Zur Lage in der Ukraine
Vor einem Monat wurde in der Ukraine der neue Präsident Poroschenko ins Amt gewählt. Zumindest ist die Lage seitdem nicht noch weiter eskaliert. Es lassen sich sogar im Gegenteil allmählich kleine Fortschritte erkennen, die wohl auch auf die beharrlichen Verhandlungen zurückzuführen sind.
So ist zu begrüßen, dass alle Akteure außerhalb der Ukraine Poroschenko als rechtmäßige Vertretung der Ukraine anerkennen. Ebenso ist zu begrüßen, dass Poroschenko nach den Präsidentschaftswahlen auch Neuwahlen für das ukrainische Parlament angekündigt hat [1], womit den veränderten politischen Gegebenheiten durch eine neue demokratische Legitimation des Parlamentes Rechnung getragen würde. Allerdings sollte zuvor das Wahlrecht auch so ausgelegt werden, dass eine möglichst gute Abbildung des Wählerwillens garantiert wird, z.B. durch die Abschaffung von Regelungen, die den Wahlsieger bei der Sitzzuteilung überproportional bevorzugen.
Weitere positive Zeichen sind die grundsätzliche Bereitschaft Russlands, die Gaspreise auf ein angemessenes Niveau zu senken, sowie die Zusicherung von Finanzmitteln durch EU und IWF.
Erfreulich ist auch die Entscheidung Moskaus, durch die Rücknahme der Einmarscherlaubnis ein weiteres Zeichen zur Deeskalation zu setzen, genauso wie die Tatsache, dass die OSZE-Mission mittlerweile geräuschloser arbeitet. Eines der beiden bislang noch festgesetzten OSZE-Teams ist inzwischen wieder frei [2] und zumindest verlief der Einsatz in den letzten Wochen ohne größere Zwischenfälle, was für eine wachsende Akzeptanz der Beobachter spricht.
Führt auch die gestrige Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens [3] nicht zu einer erneuten Verschärfung der Lage, so wäre dies ein weiteres positives Zeichen für eine Entspannung des Ukraine-Konflikts.
Weiterhin bedenklich bleibt hingegen die immer noch bestehende Konfrontation zwischen den auf Autonomie pochenden Aktivisten und der Zentralregierung in Kiew. Beiden Seiten dürfte zwar klar sein, dass es nur die Alternativen Dauerkrise oder Gespräche gibt, allerdings ist die Frage, ob vielleicht eine der beiden Seiten mittlerweile so viel investiert hat, dass für diese Seite eine Umkehr vom eingeschlagenen Weg inzwischen unmöglich geworden ist.
Daneben bleibt fraglich, in wie weit es auch ein russisches Interesse an einer weiter instabilen Lage in der Ost-Ukraine gibt. Meint Putin seine Rufe nach Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien tatsächlich ernst [4], dann sollte er sowohl Poroschenko als auch die nach seiner Meinung wesentlichen Führer der Autonomiebewegung zusammen mit Vertreten aus der EU nach Moskau einladen. Gelingt es allerdings trotz eines solchen Dialogangebots im Schutze Moskaus nicht, die Aktivisten an einen Tisch mit Poroschenko zu bekommen, dann dürfte der Regierung in Kiew wohl keine andere Wahl bleiben, als zu versuchen mit militärischen Mitteln die Kontrolle im Osten des Landes zurückzuerlangen.
Neben der Lage in der Ost-Ukraine bleibt auch die wirtschaftliche Situation im Land weiter angespannt. Trotz einer ersten Annäherung bei der Frage von Gaslieferungen, stocken die Gespräche und eine Einigung ist noch weit entfernt [5].
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die Ukraine überhaupt wieder Boden unter die Füße bekommen soll. Es wird eine beachtliche Herausforderung sein, auf der einen Seite die politischen und wirtschaftlichen Strukturen in der Ukraine grundlegend zu reformieren, was gegen die Interessen der Oligarchen im Lande sein dürfte, und auf der anderen Seite gleichzeitig die Wirtschaft wieder anzukurbeln, wozu man genau diese wirtschaftliche Elite in der Ukraine brauchen wird. Daneben bleibt auch erst einmal abzuwarten, ob Poroschenko, der selbst ein Oligarch ist, überhaupt gewillt und in der Lage ist, gegen die Korruption vorzugehen und eine Entflechtung von Politik und Wirtschaft voranzutreiben.
Insgesamt steht Poroschenko vor der gewaltigen Aufgabe, in der nächsten Zeit eine Politik zu entwickeln, die den vielen verschiedenen Anforderungen gerecht wird. Zum einen muss die neue ukrainische Führung den Verpflichtungen gegenüber Russland, z.B. bei der Begleichung der Altlasten, nachkommen, zum andern muss sie das Staats- und Wirtschaftssystem reformieren, um die Forderungen der EU zu erfüllen, vor allem aber muss sie den vielen Hoffnungen und Erwartungen der ukrainischen Bevölkerung gerecht werden und zwar im Osten wie im Westen des Landes.
Kurzfristig, also in den nächsten Tagen und Wochen, ist es am wichtigsten, endlich die Konfliktparteien im Osten der Ukraine an einen Tisch zu bekommen, damit die gewalttätigen Auseinandersetzungen ein Ende finden und gemeinsam eine Zukunft mit mehr Autonomie und Selbstverwaltung in den Regionen gestaltet werden kann.
Mittelfristig, also in den nächsten Monaten, halte ich eine Neuwahl des Parlamentes in Kiew für erforderlich, damit die komplette politische Führung demokratisch neu legitimiert ist. Daneben müssen auch möglichst rasch die Fragen der Gasversorgung und der Finanzhilfen geklärt werden, um auch wirtschaftliche Stabilität zurückzuerlangen.
Langfristig bleibt hingegen nur zu hoffen, dass Russland und die EU künftig stärker mit Blick auf den anderen agieren und in der Ukraine mit Poroschenko jetzt ein fähigerer und integerer Präsident die Geschicke des Landes lenkt als mit Janukowytsch.
[1] Beitrag vom 26.05.2014 zur Präsidentschaftswahl bei Zeit-Online(Link zum Artikel auf www.zeit.de)
[2]Artikel vom 27.06.2014 zur Freilassung der OSZE-Beobachter bei tagesschau.de(Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)
[3] Artikel vom 27.06.2014 zur Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens bei tagesschau.de(Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)
[4] Beitrag vom 21.06.2014 zu Putins Forderungen bei tagesschau.de (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)
[5] Artikel vom 16.06.2014 zum Gasstreit bei tagesschau.de (Link zum Artikel auf www.tagesschau.de)