Ukraine-Konflikt: Zeit zum Handeln

Wenn sich die Zahl der Toten im Ukraine-Konflikt in den nächsten Tagen nicht vervielfachen soll, dann muss nun gehandelt werden. An diesem Wochenende, bzw. beim geplanten Treffen zwischen Poroschenko und Putin am Dienstag, wird es die vermutlich letzte Möglichkeit geben, eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine zu verhindern.

Der Versuch, den Hilfskonvoi als zynische Provokation zu nutzen, zeigt, dass Russland auf der Suche nach einem Vorwand ist, um eine Intervention zu rechtfertigen. Glücklicherweise wurde dies nicht von ukrainischer Seite mit einer unüberlegten Reaktion, z.B. Artilleriebeschuss, beantwortet. Allerdings zeigt die Hilfslieferung nach Lugansk auch, dass die ukrainische Armee entgegen ihrer Behauptungen noch weit weg von einer Kontrolle der Lage ist.
Sofern auch die Berichte von Grenzübertritten gepanzerter Fahrzeuge aus der vorangegangen Woche bzw. die Berichte vom Beschuss der ukrainischen Armee durch russische Streitkräfte von diesem Freitag stimmen, ist die Vermutung naheliegend, dass Russland bereits jetzt einzelne Gebiete in der Ost-Ukraine faktisch kontrolliert. In Verbindung mit den jüngst rasant steigenden Opferzahlen ist daher zu befürchten, dass sich der Konflikt in den nächsten Tagen zu einem russisch-ukrainischen Bruderkrieg ausweitet.

Dabei lässt Russland die Situation in der Ost-Ukraine aus meiner Sicht bewusst eskalieren, da Moskau eine militärische Konfrontation nicht scheuen muss. Zwar gehe ich nicht davon aus, dass Moskau am Ende an einer militärischen Lösung interessiert ist, allerdings kann ich mir vorstellen, dass die Bereitschaft besteht, den Konflikt soweit eskalieren zu lassen, dass am Ende zehn- oder zwanzigtausend Tote Kiew und den Westen zum Einlenken und weitgehenden Zugeständnissen zwingen. Innenpolitisch scheint Putin mit diesem Kurs bzw. durch das neugewonnene Feindbild an Zustimmung zu gewinnen und außenpolitisch treibt die Eskalation den Preis für eine Verhandlungslösung nach oben.
Die Ukraine selbst wird sich gegen Russland alleine nicht wehren können, militärisch soll die Ukraine nicht unterstützt werden und wirtschaftlich kann der Westen Russland zwar langfristig mit Sanktionen schaden, aber kurzfristig dürfte Putin damit innenpolitische nur weiter gestärkt werden. Solange jedoch die Gegenparteien, also Kiew, die NATO, die USA oder die EU, militärisch oder wirtschaftlich Russland nur wenig entgegensetzen wollen bzw. können, solange sind sie auf eine Verhandlungslösung mit Putin angewiesen und solange kann Russland mit jeder weiteren Eskalation zusätzlich Druck aufbauen und so den Preis bestimmen.

Soll es gelingen, eine solche Eskalation abzuwenden, muss vor allem der ukrainischen Führung deutlich signalisiert werden, dass sie militärisch auf verlorenem Posten steht, da sich weder USA noch EU in einen militärischen Konflikt mit Russland auf dem Gebiet der Ukraine verstricken lassen wollen. Will Poroschenko einen militärisch aussichtslosen Kampf vermeiden, muss auch er gegenüber Russland entsprechend zu Zugeständnissen bereit sein, selbst wenn diese schmerzhaft sein werden.
Putin hingegen muss verdeutlicht werden, dass eine weitere militärische Intervention Russlands, außerhalb einer gemeinsamen Verantwortung (z.B. OSZE), zu einem weiteren schweren Schlag in den bilateralen Beziehungen auf allen Ebenen führt. Eine fortgesetzte Eskalation würde die politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Beziehungen zwischen dem Westen und Moskau auf den Stand der 1970er Jahre zurückwerfen, als tiefes Misstrauen eine weitgehende Abschottung zur Folge hatte. Aber auch der Westen muss zu Zugeständnissen bereit sein, wenn es z.B. um die Bewertung der Vorgänge auf der Krim geht oder um die Frage der Sanktionen gegen Russland.
Sichert Poroschenko einen Stopp des Anti-Terror-Einsatzes zu und lassen dafür die Separatisten die Waffen schweigen und Russland seine Grenze zur Ukraine von OSZE-Beobachtern überwachen, so dass während einer Feuerpause keine neuen Waffen in die Ukraine gelangen, wäre dies ein Schritt, der bei vollständiger Umsetzung aus meiner Perspektive auch Zugeständnisse des Westens rechtfertigen würde.

Entsprechend ist meines Erachtens der gestrige Besuch von Angela Merkel in Kiew zu begrüßen und als ein Anfang zu sehen. Die finanzielle Unterstützung auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Forderung an Poroschenko, Reformen anzupacken und den Dialog mit den übrigen Konfliktparteien zu suchen, sind richtige Signale an Kiew. Ein zweiter Schritt, um die Chance für einen Erfolg bei den Verhandlungen am Dienstag zu erhöhen, wäre aus meiner Sicht, auch gegenüber Putin ein Zugehen aus dem Westen zu signalisieren. Dann allerdings bleibt wieder einmal nur zu hoffen, dass sich beim Treffen von Poroschenko und Putin am Dienstag in Minsk endlich eine Einigung ergibt und die Ost-Ukraine nicht endgültig in ein Kriegsgebiet verwandelt wird.

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