Nach einem Scheitern des EU-Türkei-Abkommens

Mit dem EU-Türkei-Abkommen, das vor wenigen Monaten geschlossen wurde, konnte die Zahl der irregulären Einreisen nach Griechenland zwar deutlich gesenkt werden, allerdings gab es in dieser Zeit auch verschiedene Entwicklungen, durch die diese Vereinbarung nun auf der Kippe steht. So verhindern die mittlerweile noch stärkeren Einschränkungen der Pressefreiheit und die noch massiveren Menschenrechtsverletzungen in der Türkei Fortschritte in den EU-Türkei-Beziehungen, was sich z.B. im Streit um die Visaliberalisierung manifestiert. Hinzu kommen Auseinandersetzungen und Verstimmungen, wie durch die Böhmermann-Affäre oder die Armenien- bzw. Völkermordresolution des Deutschen Bundestages.

Nachdem laut Medienmeldungen in den letzten Wochen nun auch die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland von der türkischen Regierung ausgesetzt wurde, müssen, für den Fall, dass das EU-Türkei-Abkommen endgültig scheitert, neue Möglichkeiten gesucht werden, um die Ordnung an der EU-Außengrenze zur Türkei aufrechtzuerhalten. Zwar dürften die geschlossenen Grenzen auf dem Balkan eine Wiederauflage der Balkanroute verhindern, allerdings wird es ohne eine Vereinbarung mit der Türkei weiterer Maßnahmen benötigen, um irreguläre Einreisen in die EU nach Möglichkeit zu verhindern.
Gerade in Bezug auf Syrien und den Irak muss hierfür wohl noch stärker als bisher eine Lösung vor Ort gesucht werden. Vorstellbar wäre beispielsweise, mit den frei werdenden Milliarden aus dem EU-Türkei-Abkommen ein stärkeres Engagement in Syrien und dem Irak zu finanzieren, um die Not in diesen Regionen zu lindern und die Fluchtursachen zu reduzieren.

Ein Fernziel eines solchen Engagements könnte dabei sein, befriedete Gebiete zu schaffen, in denen Flüchtlinge künftig Schutz finden, leben und eine Perspektive entwickeln können. Hierfür könnte die Bevölkerung in den kurdischen Gebieten Syriens, aber auch die autonome Region Kurdistan im Irak finanziell unterstützt werden. Auch die Versorgung mit medizinischen Geräten oder Lebensmitteln könnte verbessert werden, wenn Gelder aus dem EU-Türkei-Abkommen frei werden.
Zusätzlich könnten künftig neben Peschmerga auch PKK-Kämpfer für den militärischen Einsatz ausgerüstet und ausgebildet werden, um vergleichbar mit dem Irak auch in Syrien ein autonomes kurdisches Gebiet zu schaffen, das von seiner Bevölkerung selbst gegen den IS geschützt wird. Mittel- bis langfristig wäre dann auch die Vereinigung dieser autonomen Gebiete im nördlichen Irak und nordöstlichen Syrien zu einem eigenständiger, völkerrechtlich anerkannter Staat Kurdistan vorstellbar, um in einer friedlichen Koexistenz von Syrien, Irak und Kurdistan die Staatlichkeit in dieser Region wiederherzustellen und damit den Terroristen des IS den Boden zu entziehen.

Neben der Reduktion der Fluchtursachen im Nahen Osten sollte aber auch die Reaktivierung des Rückführungsabkommens mit Pakistan und die Ausweitung auf andere Länder angestrebt werden.
Darüber hinaus wirft eine Entscheidung der Türkei, Personen nicht zurückzunehmen, die von ihrem Staatsgebiet aus irregulär in die EU einreisen, unweigerlich die Frage auf, ob die Türkei überhaupt noch ein Bündnispartner sein kein. Wenn die Türkei noch nicht mal bereit ist, die Verantwortung für das zu übernehmen, was Personen von türkischem Staatsgebiet aus machen, wie soll man dann auf die Wahrnehmung einer Verantwortung außerhalb der Türkei, z.B. bei einem Bündnisfall, vertrauen? Sollte das EU-Türkei-Abkommen endgültig scheitern, muss daher wohl auch dieser Punkt neu beleuchtet werden müssen.


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