EU-Gipfel in Brüssel: Kurswechsel in der Krim-Frage?

Völkerrechtlich ist die Krim-Frage relativ einfach zu beantworten. Die ukrainische Verfassung kennt kein Recht zur Separation, also zur Abspaltung eines Landesteils aus eigener Initiative heraus, weshalb Russland das Gebiet auch nicht völkerrechtskonform gegen den Willen der gesamtukrainischen Regierung in Kiew an sein Land anschließen kann.
Das Völkerrecht hat allerdings zwei generelle Haken. Neben der unterschiedlichen Stellung der Länder in der UN, muss sich in der Realität nicht jedes Land in gleichem Maße an das Völkerrecht halten, weil eine Rechtsdurchsetzung in vielen Fällen schlicht nicht möglich ist. Das heißt zum einen, dass Russland oder die USA deutlich weitreichendere Kompetenzen auf UN-Ebene haben als z.B. die Ukraine, die sich auch mit Hilfe des Völkerrechts kaum effektiv gegen das im Sicherheitsrat Veto berechtigte Russland wehren kann. Zum anderen heißt das, selbst jene Beschlüsse der UN, die zu Lasten Russlands gehen, können in der Realität kaum durchgesetzt werden.

Aus dieser Überlegung heraus und wegen der Vermutung, dass ein Referendum auf der Krim auch zu einem späteren Zeitpunkt keine erheblichen Unterschiede im Abstimmungsergebnis bringen würde, habe ich mich schon direkt nach dem Referendum dafür ausgesprochen, Russland nicht für das Vorgehen auf der der Halbinsel zu sanktionieren, sondern mit einem vorläufigen Stopp der Assoziierungsverhandlungen auf einen Dialog mit Russland und die Erhaltung der Einheit der Ukraine zu setzen. Sowohl bei den Sanktionen als auch bei der EU-Assoziierung wurden jedoch andere Wege gewählt und auch als die Gewalt eskalierte wurde von ukrainischer Seite mit einem sogenannten Anti-Terror-Einsatz auf Chaos statt Verhandlungen gesetzt. Auch im Hinblick auf die in der Ostukraine entstandene Gewaltspirale muss man mittlerweile für die Mehrheit der Krim-Bewohner froh sein, dass die Krim in den letzten Monaten russisches Staatsgebiet und kein zweites ukrainisches Kriegsgebiet war.

Kiew hat die Wahl zwischen Chaos und Verhandlungen mit Russland (www.mister-ede.de – 14.04.2014)

Das Ziel von Sanktionen gegen Russland (www.mister-ede.de – 26.03.2014)

In kleineren Schritten hatte sich in der Folge der aussichtslosen Gewaltspirale bereits die Ausrichtung der ukrainischen Regierungspolitik geändert, die nun eher auf Zugeständnisse statt Gebietsverluste setzt. Auch die Pariser, Brüsseler oder Berliner Diplomatie forciert nun deutlich eher den Dialog mit Putin als noch vor einem Jahr. Doch in der Krim-Frage beharrten die Bundesregierung und die EU im Ganzen bislang auf Sanktionen gegen Russland.
Aber nun sprach Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung am Donnerstag letzter Woche davon, künftig die Sanktionen an die Einhaltung bzw. Umsetzung des Minsker-Abkommens koppeln zu wollen, dessen Kernbestandteile die Krimfrage nicht berücksichtigen. Genau jene Kopplung wurde dann auch am darauffolgenden Freitag auf dem EU-Gipfel abgesegnet [1], womit zumindest die Vermutung naheliegt, dass auf diese Weise eine Möglichkeit gesucht wird, sich der im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Kiew etwas unglücklich gegen Russland verhängten Sanktionen zu entledigen. Natürlich handelt es sich beim russischen Vorgehen auf der Krim um ein sanktionswürdiges Verhalten, unglücklich sind Sanktionen aber immer dann, wenn zum einen die Forderung für die Gegenseite nicht einlösbar ist und gleichzeitig Sanktionen dem generellen Interesse an einem Dialog zuwiderlaufen. Es macht Sinn, Regime wie in Nordkorea oder afrikanische Diktatoren zu sanktionieren, weil hier gar nicht erst der Dialog das Ziel sein kann, und es macht Sinn, den Iran, Nordkorea oder auch Russland wegen der akuten Bedrohung von Nachbarländern zu sanktionieren, weil die Forderung nach einem Ende solcher Aggressionen einlösbar ist. Sinnlos wäre es hingegen gewesen, von der BRD und der DDR eine Zwangsvereinigung gegen deren Willen einzufordern, oder heute, selbst wenn eine solche Forderung aus irgendwelchen Gründen vom Völkerrecht gedeckt wäre, von Deutschland die Rückabwicklung der Deutschen Einheit zu verlangen und die Bundesrepublik bei einer Nichtaufteilung zu sanktionieren. Ähnlich sinnlos ist aber eben auch, Russland mit dauerhaften Sanktionen zu einer Rückgabe der Krim zu bewegen.

Aus meiner Sicht ist daher eine solche Kehrtwende in der Sanktionspolitik der EU ein begrüßenswerter Fortschritt. Denn wenn die Sanktionen gegen Russland künftig darauf ausgerichtet sind, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, dürfte damit zum einen das Dialogformat gestärkt werden und zum anderen besteht hierdurch für Putin ein zusätzlicher Anreiz, auf eine Kompromisslösung im Konflikt mit der Ukraine zu setzen. Sollten sich in den kommenden Monaten die finanziellen Unstimmigkeiten zwischen Russland und der Ukraine beseitigen lassen und gelingt es durch eine Verfassungsreform und Autonomierechte den Interessen der russischen Bevölkerung in diesem Gebiet und durch einen dann gegebenen Einfluss auf die Gesamtukraine den Interessen Russlands in einem gewissen Maß gerecht zu werden, würden die Chancen auf eine Ausweg aus dem Konflikt meines Erachtens deutlich steigen.


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Westliche und russische Lesart des Ukraine-Konflikts (www.mister-ede.de – 09.10.2014)


[1] Beitrag des Deutschlandfunk vom 20.03.2015 (Link zum Beitrag)

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