Deutschland und die Niederlande: Weltversorger mit Licht und Schatten

2,5 Billionen Euro, 2.500 Milliarden Euro, 2.500.000 Millionen Euro oder 2.500.000.000.000 Euro, das ist die Summe an Gütern und Kapital, die von der deutschen und der niederländischen Volkswirtschaft von 2004 bis 2015 der Welt zur Verfügung gestellt wurde und 2016 werden weitere grob 300 Milliarden Euro hinzukommen. In den letzten 12 Jahren wurden somit von beiden Ländern an die restliche Welt Waren und Dienstleistungen im Wert von 2,50 Billionen Euro mehr exportiert als importiert (Exportüberschuss) und gleichzeitig wurde Kapital in Höhe von 2,35 Bio. Euro ausgeführt (Saldo der Kapitalbilanz).

Deutschland und die Niederlande: Die Weltversorger in Zahlen (www.mister-ede.de – 18.11.2016)

Deutschland und die Niederlande: Die Weltversorger und ihre Sonnenseiten (www.mister-ede.de – 21.11.2016)

Deutschland und die Niederlande: Die Weltversorger und ihre Schattenseiten (www.mister-ede.de – 21.11.2016)

Mit der Einführung des Euro als gemeinsame Währung von nunmehr 19 EU-Ländern wurde den Wirtschaftspolitikern der Eurozone ein völlig neues Spielfeld eröffnet, auf dem sich insbesondere Deutschland geschickt bewegte – zumindest für sich alleine betrachtet.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Währungen der heutigen Euroländer im System schwankender Wechselkurse im Außenvergleich langfristig neutral, weil sich die Tauschverhältnisse und damit der Wert des Geldes an die realen Gegebenheiten anpassten. So führte die auch schon in D-Mark-Zeiten vorhandene Lohnzurückhalten regelmäßig zu einem erstarken der DM gegenüber anderen Währungen, wodurch die Arbeitnehmer selbst mit geringen Lohnsteigerungen einen realen Zugewinn an Kaufkraft verbuchen konnten. Umgekehrt führten die hohen Lohnsteigerungen, z.B. in Italien, zu einem Wertverfall der italienischen Lira, weshalb den dortigen Arbeitnehmern trotz steigender Gehälter nur ein geringer Kaufkraftgewinn blieb.
Durch die Fixierung der Wechselkurse im Rahmen der Euroeinführung wurde dieser Mechanismus allerdings abgeschafft und die unterschiedlichen Lohnentwicklungen innerhalb des Euroraums führten fortan zu einer Divergenz der Wettbewerbsfähigkeit. Anders als in DM-Zeiten hatte die Lohnzurückhaltung nun einen erheblichen Zugewinn an Wettbewerbsfähigkeit der in Deutschland tätigen Unternehmen zur Folge. Im Umkehrschluss bedeutete dies allerdings für die Arbeitnehmer in Deutschland, dass sie jetzt auch einen tatsächlichen Verlust der Kaufkraft hinnehmen mussten, weil es keine Kompensation mehr durch eine erstarkende D-Mark gab.

In Deutschland und in den mit der deutschen Volkswirtschaft eng verflochtenen Niederlanden konnte also die Standortattraktivität für Unternehmen durch die sinkenden Lohnstückkosten und andere Maßnahmen, z.B. der Befreiung der Exportindustrie von den Kosten der Energiewende, gesteigert werden. Auf die Beschäftigungssituation in der Exportwirtschaft wirkte sich dies in beiden Ländern entsprechend vorteilhaft aus. Die sinkenden Reallöhne und die steigenden Steuern und Abgaben für die Arbeitnehmer führten allerdings in anderer Richtung, trotz deutlich wachsender Beschäftigungsquote, zu einer äußerst schwachen Binnennachfrage. Im Ergebnis weiteten sich hierdurch in Deutschland und den Niederlanden die Güterexporte wesentlich stärker aus als die Güterimporte, sodass sich über die letzten Jahre ein erheblicher Außenhandelsüberschuss bei diesen beiden Ländern aufbaute.
Während gerade für Deutschland, das Anfang des Jahrtausends noch unter einer hohen Arbeitslosigkeit litt, der mit dieser Wirtschaftspolitik einhergehende Beschäftigungszuwachs positiv zu bewerten ist, haben die geringen Lohnsteigerungen für Deutschland negative Auswirkungen. Zusätzlich muss hierbei berücksichtigt werden, dass sich die Vorteile und die Nachteile dieser Entwicklung auf verschiedenen Gruppen innerhalb der Gesellschaft unterschiedlich auswirken. Während ein Vertriebsleiter bei Daimler oder ein Ingenieur eines mittelständischen Weltmarktführers von dieser Exportorientierung der Wirtschaftspolitik ganz klar profitiert, sieht die Bilanz für Leiharbeiter, Werkvertragler, Hartz IV-Bezieher oder Rentner deutlich schlechter aus. Die konsequente Förderung der Exportindustrie hat in Deutschland damit zwar die gesellschaftlichen Konflikte, die aus der hohen Arbeitslosigkeit resultierten, entschärft, gleichzeitig aber auch eine neuerliche Spaltung der Gesellschaft befördert. Die Beispiele von Angestellten, die für die exakt gleiche Tätigkeit in ein und demselben Unternehmen unterschiedlich bezahlt werden, sind hinlänglich bekannt.

Daneben haben die Divergenzen bei der Wettbewerbsfähigkeit auch auf die übrigen Euro-Länder erhebliche Auswirkungen. So ging genau die Wettbewerbsfähigkeit, die in Deutschland nicht nur mit einem Vorsprung an Knowhow, sondern eben auch durch die Lockerung des Arbeitnehmerschutzes und mithilfe von Lohnzurückhaltung gewonnen wurde, bei den europäischen Nachbarn verloren. Gerade in jenen Wirtschaftsbereichen, in denen der Kostendruck hoch ist, z.B. bei der Fleischproduktion, fand deshalb eine Verlagerung der Produktion in das kostengünstigere Deutschland statt, sodass in anderen Ländern des Euroraums, z.B. in Belgien, eine Abwanderung von Arbeitsplätzen zu beklagen war.
Insgesamt betrachtet, ist allerdings die Eurozone auf diese Weise gegenüber anderen Weltregionen spürbar wettbewerbsfähiger geworden. Das macht sich beispielsweise beim Außenbeitrag der Euroländer bemerkbar, der von 91 Mrd. Euro im Jahr 2008 auf inzwischen 478 Mrd. Euro im Jahr 2015 angewachsen ist. Insbesondere während der Finanzkrise hat dies wesentlich dazu beigetragen, dass der Euro, trotz der großen Probleme in Teilen der Eurozone, relativ stabil gehalten werden konnte. Nachdem Deutschland und die Niederlande darüber hinaus durch die Bereitstellung von Kapital zur Stabilisierung der schwächelnden Euroländer beigetragen haben, konnte die Eurokrise beispielsweise in Spanien abgemildert werden. Und auch das Wiederanziehen der Wirtschaft in der Eurozone ist natürlich nicht zuletzt auf die starken und wettbewerbsfähigen Unternehmen in Deutschland und den Niederlanden zurückzuführen.

Was aber für die Eurozone einen Zugewinn an Wettbewerbsfähigkeit bedeutet, stellt umgekehrt einen Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit von Ländern außerhalb der Eurozone dar und zwar innerhalb der EU genauso wie in Afrika oder in Asien. Somit ist auch die lahmende Weltwirtschaft, insbesondere der Wirtschaftsabschwung in China, zum Teil eine Folge der stark exportorientierten Wirtschaftspolitik Deutschlands und der Niederlande. Nicht umsonst fordert deshalb der Internationale Währungsfonds (IWF) von diesen beiden Ländern ein Umdenken bezüglich der enormen Exportüberschüsse, die genauso als Importdefizite verstanden werden können.
Nachdem aber Deutschland und die Niederlande im Vergleich z.B. zu China oder Russland einen deutlich höheren Umweltschutz vorweisen können und auch, trotz des deutschen Niedriglohnsektors, noch immer wesentlich bessere Arbeitsbedingungen gewährleisten, ist diese Entwicklung nicht ausschließlich negativ zu sehen. Im Gegenteil ist es sogar ein ziemlich gutes Zeichen, dass sich Deutschland und die Niederlande mit ihren hohen Standards am Weltmarkt bzw. im globalen Standortwettbewerb durchsetzen können.
Ebenso hat diese Entwicklung in Bezug auf den Welthandel ihre positiven Seiten. Zumindest gerät bei Handelsverträgen zwischen der EU und Schwellen- oder Entwicklungsländern die Frage nach Menschenrechten oder nach den wirtschaftlichen Perspektiven der jeweiligen Handelspartner nicht gänzlich aus dem Blick. Außerdem agieren die meisten europäischen Unternehmen, im Vergleich z.B. zum Auftreten chinesischer Investoren, durchaus verantwortungsvoll.

Ja, Deutschland und die Niederlande haben sich zu Weltversorgern entwickelt. Es wäre aber falsch, dies als riesigen Erfolg zu feiern oder als absolute Fehlentwicklung zu verurteilen. Vielmehr ist die Bilanz dieser Entwicklung durchwachsen und es gibt Licht und Schatten. Ziel einer guten und zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik muss es deshalb sein, auf der einen Seite die Exportstärke zu bewahren und auf der anderen Seite das große Ganze mehr in den Blick zu nehmen und z.B. für eine höhere Binnennachfrage zu sorgen.


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