgang der Seuche zu treffen.

Eine Ursache hierfür sind die grundsätzlichen Probleme, die sich aus diesem speziellen Katastrophen-Ereignis ergeben. Das Coronavirus selbst ist nicht wahrnehmbar, aber eben auch viele Infizierte haben keine oder kaum Symptome, fallen also nicht auf.
Würden die Erkrankten direkt am ersten Tag blaue Punkte im Gesicht bekommen, wäre es viel einfacher. So aber kann es über mehrere Tage oder, wenn die ersten Fälle als Grippe oder Erkältung fehlinterpretiert werden, auch über Wochen zu einem unbemerkten breitflächigen Seuchenausbruch kommen. Anfang Februar tobte das Coronavirus bereits kräftig in Norditalien und dennoch erahnte dort niemand die Gefahr. Während man also beispielsweise nach einem nuklearen Super-GAU recht genau die Kontamination einer Gegend messen kann, ist es bei Covid-19 damit schon schwer, die Ausgangsfrage zu beantworten, wie viele Infizierte es zu einem gewissen Zeitpunkt an einem bestimmten Ort gibt.
Die einzige Möglichkeit, um eine Aussage über die Verbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung und seine Ausbreitungsgeschwindigkeit zu treffen, ist daher über Tests, die aktuell jedoch nur mit labortechnischen Untersuchungen möglich sind. Sofern Tests durchgeführt werden, kann damit auf mehreren Wegen die Verbreitung des Corona-Virus untersucht werden:
Man kann alle Menschen in einem Gebiet testen und bekommt damit einen sehr schnellen und präzisen Überblick über die aktuelle Verbreitung des Virus und bei regelmäßiger Wiederholung auch über die Ausbreitungsgeschwindigkeit. Sofern es irgendwann Schnelltests gibt, wird das sicherlich eine Überlegung wert sein. Solange jedoch Labore nötig sind, wird man die für solche Massentests nötigen Kapazitäten aber nur in Einzelfällen, z.B. für eine kleine Stadt, bereitstellen können.
Was in Deutschland stattdessen praktiziert wird, ist deshalb eine selektive Testung z.B. symptomatischer Patienten oder von Kontaktpersonen bestätigter Covid-19-Fälle. Bei dieser Variante ist allerdings völlig klar, dass es eine gewisse Zahl an unentdeckten Infektionen gibt. Man kann also nicht genau auf die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung schließen. Nachdem sich aber in Deutschland durch die von Anfang an vielen Tests das Verhältnis der unbekannten zu den bekannten Infektionen im Verlauf der Epidemie nur geringfügig verändern sollte, kann aus diesen Daten dennoch recht schnell und präzise auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit geschlossen werden.
In vielen Ländern der Welt reichen die Testkapazitäten aber selbst hierfür nicht bzw. nicht mehr aus. In diesem Fall kann dann nur noch auf Basis der an Corona verstorbenen Menschen näherungsweise zurückgerechnet werden, wie viele Infizierte es etwa zwei Wochen zuvor gab. Aber auch dafür ist es natürlich zwingend erforderlich, dass zumindest auf das Virus getestet wird.

Gerade jedoch in China, wo es offenkundig am Willen mangelt, aber auch in den vielen Entwicklungs- und Schwellenländern mit deutlich schwächerer Diagnostik als in Europa, fehlt es an solchen umfassenden Tests und validen Daten. Daher lassen sich im Moment selbst aus den jeweiligen Todeszahlen solcher Länder keine Rückschlüsse auf den dortigen Stand der Corona-Ausbreitung ziehen. So könnte es abweichend zu den offiziellen Zahlen in Mexiko-Stadt, Bogota oder Nairobi auch bereits dutzende Corona-Tote und tausende Infizierte geben und es bekommt im Moment nur noch niemand mit, weil es einfach an ausreichenden Tests fehlt.
In Europa hingegen dürften zumindest die Todeszahlen einigermaßen stimmen, was für die Welt allerdings nichts Gutes erahnen lässt. Bei etwa 30.000 Toten und einer angenommenen durchschnittlichen Letalität (Sterberate) von 2,5% haben sich seit Beginn der europäischen Corona-Epidemie Ende Januar über 1 Mio. Menschen in Europa infiziert. Und da das eine Rückwärtsrechnung ist, handelt es sich bei dieser Zahl um den geschätzten Stand der Infektionen Mitte März. Innerhalb von 8 Wochen haben also ein paar dutzend Flugreisende aus China diese enorme Infektionswelle ausgelöst.
Und nun ist Europa bestimmt nicht das Maß aller Dinge. Insbesondere was Pandemien anbelangt, sind ostasiatische Staaten wesentlich erfahrener und Länder wie Süd-Korea oder Singapur sind überdies straffer organisiert und uns auch technisch weit voraus. Dass aber die Entwicklung ebenso in Amerika, Indien oder gar Afrika wesentlich anders und besser sein sollte als in Europa, kann ich mir jedoch kaum vorstellen. Und einen Beleg dafür, dass diese Einschätzung nicht ganz falsch zu sein scheint, haben in den letzten Tagen die USA geliefert. So zeigte sich dort nach dem Hochfahren der Testungen innerhalb kürzester Zeit ein ganz anderes Ausmaß der Seuchenverbreitung, als es die Zahlen bis dahin hätten vermuten lassen.
Was heißt das aber nun für die Frage, wie sich die Corona-Pandemie weiterentwickeln wird? Natürlich wäre es möglich, dass außer den USA, dem Iran und Europa die Welt ansonsten den Erreger gut im Griff hat. Vielleicht fühlt sich das Coronavirus ja nur in diesen Breitengraden der nördlichen Hemisphäre wohl. Womöglich fehlt es in vielen Ländern der Welt aber auch einfach nur an der Ausrüstung, um die Corona-Epidemie frühzeitig vor einem Überquellen der Krankenhäuser zu bemerken. Und ob China oder auch Japan die Corona-Pandemie wirklich schon hinter sich haben, ist zurzeit leider ebenfalls nicht sicher. So könnten am Ende Süd-Korea und Singapur mit ihrem sehr frühen und energischen Handeln zu den wenigen Ausnahmen gehören, falls es tatsächlich in einigen Wochen zu einer weltweiten Katastrophe kommen sollte.

Während man aber auf der globalen Ebene wegen der schlechten Datenlage nur Vermutungen anstellen kann, sind für Europa zumindest rudimentäre Einschätzungen möglich. So sind bis heute in Italien 12.500 Menschen und in Spanien über 8.000 Menschen an Covid-19 verstorben. Für Mitte März – kurz zuvor spielte Atalanta Bergamo noch in der Champions League auswärts in Valencia – lässt sich damit für diese beiden Länder eine gute halbe Million Infizierter errechnen, was einem Anteil von ca. 0,5% der dortigen Bevölkerung entspricht. Sowohl Italien wie auch Spanien sind somit noch weit weg von einer schützenden Herdenimmunität, während gleichzeitig die Situation dort schon jetzt höchst kritisch, geradezu chaotisch ist. Und leider ist für Italien und insbesondere für Spanien auch in den nächsten Tagen keine Verbesserung der Lage in Sicht. Zum einen werden die dort getroffenen Maßnahmen – in Italien früher als in Spanien – erst mit einiger Verzögerung die Infektionen reduzieren und noch später die Zahl der Intensivpatienten und Toten. Zum anderen sind in beiden Ländern die Kapazitätsgrenzen für eine adäquate Versorgung bereits jetzt erreicht und dürften nun sukzessive in immer mehr Landesteilen gesprengt werden.
Eine ähnliche Entwicklung könnte auch in anderen europäischen Staaten folgen. Das gilt insbesondere für Frankreich, das zwischen den beiden aktuell am härtesten betroffenen europäischen Ländern liegt, genauso wie für Österreich und die Schweiz mit der Nähe zu Norditalien und auch für Großbritannien, das erst äußerst spät reagierte und ein sehr schwaches Gesundheitssystem hat. Alleine aus der Rückrechnung der Todeszahlen kann man jedoch noch keine Aussage darüber treffen, ob es auch im Rest Europas so schlimm wird wie in Italien oder Spanien.
Blickt man zusätzlich auf die Zahl der Neuinfektionen, geben die Daten aus der Schweiz aber zumindest etwas Anlass zur Hoffnung. Nach dem frühen Shutdown des Landes bleibt dort die Zahl der Neuinfektion inzwischen relativ konstant. Sollte sich dieser Trend auch in anderen Teilen Europas einstellen, könnte manche europäische Region noch einmal knapp an der Katastrophe vorbeischrammen und mit einem blauen Auge davonkommen. Das allerdings wird man wohl erst in ein, zwei Wochen sehen können und muss man sich dann auch von Land zu Land noch einmal genauer anschauen.

Ähnliches gilt für Deutschland. Zwar gibt es hierzulande eine ausreichend gute Datenlage, um eine Verlangsamung des mittleren täglichen Anstiegs der Infektionen von über 30% Mitte März, auf 20% Ende letzter Woche und aktuell unter 10% relativ verlässlich messen zu können.

Aber auch hier ist es für eine Aussage zu früh, denn selbst ein täglicher Anstieg der Infektionen von 2% würde nach nur wenigen Wochen zu italienischen Zuständen führen. Man wird daher noch die nächsten Tage abwarten müssen, um sagen zu können, ob sich der Anstieg nur einem niedrigen Niveau annähert oder tatsächlich zeitnah eine Trendwende gelingt und aus dem Anstieg ein Rückgang wird. Wäre das der Fall und die Zahl der Corona-Infektionen würde wieder deutlich abnehmen, könnte man allerdings für Deutschland recht zuverlässig sagen, dass zumindest unter Beibehaltung der strikten Shutdown-Maßnahmen die Epidemie hierzulande kontrolliert werden kann.
Gleichwohl wird sich die Zahl der schweren Erkrankungen und der Verstorbenen auch bei diesem Szenario in den nächsten zwei, drei Wochen noch deutlich erhöhen, weil sich der Anstieg dieser Fallzahlen erst mit zeitlicher Verzögerung zum Anstieg der Neuinfektionen vollzieht. Und während die Gesundheitsbehörden bis zum 16.3. noch weniger als 10.000 Personen meldeten, bei denen die Testergebnisse positiv ausfielen, waren es in den darauf folgenden zwei Wochen mehr als 50.000 Menschen, die untersucht und positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Diesen Zahlen gegenüber standen am 31.3. innerhalb des RKI-Meldesystems 1.486 Covid-19-Erkrankte in intensivmedizinischer Betreuung [1]. Es ist nun zu erwarten, dass sich ihre Anzahl im Laufe der nächsten Tage entsprechend dem Infektionsanstieg vervielfachen wird. Bei über 7.000 im Rahmen dieses Systems sofort belegbaren Intensivbetten sollten die Kapazitäten bis Ende nächster Woche aber reichen und weitere Intensivplätze sind auch noch in der Hinterhand. Es ist daher absolut richtig, einen Teil der Betten jetzt zu nutzen, um Erkrankte aus den stark betroffenen Ländern Europas zu versorgen. Klar wird damit allerdings auch, dass der Anstieg der Fallzahlen in Deutschland nicht mehr allzu lange andauern darf, weil ansonsten selbst diese großen Kapazitäten nicht mehr ausreichen werden.
Darüber hinaus wird sich Deutschland darauf einstellen müssen, schwer erkrankte Personen bundesweit auf die vorhandenen Intensivplätze zu verteilen. Denn wie für die Welt und Europa gilt auch für Deutschland, dass es bei der Ausbreitung des Coronavirus große regionale Unterschiede gibt. Besonders in Süd- und Westdeutschland ist das Virus aktuell deutlich weiter verbreitet, was dazu führen könnte, dass die Kapazitäten des Gesundheitssystems dort trotz Verlangsamung des Infektionsgeschehen nicht mehr ausreichen, während in anderen Teilen der Republik noch über längere Zeit Intensivbetreuungsplätze zur Verfügung stehen. Für ein solches Szenario, also eine Verlegung von täglich hunderten Erkrankten über weitere Strecken, sollten sich die entsprechenden Organisationen und Institutionen (Luftrettung, Bundeswehr) daher vorbereiten, um im Ernstfall genügend Transportkapazitäten bereitstellen zu können.
Daneben wird man auch beobachten müssen, inwiefern es Unterschiede zwischen großen Metropolen und weniger dicht besiedelten Gegenden gibt. Es wäre zum Beispiel nicht sonderlich verwunderlich, wenn das in weiten Teilen eher ländlich strukturierte Mecklenburg-Vorpommern weniger stark von der Epidemie getroffen werden würde als die Bundeshauptstadt Berlin. Auch in diesem Fall sollten die ungenutzten Kapazitäten in diesen Regionen konsequent zur Entlastung stärker betroffener Gebiete genutzt werden.

Die erheblichen regionalen Unterschiede führen allerdings auch dazu dass eine Prognose für Deutschland schwer ist. Klar, solange die Zahl der bundesweiten täglichen Neuinfektionen weiter mehr oder weniger schnell steigt, befindet sich Deutschland auf dem Weg in die schlimmste humanitäre Katastrophe seit der Nachkriegszeit. Aber auch wenn die Zahl der Neuerkrankungen im bundesschnitt konstant bliebe oder zurückginge, sollte das nicht zu einer zu frühen Entwarnung führen. Wenn die aktuellen Ausgangsbeschränkungen in weiten Teilen des Landes eine schnelle Abnahme der Neuinfektionen bewirken, kann das nämlich überdecken, dass es in einzelnen Bundesländern, Städten, Kreisen oder auch Dörfern weiterhin zu einem Anstieg der Fallzahlen kommt. So liegt beispielsweise der durchschnittliche tägliche Anstieg der Neuinfektionen in NRW seit Mitte März stets 2 bis 5 Prozentpunkte unter dem Bundesschnitt.

Umgekehrt müssen dann aber auch andere Regionen über diesem Bundesschnitt liegen. Und genauso gibt es innerhalb der einzelnen Bundesländer erhebliche Unterschiede. Während nur jeder 16. Nordrhein-Westfale in Köln lebt, kommen 10% der Corona-Fälle des Landes von dort – Tendenz steigend. Selbst zwischen direkt benachbarten und strukturell ähnlichen Landkreisen und, wie man an Gangelt sieht, sogar Gemeinden kann es riesige Unterschiede geben. Bei einer Lockerung der aktuellen Maßnahmen könnte daher sehr schnell eine neue zweite Infektionswelle über eine noch immer weitestgehend nicht immune Bevölkerung rollen. Ein Ischgl hat ja für ein solches Szenario offenkundig ausgereicht und das nächste Ischgl könnte genauso gut auf Sylt liegen.

Was aber heißt das nun für Deutschland? Sowohl die Daten aus der Schweiz wie auch die spürbare Verlangsamung des Anstiegs in Deutschland deuten an, dass eine Trendwende schaffbar ist. Dafür allerdings muss der Shutdown noch mindestens ein, zwei Wochen weitergehen und auch danach wird es erheblicher Einschränkungen bedürfen. Möglicherweise wird es dabei auch zu der Situation kommen, dass die Epidemie zwar in weiten Teilen des Landes unter Kontrolle ist, es aber immer wieder zu verschiedenen regionalen Ausbrüchen der Seuche kommt. Auch hierauf wird man sich vorbereiten müssen, sobald erkennbar wird, dass sich die Lage in Deutschland insgesamt allmählich wieder verbessert. Während man für die Welt nur vermuten kann und für weite Teile Europas nur hoffen, ist für Deutschland damit zumindest ein ganz vorsichtiger Optimismus erlaubt.


Text als PDF: Wie wird sich die Corona-Pandemie in Deutschland, Europa und der Welt weiterentwickeln


Ähnliche Artikel:
Eine erste Einschätzung zur bundesweiten Corona-Kontaktsperre (www.mister-ede.de – 24.03.2020)

Corona-Epidemie in Deutschland: Es braucht wesentlich restriktivere Maßnahmen! (www.mister-ede.de – 12.03.2020)

Die Pandemie verschlafen: Jeder zweite Corona-Infizierte außerhalb Chinas befindet sich in der EU (www.mister-ede.de – 10.03.2020)

Corona-Hochrechnung für Italien und notwendige Sofortmaßnahmen für Deutschland (www.mister-ede.de – 11.03.2020)


[1] Täglicher Lagebericht des RKI vom 31.3.2020 (Lagebericht als PDF auf www.rki.de)

]]>
https://www.mister-ede.de/politik/corona-deutschland-europa/8963/feed 0
Dauerhafte Sommerzeit- oder ewige Winterzeit – wofür sind die Nachbarn Deutschlands? https://www.mister-ede.de/politik/sommerzeit-winterzeit-eu/8828 https://www.mister-ede.de/politik/sommerzeit-winterzeit-eu/8828#comments Tue, 21 May 2019 18:50:56 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8828 Weiterlesen ]]> Im Jahr 2021 soll die Zeitumstellung enden. Auf Vorschlag der EU-Kommission haben Europaparlament und Rat deshalb beschlossen, dass die EU-Länder in den kommenden Monaten melden sollen, ob sie künftig die dauerhafte Sommerzeit (MESZ) oder die ewige Winterzeit (MEZ) einführen wollen. Es soll damit vermieden werden, dass ein Flickenteppich aus unterschiedlichen Zeitzonen in Europa entsteht. Für die Frage, wie sich Deutschland entscheiden soll, ist daher nicht nur ein Blick auf das hiesige Meinungsbild sinnvoll, sondern auch darauf, wie sich unsere Nachbarländer entschieden haben oder entscheiden werden.

Hierzulande gibt es eine klare Präferenz für die dauerhafte Sommerzeit. Millionen Deutsche hatten sich 2018 an der EU-Konsultation beteiligt und sich mit einer deutlichen Mehrheit für diese Variante entschieden [1]. Und auch in repräsentativen Umfragen von Meinungsforschungsinstituten werden immer wieder ähnliche Ergebnisse gemessen. Selbiges gilt für unsere Nachbarn Luxemburg und Österreich. Auch dort gab es eine rege Beteiligung an der EU-Konsultation und eine klare Mehrheit für die dauerhafte Sommerzeit. Die inzwischen zerbrochene österreichische Bundesregierung hatte deshalb bereits im März mitgeteilt, sie bevorzuge die Sommerzeit, auch wenn man sich in Österreich einem deutsch-italienischen Winterzeit-Regime zur Not unterordnen würde, um als kleines Land keine Zeitinsel zwischen den großen Nachbarn zu bilden [2].
In den übrigen Nachbarländern Deutschlands war die Beteiligungsquote an der EU-Konsultation zwar zu gering, um eine wirkliche Aussagekraft zu haben. In Frankreich hat allerdings das Parlament inzwischen eine eigene Bürgerbefragung durchgeführt, an der sich über 2 Mio. Franzosen beteiligt haben. Das Ergebnis ist auch dort, dass sich 59% der Franzosen eine dauerhafte Sommerzeit wünschen, nur 37% die ewige Winterzeit [3]. Und auch bei Polen ist bekannt, dass eine breite Mehrheit für die Einführung der dauerhaften Sommerzeit ist [4]. Der zuständige Ausschuss im polnischen Parlament stimmte hierfür bereits 2017 und war damit sogar einer der Auslöser für die jetzige EU-Gesetzgebung zur Abschaffung der Zeitumstellung.

Falls sich Deutschland nun ebenfalls für die dauerhafte Sommerzeit entscheidet, ist anzunehmen, dass sich auch die kleineren Nachbarländer einer solch großen französisch-deutsch-polnisch-österreichischen Sommerzeitzone anschließen würden. Es erscheint daher durchaus sinnvoll, diesen Weg zu beschreiten, um einen Flickenteppich in Europa zu verhindern und zu einer gemeinsamen Zeit für Deutschland und seine Nachbarländer zu gelangen.


Ähnliche Artikel:
linked: „Ökonomie der Zeit: Does Time Matter?“ (www.mister-ede.de – 12.05.2019)

Wie Winterzeit-Befürworter die Sommerzeit mit Falschbehauptungen madig machen (www.mister-ede.de – 28.10.2018)


[1] Ergebnisse der EU-Konsultation zur Zeitumstellung (Link zur PDF auf eur-lex.europa.eu)

[2] Artikel auf Vienna.at vom 27.03.2019 zur österreichischen Haltung (Link zum Artikel auf www.vienna.at)

[3] Politico-Artikel vom 06.03.2019 zur Konsultation des franz. Parlaments (Link zum Artikel auf www.politico.eu

[4] ZDF-Beitrag vom 30.3.2019 zum Meinungsbild in Polen (Link zum Beitrag auf www.zdf.de)

]]>
https://www.mister-ede.de/politik/sommerzeit-winterzeit-eu/8828/feed 0
Macron steht für ein geeintes Europa, aber eines der neoliberalen Ideologie https://www.mister-ede.de/politik/macron-neoliberale-ideologie/8378 https://www.mister-ede.de/politik/macron-neoliberale-ideologie/8378#comments Sun, 30 Apr 2017 17:03:54 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=8378 Weiterlesen ]]> Es ist natürlich nicht falsch, wenn Emmanuel Macron von vielen Medien als Europafreund bezeichnet wird. Denn im Gegensatz zu Marine Le Pen, die zurück in den Nationalstaat will, setzt Macron auf das europäische Miteinander. Doch worüber die Medien nicht berichten: Für welches Europa Macron eigentlich steht – ein Europa der neoliberalen Ideologie.

Als Wirtschaftsminister scheiterte Macron an der Bevölkerung

Von 2014 bis 2016 war Macron bereits für zwei Jahre französischer Wirtschaftsminister und trat in dieser Zeit für einen Abbau des Sozialstaats, für eine Begrenzung der Arbeitnehmerrechte, für Rentenkürzungen und deregulierte Märkte ein. In einem ersten Reformschritt wollte er dafür unter anderem die Arbeitszeit verlängern, die Zahl der Flächentarife massiv zurückfahren und den Kündigungsschutz aufweichen. Letztendlich scheiterte er allerdings mit seinen weitgehenden Vorschlägen nicht nur am Widerstand des linken Flügels der französischen Sozialisten, sondern vor allem am Widerstand der Bevölkerung. So gingen im Frühjahr 2016 an manchen Tagen weit über eine Million Franzosen im Rahmen der landesweiten Proteste von „Nuit debout“ gegen diese Reformen auf die Straße und im weiteren Verlauf kam es dann auch zu Generalstreiks und Straßenblockaden, die Frankreich lahmlegten.

Macrons Politik ist nicht sozialliberal, sondern kapitalliberal

Aber auch im jetzigen Wahlkampf betonte Macron immer wieder, dass er die französische Wirtschaft in Schwung bringen will, indem er die staatlichen und gewerkschaftlichen Institutionen schwächt und im Gegenzug dafür der Wirtschaft und dem Kapital weitgehende Freiheiten einräumt. Seine Politik ist also keinesfalls sozialliberal, wie das in einigen Medien behauptet wird, sondern durch und durch kapitalliberal.
Macron steht damit, wie kein Zweiter unter den angetretenen Präsidentschaftskandidaten, für die neoliberale Ideologie. Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht, das ist seine Philosophie. Der schwache Staat, der euphemistisch gerne als „schlank“ bezeichnet wird, ist sein Ziel. Für das Gemeinwesen, den sozialen Ausgleich und das Solidarprinzip wird es unter ihm als Präsidenten hingegen keinen Platz mehr in der französischen Politik geben.

Macron ist ein französischer Gerhard Schröder

Blickt man auf Macrons bisherige politische Arbeit und sein Wahlprogramm, wird deutlich, dass er ein Agenda-Politiker im Stile von Gerhard Schröder ist. Dieser hat in seiner Regierungszeit in Deutschland Vermögende und Einkommensstarke steuerlich massiv entlastet, die jahrzehntelang gut funktionierende staatliche Rente zugunsten der privaten Riester-Rente aufgeweicht, auf dem Arbeitsmarkt die tarifliche Beschäftigung durch Leih- und Zeitarbeit und geringfügige Beschäftigung ausgehöhlt und das soziale Sicherungssystem auf Hartz-IV eingeschmolzen. Was hierzulande seither Realität ist, droht nun auch der französischen Bevölkerung, wenn sich Macron am 7. Mai in der Stichwahl durchsetzt und zum Präsidenten gewählt wird.
Gerade für jene Franzosen, die mit Macron die Hoffnung auf ein besseres Leben verbinden, könnte es daher ein bitteres Erwachen geben. Es ist daher nicht ganz unwahrscheinlich, dass ein Sieg Macrons am Ende Le Pen als französische Präsidentin nicht verhindert, sondern lediglich ihren Amtsantritt um 5 Jahre nach hinten verschiebt.

Mit Macron droht dem europäischen Projekt eine fatale Entwicklung

Aber auch für das europäische Miteinander droht mit Macron eine fatale Entwicklung, weil seine europäische Agenda anstelle grundlegender Reformen ein schlichtes „Weiter so“ vorsieht. Trägt er damit allerdings in den kommenden Jahren zur Verfestigung der vorhandenen Struktur der EU im Sinne der neoliberalen Ideologie bei, sind erhebliche Kollateralschäden vorprogrammiert. Denn steigt mit Macron auch Frankreich voll in den gemeinwohlschädlichen Dumpingwettbewerb der EU-Staaten bei Steuern, Löhnen und Sozialleistungen ein, wird sich die Abwärtsspirale innerhalb der EU künftig noch wesentlich schneller drehen. Die Folgen würden die Bürger aller EU-Länder spüren und so könnten z.B. die italienische Movimento Cinque Stelle oder die österreichische FPÖ noch mehr an Zulauf gewinnen. Im schlimmsten Falle birgt also ein Sieg Macrons die Gefahr, dass in den nächsten Jahren in Österreich Heinz-Christian Strache und in Italien Beppe Grillo die Staatsführungen übernehmen.


Ähnliche Artikel:
Die drei Hauptströmungen der Europa-Debatte (www.mister-ede.de – 21.04.2017)

Zukunft EU: Dachverband der Nationalinteressen oder Gemeinschaftsprojekt? (www.mister-ede.de – 31.01.2013)

Der europäische Schwarzbau oder die Geschichte vom Hobbyhandwerker Helmut K. (www.mister-ede.de – 14.12.2016)

Die Wettbewerbsfähigkeit: Täuschung der Relation (www.mister-ede.de – 27.02.2014)

]]>
https://www.mister-ede.de/politik/macron-neoliberale-ideologie/8378/feed 0
EM 2016 in Frankreich: Finale mit Außenseiter https://www.mister-ede.de/sport/em-finale-2016-aussenseiter/5089 https://www.mister-ede.de/sport/em-finale-2016-aussenseiter/5089#comments Thu, 23 Jun 2016 06:46:59 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=5089 Weiterlesen ]]> Nach Abschluss der Vorrunde steht fest, dass mindestens ein Außenseiter ins Finale der Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich einziehen wird. Nach Achtel-, Viertel- und Halbfinale wird das Team von Belgien, Kroatien, Nordirland, Polen, Portugal, der Schweiz, Ungarn oder Wales im Finale in Paris spielen. Dort wird es auf den Sieger des zweiten Halbfinales treffen, das Team aus Deutschland, England, Frankreich, Italien, Irland, Island, der Slowakei oder Spanien. Ein Klassiker, wie Deutschland gegen England oder Deutschland gegen Italien, ist im Endspiel dieser Europameisterschaft damit genauso ausgeschlossen wie das Spiel des EM-Gastgebers Frankreichs gegen den amtierenden Europameister Spanien.
Wie bei der EM 1996, als sich Tschechien, der Gruppenzweite aus der damaligen deutschen Vorrundengruppe, bis ins Finale durchgesetzt hatte, könnte auch diesmal das Endspiel eine Wiederholung des Vorrundenspiels Deutschland gegen Polen werden. Auch die Wiederholung des EM-Finales von 1980, Deutschland gegen Belgien, oder des WM-Finales von 1954 gegen Ungarn ist nicht ganz unwahrscheinlich, vorausgesetzt, Deutschland qualifiziert sich für das Finale. Ansonsten sind natürlich auch das iberische Duell zwischen Portugal und Spanien oder ein französischer oder italienischer Finaleinzug denkbar. Hingegen scheint ein britisches Endspiel zwischen England und Wales oder Nordirland aufgrund der bisherigen Leistung der Engländer ausgeschlossen.


Ähnliche Artikel:
Deutschland wird auf Jahre im Weltfußball unschlagbar sein! (www.mister-ede.de – 13.07.2014)

]]>
https://www.mister-ede.de/sport/em-finale-2016-aussenseiter/5089/feed 0
Das griechische Referendum und die Spieltheorie https://www.mister-ede.de/politik/referendum-und-spieltheorie/3957 https://www.mister-ede.de/politik/referendum-und-spieltheorie/3957#comments Tue, 30 Jun 2015 13:48:21 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=3957 Weiterlesen ]]> Wie Spieltheorie funktionieren kann, hat einst Ulrich Wickert in Paris bei der Überquerung der Champs Élysées demonstriert. Einfach draufloslaufen, dann müssen die Autofahrer aufpassen, dass es keinen Unfall gibt [1]. Ähnlich verhält sich wohl auch die griechische Regierung, der klar ist, dass ohne Einigung ein gehöriger Schaden in der Eurozone verursacht wird, der weit größer ist als das, um was es in den Verhandlungen eigentlich geht. Mit seiner Ankündigung eines Referendums im vorletzten Moment ist Tsipras einfach losgelaufen und hat so die Eurogruppe unter Zugzwang gesetzt, weil die Regierungschefs nun damit konfrontiert werden, ihren Wählern den Verlust von vielleicht 300-400 Milliarden Euro zu erklären. Daneben wird die Eurozone auch zur Kenntnis nehmen, dass an den Zinsmärkten erste Konsequenzen spürbar sind.

In der Folge dieser Ankündigung hat die Euro-Gruppe am Samstag mit ihrer schnellen Positionierung gegen Überbrückungshilfen für Griechenland dann allerdings in mehrerlei Hinsicht einen taktischen Fehler begangen.
So wurde das griechische Volk wieder einmal vor den Kopf gestoßen, denn erneut entscheidet damit Brüssel über das Schicksal Griechenlands und nicht die Griechen selbst. Scheitern die Gespräche jetzt endgültig und kommt es zum Staatsbankrott, wird diese Ablehnung der Überbrückung entsprechend auch die Grundlage der griechischen Erzählung von der Schuld der Euro-Finanzminister und der EZB sein.
Aber auch mit Hinblick auf eine angestrebte Einigung war die schnelle Festlegung ein Fehler, weil die Euro-Gruppe damit ihren Handlungsspielraum unnötig eingeschränkt hat. Hätten die Regierungschefs sich den Weg des Referendums offengehalten und würden heute erklären, dass eine Fristverlängerung gewährt wird, sofern das Referendum definitiv bindend ist und die Regierung in Athen bei einer Zustimmung zu den Brüsseler Vorschlägen entsprechend die politische Konsequenz zieht und zurücktritt, wäre den Spieltheoretikern um Tsipras wohl ein gehöriger Strich durch die Rechnung gemacht worden.
Doch, anstatt die Gunst der Stunde zu nutzen und die Syriza-Regierung mit Hilfe ihres eigenen Vorschlags aus dem Spiel zu nehmen, bei einem Referendum sind ja nur noch das Angebot aus Brüssel und das griechische Volk relevant, hat die Euro-Gruppe mit ihrem Beschluss den Ball wieder an die Regierung in Athen zurückgespielt. Dort aber kann man nun auf den Sturmlauf der Regierungschefs warten, die bei den Entwicklungen an den Finanzmärkten mit steigenden Zinsen für Spanien und Italien und den Blick auf den näher kommenden Schaden wohl gerne wieder an den Ball kämen.


Ähnliche Artikel:
Dijsselbloem verkündet Zahlungsstopp für Griechenland (www.mister-ede.de – 27.06.2015)

Szenario einer Konflikteskalation in Griechenland: Hat der David das bessere Blatt? (www.mister-ede.de – 10.02.2015)


[1] Ulrich Wickert in Paris (Link zum Video auf www.youtube.com)
]]>
https://www.mister-ede.de/politik/referendum-und-spieltheorie/3957/feed 0
Die Wachstumsschwäche der Eurozone und die Auffälligkeit der Austeritätspolitik https://www.mister-ede.de/politik/wachstumsschwaeche-eurozone/3820 https://www.mister-ede.de/politik/wachstumsschwaeche-eurozone/3820#comments Sun, 19 Apr 2015 17:41:29 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=3820 Weiterlesen ]]> Im Jahr 2009, dem Folgejahr der Lehman-Pleite in den USA und dem Ausbruch der Finanzkrise, ist die Wirtschaft in allen Ländern der Währungsunion massiv eingebrochen. Insgesamt ging die Wirtschaftsleistung der Eurozone um 4,5% zurück. Bis 2011 konnten sich dann allerdings zahlreiche Länder der Eurozone bei einer zum Teil deutlichen Schuldenausweitung wieder einigermaßen erholen. So lag die Wirtschaftsleistung in Deutschland (101,7%) [1], Frankreich (101,1%), Belgien (101,4%), Österreich (101,1%), Slowakei (101,9%), Luxemburg (102,1%) und Malta (103,2%) bereits 2011 wieder über dem Niveau von 2008. Auch in den übrigen Ländern der Eurozone erholte sich die Wirtschaftsleistung mehr oder weniger schnell, jedoch mit Ausnahme von Spanien und Griechenland, die noch weitere Rückgänge ihrer Wirtschaftskraft zu verzeichnen hatten, und Portugal, das nach einem Anstieg im Jahr 2010 (98,8%) im Jahr 2011 (97,1%) wieder auf das Level von 2009 (97%) fiel. Insgesamt lag die Wirtschaftsleistung der Eurozone 2011 bei 99% der Wirtschaftsleistung von 2008.

Ab 2011 steckte die Eurozone allerdings erneut in einer Abwärtsspirale, die erst durch die 2012 eingeleitete expansive Geldpolitik der EZB ab 2014 vorerst gestoppt wurde. Insgesamt ist in diesem Zeitraum die Wirtschaftsleistung der Eurozone von 99% (2011) auf 97,7% (2013) zurückgegangen. Auffällig ist dabei jedoch, dass gerade jene Länder, die zur Konsolidierung auf einen strengen Austeritätskurs setzten, kräftig von der Abwärtsspirale erfasst wurden. In Portugal brach die Wirtschaftsleistung von 97,1% (2011) auf 91,7% (2013) ein, in Spanien von 95,8% (2011) auf 92,7%, auf Zypern von 99,7% (2011) auf 92,0% (2013), in Griechenland von 82,4% (2011) auf 73,9% (2013) und in Irland stagnierte die Wirtschaftskraft nach 95,9% (2011) bei 95,8% (2013). Auch Italien mit dem neu gewählten und von den Euro-Partnern als „Reformer“ gefeierten Mario Monti musste einen Wirtschaftseinbruch von 96,7% (2011) auf 92,4% (2013) hinnehmen. Frankreich, das zu Lasten seines Haushaltsdefizits unter Präsident Hollande keinen reinen Austeritätskurs umsetzte, konnte hingegen seine reale Wirtschaftsleistung immerhin von 101,1% (2011) auf 101,7% (2013) steigern.
Und auch von den übrigen Euro-Ländern mussten lediglich zwei Länder einen Rückgang ihrer Wirtschaftsleistung verzeichnen: Die Niederlande von 99,4% (2011) auf 97,2% (2013) und Finnland von 96,9% (2011) auf 94,3% (2013). Die restlichen Euro-Staaten, also Deutschland, Österreich, Belgien, die baltischen Staaten, Slowenien, die Slowakei, Malta und Luxemburg, konnten hingegen ihre Wirtschaftsleistung von 2011 bis 2013 ausweiten.

Im letzten Jahr legte die Wirtschaft in den meisten Ländern der Eurozone, vermutlich vor allem dank der insgesamt positiven Rahmenbedingungen (niedriger Ölpreis, schwacher Euro), etwas zu. Lediglich Zypern und Italien mussten einen erneuten Rückgang ihrer Wirtschaftsleistung verbuchen und Finnland verharrte auf dem Vorjahresniveau. Zusammengenommen ist damit die Wirtschaftsleistung der Eurozone von 97,7% (2013) wieder auf 98,8% (2014) angestiegen. Das bedeutet jedoch auch, dass das reale BIP der Eurozone von 2008 bis 2014 um insgesamt 1,2% zurückgegangen bzw. nach dem Einbruch von 2009 um magere 3,2% in fünf Jahren gewachsen ist.
Eine Folge dieser Wachstumsschwäche ist dabei, dass die betroffenen Länder nicht automatisch aus ihren Schulden herauswachsen. Daher erscheint es mir auch im Hinblick auf die Schuldenproblematik notwendig, die Wachstumsschwäche der Eurozone endlich zu überwinden. Die Einführung des Mindestlohns in Deutschland und das von der EU-Kommission geschnürte Investitionspaket sind deshalb Schritte in die richtige Richtung.


Ähnliche Artikel:
Statistik zur Entwicklung des realen BIP der Euro-Länder 2008-2014 (www.mister-ede.de – 19.04.2015)

Der fatale Mechanismus der Austeritätspolitik in der Eurokrise (www.mister-ede.de – 06.02.2015)


[1] Prozentangaben: Wirtschaftsleistung des Betrachtungsjahres in Prozent der Wirtschaftsleistung des Jahres 2008 (Link zum Datenblatt auf www.mister-ede.de)

]]>
https://www.mister-ede.de/politik/wachstumsschwaeche-eurozone/3820/feed 0
Die Zinsunterschiede und die Zinslastverteilung in der Eurozone https://www.mister-ede.de/politik/zinslastverteilung-eurozone/3713 https://www.mister-ede.de/politik/zinslastverteilung-eurozone/3713#comments Sat, 14 Mar 2015 18:48:43 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=3713 Weiterlesen ]]> Vergleicht man die Schulden- und Zinslast der Eurozone im Gesamten, hat sich die Verschuldung der Euro-16-Länder, also jener Länder, die 2007 in der Eurozone vertreten waren, plus Slowakei, Malta und Zypern (Beitritte 2008/2009), von 6,1 Billionen Euro im Jahr 2007 auf 9,2 Billionen Euro im Jahr 2013 erhöht, während die Zinslast 2013 in etwa auf dem Niveau von 2007 lag. Verändert hat sich dabei allerdings die Zusammensetzung der Schulden- und Zinslast, wobei sich die Zinslastanteile nicht nur in Abhängigkeit von der unterschiedlichen Schuldentwicklungen der jeweiligen Euro-Ländern, sondern auch durch ein Auseinanderlaufen der Zinsen verschoben haben.

Nimmt man die Gesamtverschuldung bzw. die gesamte Zinslast der Eurozone und berechnet die prozentualen Anteile von Schulden- und Zinslast, wird das Auseinanderlaufen der Zinsen innerhalb der Währungsunion recht deutlich. Während 2007 die Zinslastanteile der Euro-16, mit Ausnahme von Slowenien, das erst 2007 beitrat, sowie Malta, Zypern und Luxemburg, noch sehr nah an den Schuldenanteilen lagen, gibt es heute zahlreiche Abweichungen.
Musste Deutschland 2007 bei einem Schuldenanteil von 26,2% und einem Zinslastanteil von 25,0% nur 95,7% der durchschnittlichen Zinsen zahlen, liegt dieser Betrag 2013 mit einem Schuldenanteil von 23,4% und einem Zinslastanteil von 20,4% bei nur noch 87,1% der durchschnittlichen Zinsen. Auch Frankreich konnte seinen Wert von 92,6% auf 81,8% weiter senken, während umgekehrt z.B. Italien eine Steigerung von 108,3% auf 126,2% hinnehmen musste. Besonders hart sind auch die Krisenländer getroffen, bei denen sich der Zinslastanteil überproportional zum sowieso schon stark gestiegenen Schuldenanteil entwickelt hat. So lag in Spanien der Zinslastanteil 2007 noch bei 6,3%, während er heute mit 12,4% fast doppelt so hoch liegt, was zum einen am Schuldenanteil liegt, der von 6,3% auf 10,5% gestiegen ist und zum anderen an den Zinsdivergenzen, die bei Spanien zu durchschnittlich 19% höheren Zinskosten im Vergleich zur gesamten Eurozonen führen.

Schulden und Zinsen der Eurozone 2007 nach Ländern, absolut und in Prozent der Gesamtlast:

Schulden und Zinsen der Eurozone 2013 nach Ländern, absolut und in Prozent der Gesamtlast:

Vergleich der Zinsvorteile und Zinsnachteile in der Eurozone 2007 und 2013:

Abb. 1 und 2: Quelle für Schulden und Zinsen: Eurostat
Abb. 3: Berechnet mit Zahlen von Eurostat
Grün/Rot = positive/negative Abweichung > 12,5%
Gelb = Hilfsprogramme mit günstiger Verzinsung


Ähnliche Artikel:
Die Entwicklung von Schuldenstand und Zinslast der Euro-Staaten in der Finanzkrise (www.mister-ede.de – 26.02.2015)

Das Auseinanderlaufen der Zinssätze in der Eurozone und die Folgen (www.mister-ede.de – 15.03.2015)

Die zwei Krisen der Finanzkrise (www.mister-ede.de – 21.01.2015)

Der fatale Mechanismus der Austeritätspolitik in der Eurokrise (www.mister-ede.de – 06.02.2015)

]]>
https://www.mister-ede.de/politik/zinslastverteilung-eurozone/3713/feed 0
Fehlannahmen zu Griechenland und den Folgen der Griechenland-Wahl https://www.mister-ede.de/politik/fehlannahmen-griechenland/3502 https://www.mister-ede.de/politik/fehlannahmen-griechenland/3502#comments Thu, 22 Jan 2015 17:50:37 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=3502 Weiterlesen ]]> Zurzeit kursieren in Deutschland drei große Fehlannahmen rund um die griechische Wirtschaftsituation und die Folgen der Griechenland-Wahl.

Zunächst ist es eine Mär, dass Griechenland aus dem Euro ausscheiden will. Weder Syriza noch sonst eine politische Kraft in Griechenland will den Euro verlassen, weil diese Währung für Griechenland große Vorteile bietet. Nicht nur der Staat, sondern auch die Unternehmen können mit Hilfe des bislang harten Euro zum Beispiel Vorprodukte beziehen oder sich in dieser Währung finanzieren, ohne dass Anleger Angst vor Währungsverlusten haben müssen. Selbst wenn der Euro für Griechenland an anderer Stelle ungünstig ist, hat Griechenland mit dem Euro einen großen Standortvorteil z.B. gegenüber der Türkei, den die wenigsten aufgeben wollen. Insofern wird Griechenland nicht aus dem Euro ausscheiden, solange nicht die übrigen Euro-Staaten ihrerseits versuchen, das Land aus der Gemeinschaftswährung heraus zu drängen.
Eine zweite Fehlannahme ist, dass die Staatsschulden das größte Problem Griechenlands darstellen. Tatsächlich sind diese zwar weit aus dem Ruder gelaufen, aber aufgrund der aktuellen Niedrigzinspolitik sowie der Akzeptanz griechischer Staatsanleihen als Sicherheiten durch die EZB und ihre Bereitschaft zum Aufkauf von Staatsanleihen, hält sich die griechische Zinslast, die aus den massiven Schulden resultiert, noch in Grenzen. Das weit größere Problem für Griechenland ist die relative Perspektivlosigkeit sowie die mangelnde Bereitschaft der starken Euro-Mitgliedsstaaten durch Reallohnsteigerung das Preisniveau deutlich anzuheben. Solange sich nichts an dieser Situation ändert, wird Griechenland mit oder ohne Schuldenschnitt zwischen Rezession und Deflation umher taumeln, weshalb die Schulden für sich alleine genommen eher ein nachrangiges Problem darstellen.
Kommt es allerdings zu Diskussionen über einen Schuldenschnitt oder über zusätzliche Hilfsgelder für Griechenland, dürfte es sich um eine weitere Fehleinschätzung handeln, wenn davon ausgegangen wird, dass sich solche Auseinandersetzungen dann auf Griechenland begrenzen lassen. Fraglich ist z.B., ob Irland ohne Zugeständnisse bereit wäre, einen Schuldenschnitt oder ein Hilfsprogramm für Griechenland mitzutragen. Aber auch Zypern, Portugal oder Spanien könnten Erleichterungen, z.B. Investitionshilfen, einfordern. Umgekehrt wäre es aber auch denkbar, dass Länder, wie z.B. Frankreich oder Italien, mit Verweis auf die heimische Wirtschaftssituation neuerliche Hilfen verweigern.

Berücksichtigt man alle drei Fehlannahmen, dann tritt Griechenland bei einem Regierungswechsel einfach aus dem Euro aus und erhält bei der Rückzahlung der Staatsschulden etwas mehr Zeit. Lässt man diese Fehleinschätzungen aber beiseite, muss im Falle eines Regierungswechsels in Griechenland in den nächsten Monaten eine für die gesamte Eurozone tragfähige Lösung gefunden werden oder Griechenland droht durch einseitige Maßnahmen, z.B. durch einen Zahlungsstopp, die Eurozone in Schieflage zu bringen.


Ähnliche Artikel:
Griechenlands Schuldendienst und der Grexit (www.mister-ede.de – 12.01.2015)

Glossar: Die Zinslastquote (von Staaten)

Mehr zum Thema Eurokrise auf www.mister-ede.de

]]>
https://www.mister-ede.de/politik/fehlannahmen-griechenland/3502/feed 0
Bewertung des EGMR-Urteils zum französischen Verschleierungsverbot https://www.mister-ede.de/politik/urteil-verschleierungsverbot/2699 https://www.mister-ede.de/politik/urteil-verschleierungsverbot/2699#comments Mon, 07 Jul 2014 06:23:23 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=2699 Weiterlesen ]]> Am 1. Juli hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass das in Frankreich bestehende Verschleierungsverbot mit europäischem Recht vereinbar ist und keinen unrechtmäßigen Eingriff in die Grundrechte darstellt [1].
Bei meiner Bewertung des Urteils komme ich allerdings zu einer etwas anderen Einschätzung als Maximilian Steinbeis, der sich mit dem Urteil im Verfassungsblog auseinandergesetzt hat [2]. Obwohl ich eine ähnliche Auffassung zu dem zugrundeliegenden Gesetz habe wie er, halte ich das Urteil für absolut richtig.

Aus meiner Sicht ist schon die Überschrift von Steinbeis‘ Artikel nicht ganz passend gewählt und führt daher in die falsche Richtung, denn eigentlich geht es bei diesem Gesetz am Ende nicht um ein Burka-Verbot, sondern allgemein um die Verhüllung im öffentlichen Raum. Durch das französische Gesetz ist weder das Tragen der Burka im nicht-öffentlichen Raum verboten, noch darf man sich im öffentlichen Raum anderweitig verhüllen. Steinbeis stellt das in seinem Text zwar auch dar, kommt dann aber zum Schluss, „man macht sicher keinen Fehler, wenn man vermutet, dass es faktisch hier nur um eine ganz konkrete Bevölkerungsgruppe geht“. Dem stimme ich zwar zu, allerdings kann daraus aus meiner Sicht noch nicht auf eine Diskriminierung geschlossen werden. Das Rauchverbot trifft nur Raucher, die Anschnallpflicht nur Autofahrer und dennoch handelt es sich bei beidem um zulässige Eingriffe in Freiheiten und nicht um eine verbotene Diskriminierung.
Darüber hinaus halte ich Steinbeis‘ Einlassung auch in einem gewissen Maße für unkonventionell, da es juristisch sowieso irrelevant ist, wie viele andere Gruppen neben Burka-Trägerinnen noch von dem Verschleierungsverbot betroffen sind. Es wäre grotesk, wenn dies eine Rolle spielen würde, denn das hieße ja, das Verbot wäre rechtmäßig, solange nur eine andere Gruppe, z.B. eine Vereinigung verschleierter Landfrauen, von dem Verschleierungsverbot stärker betroffen wäre.

Das Gericht hat entsprechend weder zu berücksichtigen, welche Intentionen im Vorlauf des Gesetzes eine Rolle gespielt haben, noch zu beachten, welche weiteren Hintergedanken es womöglich gibt, sondern lediglich darüber zu entscheiden, ob die am Ende erlassene Regelung mit den europäischen Gesetzen vereinbar ist. Ein noch so gut gemeintes Gesetz kann z.B. verfassungswidrig sein, während ein noch so schlecht gemeintes Gesetz das eben nicht sein muss.
Die einzige Frage, die das Gericht deshalb zu prüfen hat, ist, ob dieses Verhüllungsverbot, so es denn Burkas betrifft, in das Grundrecht der Freiheit der Religionsausübung in unzulässiger Weise eingreift.
Dabei steht außer Zweifel, dass ein Staat Regelungen zum Verhalten in der Öffentlichkeit treffen darf, ob das nun das Verbot ist, sich zu verhüllen, Alkohol zu konsumieren oder nackt über den Marktplatz zu rennen. Fraglich ist dann allerdings immer, ob mit solchen Verboten irgendein Grundrecht eingeschränkt wird, ob nun die Versammlungsfreiheit oder eben in diesem Fall die Freiheit der Religionsausübung, und ob diese Einschränkung im konkreten Fall vertretbar ist. Der Eingriff in die freie Religionsausübung ist bei diesem Gesetz natürlich zweifellos gegeben, da das Tragen einer Burka in der Öffentlichkeit eben nicht mehr erlaubt ist. Es stellt sich daher lediglich die Frage, ob dieser Eingriff verhältnismäßig ist und damit zu rechtfertigen.

Das Gericht muss aus diesem Grund zum Beispiel prüfen, ob sich das politische Ziel, in diesem Fall also in der Öffentlichkeit das Gesicht zu zeigen, durch ein milderes Mittel erreichen lässt. Allerdings dürfte es hier schwierig sein, ein milderes Mittel als das Verbot der Verschleierung zu finden.
Daneben muss das Gericht auch prüfen, ob das Gesetzesziel legitim und wichtig genug ist, um die Einschränkung zu rechtfertigen, und ob sich das angestrebte Ziel überhaupt mit dem Gesetz erreichen lässt. Letzteres ist zu bejahen, denn durch das Verbot der Verschleierung wird natürlich das Ziel des offenen Gesichtes erreicht und zu ersterem kann man nun verschieden Auffassungen haben. Dies allerdings bedeutet vor allem, dass der Gesetzgeber, in diesem Fall der französische, einen weiten Spielraum bei seiner Einschätzung hat. Aus diesem Grund muss das Gericht die Abwägung des französischen Gesetzgebers respektieren, solange nicht ein offensichtliches Missverhältnis bei der Abwägung vorliegt.
Ich bin daher auch nicht der Meinung von Steinbeis, dass das Gericht hier den Grundrechtsschutz aufweicht, sondern teile die Auffassung des Gerichts, das sagt [3]: „The national authorities have direct democratic legitimation and are, as the Court has held on many occasions, in principle better placed than an international court to evaluate local needs and conditions.“ Für den einen mag eine solche Zurückhaltung des Gerichts wirken, als seien die Ergebnisse beliebig, aus meiner Sicht ist eine solche Zurückhaltung aber einfach Ausdruck der Gewaltenteilung.

Um es ganz klar zu sagen, ich hätte als französischer Gesetzgeber anders abgewogen und ich befürworte das Gesetz nicht, allerdings möchte ich eben auch keinesfalls, dass künftig die Gerichte politische Entscheidungen treffen und nicht mehr die demokratisch legitimierten Volksvertreter, die man im Zweifel auch abwählen kann. Der deutsche Gesetzgeber soll bitte weiterhin im öffentlichen Interesse verbieten können, nackt, bewaffnet oder mit einer Nazi-Fahne durch die Stadt zu ziehen und der französische soll die Möglichkeit haben die Verschleierung zu untersagen.
Und wenn man mit der Abwägung dann nicht einverstanden ist, muss man politischen Druck aufbauen, damit die verantwortlichen Politiker abgewählt werden, und nicht von den Gerichten erwarten, dass diese zum Ersatzgesetzgeber mutieren.

Aus meiner Sicht hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte daher eine gute Arbeit gemacht. Allerdings hoffe ich, dass sich irgendwann eine politische Mehrheit in Frankreich findet, die dieses Gesetz einfach wieder abschafft.

Ergänzung vom 12.09.2016: Europäisches Recht ist hier nicht EU-Recht, sondern die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats, dem 47 europäische Länder angehören und dessen Gericht der EGMR ist.

[1] Artikel auf sueddeutsche.de vom 01.07.2014 zum Urteil des EGMR (Link zum Artikel auf www.sueddeutsche.de)

[2] Beitrag von Maximilian Steinbeis vom 01.07.2014 auf Verfassungsblog.de (Link zum Artikel auf www.verfassungsblog.de)

[3] Urteil des EGMR (Link zum Urteil auf echr.coe.int)

]]>
https://www.mister-ede.de/politik/urteil-verschleierungsverbot/2699/feed 0
Eine Bilanz nach fünf Jahren Euro-Rettungspolitik https://www.mister-ede.de/politik/bilanz-euro-rettungspolitik/2192 https://www.mister-ede.de/politik/bilanz-euro-rettungspolitik/2192#comments Tue, 15 Oct 2013 06:21:13 +0000 MisterEde http://www.mister-ede.de/?p=2192 Weiterlesen ]]> Wir schreiten durch das sechste Jahr der Finanzkrise nach dem Zusammenbruch von Lehman im Herbst 2008. Den Unsicherheiten an den Kapitalmärkten und der Gefahr einer Pleitewelle bei Banken begegnete die europäische Politik damals mit weitreichenden Stützungsmaßnahmen. Deutschland fing die Hypo-Real-Estate auf, beteiligte sich an der Commerzbank und stellte zahlreichen Landesbanken Notkredite zur Verfügung. Ähnlich war das in anderen Ländern, wie Spanien, Italien oder Frankreich.
Irland, das einen sehr großen Bankensektor hat, kam hierdurch genauso ins straucheln wie Griechenland, welches diverse weitere Probleme hatte. Auch Portugal und Spanien, bei denen die Bankenkrise zusätzlich durch eine Immobilienkrise begleitet wurde, sind in eine scharfe Rezession gestürzt.
Anders als bei nationalen Währungen war es den Nationalstaaten dabei nicht möglich, die eigene Verschuldungsproblematik durch Währungsabwertungen in den Griff zu bekommen. Daneben führte der Währungsverbund dazu, dass ohne eine Abwertung der Währung Geld aus dem Land, also z.B. von Spanien nach Deutschland fließen konnte. Die wegen fehlender Abwertungsmöglichkeiten stärkere Rezession und die leichtere Abflussmöglichkeit für Kapital haben in der Folge den Finanzbedarf der Krisenländer enorm steigen lassen. Ab diesem Zeitpunkt setzte dann eine spezifische Euro-Rettungspolitik ein.

Betrachtet man nun den ursprünglichen Auslöser, also die Bankenkrise, dann fällt auf, dass 2009 und 2010 noch eine Bankenregulierung, eine Finanzmarktsteuer oder eine gemeinsame Bankenaufsicht im Fokus der öffentlichen Diskussion standen. Das ist heute anders, obwohl sich tatsächlich nur wenig geändert hat.
Kleinere Erfolge sind Überwachung und Kennzeichnungspflichten beim Computerhandel und höhere Eigenkapitalanforderungen für Banken.  Es fehlt allerdings immer noch eine Finanzmarktsteuer, welche die Finanzwirtschaft an den Folgekosten beteiligt, und  genauso wenig gibt es eine gemeinsame Bankenaufsicht oder gar Abwicklungsmechanismen für marode Banken. Von Trennbankensystem oder Licht im Schattenbankensektor ganz zu schweigen.
Geht es also um die Frage nach der Krisenanfälligkeit des europäischen Finanzwesens, dann fällt die Antwort heute nicht wesentlich besser aus als 2008. Insofern ist die Bilanz im Hinblick auf eine Verhinderung einer neuen Bankenkrise eher mager.

Nun geht es mir aber im speziellen um die Frage der Euro-Rettungspolitik und ihren Auswirkungen. Schaut man aber auf die Rettungs-Maßnahmen, dann ist erneut zu erkennen, dass wenig unternommen wurde um die krisenhafte Situation zu beseitigen. Ähnlich wie bei der Bankenkrise ist die einzige wirkliche Antwort gewesen, dass versucht wurde den Finanzbedarf der Krisenländer zu decken.
Dabei gab es zwar einen kleineren Schuldenschnitt in Griechenland und im weiteren Verlauf die Beteiligung von zyprischen Sparbüchern, aber der weitaus größere Teil des Finanzbedarfs wurde durch Hilfskredite aus EFSF, ESM und Griechenland-Paketen gestemmt. Auch die EZB hat durch den Aufkauf von Staatsanleihen dazu beigetragen den Finanzbedarf der Länder zu decken.
So konnte eine Staatspleite verhindert und damit auch ein möglicher Zusammenbruch der Eurozone abgewendet werden, jedoch änderte sich wenig an der schlechten wirtschaftlichen Lage der Länder. Statt einer langsamen Verbesserung der Situation, hat sich dort im Anschluss zum Teil sogar eine regelrechte Abwärtsspirale in Gang gesetzt.

Die steigenden Staatsschulden und damit steigenden Zinskosten haben zu höheren Ausgaben für die Krisenländer geführt. Gleichzeitig hatte der Sparkurs der Regierungen eine Rezession mit höherer Arbeitslosigkeit und damit steigenden Sozialkosten, sowie deutlich sinkenden Steuereinnahmen zur Folge. Obwohl die Staaten die Leistungen drastisch kürzten und die Steuern angehoben haben, konnten die Defizite nicht oder kaum gesenkt werden. Das mehr oder weniger konstante Defizit von Spanien, das seit 2009 jedes Jahr rund 100 Mrd. Euro beträgt, ist ein gutes Beispiel für die verfahrene Situation [1].
Insgesamt haben die Krisenstaaten heute also höhere Schulden, eine deutlich niedrigere Wirtschaftskraft, höhere Arbeitslosigkeit, eine schlechtere soziale Absicherung und vor allem immer noch keine wirkliche Perspektive. Mit den Notkrediten wurde im Grunde lediglich Zeit gekauft. Das ganze aber zu einem Preis, den die Krisenländer kaum oder gar nicht bezahlen können.

Die Folgen gehen dabei weit über die wirtschaftliche und finanzielle Dimension hinaus, denn auch in der sozialen Dimension werden Arbeitslosigkeit und Armut zu einer riesigen Belastung für die dortigen Gesellschaften. Bei den nächsten Wahlen in diesen Ländern könnte sich die krisenhafte Situation somit auch in den Parlamenten widerspiegeln. Der Zulauf an Wählern zu den Parteien am linken und rechten Rand und die wachsende Europaskepsis belegen das schon heute [2].

Aber nicht nur in den Krisenländern ist die Entwicklung beunruhigend. Auch wenn es in der Öffentlichkeit kaum beachtet wird, liegt die Verschuldung in Deutschland weit oberhalb der Maastricht-Kriterien.
Zwar profitiert Deutschland auf der einen Seite von den niedrigen Zinsen, weil Staat und Unternehmen günstig an Kredite kommen, aber auf der anderen Seite birgt dies auch die Gefahr einer Blase, die bei steigenden Zinskosten platzt. Daneben sind auch mit den zusätzlichen Garantien und Bürgschaften im Rahmen der Euro-Rettungspolitik gewisse Risiken verbunden, falls ein Euro-Land ausfällt.

Deutschland ist heute mit rund 80% des BIP verschuldet, Frankreich und Spanien sind mit rund 90% des BIP verschuldet, Portugal und Italien liegen bei ca. 130% und Griechenland bei über 150% Verschuldung im Vergleich zur Wirtschaftskraft. Aber selbst Länder wie Belgien (100%), Österreich (70%) oder die Niederlande (70%) müssen schauen, dass ihnen die Schulden nicht über den Kopf wachsen [3].
Insgesamt stellt sich damit vor allem die Frage, welche Finanzierungslücken sich bei der weiter defizitären Lage der Krisenländer in den nächsten Monaten offenbaren werden.

Auch wenn bislang ein neuerlicher Finanzbedarf noch nicht offiziell bestätigt ist, so machen die Wirtschaftsdaten deutlich, dass Griechenland seine Schuldenlast nicht alleine tragen kann. Ebenso fehlt es in Spanien bei Massenarbeitslosigkeit und einem noch immer kritischen Bankensektor an finanziellen Mitteln.
Auch in den bisher noch verschonten Staaten Italien und Frankreich ist der Ausblick negativ. Selbst das angekündigte Ende der Notkredite für Irland [4], gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Zwar kann sich das Land wohl bald wieder vollständig selbst am Kapitalmarkt versorgen, aber die Schuldenlast von 120% des BIP (2008 noch 45%) und die hohe Arbeitslosigkeit werden erst mal bleiben.

Schaut man also auf die bisherigen Ergebnisse der Euro-Rettungspolitik, so blickt man europaweit auf eine Bilanz des Versagens und Scheiterns. Die Krisenländer haben heute noch marodere Staatsfinanzen als vor fünf Jahren, die wesentlichen Probleme der wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone wurden überhaupt nicht angegangen und auch in Deutschland ist die Verschuldungsproblematik nicht unerheblich.
Mit den Finanzhilfen wurden die Probleme in den Krisenländern lediglich in die Zukunft geschoben und so wird die Schuldentragfähigkeit dieser Länder immer wieder in Gefahr geraten. Früher oder später werden wir uns daher erneut mit der Frage nach weiteren Bürgschaften oder Hilfskrediten konfrontiert sehen.
Vor dem Hintergrund des schwindenden Vertrauens in die Rettungspolitik dürfte es aber zunehmend schwierig werden, die Zustimmung für weitere finanziellen Hilfen zu erhalten, die offensichtlich nichts an der grundlegenden Situation ändern.

Aus meiner Sicht ist nun das Wichtigste, endlich anzuerkennen, dass eine Euro-Rettungspolitik, die lediglich auf die Liquiditätsbereitstellung und eisernes Sparen setzt, die Krise nicht beseitigt sondern bestenfalls verzögert. Die Tatsache, dass bereits Unsummen an Bürgschaften, Garantien oder direkten Finanzhilfen geleistet wurden, ohne eine Verbesserung der Lage zu erreichen, muss auf den Tisch. Und genauso muss die Folge dieser Politik klar benannt werden, denn immerhin wird auch in den nächsten Jahren der erhebliche Finanzbedarf in den Krisenländern bestehen bleiben.
Erst wenn die europäische Politik zu diesem Schritt bereit ist, wird sie auch wieder in der Lage sein, alternative Lösungen zu verfolgen, ohne sich dabei ständig selbst zu widersprechen. Solange aber die bescheidene Bilanz nicht zur Kenntnis genommen und die mangelnde Wirksamkeit der bisherigen Rettungspolitik bestritten wird, dürfte auch ein neuer Kurs in der Euro-Rettungspolitik kaum umzusetzen sein.

Dabei gibt es ja durchaus zahlreiche andere Ansätze, wie die Stärkung der Binnennachfrage und ein Abbau der Handelsüberschüsse in Deutschland oder eine Harmonisierung des rechtlichen Rahmens, um Steuer-, Lohn- oder Sozialdumping in den Mitgliedsländern zu verhindern.
Auch die Idee, die Einnahmen einer Finanzmarktsteuer nicht den Nationalstaaten zu Gute kommen zu lassen, sondern als Basis für einen europäischen Investitionsfonds zu nutzen, kann man hierzu zählen genauso wie den Gedanken an einen Zinsausgleich zwischen den Mitgliedsstaaten, um die Zinsvorteile und Zinsnachteile innerhalb des Euro-Raumes auszugleichen.
Bislang sind solche Überlegungen aber immer wieder an der „alternativlosen“ Euro-Rettungspolitik gescheitert. Auch deshalb erscheint mir dieser Blick auf die Bilanz der bisherigen Rettungspolitik sinnvoll.


Ähnliche Artikel:
Eine Ursachenanalyse der Eurokrise (www.mister-ede.de – 20.06.2012)

Mögliche Gestaltung eines Bankensicherungsfonds (www.mister-ede.de 02.07.2012)

Das europäische Haus in Flammen (www.mister-ede.de – 13.12.2012)

Zukunft EU: Dachverband der Nationalinteressen oder Gemeinschaftsprojekt? (www.mister-ede.de – 31.01.2013)


[1] Zahlen zu den Staatsdefiziten von Eurostat (Link zur Statistik auf europa.eu)

[2] Artikel der Tagesschau vom 13.10.2013 über den Sieg des rechten Front National bei einer Bezirkswahl in Frankreich (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)

[3] Zahlen zur Staatsverschuldung von Eurostat (Link zur Statistik auf europa.eu)

[4] Artikel der Tagesschau vom 13.10.2013 zur Ankündigung Irlands den Rettungsschirm zu verlassen (Link zum Artikel auf Tagesschau.de)

]]>
https://www.mister-ede.de/politik/bilanz-euro-rettungspolitik/2192/feed 1