Westliche und russische Lesart des Ukraine-Konflikts

Unterschiedliche Sichtweisen sind das Wesen eines Konfliktes. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch im Ukraine-Konflikt regelmäßig zwei Lesarten zu ein und demselben Ereignis vorhanden sind. Um sich bei einem Streitfall einen ersten Eindruck zu verschaffen, werden vor Gericht zunächst beide Seiten angehört, die dann jeweils ihre Sichtweise darlegen. Genau dies möchte ich mit diesem Beitrag auf den Ukraine-Konflikt übertragen.

Westliche Lesart:

Nach westlicher Lesart hat in der Ukraine mit Janukowytsch ein autokratischer Herrscher regiert, der den Staat im Wesentlichen für seinen Machtausbau und persönlichen Profit nutzte. Das Volk, das sich durch eine EU-Assoziation eine Verbesserung der Situation erhoffte, ging auf die Straße, nachdem das Abkommen gescheitert war. Während sich im Februar Janukowytsch politisch Raum verschaffen wollte, indem er nach langen Protesten einen Rücktritt für den Herbst 2014 anbot, versuchte er gleichzeitig, die Demonstranten auf dem Maidan mit aller Gewalt kleinzubekommen. Es fielen Schüsse und es gab Tote. In der Folge wurde Janukowytsch sprichwörtlich aus dem Amt gejagt. Unter dem Eindruck der Gewalt wählte das Parlament eine Interimsführung, die versuchte, die Ordnung im Land wiederherzustellen.
Allerdings annektierte Russland in der Folge die Krim, um den Einfluss auf diese Region zu behalten. Daneben wurden von Russland aus auch Kämpfer in die Ostukraine entsendet, die dann dort eine Abspaltung durch Separatisten initiieren sollten. Mit einem Anti-Terror-Einsatz versuchte die Kiewer Führung die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen, war aber der militärischen Übermacht der aus Russland gesteuerten Kämpfer nicht gewachsen. In Minsk konnte man sich im vergangenen Monat nun vorläufig auf eine Waffenruhe einigen.

Russische Lesart:

Nach russischer Lesart hat hingegen der Westen aus wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen mit Hilfe von Provokateuren und rechten Kräften einen Umsturz in der Ukraine bewirkt und im Anschluss eine neue Interimsführung eingesetzt. Gestützt wurde diese nicht durch das Volk, sondern nur durch die westlichen Mächte, von der EU über die USA bis zur NATO, die damit ihre eigenen Interessen in der Ukraine verfolgten. Nach der Machtübernahme ging die Interimsführung dann aktiv gegen alles Russische in der Ukraine vor. Sie wollte die russische Sprache verbieten, missachtete das Autonomierecht der Krim-Region und ging außenpolitisch auf Konfrontationskurs zur Russland.
Um einen Unterdrückung der russischstämmigen Bevölkerung oder gar einen Genozid zu verhindern, aber auch um hochrangige russische Interessen zu schützen, hat Russland die Stabilität auf der Krim gesichert und dort entsprechend dem Wunsch der Bevölkerungsmehrheit die Loslösung von der Ukraine unterstützt. Obwohl die OSZE als Wahlbeobachter eingeladen war, sperrte sich der Westen gegen dieses Vorgehen, verurteilte und sanktionierte Russland. Nachdem die neuen Machthaber überdies begannen im Osten der Ukraine mit Gewalt gegen all jene vorzugehen, die sich nicht dem aufgezwungenen Regime in Kiew unterordnen wollten, war es die Pflicht von Russland, diejenigen zu unterstützen, die sich gegen den faschistischen Umsturz in Kiew zur Wehr setzten.
Die Kämpfe wurden immer brutaler und während die Regierung in Kiew billigend das Feuer auf die eigene Bevölkerung in Kauf nahm, schickte Russland Hilfskonvois um die notleidenden Menschen zu versorgen. In Minsk konnte man sich im vergangenen Monat nun vorläufig auf eine Waffenruhe einigen.

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